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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950425027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895042502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895042502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-04
- Tag1895-04-25
- Monat1895-04
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Wie unser Berliner tztz - Corre- spondent bereits gemeldet hat, nimmt der mit der Abfassung des Berichts betraute conservqtive Abgeordnete v. Buchka an, jener Antrag sei angenommen, die Einfügung der Worte „ihre Lehren" also beschlossen worden. Der Borsitzende der Commission, der nationalliberale Abgeordnete vr. Böttcher, hat dies bekanntlich in der von ihm herausgegebenen „Nat.-Lib.Corr." bestritten; heute erklärt er, aus dein Protokoll sei das Er- gebniß der Abstimmung nicht klar erkennbar. Bon anderer Seite wird an der Behauptung sestgehalten, jene Einfügung sei abgelehnt worden. Voraussichtlich wird also die Fest stellung deS ThatbestandeS nicht leicht sein und ein Borspiel der erregten Berhandlungen im Plenum geben. Was aus diesen herauSkommen wird, ist bei den Parteiverhältnisscn und der unsicheren Haltung der Regierung noch vollständig unklar. Aus der bekannten Auslassung des „Reichsanz." ergiebt sich zwar, daß die maßgebenden Kreise die Com missionsbeschlüsse in ihrem vollen Umfange für unannehmbar halten, aber wie viel die Mehrheit Nach lassen muß, um mit dem BundeSrath in Einklang zu kommen, erfährt man nicht. Gerade aus dieser Reserve muß aber geschlossen werden, daß die Negierung entschlossen auf der Grundlage der Mehrheitsbeschlüsse mit dieser Mehrheit eine Verständigung zu suchen. Einst weilen muß das auch aus anderen Beobachtungen geschlossen werden. Die Beseitigung des Kanzelparagraphen ist ein kecker Einbruch in das Gebiet staatlicher Hoheitsrechte. Kein Lüftchen hat aber verrathen, daß darüber auch nur Erregung in Regierungskreisen entstanden ist. Die tztz. Ill und 130 in ihrer gegenwärtigen Fassung sind ein ebensolcher Eingriff in das Gebiet wissenschaftlicher und künstlerischer Freiheit. Kein Laut at aber verrathen, daß man den gerechten Zorn wenigstens -greife, geschweige nachempfinde, der die gebildete Welt allent halben durchzittert. Der neue tz. 166 stürzt — mit oder ohne Einfügung der Worte „die Lehren" — rücksichtslos die Grund lagen wahrer Glaubensfreiheit um. Was dagegen im Scheine ofstciösen Ursprungs vorgetragen wurde, war aber zum mindesten kein Symptom eines selbstbewußten, markigen Wider- standeS. Endlich bleibt zu beachten, daß die Conservativen mit einer Zuversicht in die Interessengemeinschaft mit dem Centrum eintraten, als ob jeder Fehlschlag ausgeschlossen sei. Beziehungen der Rechten zum preußischen Minister des Innern sind aber doch zugestandenermaßen von solcher Art, daß die klerikal-conservative Mehrheitsbildung nicht so vorbehaltlos hätte geschehen können, wenn eine ernste Schwierigkeit für die klerikalisirte Umsturzvorlage von Seiten der Regierung her noch zu gewärtigen wäre. Namentlich hätte sonst die reactionaire Abmachung nicht gerade in der Woche zwischen den 23. März und 1. April erfolgen können. Oder hatten sich die Conservativen ins ultramontane Lager begeben und alle Brücken hinter sich abgebrochen, nur um jetzt zu bemerken, daß ihre Stellung überall unhaltbar ist und daß der unvermeidliche bedingungslose Rückzug von allen Seiten her al» solcher eingesehen werden wird? Um diese Situation wären sie gewiß nicht zu beneiden. — Nicht viel glücklicher ist allerdings die Lage, in welche die Regierung infolge ihrer bisherigen Passivität gerathen ist. Da- Centrum ist insbesondere ihr gegenüber in dominirender Stellung; ohne ein materiell belangreiches Zugeständniß an die klerikal-reactio- 2 nairen Tendenzen ist ganz gewiß keine Centrumsstimnie für die Vorlage mehr zu haben. Warum hat auch die Regie rung geschehen lassen, daß alle diese tendenziösen Anträge durch Hinübertreten der Conservativen zum Centruin eine Mehrheit fanden! Ueber so viele beschlossene Erweite rungen der Vorlage ist eine Verständigung anders nicht denkbar, als daß die Regierung weil über die Grenzen des ihrerseits Gewollten hinausgeben muß, »»> mit der zügellos vorgeslürmlen Mehrheit sich überhaupt noch zu begegnen. Freilich wird daS Centrum nicht starr aus seinem Scheine be harren; es selbst bat Interesse varan. nicht alles wieder schwinden zu sehen, was einmal doch schon Mehrheitsbeschluß geworden. Aber das Centrum würde auch ohne besondere Einbuße in der Lage sein, jeden Augenblick abzuschwenken und mit den Radikalen die alles verwerfende Mehrheit wieder berzustellen, wenn die Regierung nur Zugeständnisse machen wollte, die lediglich Asiectionswerth hätten, nicht aber den klerikal- reactionaircn Tendenzen irgendwo eine Bresche frei gäben. Eine solche Schwenkung des CentrumS wäre namentlich dann sicher zu erwarten, wenn etwa die Conservativen unter einem von oben ausgehenden Drucke träge werden sollten, die Früchte der gemeinsamen Commissionsarbeit mit einzubringen und zu bergen. Aber gewiß wird das Centrum mit sich reden lassen, wenn ihm materiell erhebliche Zugeständnisse offerirt werden, und dazu kann es um so williger bereit sein, als im Grunde fast jeder einzelne beschlossene Centrums- Zusatz stark genug ist, um der inneren politischen Lage das entscheidende Gepräge zu verleihen. Denn die Ausführung solcher Paragraphen muß »othwendig zwischen der Negierungs politik und dem gemeinsamen Interesse der Mehrheitsgruppen eine Verbindung schaffen, wie sie seit 1867 noch in keinem Stadium der Entwickelung erlebt worden ist. Bedenk lichste Zugeständnisse an den Klerikal: Sinus oder Scheitern der Vorlage, — das scheint also die Frage der nächsten Wochen zu sein. Letzteres würde sich ertragen lassen, nachdem die Conservativen bekundet baden, daß sie seit dem 25. Januar 1800 weder zu lernen noch zu vergessen im Stande waren. Nur bliebe dann auf der Regierung der leidige Schein haften, daß allein sie selbst das gegenwärtige Dilemma mit dem vollen Mißerfolg am Ende verschuldet habe — eben durch ihren Verzicht auf irgend eine führende Antheilnahme am Gange der Conimissiousberathungen. Im anderen Falle, wenn eine mehr oder weniger klerikalisirte Vorlage Gesetz werden sollte, wäre freilich der ans die Regierung zurück fallende Schein weit unbequemer. Mit triftigen Gründen ließe sich dann behaupten, daß die Regierung über die Grenzen ihres eigenen Willens sicherlich nicht hmausgeschleist Word'» wäre, wenn sie bei Zeiten dem Uebermutb des Centrums mit festem Rückgrat begegnet und bei den Conservativen die Führung selbst besorgt hätte, und zwar eine kraftvolle Führung. Die Ansprache des Fürsten Bismarck an die Ab ordnung aus Anhalt hat mit einer geschichtlichen Annahme aufgeräumt, die man zwar nicht durch osficielle Aussagen zu begründen gesucht hatte, die aber allgemein getheilt wurde und der namentlich Diejenigen nicht entgegengetrcten waren, die die Angelegenheit zunächst anging. Der Fürst sagte in seinen Bemerkungen über das Zustandekommen des ZnvaliditätSoersicherungsgesetzes: „... ich glaube, sieben bis acht Iabre, nachdem ich die Sache angeregt hatte, kam der parlamen tarische und gcheimräthliche Wechselbalg wieder aus der Maschine heraus. Da wurde ich befragt: w>"st du das oder willst du nichts? Und da habe ich gesagt: ich will lieber dieses, wir gar nichts. Wenn man überhaupt die Sache fallen läßt, dann gebt es wie mit dem Socialistengesetz; wenn man das ablehnt, wie es die conservative Partei aeihan hat, weil eS nicht vollkommen genug ist, da hat man gar keins." Nack dieser — unseres Wissens ersten — direkten Musterung des Fürsten über das Ende des Socialistengesetzes fällt die bisher herrschende Version. Danach war der Besuch, den der damalige Führer der conservativen Partei,Herr v.Helldorsf, amAbcnv vor der entscheidenden Abstimmung über dieses Gesetz im Reicks- kanzierpalais abstattete, ohne Ergebniß geblieben. Herr v. Hclldorff kebrte zu der versammelten Fraktion zurück und cröffnele ihr, Fürst Bismarck habe das Ersuchen, die Hal tung der Conservativen zu bestimmen, zurückgewiescn. Am andern Morgen 9 Uhr, so wurde weiter erzählt, sollte Herr v. Hetldorff nochmals heim Fürsten vorgesprochen haben, und auf Grund dieser zweiten Unterredung hätte die Fraktion eine Stunde vor der Abstimmung im Reichstage die Ablehnung beschlossen. Nach dieser Darstellung glaubte man und mußte man glauben, der Fürst habe den Fall des Socialistengesetzes herbeigeführt, weil er es mit den von den Nationalliberalen beantragten Milderungen verwarf. Diese Annahme ist mit dem eingangs wiedergegebenen Urtheil des Fürsten über die damalige Haltung der Conservativen un vereinbar. In dem kirchenpolitischen Streit in Ungarn hat jetzt, nach der Ablehnung der Vorlage über die Reception der Juden und der Verstümmelung der Vorlage über die freie Neligiousübung durch das MagnatenhauS, wieder das Abgeordnetenhaus das Wort. Zunächst hatten Unter richts- und Iustizausschuß sich mit der Religionsübungs- Vorlage zu befassen. Die Stimmung der Liberalen ist, wie schon die Ausschußverhandlungen erkennen lassen, ziemlich gedrückt, von dem hoffnungöfreudigen Wage- mutb, der sie noch vor einem Iabre beseelte, ist kau», noch eine Spur zu entdecken, sie vermochten gerade nur noch so viel Haltung zu bewahren, daß sie die von den Magnaten ge strichenen Paragraphen, deren wesentlichster sich auf die Con- fessionSlosigkeit bezieht, wiederherstellten, dagegen aber auf einige stilistische Aenderungen eingingen. Diesem vom Unter richtsausschuß gefaßten Beschlüsse ist der Iustizausschuß beigetreten. Wie wenig Zuversicht hinter diesen scheinbar muthigen Beschlüssen sich birgt, ließ eine Erklärung des Ministerpräsidenten Barons Banffy im IustizauSschusse deutlich erkennen. Er sagte darin, er könne keine Bürgschaft für die neuerliche Abstimmung im Magnatenbause bieten, habe aber begründete Hoffnung, daß ein Einvernehmen zwischen den beiden Häusern werde hergestellt werden. Das ist ein Wink an das Abgeordnetenhaus, sich ans weitere Zugeständ nisse an den UltramontanismuS gefaßt zu machen, denn an ein Nackgebcn der Magnaten ist jetzt, nach ihre»» Erfolge über die Regierung, ohne ein unmittelbares Eingreifen der Krone weniger zu denken als je. Im Abgeordnetenhause ist die Berathung der Botschaften des Magnatenhauses über die beiden kirchenpolitischen Vorlagen auf den heutigen 25. und 26. April festgesetzt. Wir haben kürzlich schon auf den ungünstigen Stand der französischen Finanzen hingewiesen. In den einzelnen ministeriellen Ressorts Angestellte sorgfältige Berechnungen haben ergeben, daß, wenn die Ausgaben und Einnahmen deS nächsten Finanzjahres sich auf derselben Höhe halten wie in diesem Jahre, man vor einem Fehlbetrag von 37»/r Millionen Francs steht. Ersparnisse in den einzelnen Ressorts, welche der Conseilpräsident dringend anempsoblen hat, werden nichts nützen; solange man sich nicht entschließen kann oder will, an den riesigen Summen zu sparen, die alljährlich für Heer und Marine verwendet werden, sind diese allenfalls noch zu ermöglichenden Ausgabebeschränkungen wie der Tropfen auf den beißen Stein. Etwas Durchgreifender, und zwar unter Mitwirkung der Kammern, muß geschehen, und da die Sache keinen Aufschub leidet, so vürfte sie schon sehr bald nach Wiederaufnahme der Sitzungen zur Sprache gelangen. Der „Figaro" will selbst wissen, daß Ribot schon vorher, wahrscheinlich in Bordeaux, ein Programm betr. großer budgetairer Reformen in einer wlitischc» Rede entwickeln werde. Die Kammer wird den Absichten Nibot'S in der Theorie vielleicht zustimmen, ob sie aber die praktischen Schlußfolgerungen daraus wird ziehen wollen, ist eine andere Frage. Anch in Frankreich macht die wirthsckaftliche Depression sich in Gestalt des Rückganges wichtiger Einnahmepositionen fühlbar. Eine finanzielle Reform- wlilik wird daher auf Erschließung neuer Einnahmequellen Bedacht nehmen müssen. Eine derartige Steuerreform leidet aber wie jede andere an dem Uebelstanbe ihrer Zmpopularität, und daS ist bei der Kaininerinehrbeil, welche in erster Linie mit den Wählern und erst in zweiter mit den Interessen des Gemeinwohls rechnet, eine schlimme Empfehlung. Man darf also vorauSsehen, daß es in Sachen der Bndgetersparniß und der Steuerreformsrage zwischen Cabinet und Volksvertretung zu erheblichen Meinungsdifferenzen kommen wird, die möglicherweise den Bestand deS Ministeriums in Frage stellen können. Der Confliet zwischen England und Nicaragua ist in ein acutes Stadium getreten. Bekanntlich halte das Cabinet von St. James den Ausflüchten der kleinen mittel- amerikanischen Republik gegenüber seine Entschädigungs- und Satisfaelions-Ansprüche in die Form eines Ultimatums ge kleidet. Darauf erklärten die Nicaraguiten in einer neuen ausweichenden Antwort, die Regierung der Republik habe neues Beweisinaterial erhalten, daß der britische Consul Hatsch in BluesieldS, für dessen Verhaftung England Genug- tbuung verlange, die Eingeborenen und Jamaicaner zum Aufstande aufzureizen versuchte; sie halte deshalb die eng lische Forderung auf Schadenersatz für ungerecht. Die Antwort Englands ist nicht ausgeblieben: drei britische Kriegsschiffe sind an der Westküste von Nicaragua vor Corinto eingetroffen, um die Erfüllung seines Ultimatums zu erzwingen. Sie werden die Stadt blockiren, wenn die geforderte Entschädigung nicht unverzüglich gezahlt wird. Da bekanntlich StaatSsecretair Gresham im Namen der Washingtoner Regierung erklärt haben soll, in einer solchen Erzwingung, sei eS durch Beschießung, sei es durch Truppen landung, eme Verletzung der Monroe-Dvctrin zu erblicken, welche die Bereinigten Staaten nicht dulden konnten, so darf man auf die Weiterentwicklung des Handels gespannt sein. Ein amerikanisches Kriegsschiff hat bereits Befehl bekommen, nach Corintc zu geben behufs -- Beruhigung der dort lebenden Amerikaner. Möglicherweise genügt aber ohne Gewaltanwendung die Anwesenheit der englischen Kriegs schiffe vor Corinto, um die Nicaraguiten zur Raison zu bringen. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 24. April. Je näher der erste Mai kommt, um so mehr gewinnt eS doch den Anschein, als würden die Socialdemvkraten diesen Tag in viel umfassenderer Weise als früher durch ArbeitSruhe begeben. Die Radicalen m der Partei, die stärker sind als man glaubte, drängen immer energischer darauf hin, daß die Genossen am social- demokratischen Weltfeiertage sich der Arbeit enthalten. Die Parteileitung möchte jedem Conflicte aus dem Wege gehen; zweifellos ist es auf ihre Veranlassung zurückzuführen, wenn heute das socialdemokratische Centralorgan schreibt: „Nirgends wirb ein Zwang dahin auSgeübt, daß auch Die jenigen die Arbeit ruhen lassen sollen, denen in diesem Fall die Entlassung aus der Arbeit sicher wäre." Die Maler und ' die Böttcher, die sich bereits für vollständige ArbeitSruhe FeuNletsir. Das Geheimniß von Szarnbo. 2) Novell« vou B. MilLr Gersdorff. Nachdruck »»doten« Sie zog ein elegantes Notizbuch hervor, entnahm ihm einige Adressen und dieselben aus den Richtertisch legend, schloß sie: „Diese Firmen können Ihnen sowohl über meine Person als über meine Thätigkeit genügenden Aufschluß geben." Während Ljubitza zurücktrat, fuhr Herr Hagen einige Male sinnend mit den Fingerspitzen über die Karten. Die Verhandlung gerieth ins Stocken, eS schien, als habe der Richter den Faden verloren. Endlich begann er wieder: „So, Frau Schulze, nun sind Sie wohl über die Existenz des Fräuleins von Radovanovit« im Klaren?" Frau Elsa senkte beschämt den Kopf und schwieg. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, daß Ljubitza weder die Klägerin noch deren Verhältnisse kannte, daß also von einer auf Elsa Schulze gemünzten Warnung nicht die Rede sein konnte. Und so mußte Letztere den Schmerz über sich ergehen lassen, die Angeklagte freigesprochen und sich selbst in die Kosten der Verhandlung verurtheilt zu sehen. Vollständig geknickt kehrte sie dem Schauplatz ihrer Nieder lage den Rücken und zu ihren draußen harrenden Freundinnen zurück, die auf den ersten Blick sahen, wie eS um Frau Elsa's Sache stand. Viel Mitgefühl wurde ihr nicht entgegengebracht und von einer der Frauen über den AuSgang befragt, wußte sie nichts Anderes zu erwidern al»: „Gott — so'n Richter ist auch nur ein Mannl" — Ljubitza verließ, trotz ihrer Freisprechung, mit sehr ge mischten Empfindungen den Gerichtssaal. Auf die Straße tretend, überkam sie, wie so manche» Mal, da» schmerzliche Gefühl gesellschaftlicher Vereinsamung. Sie hatte Niemanden, mit dem sie so recht Freud und Leid theilen konnte — ohne Schutz, ohne wahre Freunde ging sie durchs Leben. Der eben erlebte Vorfall zeigte ihr nur zu deutlich, wie sie auch in tiefer Zurückgezogenheit und frei von jeder Schuld nicht da gegen geschützt war, in demüthigender Weise der Oeffentlich- keit preisgegeben zu werden. Dabei mußte sie aber auch jenes Mannes gedenken, der sich ihrer im GerichlSsaal so warm angenommen, in dessen Worten und Blick etwas lag, da» sie wie ein Hauch wahrer Theilnahme bewährte. Oder sollte es mehr als Tbeilnahme gewesen sein? — Wie ein flüchtiger Sonnenstrahl huschte es über ihre schönen Züge, aber schon im nächsten Augenblick nahmen dieselben wieder den gewohnten, träumerisch ernsten Ausdruck an; sie sandte noch einen letzten Blick dem eben verlassenen Gebäude zu und ging dann nachdenklich ihres Weges. Oswald Reinecke lenkte in heiterster Laune seine Schritte nach einem in der Näbe befindlichen Caf6, wo seine Freunde ihn erwarteten. Unterwegs malte er sich so lebhaft aus, wie er ihnen die schnurrigen Reden der Frau Elsa Schulze zum Besten geben wollte, daß er plötzlich hell auflachen mußte; da stieg es heiß in ihm auf, und eine innere Stimme flüsterte ihm zu: Aber es ist doch ihre Mutter — Clara's Mutter — Oswald, verzichte auf den Spaß! Währenddessen hatte der Amtsrichter fick in eine Droschke geworfen und sog in langen Zügen die warme, reine Früh- ungSluft ein, die den wohlthuendsten Gegensatz zu der frag würdigen Atmosphäre bildete, in der er stundenlang atbmen mußte. Mit eigenthümlichem Lächeln steckte er Ljubitza'ö Firmenadressen in seine Bisitkartcntasche und vergegenwärtigte sich dabei noch einmal daS Bild dieser anziehenden, interessanten Erscheinung; dann aber nahmen seine Gedanken eine andere Richtung; sie führten ihm ein rosiges lächelndes Kindergesicht vor, das kaum siebzehn Sommer zählende Töchterlein seines besten Jugendfreundes, daS es dem bisher so standhaften Hagestolz urplötzlich angethan. Ihr Silberfäden an den Schläfen, glänzt nicht so ver- rätherisch im Sonnenlicht! Des Mägdleins blaue Augen febcn scharf, eS könnte ihm zur Unzeit einfallen, daß Adolf Hagen ja — PapaS ältester Freunv ist! Oswald stand am Geländer des SchifffahrtScanals und sah dem mühseligen BorwärtSstaken eines tiefgehende», mit Ziegelsteinen belasteten SpreekahnS zu. Er batte kein Kind unserer Zeit sein dürfen, um durch diesen Anblick nicht zur Betrachtung über die ungleiche Gütervertheilung in der Welt zu gelangen. Was halte der Mensch, der dort am schmalen Sckiffsranv, tief gebückt, unter harter Arbeit keuchend, hin- und herschritt, dem Zugthier voraus, da», ins Joch gespannt, die gleiche Last fortbewegt? Und er dagegen! Unwillkürlich ergriff ihn ein Dankgefuhl gegen das Schicksal, eine selten empfundene Zufriedenheit mit seinem LooS, als er mitleidig dem armen, im Schweiße seines Angesichts sich abmübenden Paria zusah. Bon der nahen Kreuzkirche ertönten drei Schläge. Er ricktctr sich überrascht auf, und seine Ubr ziehend, tagte ei ärgerlich: Natürlich, sie hat wieder einmal den Rennkoller —, nun kann ich noch eine Viertelstunde lang warten. Um die Zeit auszusüllen, setzte er sich in Bewegung und ging den Canal entlang eine kurze Strecke auf und ab. Währenddessen legte er sich eine schöne Anrede zurecht, die er halten wollte, wenn die von ihm Erwartete aus dem Thor des vor ihm liegenden mächtigen rotben Gebäudes treten werde. In dieser Anrede sollte der Zufall eine hervorragende Rolle spielen, denn selbstverständlich — nur ein Zufall durste ihn mit Fräulein Clara Schulze wieder zusammen führen. Mehr als gründlich abfallen kann man nicht, sagte er sich beruhigend, denn wie kühl er die Begegnung mit seiner frühem Hausgenossin aufzufassen auch bemüht war, eine ge wisse Beklemmung fühlte er doch, wenngleich er sich dieselbe nicht eingestehen mochte. Den Teufel auch! Als ob etwas dabei wäre, ein junges Mädchen, das man längere Zeit nicht gesehen hat, mit ein paar höflichen Worten anzusprechen! So mit sich selbst in Anspruch genommen, überhörte er glücklich den Stundenschlag der Thurmuhr und schrak freudig zusammen, als sich plötzlich das Thor deS Schulgebäudes weit öffnete und hinter einer lachenden, lärmenden Mävchen- sckar auch die von ihm so lebhaft Erwartete sichtbar wurde, nur leider nickt, wie er gehofft, allein, sondern in Gesellschaft mehrerer Colleginnen. Seine Ungeduld sollte indessen aus leine zu barte Probe gestellt werden, denn nachdem dir jungen Damen noch einige Worte über das herrliche Frühlingswetter, über die kaum mehr zu bewältigenden Schulhefte und ähnliche »abeliegende Sorgen getauscht hatten, bogen zwei derselben nach links, und Clara — die Heißersehnte, allein nach rechts ab. Das galt ibm für einen Wink deS Schicksals; er rückte seinen Hut zurecht, lief, wie in höchster Eile, ihr entgegen und copirte so vortrefflich den Zusall, daß er beinahe an ilir vorbeigerannt wäre. Trotzdem er über die eigene Komödie erröthen mußte, gelang es ihm doch, seinem Gesicht den Aus- druck des Staunens zu geben und die nicht wenig verlegene Clara mit den vorhin eingeübten Worten anzureden: „O, welche Ueberraschung, Ihnen hier zu begegnen, Fräulein Schulze — ist daS häufiger Ihr Weg?" „Ungefähr dreihundert Mal im Jahr", antwortete sie lächelnd, ihre Verlegenheit bekämpfend. „Sie wissen Wohl gar nicht, in welcher Straße wir sind?" Oswald gab sich den Anschein, als muffe er sich wirklich erst crientiven. „Ah, jetzt gebt mir ein Licht auf, wir befinden un» ja in unmittelbarer Nähe der Stätte, wo Sie täglich für daS Wohl der Heranwachsenden Jugend thätig sind. Aber entschuldigen Sie, Fräulein Clara — ich lasse Sie hier mit der schweren Mappe stehe» Sie gestatten doch?" Und ehe eine Antwort erfolgte, hatte Oswald bereits mit sichern: Griff dem Mädchen die Mappe entwunden. Durch den Erfolg kühn gemacht, fuhr er fort: „Würden Sie mir vielleicht erlauben. Sie nach Hause zu begleiten?" Zögernd erwiderte sie: „Ich glaube, Sie konnten bessere Verwendung für Ihre Zeit finden, Herr Reinecke — ent schuldigen Sie — Herr Doctor, wollte ick sagen." „Im Gegentheil", gab er eifrig zurück, „ich preise den Zufall, der uns zusammengeführt und mir ermöglicht, Ihnen zu sagen, wie lehr ich bedaure, in so peinlicher Weise Ihr Haus verlassen zu haben." „Aber, Herr Doctor, was Sie in Ihrer Studentenzeit ver brochen haben, wird Sie dock jetzt nickt mehr beunruhigen", entgegnete sie mit leichtem Spott, indem Sie langsamen Schrittes den nach ihrem Hause führenden Weg einschlug. Oswald blieb ihr zu Sette, da er sah, daß sie seine Be gleitung stillschweigend duldete. „Also sind Sie mir nickt mehr böse, Fräulein Clara?" begann Oswald nach einigen Schritten wieder. „Halten Sie mich wirklich für so kleinlich, daß ich Ihnen darüber lange gram sein könnte? Ich weiß ja, daß eS nicht in Ihrer Absicht gelegen hat, uns zu kränken „Nun denn — vergeben und vergessen?" Clara nickte lebhaft. „Die Hand darauf!" Oswald streckte energisch seine Rechte vor. „Doch nicht auf der Straße", wandte sie ein. „Aber unterm Hausthor." Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: „Närrischer Kauz!" Einige Augenblicke schritten sie stumm nebeneinander her, dann nahm sie wieder daS Wort. „Und was sind Ihre nächsten Ziele, Herr Doctor?" fragte sie, „Sie bleiben doch in Berlin?" „Jawohl, hoffentlich für längere Zeit. Wie Sie wissen, habe ich mick in erster Linie aus die Sprachen geworfen, und da ich in mehreren Schulen als Lehrer thätig bin, außerdem al» Uebersctzer bei zwei Verlegern in schmählichem Solde stehe, so habe ick vorläufig keinen Grund, Berlin zu verlassen." „Uns mit Spreewaffer Gelausten geht ja auch nicht» über
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