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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189505278
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950527
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950527
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-05
- Tag1895-05-27
- Monat1895-05
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1895
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IIS des Grund- und Hypothekenbuchs für Hosterwitz, bestehend aus den Parcellen 4L und 48d des dortigen Flurbuchs mit einem Flächen inhalt von 46,1 u, für welches al« Ganzes ein Gebot von 42 000 vorliegt, tm Ganzen und getheilt freiwilliger Weise versteigert Werden. Termin hierzu ist auf tzea S. Juni Kieses Jahres, vormittags 11 Uhr festgesetzt worden. In diesem wollen Erstehungslustige an Unterzeichneter GerichtS- strlle sich einfinden, über ihre Zahlungsfähigkeit sich ausweijen und des Wetteren gewärtig sein. Di« Versteigerungsbedingungen sind aus dem am Gerichtsbrrt auShLngenden Anschlag zu ersehen. Dresden, den IS. Mai 1895. Köntgl. Amtsgericht, Abth. IHa, z., Lothringer Straße 1, I. rechts. Bermann. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Mai. In den Besprechungen, die in der Presse der beendeten RcichStagSsesfion gewidmet werden, wird vielfach die Krage erörtert, wem die Hauptschuld an der Unfruchtbarkeit dieser Tagung beizumessen sei, der Regierung ober dem Reichstage selbst. Eine objektive Prüfung dieser Frage muß nach unserer Ueberzeugung zu der Einsicht führen, daß beide Faktoren sich gleichmäßig in diese Schuld theilen. Auch die „Nat.-Lib. Corr." gelangt zu diesem Schlüsse, den sie folgendermaßen begründet: „Die Thronrede, mit welcher der Reichstag am 5. Decembrr eröffnet wurde, und die Progamm erklärung, mit der der neue Reichskanzler am 11. December dem ReichSparlameut sich vorstellte, wie die späteren Erklärungen des Reichskanzlers zeigen, im Zusammenhang be trachtet, einen anmuthenden Rahmen allgemeiner Gesichtspunkte und sind um dieser Eigenschaft willen insgesammt mit einem gewissen Wohlwollen ebenso allgemeiner Natur vom Par lament entgegengenommen worden. ES kam in der Folge nur darauf an, welchermaßen die allgemeinen Gesichtspunkte auf die zur Entscheidung reifenden konkreten Fragen Anwendung finden würden. Hiernach sucht man aber in den ParlamentS- aclen der verflossenen Session vergebens. Nicht als ob die Minister immer nur geschwiegen hätten. Bald spricht der preußische Krieasminister, bald der preußische Minister des Innern, bald der Landwirthschafts-, bald der Iustizminister; auch die StaatS- secretaire vertreten ihre Ressortangelegenheiten und in manchem Falle mit Glück und Geschick. Nur leider herrscht jedeSmal gerade dort und dann völlige Unklarheit über das Wollen der Regierung, wo die öffentliche Meinung in früheren Zeiten eine ganz bestimmte Willenserklärung der leitenden Stelle zu vernehmen gewohnt war. Um es kurz zu sagen: Die politischen Direktiven versagen immer in dem Augenblicke, wo sie am stärksten vermißt werden. In demselben Verhällniß, wie dieser Verzicht der Regierung auf die Geltendmachung eines klaren eigenen Willens, wächst nun im Reichstag der müßige Zeitverbrauch mit der Berathung von Interpella tionen und Initiativanträgen, — von den 99 SitzungStagen entfallen über 30 auf die Verhandlung solcher Fragen und Wünsche aus der Mitte drS HauseS. Der weitaus größte Theil der hierbei behandelten Dinge hätte aber unter allen anderen Umständen bei Gelegenheit der Elatsberathung durch eine kurze Frage und eine präcise Antwort vom BundeSrathS- tische aus binnen je fünf Minuten sich erledigen lasten. Hierher kann man ohne Weiteres alle Interpellationen und Anträge zählen, die auf das Bedürfniß gewerbe- und wirtbschaftspolitischer Reformen Bezug haben. Ueber die Wäbrungsfrage, wie über die Organisation des Handwerks und des Arbeiterstandes sind im Plenum, über die „Hebung der Getreidepreise" und über Dauer ober Nicht-Dauer der MeistbegünstigungSverträge im Plenum und in Commissionen tagelange Debatten geführt worden, obne daß heute Jemand genauer wissen dürfte, als vorher, welche Richtung in Betreff dieser Fragen maßgebenden Ortes verfolgt wird. Vollends halten wir die vielen Stunden und Tage, die mit Gesetzesanträgcn der Sociaivrmokralen über Vereins- und BersammlungSrecht, über Wahlrecht in den Einzelstaaten und dergleichen oder mit antisemitischen Gesetzes anträgen über die Einwanderung von Israeliten verbracht wird, für platterdings verlvreneZeit! Ob die Gewährung von Diäten wohl im Stande wäre, zu verhüten, daß man sich im Scheine deS gesetzgeberischen Ernstes darum streiten und sogar darüber abstimmen muß, ob die Polizei bei politischen Versammlungen gänzlich umgangen werden kann oder nicht? Die Frage ist mindestens zu erwägen. Aber auch die Verhandlungen über den Dictaturparagraphen im ReichSland und über den Mangel einer Volksvertretung für Mecklenburg und die Reichsland« haben, so wenig man die Frage an sich zurückweisen mag, dies mal einen unerträglichen Umfang gewonnen; und das mußte um so greller bervortreten, als der einzige Antrag von wirk licher Bedeutung für die politische Lage, — der Jesuiten antrag des EentrumS — mit knappen Erklärungen von allen Parteien gewürdigt und dann per major» beschlosten wurde.— Wenn irgend ein Symptom sicher dafür spricht, daß die par lamentarischen Vcrbältntste einer Gesundung dringend bedürfen, so ist es in der Zeitvergeudung bei den im Rahmen der Tages ordnung behandelten 8 Interpellationen und 21 Initiativ anträgen zu erkennen. Ein Parlament, daS in dieser Weise die kostbarsten Wochen verbringt, sucht sich entweder darüber hinwegzutäuschen, daß es selbst keinen klaren Willen hat, oder es fehlt ihm an festem Boden der Bethätigung, weil die Re gierung deS klaren Willens nocd ermangelt. Erfahrungs gemäß ist die Zerfahrenheit am größten, wo der Mangel an bestimmten Zielen auf beiden Seiten eingeristen ist. Worüber nachzudenken Jedermann nur von Nutzen sein dürfte." Gestern haben die italienischen Kamm erwählen, welche mit großer Spannung erwartet wurden, stattgefunden und bedeuten bis jetzt schon — die Nachrichten laufen bis heule Morgen 4^/, llbr — ein gewaltiges Vertrauensvotum für Crispi. ES wird uns darüber gemeldet: * Rom» 26. Mai, 11 Uhr 30 Minuten Abends. Bisher sind 86 Ergebnisse von den 508 Wahlen endgiltig bekannt. Gewählt wurden unter Anderen 61 Ministerielle, 14 der konstitutionellen Opposition Angehörige und Radikale, sowie 5 Socialisten. CriSp wurde viermal, auch in Rom, gewählt. Der Finanzminister, der Krtrgsminister und der Minister der Posten und Tele- graphen, sowie der Unterslaatssecretair der Finanzen und der Justiz wurden wiedergewählt. Der ehemalige Kammerpräsident Biancheri wurde in Turin gewählt. Jmbriani wurde in San Severo geschlagen. In vielen Wahlcollrgien wurden zahlreiche Stimmen auf den Namen Crispi's abgegeben. Unter den ge wählten Socialisten befindet sich Bosco, welcher von dem Kriegs gerichte aus Stcilien seiner Zeit verurtheilt worden war; er wurde im vierten Wahlcollegium von Palermo mit 884 Stimmen gegen den Ministeriellen Lagara gewählt, welcher 701 Stimmen erhielt. — In Rom sind die Wahlen ruhig verlaufen. Ein Manifest drS Präsecten verbietet jede Kundgebung. Die Wahlbetheiligung betrügt trotz der neuen Wahllisten noch nicht 50 Procent. * Rom» 27. Mai, 4 Uhr 30 Minuten Morgens. (Tele- gramm.) Die Wahlresultate ergaben einen großen Sieg der Regierung. Von den 508 Wahlkreisen sind bt-her aus 320 dir Ergebnisse bekannt. Gewählt wurden 200 Ministerielle, 63 von der konstitutionellen Opposition, 28 Radikale, 8 Socialisten und 7 Unabhängige. In 14 Wahlkreisen sind Stichwahlen erforde» sich. Crispi ist noch in drei weiteren Kreisen gewühlt, nämlich in Termini (Palermo), Alcamo (Trapani), wo die Wahl fast einstimmig erfolgte, und im II. Wahlkreise von Palermo, wo Crispi 1230 Stimmen gegen den Socialisten Barbado, einen der s. Zt. von dem Kriegsgerichte Brrurtheilten, aus den 700 Stimmen ielsv, erhielt. Der Finanzminister wnrde zweimal gewählt; ferner wurden der Schatzmintster und die Unterstaats- secretaire deS Schatzes, der Posten, der öffentlichen Arbeiten und der Landwirthschaft gewühlt. Unter den Ge wählten befinden sich außerdem General Baratieri, di Rudini» Mrnotti Garibaldi, Boughi, Zanardelli, Jmbriani und Luzzatti. Crispi ist also siebenmal, davon viermal in Stcilien, gewählt. Giolitti wurde In seinem Wahlkreise Dronero wirdrrgewählt; Cavalotti und Ptazanza in Tortcolona, Defelicr in Catania gewählt. Aus sehr wenigen Ortschaften wird von erheb licheren Zwischenfällen bei den Wahlen berichtet. * Nom, 27. Mai. (Tel.) Da« Wahlresultat in den Wahlbezirken von Rom ist folgendes: Im ersten Wahlkreise wurde Mazza (Oppo sition) gewählt, im zweiten Santini (ministeriell), im dritten Unterrichtsminister Baccelli mit 1677 Stimmen gegen Costa (Socialtst), der 187 Stimmen erhielt; im vierten Wahlkreise wurde Ministerpräsident Crispi mit 9S4 Stimmen gewählt gegen Defelicr, auf den 730 Stimmen fielen, im fünften Wahlkreise wurde Bar- zilai gewählt. — In Spezia wurde Marineminister Morin, in Turin wurde Brtn gewählt. Es stehen nun noch 188 Resultate auS, und auch diese werden zum überwiegenden Theil günstig für Crispi und die Regierung lauten, die bereits fetzt der Opposition mit 94 Stimmen sicher voraus ist. DaS Land zeigt damit, daß es den unerhörten schmutzigen Verleumdungen Crispi's den Werth beilegt, den sie verdienen, und daß es auch heute noch, ja heute erst recht in ihm den einzigen Mann erblickt, der Italien auS der Zerfahrenheit seiner Parteimissre und der Zerrüttung seiner finanziellen Verhältnisse zu retten im Stande ist. Die siebenmalige Wahl Crispi's ist dafür ein laut sprechender Beweis. Als zu Beginn des Jahres der Ministerpräsident die Giolitti'schen „Enthüllungen* mit der Vertagung und nachher mit der Auflösung der Kammer beantwortete, ohne Rücksicht auf die rechtzeitige Erledigung deS Budgets und die brennende Frage der Finanzreform, warf man ihm vor, daß er v» dkmgue spielte. Allein als Crispi für dieses energische Handeln mit unzweideutigen Aeußerungen des königlichen Vertrauens belohnt wurde, als er gegen die Verleumder seiner Privatehre unerschrocken gerichtliche Klage anstrengte und inmitten aller persönlichen und politischen Widerwärtigkeiten es unternahm, der Opposition zum Trotz, wenigstens einen Theil der geplanten finanziellen Reformen, die eigentlich nur unterZustimmungderKammer unddes Senats zur Durchführung gebracht werden dursten, lediglich durch Dekrete in Kraft treten zu lassen, da spürte man doch, daß man es mit einer exceptionellen Persönlichkeit von gewaltigem Willen zu lhun habe, die weiß, was sie thut, die von der Dichtigkeit desselben bis ins Innerste überzeugt ist und da» ür richtig Erkannte unter allen Umständen durchzuführen entschlossen ist. Es war ja allerdings eine Feuerprobe, der Crispi sich unterzog — er hat das erst in seiner von hoch gradigem Selbst- und Siegesbewußtsein getragenen Himmrl- ahrtScede zugegeben —, aber bei der Zerfahrenheit der Opposition, bei dem Mangel derselben an führenden Geistern und an durchführbaren Programmen machte doch schon sehr bald die anfängliche Entrüstung über dir Rücksichtslosigkeit Crispi's vertrauensvoller Sympathie und aufrichtiger Bewunderung Platz. Je kühner er vorging, um so höher stiegen seine Chancen, und um so tiefer sanken die seiner Feinde. Den Ausschlag gab dann nach der klassischen Finanzrede des Schatzministers Sonnino Crispi's Wahlrede vom Donncrslag, in welcher fast jeder Satz ein vernichtender Schlag für die Opposition war und deren Schluß: entweder nationale Monarchie oder sociale, moralische und politische Anarchie, eine beispiellose Wirkung auf das italienische Volksgemüth übte. Eine andere Frage ist freilich, wie lange die zu erwartende große gouvernementale Kammer- mehrheil dem großen Patrioten treu bleiben wird. Eine solche Mehrheit hat ihn schon einmal im Stich gelaffen, und Crispi mußte damals Rudini weichen. Aber seitdem sind vier Jahre ins Land gegangen, während welcher das Parlament wie die Wählerschaft mehr denn einmal Gelegen heit gefunden hat, in den Abgrund deS Staatsbankerottes zu schauen. Man darf daher Wohl der Zuversicht sein, daß die Kammer wenigstens so lange der Führung Crispi's folgen wird, bis seine großen Reformen und ihre Durch führung gesichert sind. Ueber Nacht ist ein neuer Staat entstanden: die von Cbina eben erst an Japan abgetretene Insel Formosa ist zitr Republik erklärt worden, Tang-tsching-sung, der bisherige chinesische Gouverneur, ist Präsident, und die erste republi kanische Flagge in Asien, der gelbe Drache im blauen Felde, weht über der herrlichen Insel. Man konnte Anfangs geneigt sein, die Nachricht für eine tolle Sensationserfindung eng lischer Mache zu nebmen, allein jetzt wird dieselbe auch durch ein Telegramm des amerikanischen Gesandten in Peking an seine Regierung bestätigt. Schwerlich ist die revolutionaire Idee dem Hirn der Formosaner entsprungen, denn diese können nicht im Entferntesten daran denken, den Kampf mit Japan auf- zunekmen. Man fragt daher, wessen Hand hinter den Coulissen lhätiz ist, und da liegt es denn am nächsten, an Frankreich zu denken, für welches Formosa in japanischem Besitz eine dauernde Bedrohung seines südwestlich davon gelegenen asiatischen ColonialreicheS ist. Schon beim Abschluß de« Friedens von Sbimonoseki wurde in Paris auf die Nachtheile verwiesen, die sich aus der Abtretung von Formosa für die indo-chinesischen Besitzungen Frankreichs ergeben könnten. Da es nicht anging, das schöne Gebiet für die Republik zu kapern, soll vielleicht auf einem Umwege versucht werden, es Japan aus den Händen zu winden. Daß dies im Einverständuiß mit China geschieht, ist zu selbstverständlich, als daß es erst noch bewiesen zu werden braucht. Officiell hat ja China die Insel aufgegeben und seine dortigen Beamten zurückgezogen, aber eS wäre nicht daS erste Mal, daß China trotz officieller Correctheit im Ge heimen sehr inkorrekte Wege gebt. Ausfallen mußte schon, daß Litschingfang, der Sohn des BicekönigS Li-Hung-Tsckang, welcher aus Peking abgesandl war, um die Üebergabe von Formosa zu vollziehen, noch immer in Shanghai weilt und zögert, seine undankbare Mission auszufübren. Ernste Folgen FeniHetsir. Die Erbin von Abbot-Castle. 18j Original-Roman von F. Klinck-LütetSburg. Nachdruck verbot«». , (Fortsetzung.) „WaS können Sie von mir wollen, Sir?" „Zunächst nur mich überzeugen, daß ich mich geirrt habe, als ich in der bedauernswerthen Miß Lilian Smith Sie erkennen zu muffen glaubte, Miß Connor, dann aber möchte ich mir noch in einer Sache Aufklärung von Ihnen erbitten, die mit jener traurigen Angelegenheit in Verbindung steht, welcher ich leider daS Glück Ährer Bekanntschaft verdanke. „Oh!" murmelte sie leise. „Bitte, sprechen Sie nicht mehr von jener entsetzlichen Zeit." „Es wird durchaus nothwendig sein, gehörig informirt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen", ent- gegnete Rechtsanwalt Primrose außerordentlich verbindlich. „Die Verhältnisse haben sich so sehr geändert, eS wird mancherlei möglich gemacht werden können, waS ehemals nicht möglich war, und — eS dürfte auch jetzt wohl ei» Erfolg zu erwarten sein. ES ist eine große Menge Zeugen vor handen, die zu Ihren Gunsten werden aussagen können." Sie stand da — ein Bild namenlosen Jammers. Schon die Stimme diese« Mannes verwirrte sie und das Bemühen, den Sinn seiner Worte zu erfassen, hatte zur Folge, daß sie mit Furcht und Entsetzen auf ibn blickte. „WaS wollen Sie, Sir? Lord Ruthbert —" und aber mals dieser siebende, hilflose Blick auS ihren Augen. — Er wich dem Blick auS. Wie ein Feuerstrom war eS durch seine Adern gerollt, als er vor zwei Tagen seinen Arm um ihren Leib gelegt hatte, sie emporzubeben und an ihren Platz zu führen. Er mußte sich hüten, selbst in Gegenwart eine« Anderen von einem Rechte Gebrauch zu machen, daS ihm durch Sir Lionel Connor zugesichert worden war. Was hätte er ihr sein können ohne daS leidenschaftliche Gefühl, daS ihn so vollkommen beherrschte, daß er sich vesselben schämen zu muffen glaubte?! „Es muß sein, Miß Connor", sagte er, und da war wieder der finstere Ausdruck seines Gesichtes, der selbst Rechtsanwalt Primrose zu einem verwunderten Umberschauen nöthigte. Auch seine Stimme hatte einen harten Klang. Mary Connor war noch mehr erschreckt, aber eS regte sich auch ein Befremden in ihr, daS sich immer wieder nur durch den Gedanken überwinden ließ, daß Lord Ruthbert in ihrem Verhalten dem Großvater gegenüber einen starken Tadel gefunden habe. Nur dadurch ließ sein verändertes Benehmen sich erklären. Er war ungerecht. Er wußte nicht, wie Alles so gekommen war, und verurtheilt« sie. Dieser Gedanke gab ihr etwas von ihrer Fassung zurück, aber in dem Bestreben, ruhiger zu scheinen, war etwas Ge zwungenes, das dem scharfen, beobachtenden Blick des Rechts anwaltes nicht entging. Ihm kamen ganz eigenthümlichr Gedanken. „Warum muß eS sein? Sie sprechen von einer Wieder aufnahme eines Verfahrens. Es dürfte doch vielleicht besser sein, davon Abstand zu nehmen. Ich will nicht noch einmal fene Qual durchkosten." Es lag in diesem Augenblick etwas Entschlossenes in ihren Worten, daS Lord Ruthbert an ihr wahrzunehmen noch nie Gelegenheit gehabt. „Sie waren vor nicht langer Zeit anderer Meinung, Miß Connor", sagte er befremdet. Sie aber entgegnet« jetzt mit wachsender Bitterkeit, indem sie der vergangenen Tage und ihrer großen Thorbeit, der leisen, unbestimmten Hoffnungen gedachte, welche Lord Ruth- bert'S Verbalten in idr geweckt: „Damals, Lord Ruthbert, glaubte ich, daß eS notbwendig sein würde, mild frei zu machen, r» war Alles so ganz ander». Heute ist diese Nothwendigkeit nicht mehr vorhanden." Beide Herren schienen sprachlos vor Staunen. „Ich denke, Miß Connor, mehr als je", sagte Rechts anwalt Primrose sehr unbesonnen. Seine Worte reinen sie nur noch mehr. Mit einem Male stieg da» Blut heiß in ihr« blaffen Wangen. Es waren zornige Gedanken, di« sie bewegten. Den Namen der Erbin wollte man rein zu waschen versuchen, für diese waren Zeugen vorhanden, ihre Unschuld zu verteidigen, da» wehr lose Mädchen batte man, mit Schmach überhäuft, seinem trostlosen Schicksale überlaffen. „Nein, Mr. Primrose", gab sie kalt zurück. „Es würde ebemals ein große» Glück gewesen sein, wenn meine Unschuld hätte erwiesen werden können. Mittellos, von der Barm herzigkeit Anderer abhängig, mit einem schmachbedeckten Namen durch da» Leben zu geben, ist nicht leicht. Ich habe den An fang dazu erfahren. WaS kann mir jetzt noch an den Ber- däcbtigungen der Menschen liegen? Ich habe nicht die Ab sicht, mir meine Ruhe verkümmern und mich noch einmal an eine furchtbare Oeffentlichkeit ziehen zu lassen. Ich werde hier bleiben, so lange MrS. Gray meiner bedarf, später —" Sie schien sich einen Augenblick zu besinnen. Lord Ruth bert fand keine Worte »u einer Entgegnung, Rechtsanwalt Primrose aber rief im höchsten Grade erregt aus: „Verzeihen Sie, Miß Connor, aber wenn Sie bei Ihrer Absicht verharren, so thun Sir etwas, das Sie nickt verant worten können. Sie sind nicht nur die Erbin großer Reich- thümer, sondern auch die Trägerin eines alten Namens, den rein zu erhalten Sie eine Verpflichtung haben." Und wieder umspielte ein bittere« Lächeln ihren Mund. Sie machte jetzt einen Eindruck von Festigkeit, den Lord Ruthbert nie zuvor an ihr wabrgenommen batte. „Der rhrenwerthr alte Name war nickt im Stande, ihn vor Schmach zu bewahren", sagte sie. „Im Uebrigen, ick bin die Einzige, welche ihn noch führt. Auf Abbot-Castle steht er auf meinem Grabmal, da wird er bleiben, bis die Stunde ge kommen ist, wo er für immer erloschen sein wird. Wenn MrS. Gray mich nicht mehr gebraucht, werde ich diese zweite Heimath verlassen, um sie mit meiner ersten zu vertauschen. In wenigen Wochen wird man den Namen Connor vergessen haben, wenn r« wahr ist, daß man desselben noch gedenkt. Nie wird man sich seiner wieder erinnern. Wie sollte ich daran denken können, die Aufmerksamkeit einer boshaften und scandalsüchtigea Welt abermals auf ihn zu lenken?" Jede» einzelne ihrer Worte verursacht« Harry Ruthbert Schmerz, er fühlte von einem Frösteln sich beschlichen. WaS mußte die» bedauernSwerthe Mädchen gelitten haben, um so sprechen zu knnen? Sie wollt« hier bleiben, um ferner die Launen und Quälereien einer alten Dame zu ertragen, und dann — nach Abbot - Castle, wo ihr da» Grab be reitet war. Er erinnerte sich des düsteren, unheimlichen Herbsttage», wo da» Geschrei der Eulen und da» Gekrächze aufgescheuchter Doblen von Abbot-Castle die feuchte Morgenluft erfüllt. Im Geiste sah er da» schwärzliche Gemäuer vom wogenden Nebel umwallt, daS ihm einer Ruine gleich erschienen war. Dorthin wollte sie — würde er eS jemals zugeben dürfen? „Ick hoffe. Miß Connor, Sie werden diesen LebenSplan ändern", sagte er ernst. „DaS Unglück hat Sir niederge drückt, e« bat Sir verbittert. Sir babrn mir versprochen, meiner Führung sich anzuvertraurn. in mir den zuverlässigen Freund zu sehen, Sie haben eine Verpflichtung gegen den Todten." „Der Todte fragt nicht mehr nach dem Urthril der Menschen. Und wenn auch? Wer könnte Sir Lionel Connor die Schuld von dem beimeffen, WaS seine Enkelin verbrochen haben soll?" Seine Worte hatten sie gereizt und zu einer beinahe schroffen Entgegnung veranlaßt. Wollte er so daS ihm von Sir Lionel Connor zugeschriebene Recht in Anwendung bringen?" „Ein Jeder würde sich dazu versucht fühlen, Miß Connor. Der Verstorbene hat einen besonderen Weg gewählt. Sie vor Gefahren zu schützen, welche er erblickt. Darüber entgingen ibm andere, die Sie so schwer getroffen haben. Auf Sir Lionel Connor werden alle Vorwürfe fick vereinigen, wenn Sie durch einen falschen Lebensgang Veranlaftung dazu geben." Sie blickte zu ihm auf, aber in dem Blick war nichts mebr von den Gefühlen, die ib» verwirrt und fassungslos gemacht hatten. WaS ging in ihrer Seele vor? Welchen Kämpfen mochte sie ausgesetzt sein? Lord Ruthbert bereute, Mr. Prim rose zum Zeugen einer Unterredung gemacht zu haben, die so zwecklos verlief. „Lord Ruthbert, würde Sir Lionel gewünscht babrn, daß ich noch einmal daS Furchtbare durchkosten sollte?" Er mochte keine Lüge aussprechen, obwohl er sich noch sehr wohl der unruhigen Hast deS alten Herrn erinnerte, mit welcher dieser seine Vorstellungen ausgenommen. „AuS eigenem Antriebe vielleicht nicht, Miß Connor. Sir Lionel war alt und abgestumpft, aber ich glaube, daß die Aussicht, welche ich ihm eröffnet?, ihm eine schöne Hoffnung in den letzten Stunden seines Leben« gewesen ist." Sie hatte ihn verstanden. Um Sir Lionel Connor'S willen lag ihm daran, seine Absicht durchzufübreu. Tie Er kältung seines ganzen Wesen» traf ja zusammen mit seiner Rückkehr von Abbot-Castle, und darüber hatte sie vergessen, welcher Grund ihn wahrscheinlich angelrieben, seine Schritte dorthin zu lenken. „Wenn Sie es für eine Pflicht dem Todten gegenüber halten, Lord Ruthbert", sagte sie mit einem tiefen Atbemzug, „dann will ich sie erfüllen. Verfügen Sie über mich." Reckt-anwalt Primrose'S Gesicht erschien plötzlich wie ver klärt. Schon hatte er eine Sache, welche ibm die größten Vortbeile, nicht nur in Bezug ans Geld, sondern auch auf Ansehen bringen würde, bereits wieder verloren geglaubt, als ibm das Glück nun aufs Neue lächelte. Er fragte Miß Connor, ob sie sick noch einmal einem Verhör unterwerfe» wolle.
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