Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950102029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895010202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895010202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-02
- Monat1895-01
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
veM^-PrriS W> t« HlUlptexpkdittlm oder de» 1« 80>G> t»ir< u»d den Bororten errichteten Aus- oabesteven adgeholt: vierteljährlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau» 5^0. Durch die Post bezogen für Deutschland uud Oesterreich: viertel,thrltch ^l . Direct« tägliche Erenzbandienduag in« «nsland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabr erscheint täglich '/,7Uhr, die NÜnd-Au^abe Wochentag» 5 Uhr. Le>«ctisu un> Lrveditiou: Aotzaanesgasse 8. Li» Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geäffnet »v, früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: VW» A««»'« Sorti». (Alfre» Hech»), Univ«rsität»strabe 1, L-nt« v-sche. Anthartneastr. 14, pari, uud König-Platz 7. Abend-Ausgabe. mngcr.Tagtblalt Anzeiger. Drgan flir Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. A«zeige«.PrekV Ijfr 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg!' Neclamrn unter dem RedactionSstrich (4g» spalten) 50^, vor den Familieunachrichlr» («gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Proi«- »erzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsntz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Anraabe, ohne Postbesörderung >4 60—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Itnnahmeschlaß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Sonn- und Festtags früh V,d Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Stund« srüher. Anzeigen sind stet» an die Erpetttt«» zu richten. Druck «nd Verlag von E. Polz in Leipzfg ^-3. Mittwoch den 2. Januar 1895. 8S. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Januar. Die schweren Vorwürfe, die besonders von der conser- Vativen Presse gegen den Verein der Brauereien Berlin« und der Umgegend wegen ihres den Boykott beendenden Abkommens mit der Socialdemokratie erhoben worden sind, haben diesen Verein zu einer Erklärung veranlaßt, die im Wesentlichen folgendermaßen lautet: „Der nunmehr beendete Kamps begann mit der Maifeier der Böttchrraeselten. Zur Unterstützung dieser und anderer Forde rungen derselben war über eine Brauerei in Rtxdorf der Boycott verhängt worden. Der Zweck, den die vereinigten Brauereien in diesem Kampfe verfolgten, bestand nicht etwa in der dauernden Ausschließung einer Anzahl von Arbeitern, sondern einzig und allein in der Aufhebung des zunächst über diese eine, dann über sieben und schließlich über alle dem Unterzeichneten Verein angehörigen Brauereien verhängten Boycott». Nur zu diesem Zweck sind die von den vereinigten Brauereien im Mai d. I. beschlossenen Maßnahmen getroffen und aufrecht erhalten worden. Der Verein hat wiederholt erklärt, daß er bereit sei, nach Aufhebung des Boycotts die entlassenen Arbeiter wieder einzustellen, daß er dagegen die Forderungen der Böttchergesellen nicht bewilligen und auch den in den Volksversammlungen vom 18. Mai dieses Jahres gefaßten Beschlüssen keine Folge geben würde. Diese» Beschlüssen gegenüber, betreffend: 1) die Wieder einstellung der gemaßregelten Arbeiter in ihre alten Posten, 2) die Ausrechterhaltung und Anerkennung der bestehenden Brauereiarbeiter-Organisationen, .8) die An erkennung des Arbeitsnachweises, 4) die Lohne n tschädigung für die ausgesperrten und gemaßregelten Arbeiter, 5) die Anerkennung und Freigabedes 1. Mai als Ruhetag, haben die vereinigten Brauereien stets den gleichen Standpunct festgehalten und weder bei den Verhandlungen im October, noch bei dem jetzt abgeschlossenen Vergleich aufgegeben. Ja, während srüher die unmittelbare Wicdercinstellung der entlassenen Arbeiter bewilligt worden war, wird jetzt nur deren Eintragung in den Arbeitsnachweis unter den für diesen geltenden Bestimmungen zugestanden. Dieser von den Unterzeichneten Brauereien schon seit Monaten und unabhängig von den in Rede stehenden Verhand lungen vorbereitete Arbeitsnachweis bedeutet im Gegensatz zu den von den socialdemokratischen Brauereiarbeitern ausgestellten Forderungen kein Zugeständniß gegenüber irgend einer Partei, vielmehr die Wiedereinführung eines bereits vor dem Boycott bestandenen Zustandes mit einigen den Brauereien erwünschten Aeiiderungen. Weit entfernt, dir DiSciplin in den Betrieben zu untergraben-, hat sich der Arbeitsnachweis als ein Mittel zur Stärkung derselben erwiesen Daß dieser Arbeitsnachweis in Bezug aus die Verwaltung desselben den Arbeitern gleiche Rechte wie den Arbeitgebern einräumt, daß als Grund der Ablehnung von Bewerbern die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, Gewerkichaft oder Bereinigung nicht gelten soll und daß hierüber eventuell ein nach Art der Gewerbegerichte gebildetes Schiedsgericht entscheiden soll, entspricht den Anschauungen, welche die Unterzeichneten Brauereien von jeher bekundet haben und die u. N. darin bestehen, daß politische Rücksichten aus ihre Geschäftssüh rung keinen Einfluß haben sollen. Im Uebrigen ist die freie A ns wähl der in den Arbeitsnachweis eingetragenen Be Werber und die völlige Freiheit in Bezug aus die Ent lassung von Arbeitern ausdrücklich gewährleistet und anerkannt worden. Daß. die Sociatdemokratic selbst den Ausgang des Kampfes nicht als einen Sieg ihrer Partei ansah, dürste sich für jeden unparteiischen Beurtheiler schon aus dem Verlauf der am Freitag, den 28. De cember, stattgefundenen Volksversammlungen ergeben. Bürger lichen Blättern war es Vorbehalten, die gemeinschaftlichen Gegner eines Bessern zu belehre»! Ohne ihrerseits einen Siegesjubel an -«stimmen, werden sich die Unterzeichneten Brauereien die erzielten Erfolge, die zu würdigen sie in erster Reihe in der Lage sind, nicht schmälern lassen! Die jetzt ge- botene Gelegenheit zur Beendigung des Kampfes zurückzuweisen, nur um an formalen Bedingungen sestzuhaltrn oder um mit der Gegenpartei überhaupt nicht zu paktiren, wäre gegenüber den zum Verein gehörigen weniger kapitalkräftigen Brauereien, gegenüber den Äastwirthen und vielen anderen Gewerbetreibenden um so weniger zu rechtfertigen gewesen, als die Fortsetzung des Kampfes der Socialdemokratie keinerlei Opfer auf erlegt hätte. Es ist richtig, daß die Brauereien in diesem Kampfe weder die Hilfje der Polizei noch der Gerichte angerusen haben. Aber es ist unrichtig, daß, ab- gesehen von der moralischen Unterstützung durch die Presse und l» ' Parteinahme eines Theils derGaslwirthe, den Brauereien irgend wtiche wirksame Unterstützung von bürgerlicher Seite zu Thril geworden ist. Im Gegentheil sind sie von einer großen Anzahl hiesiger und auswärtiger Brauereien, deren Concurrenz namentlich den kleineren, zum Verein gehörigen Betrieben von Tag zu Tag fühlbarer wurde, offen und versteckt bedrängt worden. Allein auf sich selbst angewiesen, haben die Unterzeichneten Brauereien während voller sieben Monate den Kampf gegen die gesammte sociatdemokratische Partei nicht nur im eigenen, sondern im Interesse weiterer Kreise geführt und opserwillig große Verluste ertragen, die niemals wieder ausgeglichen werden können. Weit der Erfolg des Kampfes den Wünschen einiger Organe nicht entspricht, werden die Brauereien nunmehr von diesen verurtheilt, ohne nähere Prüfung der Verhältnisse, ohne zu berücksichtigen, daß kein einziges Gewerbe so den Angriffen der socialdemokratischen Arbeitrr- schast ausgesetzt ist, wie das Braugewerbe! Die Unter zeichneten Brauereien werden sich durch solche ungerechten Urtheile in der Ueberzeugung, ihre Pflicht voll und ganz gethan zu haben, nicht beirren taffen I Aus eine Sprengung des „Ringes" hatten es die Gegner abgesehen! Diese Absicht ist nicht erreicht, sie hat vielmehr dahin gesührt, die Brauereien noch enger an einander zu schließe». Wie in dem jetzt beendeten Kampfe werden sie daher auch in Zukunft zusammenstehen, wenn es gilt, gemeinsame und berechtigte Interessen zu vertreten, die einzelnen Brauereien, sowie die Gejammtheit derselben gegen ungerechtfertigte Angriffe zu schützen, von welcher Sette sie auch kommen mögen! Der Verein hat sein Verhalten ntenials von politischen Erwägungen abhängig gemacht und weist somit auch die Insinuation, daß seine Führer sich bei dem zu Stande gekommeneii Abkommen politischen Interessen dienstbar gemacht hätten, mit Entschiedenheit zurück." Wenn die Gegner des Friedensschlusses auch werden an erkennen muffen, daß die Berufung deS Vereins auf die Be dingung seiner Mitglieder durch eine scrupeilvse Concurrenz vollständig begründet ist, so werden sie sich dadurch von einer weiteren Befehdung deS Vereins doch nicht abhalten lassen. Denn der Hauptgrund dieser Befehdung ist die Absicht, den Staat zum Eingreifen zu veranlassen. Diese Absicht wird bei der Berathung der Umsturzvorlage im Reichstage deutlich zu Tage treten. Wahrscheinlich wird sogar von konservativer Seite der Antrag eingedrackt werden, auch die Verrufserklärnngen unter Strafe zu stellen. Die „Schles. Ztg." stellt einen solchen Antrag bereits in sichere Aussicht, indem sie schreibt: „Ein einleuchtenderes Argument als diesen Biersrieden hätte man sich gar nicht denken können, um die Unfähigkeit der einzelnen Gruppen der bürgerlichen Gesellschaft, der socialrevolutionairen Bewegung aus eigener Kraft Herr zn werden, und die Nothwendigkeit des staatlichen Eingreifens zu beweisen. Nicht die Entbehrlich keit der Umsturzvorlage, sondern nur die Verschärfung und Er- Weiterung derselben kann mit den Bierboycott-Erfahrungen überhaupt und besonders mit dem Friedensschluß begründet werden. Vor Allem wird zu verlangen sein, daß man sich der längst nothwendigcn Verschärfung des gegen den Mißbrauch des Coalitions- rechts gerichteten 8. 153 der Gewerbeordnung, unter Ausdehnung desselben auf die Verrufserklärnngen, wieder erinnere. Geschieht dies, so kann der Triumph der Social- demokratie im Bierboycott, wie unerfreulich er zunächst erscheinen mag, immerhin von heilsamer Wirkung sein." Bei der Berathung der Umsturzvorlage wird man also Alles zu hören bekommen, was gegen die Art der Beendigung des Bierkrieges und gegen die Erklärung der Ningbrauereien ich Vorbringen läßt. Bei dieser Gelegenheit wird sich aber auch zeigen, daß im konservativen Lager die Ansichten über die Zweckmäßigkeit der Bestrafung von Verrufserklärungen sehr getheilt sind und daß besonders die antisemitisch angehauchten Mitglieder der Partei von einer solchen Bestrafung eine Beeinträchtigung ihrer Bestrebungen be sorgen. Die von der „Schlesischen Zeitung" erwartete „heil same Wirkung" des Bierfriedens wird daher auSbleiben, da auch das Eentrum keine Neigung zu einer Verschärfung deS gegen den Mißbrauch deS Eoalitionsrechts gerichteten tz 153 )er Gewerbeordnung hat. ES bleibt also gar nichts Anderes Ibrig, als was wir von vornherein als notywendig bezeichnet haben: die W i r k u n g des Friedensschlusses abzuwarten und, wenn der erste Mai den Brauereibesitzern oder anderen Gruppen von Industriellen einen neuen Boycott bringt, den Bedrohten von allen Seiten der bürgerlichen Gesellschaft die Unterstützung zu bringen, die den Ningbrauereien versagt blieb. Vorher über die Wirkung des Bierfriedens und seinen würdigen oder unwürdigen Charakter zu streiten, ist nicht nur zwecklos, sondern sogar verderblich, denn dieser Streit bewirkt nur, daß das Einzige unterbleibt, was nach Lage der Dinge einen neuen großen Boycott oder eine Beendigung desselben unter Klagen und gegenseitigen Vorwürfen im bürgerlichen Lager verhüten kann. Aus Oesterreich bat das zu Ende gegangene Jabr einen be fremdlichen Ton herüberklingen lassen. Wie bereits telegraphisch gemeldet wurde, hat die Grazer officiöse „Morgen post", die Beilage der amtlichen „Grazer Zeitung", das Bedürfniß gefühlt, in einem offenbar infpirirten Artikel gegen die Absicht der Deulschnationalen, anläßlich des bevor stehenden achtzigsten Geburtstages deS Fürsten Bismarck eine Bismarck-Feier zu veranstalten, in heftigster Weise zu Felde zu ziehen. Die Grazer deutschsortschrittliche Tagespreffe leuchtet aber dem officiösen Organ ziemlich scharf heim. So schreibt die „Tagespost": „DaS hiesige halbamtliche Blatt bringt einen Auf satz gegen die Bismarck-Feier in Graz, in welchem gegen den Plan, zu Ehren des bevorstebenden achtzigsten Geburtstages des Fürsten Bismarck in unserer Stadt eine Feier zu veranstalten, aus Gründen des österreichischen Patriotismus Einsprache erhoben wird. Wir weisen diese Einsprache zurück, weil die Pflicht gegen den Staat es keinem deutschen Oeslerreicher verwehrt, dem großen Staatsmanne und Begründer des uns so innig befreundeten Nachbarreiches an seinem Ehrentage die ihm gebührende Huldigung darzubringen. Fürst Bismarck war im Jahre 1866, als die Gegensätze so weit gediehen waren, daß nur mehr deren Austragung durch die Waffen üdri^ blieb, unser Gegner, aber dieser ehrlich ausgefochtene Kampf gehört der Geschichte an, und seither hat sich der frühere deutsche Kanzler stets als ein offener und ehrlicher Freund Oesterreichs erwiesen, der es wiederholt betonte daß, wenn unsere Monarchie von irgend einer Seile bedroht würde, das Deutsche Reich mit seiner ganzen HeereSmacht für sie einsteben müßte. Auch unser ritterlicher Kaiser hat gezeigt, daß er die Gegnerschaft vom Jahre 1866 durch die Ereig nisse, welche ihr gefolgt sind, als völlig ausgelöscht betrachte, Venn er hat dem deutschen Kanzler zu verschiedenen Zeilen die deutlichsten Beweise seiner Hochachtung und Werthschätzung gegeben. Wen aber der Kaiser von Oesterreich ehrt, den darf auch jeder österreichische Staatsbürger ehren, ohne da durch seine patriotischen Pflichten im geringsten zu ver- etzen oder gegen jenen Tact zu verstoßen, welchen man von jedem Oesterreicher verlangen darf." — Es muthet einem wahrhaftig an, als ob die Redaction der Grazer „Morgrnpost" mindestens seit Jahresfrist ge- chlafen und nicht erfahren habe, was indessen zwischen dem Zürsten Bismarck und dem deutschen Kaiser geschehen ist, Ereignisse, welche auch die herzlichen Beziehungen zwischen dem Kaiser von Oesterreich und dem ersten deutschen Reichskanzler, wenn sie je gelockert waren, wieder fest geknüpft haben. Wir inv überzeugt, daß Fürst Bismarck, wenn er heute noch einmal nach Oesterreich käme, mit größerem Enthusiasmus als je empfangen werden würbe und trösten uns damit, daß die Grazer „Morgenpost" mit ihren unqualisicirbaren Ausfall in Oesterreich völlig allein dasteht. In Ungarn naht die Entscheidung. Die Audienzen beim König Franz Joseph in Pest baden ihren Abschluß gefunden, der Monarch ist nach Wien zurückgereist und seine Äitschlüsse aber die Neubildung des Eabinets dürfte noch in dieser Woche zu erwarte» sein. Wie die Situation in den Kreisen der adtretenken liberalen Negierung angesehen wird, zeigt folgendes ungarisch-officiöse Communiquö der „Pol. Corr.": „Es begreift sich, daß der Verlauf der erwähnten Unterredungen ein Geheimnis bildet. Tie Ansichten, welche die betreffenden Politiker während der Krise kmidgegebeii haben, bieten jedoch Anhaltspuncte genug, nm die Ueberzeugung einzuflößen, daß der weitaus überwiegende Thei! der von Sr. Majestät vernommenen Persönlichkeiten einen Systemwecdsel nicht einmal zur Sprache gebracht und weder eine Modifikation der eingebrachten kirchenpolilijchen Gesetzentwürfe, noch überhaupt eine Aenderung der liberalen Richtung der ungarischen Regierungspolitik empfohlen bat. Man glaubt in Ungarn allgemein, daß auch das künftige Ministenum sich aus die liberale Partei stützen werde, und man ist in der Ueberzeugung einhellig, daß zwischen den auf der staats rechtlichen Basis von 1867 stehenden Parteien gegenwärtig wohl eine Annäherung, aber noch keine Fusion oder Coa- lttton aller aus der staatsrechtlichen Grundlage von 1867 stehenden Fractionen möglich sei. Alle Bermulhungen über die Persönlich keiten, die in das nächste Eabinet eintretcn dürsten, sind insotange völlig verfrüht, als Se. Majestät nicht seine Entscheidung darüber getroffen haben wird, wen er mit der Mission der Cabinetsbitdung betrauen will, da sich je nach der Wahl des Monarchen bezüglich des künftigen Ministerpräsidenten sehr verschiedene Combinationen in der Zusammensetzung der Regierung ergeben werden." Nun, die Entscheidung muß ja in wenigen Tagen fallen und wir geben die Hoffnung noch nicht auf, daß der König in weiser Berücksichtigung derEBerhäitniffe Ungarns von dem Wagniß eines Systemwechsels, der ihm persönlich vielleicht genehm ist, adsieht und einen Mann mit der Cabinetsbildung vertraut, der fest aus dem liberalen Programm des Ministe riums Weierle steht. Wenn der Monarch von dem künftigen Leiter der Geschäfte in Ungarn außerdem verlangt, daß er sich weniger an die ausgleichsfeinblichen radicalen Fractionen, als an die köuigstreuen Elemente der Rechten anzulehnen versucht, und Garantien für die peinlichste Wahrung der Rechte der Krone von sämmtlichen Mitgliedern der Krone erwartet, so kann man ihm das schlechterdings nicht verargen. Eine Annäherung der gemäßigten Parteien I in diesem Sinne würde auch die parlamentarische Unler- ! stützung Wekerle's finden. Daß eine Fusion dieser Parteien, ! welche die Abdizirung des Liberalismus bedeutet, von langer Feuilleton. Das „goldene" Jahr. Es war Alles anders geworden, ganz anders. Vierzig Socialdemokraten waren in das Stadtverordneten collegium eingezogen, wirkliche Vierzig! Wie war daS, trotz deS Dreiclaffensystems, möglich gewesen? Ganz einfach. Eine Anzahl Heißsporne, deren cs ja überall giebt und die sich dieses Mal unter den Hausbesitzern befanden, waren den socialdemokratischen Verlockungen — nur eine einzige Ein kommensteuer unter Aushebung aller anderen Steuern, also auch der Grundsteuer — erlegen und hatten sich verleiten lassen, eine „Genossen"-Liste auszustellen, die bei der vor handenen Zersplitterung einen Borsprung von wenigen Stimmen vor den anderen Listen erreicht batte. Nun waren die Socialdemokraten in der Mehrheit und von dieser machten sie rücksichtslosen Gebrauch. Schon die Borsteherwabl gab eine Probe hiervon. Justizratb Schill zer schellte an dieser Mehrheit, die an seine Stelle den früheren Gemeinderath Frenzel aus Lindenau setzte, da man ihm par lamentarische Schulung zutraute. Nachdem man noch die Ausschüsse in ähnlicher Weise der neuen Richtung entsprechend gebildet batte, ging man daran, den Rath „zu säubern". Am Ausscheiden waren von den besoldeten Stadträtben gerade die Stadträtbe Hentschel und Ludwig-Wolf. Für ersteren wurde der Genosse Köhre der Leiter des Armenwesens, während da« Steuerwesen dem Genossen Silber überwiesen wurde. Nun war kein Halten mebr. Alsbald nahm ein Stadtratb nach dem anderen seine Entlastung und die social demokratischen Bestallungen mehrten sich. So wurde der EonsumvereinSvorstand Fell der Dccernent für das Innungs- Wesen, der Kaufmann AdS erhielt daS Dccernat für die Polizei, Or. moä. Fr. Große aus Anger-Crottendorf wurde StadtbezirkSarrt, Maurer Beyer Stadtbaudirector, der Besitzer der „Morgenrothe" Decernent des SchankwesenS u. s. w. Daß unter solchen Umständen mit der „Vetternwirth schaft" gründlich aufgeräumt wurde, versteht sich von selbst. Nur solche, die sich über ihre Parteiangehörigkeit genügend auSweisen konnten, wurden in städtischen Diensten beschäftigt oder erhielten öffentliche Arbeiten. Es war da« eine Forde rung, die von den Gewerkschaften gestellt worden war und desolat werden mußte, wenn man sich nicht den Vorwurf der Znconsequenz zuziehen wollte. Hatten doch die social demokratischen Kellner, die Musiker u. s. w. schon srüher ver langt, daß nur sie in den Wirtschaften der „Genossen" Be schäftigung finden dürfen. Zwar hatte man sich stets entrüstet, wenn ein Arbeiter seiner socialdemokratischen An schauungen bezw. Agitation halber gemaßregelt worden war, aber eine „nmgedrehte Brodadschneidung" war doch ganz etwas Anderes. Also nur keine Scrupel, wenn es „allgemeine Menschenrechte" gilt. Doch das waren alles nur nebensächliche Dinge gegen über der Hauptarbeit, die der neuen Mehrheit harrte: die Feststellung des städtischen HauShaltplaneS. An dieses Werk ging man mit Lust und Liede. Galt es doch, die vielen, dem arbeitenden Volke gemachten Versprechungen wahr zu macken, und glücklicher Weise — endlich hatte man die Macht dazu in Händen. Mit Ernst wurde die Arbeit begonnen. Es würde uns zn weit führen, alle die sckönen Reden, mit denen die noch im Collegium sitzenden 32 Vertreter deS „in allen Knochen faulkn OrdnungsmischmasckeS" niedergedonnert wurden, hier wiederzugeden. In den „Annalen der Rhetorik", die eigens zur Erhaltung dieser Reden begründet wurden, haben sie ihre Stätte gefunden. DaS Motto: ,Kusch, ihr bevor rechtet Gewesenen", entnommen dem Rache-Artikel eines de kannten Blattes, der die neue Aera einleitete, ist ihnen voran gestellt worden. Also es sei un« nur gestattet, über das finanzielle Facit der Arbeit bier zu berichten. Blicken wir zuerst aus die Schulen. Die Unentgeltlichkeit deS Unterrichts wurde sofort in allen städtischen Sckulanstalten eingefübrt, womit allerdings über 800 000 Einnahmen in Wegfall kamen. Eine Ausgabe kam dazu. Die Unentgeltlichkei der Lehrmittel, für 60000 Kinder mit jährlich 5 ^ in den Hausbaltplan eingestellt, machte 300 000 In Summa erforderten die Schulen also einen Mehraufwand von 1 lOOOOO-F Sodann fand das Friedbosswesen die lang ersehnte Regelung. Unentgeltliche Beerdigung wurde ein geführt. Damit wurden lOO 000 ^ an ConcessionSgeldern rc. aufgegeden, während die Ueberfübrung von 7500 Leichen jährlich, zum billigsten Preis angenommen, etwa 150 000 ^ kostete. T)aS waren wieder 250 000 ^ Bei Conto lO wurde die dort eingestellte Hundesteuer, lOOOOO selbstver ständlich ausgegeben, denn e« ist ein nubrsteuerbare« Menschen recht, sich Hunde nach Belieben zu halten. Ferner sollte das gesammte Medicinalwesen städtisch werden; da man die Ausgaben hierfür auck nicht annähernd überblicken konnte, so stellte man. als Vorsichtsposten, den Betrag von 300 000 in den Hausbaltplan ein. Von weiteren Kleinigkeiten sei nur erwähnt, daß man den Tbeaterpackt (300000 .^l) aufhod, denn da die dramatische Abtbeilung deS Arbeiter vereins, der daS Stadttbeater übergeben worden war. nur für Volksbildung sorgte (der Spielplan enthielt nur Stücke wie „Die Verworfenheit deS Millionärs", „Die Brüderlichkeit der Arbeiter", „Fort mit der Polenconcurrenz". „Der ab gethane Staatsanwalt" rc.), so war ganz natürlich von Packt keine Rede. Dafür wurde aber auch gespart. Zwar wurden für die l08 000 welche die Stadt bisher Vereinen und milden Stiftungen zuwandte» den socialdemokratischen Gesang-, Turn-, Radfahrer- und Arbeitervereinigungen der ungefädr gleiche Betrag zugewendet (also bier ließ sich beim besten Willen nichts gut machen), dafür wurden aber 13 000 Beitrag zum Sedanfest »ind 2000 für den Rennverein unbarmherzig gestrichen. Mit einigen Beiträgen für Kirchen bauten, die das gleiche Schicksal hatten, wurden im Ganzen 30 000 gespart. Nickt wenig stolz war man auf diese „Thal", als man an die Beratbimg desConto47 „directe Abgaben" ging. Aber dieser Schrecken! Man hatte die Einnahmen um über eine Million Mark geschmälert und die Ausgaben um 750'000 Mark erhöbt. Die Ersparnisse am Sedanfest rc. brachten gerade nur den Theaterpacht ein! Tableau! Von Steuer-Entlastung war keine Rede mebr, im Gegen theil: die Steuereinheiten wurden auf 2l (!) gebracht — nur zum allgemeinen Woble —. die Grundsteuer aber beibehalten, sogar ihre Erhöhung noch in Erwägung gezogen. „Verrath, Verrath," erscholl es nun in den Reihen der Getäuschten. Nur einmal ließ man sich das gefallen. Bei der nächsten Wahl fiel kein Mensch mebr auf daS „Programm" hinein. Und von der ganzen Herrlichkeit ist nichts übrig ge blieben, als der — eiserne Besen, mit dem da« Collegium so gründlich und für immer gefegt werden sollte. Dieser ist dem „Verein für die Geschichte Leipzigs" überwiesen worden. Ob da« nur eine Svlvester-Vision war? Schwer wird e- zu rutsche,den sein. Iedeufall« war ich herzlich zufrieden, daß heute nicht vierzig, sondern nur vier Social demokraten in daS Stadtverorbnetencollegium einziehen. Graf Jarl. Roman von Hermann Heiberg. Nachdruck verbot«». Ein bell erleuchtetes Schloß mitten in einer Schneeland- schaft. Große Kandelaber auf goldenen Pfeilern warfen ihr Lit t auf die gewaltige Freitreppe und den von stattlichen Wirthschaftsgebäuden umgebenen Gutsdof. Zahlreiche Schlitten und Equipagen harrten bereits eine Weile, um die Gäste wieder in die Stadt zurückzubringen. Einige von den angeschirrten Pferden standen unbeweglich; sie empfanden die eisige Kälte, trotzdem ibre Rücken mit Decken belegt waren. Andere aber scharrten ungeduldig im knirschen den Scknee, Hoden und senkten die Köpfe, zerrten an den Stablgediffen und verursachten so ein laut klingendes Schel lengeläute. Blaue und rotbe Decken, Tiger- und Wolfsselle hoben sich gegen die zuckerweiße Erddecke farbenreich ad. Daneben blitzten die silbernen Pferdegeschirre und die goldfunkelnden Glocken, welche die Renner auf ihren Rücken trugen. In ihren langen, grauen Mänteln und silberdetreßten Hüten standen die Kutscher und Diener frierend beisammen und warteten auf ein Zeichen vom Schloß, daß nun endlich die Heimfabrt angetreten werken könne. Ader ihr Hoffen war umsonst. Das Sckloß erglänzte auch ferner in seinem ge- waltigcn Licktmeer. Hinter den Fenstern sab man, wie vor dem, die sich im raschen Dreben bewegenden Paare, die schönen Frauen mit ibren weißen Nacken und kostbaren Roben, die Herren in bunten Uniformen und Civilrock. „Hol' der Teufel die Tanzerei! Das nimmt ja gar kein Ende!" stuckte einer der jüngeren Kutscher und blickte ver drießlich empor zu Denen, die cS so viel besser hatten als die bier unten. In diesem Augenblick erschien an der westlichen Seite des Schlosses ein großer, livrirter Diener mit einem besetzten Tablett. Jbm folgte ein kleinerer jüngerer, der ebenfalls dampfenden Kaffee in breiten Tassen herbeitrug. „Ab, es giebt was!" stieß ein alter Kutscher, zu den übrigen gewendet, heraus. Und: „Na, Wilhelm bringst Du waS? Das war nicht Dein schlechtester Jedanke —" fuhr er, deu Diener ansprechend, fort.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite