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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950709028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895070902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895070902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-09
- Monat1895-07
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Hammerstein, bis auf Weiteres seinen Austritt aus der deutschconservativen Fraktion des Reichstags und der konservativen Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses erklärt habe, um bei der Führung seines Processes gegen die „Kl. Presse" und das ,M. Journ." nach keiner Richtung ge bunden zu sein, erhält eine hedeutungövolle Ergänzung durch die Erklärung des ComitsS desselben Blattes, daß Herr v. Hammerstein bereits am 4. Juli „von seinerStellung und Tbätigkeit in der Redaction berw. Verwaltung der „N.Pr.Ztg." suspendirt worden ist." Wer die Entwickelung der „Affaire Hammerstein" und den Charakter ihres „Helden" kennt, kann nicht im Zweifel darüber sein, daß jener vorläufige Aus tritt und diese Suspendirung nicht ohne die heftigsten Kämpfe zwischen Herrn von Hammerstein einerseits und den Führern der beiden konservativen Fraktionen wie des Kreuzzcilungö- comitss andererseits erfolgt sind. Gerade deshalb aber ist auch anzunehmen, daß die Rolle des Mannes, der in unserem politischen Leben eine überaus einflußreiche Stellung eingenommen und die Haltung der konser vativen Partei in despotischer Weise beeinflußt hat, auf lange Heit, wenn nicht für immer ausgespielt ist. Jedenfalls hätten sich Diejenigen, die so lange seine Tyrannei sich gefallen ließen, zu einem so energischen Vorgehen gegen ihn nicht entschlossen, wenn sie nicht der Ueberzeugung wären, daß die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zum mindesten eine klärungsbedürftige Frage geschaffen haben und daß die weitere Unterstützung eines solchen Mannes von dem Aus gange seines Processes gegen die „Kl. Pr." und das „Kl. Journ." abhängig gemacht werden muß. Die „Köln. Ztg." betrachtet ihn daher bereits als „gefallene Größe" und er örtert seinen bisherigen Einfluß auf die deutschconservative Partei und die Folgen seines Sturzes in einem langen Artikel, dem wir das Folgende entnehmen: „Was die sachliche Bedeutung des Falles Hammerstein anlangt, so muß man sich vergegenwärtigen, was Herr v. Hammerstein mit Hilfe der „Kreuzzeitung" aus der konservativen Partei gemacht hat. Männer, die nicht auf konservativem Standpunkte stehen und die Conservativen immer bekämpft haben, hätten sich nie träumen lassen, daß diese Partei, die. was man ihr auch sonst vorwarf, früher immer eine wirklich konservative gewesen war, dem wildesten Demagogeathum in die Arme getrieben werden könnte, einem Temagogenthnm, das heute schon die schlimmsten Früchte gezeitigt hat, dessen hauptsächlichste Gefahr aber darin liegt, daß es einen vorher durchaus widerstandsfähigen Boden jetzt für die Socialdemokratie vorbereitet. Nachdem es Hammerstein's persönlichem Einflüsse ge lungen war, die gemäßigten Elemente unter Herrn v. Helldorff aus der Partei hinausznwersen, war sein nächstes Werk die offene Verbrüderung mit den Antisemiten, die durch die „Kreuzzeitg." großgezogen wurden und Zutritt in die ländlichen Kreise erhielten. Daß man später Ahlwardt verleugnete, ändert nichts daran, daß man ihn früher unterstützt hatte und daß er und sein Anhang auf konservativem Kreuzzeitungsboden großgezogen worden sind. Die zweite That des Herrn v. Hammerstein war seine Mitwirkung bei der Schaffung des Bundes der Landwirthe. An sich wäre gegen einen solchen Bund nicht das Geringste einzuwenden, aber die Art und Weise, wie er anftrat und wie er sich entwickelte, wurde zu einer der ernstesten Gefahren. Gegenüber nacktem Sonderinteresse trat jeder allgemeinpatriotische Zug in den Hintergrund, die konservative Politik wurde ein Kampf ums Geld, der gegen alle andern Parteien mit einer unerhörten Gehässigkeit geführt wurde. Nicht alle Eon- jeroativen waren damit einverstanden, aber wer auch nur die geringste Anstalt machte, eine eigene Meinung zu haben, wurde durch die „Kreuz zeitung" niedergeschrien, so daß zuletzt Niemand mehr wagte, sich dem Willen des Parteigewaltigen zu widersetzen. Hammerstein war der Herr, und er gebrauchte seine Herrschaft in der rücksichtslosesten Weise. Das Werkzeug seiner Macht war die „Kreuzzeitung", und das ur- sprüngliche Verhältnis; wurde dahin umgekehrt, daß nicht mehr dies das Organ der Partei, sotidern daß die Partei das Organ des Blattes wurde, des Blattes . . . und seines Chefredakteurs. Es erscheint auffallend, daß ein Mann, der weder als Schrissteller noch als Redner bedeutend war, derartiges erreichen konnte, aber wenn ihm diese Eigenschaften fehlten, so ersetzte er sie durch eine bis zur Brutalität gehende Rücksichtslosigkeit und eine über Alles sich hin- wegsetzende Herrennatur, welche die Andern unterjochte. Die agransch-conservative selbstsüchtige Jnteressenpolitik entsprach durch- aus seinem eigenen Wesen. Dabei war er rücksichtslos in der Wahl der Mittel — und das hat ihm schließlich Len Hals gebrochen. Mit ihm scheidet aus dem conservativen Parteileben das gefähr- lichste und bedenklichste catilinarische Element, Las die Partei gehabt hat, aber wir fürchten, daß seine Erbschaft noch lange Zeit nachwirken wird. Die Verhetzung der Partei, an der er die Haupt schuld trägt, wird auch dann, wenn verständigere und maßvollere Leute ans Ruder kommen sollten, nicht so bald wieder gut zu machen sein, denn die schlechten Instinkte, einmal gerufen, lassen sich nicht im Handumdrehen wieder beseitigen. Immerhin wird der fort- während zu Haß und Unfrieden anjpornende Antrieb fehlen, denn schlimmer als es war, kann es in Zukunft keinesfalls werden. In der vorläufigen Entfernung Hammerstein's liegt unseres Erachtens noch keine Gewähr für die Wiederkehr besserer Verhältnisse, wohl aber sind wir der Ansicht, daß mit ihm das größte Hinderniß be seitigt ist, das sich auch bei steigenden Getreidepreisen einer ver ständigen und maßvolleren Entwickelung der conservativen Partei entgegenstellte. Früher unter Hammerstein schien eine Umkehr und Einkehr unmöglich, jetzt ist sie wenigstens denkbar, wenn auch noch nicht in nächster Zukunft". Ganz wesentlich auf den Einfluß desFrhrn. ».Hämmer st ein war es zurückzusühren, daß die deutschconservative Partei im Reichstage Anschluß an das (scntrum suchte und ihm die ausschlaggebende Stellung im Reichstage verschaffte, die eine so unheilvolle Einwirkung auf die innere deutsche Politik erlangt hat. Es ist daher ein erfreuliches Zusammen treffen, daß der frühere Jesuit Graf Paul v. Hoens- broech, der sich nach seinem Uebertritt zum Protestantismus der conservativen Partei angeschlossen hat, gerade jetzt in der „Deutschen Revue" mit einer eindringlichen Mahnung an diese Partei sich wendet, nicht länger das Centrum zu unter stützen, das er folgendermaßen charakterisier: „Wir wollen durch unsere Erörterungen gewiß nicht zum „frischen, fröhlichen Kamps gegen Rom" ausrusen, wir wollen nicht die ver sunkene Zeit des Kulturkampfes wieder herausbeschwören, wir wollen nicht Steine auf unsere katholischen Mitbürger werfen, ihre Vaterlandsliebe anzweife.n, sie Reichsseinde schelten, aber wir wollen klar und bestimmt unsere Ansicht sagen über jene Partei, die zwar auf den Schultern unserer katholischen Mitbürger ruht, die durch ihre Stimmen ins Leben gerufen ist, die aber, als Partei und Ganzes betrachtet, ein so fremdartiges, antinationales Wesen besitzt, daß ihr jede Berechtigung abgesprochen werden muß, am inneren staatlichen Ausbau mitzuwirken. Rein äußerlich betrachtet, ist das Centrum eine politische Partei wie alle anderen auch; allein diese Betrachtungsweise, eben weil rein äußerlich, ist grundfalsch und in ihren Folgen verderblich. Wir stehen nicht an, einen großen Theil unserer jammervollen inneren Zustände, der Ziel- und Planlosigkeit, Schaukel- und Schacherpolitik, darauf zurück zusühren, daß die Regierung das Centruin betrachtet und behandelt lediglich von dem rein äußerlichen Gesichtspunkt, Laß es einen großen Bruchtheil der deutschen Wählerschaft repräsentirt." Nachdem der Verfasser dann der Regierung die Pflicht eingeschärft, niemals einer Partei, die als solche von anti- nationalen, undeutschen Grundsätzen geleitet wird, maßgebenden Einfluß zu gestatten und nie über ihre principielle Gegner schaft zu einer solchen Partei den mindesten Zweifel auf- kommen zu lassen, wendet er sich zu seinen conservativen Gesinnungsgenossen folgendermaßen: „Daß ein echt konservativer Mann in politischer und namentlich religiöser Beziehung sich einem Katholiken näherstehend fühlt als einem echt Liberalen, liegt auf der Hand, und wenn der conserva tiven Partei nur der Vorwurf zu machen wäre, daß sie in wirthschaftlichen und einigen religiösen Fragen zuweilen mit den Katholiken geht, so würde ich kein Wort weiter ver lieren. Aber leider geht sie mit dem Centrum, und zwischen dieser Partei und den Katholiken ist ein himmelweiter Unterschied. Diesen Unterschied sehen oder wollen die Conser vativen nicht sehen aus blindem, einseitigem Parteiinteresse. Die wirklich bestehende Noch der Landwirthschaft und das berechtigte Verlangen, sie zu mildern, hat derartig alles Denken der conser vativen Partei in Beschlag genommen, daß ihr jedes Mittel recht erscheint, von dein sie die Erfüllung ihres Lieblingswunsches erhofft. Zu den bedenklichsten Mitteln gehört aber das Buhlen um die Centrumsgunst. Haben denn die conservativen Männer so ganz vergessen, daß der evangelischen Kirche von Rom — und das Centrum ist Rom — nur Verderben und Vernichtung droht? Der schlaue Centrumsführer Windthorst sprach zwar oft von der evangelischen „Schwesterkirche", und vielleicht war es dem in religiös-politischen Dingen nie echt römisch-ultramontanen Manne ernst damit, das Centrum redet manchmal von den „Rechten" der Protestanten, aber in Wirklichkeit sind „Schwesterkirche" und „prote stantische Rechte" für die Centrumspartei ein eben solches Unding, wie sie es sind für Len römischen Papst. Die konservative Partei hofft, durch Concessionen an das Centrum etwas für sich heraus zuschlagen. Sind denn a» den Führern der Conservativen die letzten zwanzig Jahre spurlos vorübergeganaen? Nein, aber leider, leider überwiegt das einseitigste Parteiinteresse alles andere." Verschiedene schwedische Zeitungen besprechen in sympa thisch gehaltenen Leitartikeln den Besuch des Kaisers Wilhelm. Das gemäßigt-conservative „Stockholms Dagblad" constalirt den kräftigen Widerhall, den die friedlicheRede, welche der Kaiser Wilhelm bei der Einweihung des Nord-Ostsee- Canals hielt, auch in Schweden gefunden hat. Trotz der Mißlaute der Zwietracht, die sich während der letzten Zeit auS dem hohen Norden haben hören lassen, scheine jetzt eine Wendung zur Besserung in den schwedisch- norwegischen unionspolitischen Verhältnissen eingetreten zu sein. Ohne Großmachtsträume würden die beiden Völker der skandinavischen Halbinsel, in edlem Wetteifer wieder- vereinigl, ihren friedlichen Einsatz in der Cultur- arbeit Europas bringen. Auf diese Weise wird, so meinen die Blätter, am besten das lebhafte Interesse und die warme Sympathie, welche Deutschland von Schweden gewidmet worden ist, beantwortet. In dem Leitartikel, welchen das konservative Hauptorgan, die „Nya Dagligt Allahanda" dem Kaiserbesuch widmet, lenkt dieZeitung die Aufmerksamkeit auf dieVeränderung hin, welche in der schwedischenAuffassung von dem deutschen Volke während der letzten Jahrzehnte eingetreten ist. Eine unfreundliche Stimmung der deutschen Nation gegen über hat allerdings niemals dort geherrscht. Aber die Sympathie, welche gegenwärtig Schweden mit Deutschland vereinigt, existirte nicht vor einigen Jahrzehnten. „Diese Veränderung", schreibt bas Blatt, „haben wir haupt sächlich dem deutschen Volke und dessen Regenten zu danken. Die Befürchtungen, daß das durch Kampf gegründete neue deutsche Reich keine Wehr des Friedens werden würde, sind zu Schanden geworden. Sowohl der glorreiche Gründer des Reiches, Kaiser Wilhelm I., und sein edler Sohn, Kaiser Friedrich, wie in nicht weniger hohem Grade sein energischer und klarsehender Enkel haben sich als die sichersten und zuverlässigsten Beförderer und Beschützer des europäischen Friedens erwiesen. Wir haben jetzt eine willkommene Gelegenheit, unserer Auffassung des Willens und der Kraft Deutschlands, die fried liche Cultur zu schützen, Luft zu machen, indem wir dem deutschen Herrscher eine ebenso herzliche wie ehrfurchtsvolle Huldigung leisten." Gleichzeitig weist die Zeitung die dann und wann auftauchenden Gerüchte wegen einer bestehenden schwedisch-deutschen Allianz zurück. Die Zeitung ist der entschiedenen Ansicht, daß Schweden fortwährend volle Handlungsfreiheit in seinem Berhältniß zu ämmtlichen ausländischen Mächten zu bewahren habe. Die jungtschechische Partei in Böhmen und der reichsräthliche Jungtschechenclub sind von der Gefahr einer Spaltung bedroht. Seit dem Zusammenbruche der parla mentarischen Coalition ist die ganze Taktik der gemäßigteren Elemente des JungtschechenthumS dahin gerichtet, allmählich in die Bahnen einer gemäßigten und im Falle deS Hinzu- tretens besonders günstiger Umstände sogar „coalitionS- ähigen" Opposition einzulenken. Dieser Opportunismus hat edoch den stärksten Unwillen des radikalsten Flügels der Jungtschechenpartei erregt, die beute noch den überwiegenden Einfluß auf die tschechischen Wählerschaften besitzt. Diese Wählerschaften, die man durch Jahre systematisch aufgehetzt yat, vermögen nicht einzusehen, warum jungtsckechische Ab geordnete plötzlich ein alttschechischeSMäntelchen umhängen sollen, und sie verlangen von den Männern ihres Vertrauens, daß sie eventuell die jungtschechische Partei und den Jungtschechenclub deS Parlaments verlassen. Da obendrein die böhmischen LandtagS- neuwahlen vor der Thüre stehen, so ist die Situation der Opportunisten unter den Jungtschechen eine ziemlich schwierige und kann es ihnen geringen Trost gewähren, daß die wenigen noch vorhandenen Alttschechen neuerdings ihre Bereitwilligkeit bekunden, mit den jungtschechischen Opportunisten zusammen zugehen. ja ihnen neidlos die Führerrolle zu überlassen. Der begabteste und persönlich beliebteste Vertreter der gemäßigten jungtschechischen Richtung, Abgeordneter vr. Herold, ist inzwischen bemüht, einerseits die drohende Spaltung der Mgtschechischen Partei zu verhüten und andererseits sich und seinen engeren Gesinnungsgenossen freie Hand für die Zukunft zu bewahren. Zu diesem Behufe hat vr. Herold in den „Narodni Listy" das Wort ergriffen. Er legt dar, die Lage der „Tschechischen Delegation" im Reichsrathe habe sich seit der Auflösung der Coalition bedeutend gebessert; eS wäre ein politischer Fehler, Opposition um der Opposition willen zu machen, wie es ein Fehler wäre, um jeden Preis den Anschluß an eine parlamentarischeMajoritätanzustreben. Die jungtschechischen NeichSrathsabgeordnelen hätten keinen Grund, ihren gegen wärtigen oppositionellen Standpunkt aufzugeben, aber sie müßten unter den derzeitigen unfertigen Verhältnissen eine gewisse „Reserve" sich auferlegen, die fortschreitende Zersetzung der parlamentarischen Verhältnisse nicht stören und kaltblütig abwarten, ob nicht günstigere Umstände für das tschechische Volk einträten. Die jungtschechischen Abgeordneten sollen sich nach vr. Herold auf die Möglichkeit vorbereiten, daß neue Ver suche eines Ausgleiches mit dem tschechischen Volke unternommen werden. Ob er solche Versuche von der Regierung oder von den Deutschen erwartet, sagt Herr vr. Herold nicht, aber er appellirt an die Einigkeit der tschechischen Abgeordneten, da mit, wenn es zu einem Versuche der „Beruhigung" des tschechischen Volkes kommen sollte, möglichst günstige Be dingungen des Ausgleichs erzielt werden. Die einzelnen jung tschechischen Parlamentarier mögen immerhin nach ihrem Temperamente reden, aber sie sollen gemeinsam praktisch handeln. Die Vereinigung aller republikanischenParteien in Spante» unter eine gemeinsame Fahne scheint zur That- sache werden zu wollen. Alle republikanischen Blätter ver öffentlichen einen Aufruf an daS Land, in welchem die zu Stande gekommene Verschmelzung der Possibilisten, Unionisten, Prozressisten und Conslitutionellen zu einer großen nationalen republikanischen Partei (partiäo ropudlicuno nncional) bekannt gegeben wird. Die neue Partei nimmt nach der „Frkf. Z." vorläufig die jedem monarchistischen System feindliche Ver fassung von 1869 an und stellt dem Willen des Volke- die Feurlletoir. Haus Hardenberg. L8j ' Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck vrrboten. (Fortsetzung.) Friedrich stieß einen Schrei auS, der die anderen Dienst leute herbeirief, dann stürzte er durch den halbdunklen Raum iu daS Cassenzimmer und rief den anderen zu: „Hier ist eingebrochen worden!" Alle drängten sich herbei; ihre erste Untersuchung galt dem schweren, eisernen Geldschrank — gottlob, er hatte sich bewährt und den Bemühungen, ihn zu offnen, tapfer wider standen. Man sah, daß der Einbrecher sich alle Mühe ge geben, seinen Zweck zu erreichen. Auf dem beschmutzten und feuchten Teppich vor dem Schranke lag ein Stemmeisen, und der herbeigekommene Kutscher, welcher etwas von der Schlosserei verstand, erklärte nach oberflächlicher Untersuchung, daß ein abgebrochener Schlüssel im Schlosse stecke. Lachend sagte er: „Da ist dem Herrn Spitzbuben daS Malheur passirt, seinen Dietrich abzubrechen, und natürlicher weise hat er nun gesehen, daß alle Mühe vergebens wäre und er seine Langfinger nicht in die Caffe würde stecken können; da hat er das Hasenpanier ergriffen, ohne etwas mitzunehmen." „Sie irren, Martin", sagte Friedrich, „sehen Sie nur dorthin, das Pult deS Cassirers ist erbrocken und die Papiere umhergestreut — der Hallunke hat die TageScasse gestohlen, wahrlich, alles auSgeleert — Teufelskerl — wenn wir den erwischt hätten!" „Nun, vielleicht kriegt ihn die Polizei!" „Ach, machen Sie sich nicht lächerlich', Herr Martin", meinte Henriette spitz, „die Polizei kriegt gar nicht« heraus. Mir ist vor drei Jahren, als ich bei Geheimraths diente, mein Koffer von der Bodenkammer gestohlen worden, und ich soll heule noch das erste Stück von meinen Sachen Wieder sehen, und dabei habe ich eine Wirthschaft und Lauferei und ewig mit der Polizei »u thun gehabt, wirklich, als ob ich die Diebin und nicht die Bestohlene wäre." „Aber man muß doch die Anzeige machen", gab der Kutscher zurück, den Henriette'- persönliche Erfahrungen wenig zu kümmern schienen. „Ich werde mich gleich anziehen und rum nächsten Commissariat gehen." „Nichts da", rief Friedrich, der sich indessen gefaßt hatte, mit gebietender Stimme. „Als des Herrn Kammerdiener werde ich am besten wissen, wie er über dergleichen denkt, und ehe wir Haus Hardenberg durch eine Anzeige bei der Polizei in aller Leute Mäuler bringen, muß man erst beim Herrn anfragen. Ich laufe zu Herrn Wellenberg, der wird uns fürs erste sagen können, was er in der Caffe gehabt hat, und dann werden wir weiter sehen." Der Kutscher schwieg eingeschüchtert, die übrigen verließen das Cassenzimmer und Friedrich eilt« zu dem Cassirer. Derselbe wohnte ganz nahe, in der Junkerstraße, und war gleich zur Stelle. Obgleich ziemlich erregt durch diese Mittheilung, verlor der alte Herr seine Geistesgegenwart durchaus nicht, und nachdem er sich durch flüchtige Durchsicht seiner Papiere über zeugt hatte, daß die ganze Baarsumme, welche er in dem Pulte verwahrt, in Höhe von 870 Thalern gestohlen worden sei, verfaßte er gleich eine Depesche an den Chef und sandte dieselbe sofort nach dem Telegraphenamte. Die Linie mußte frei gewesen sein, denn schon nach zwei Stunden traf die Antwort in einem an den Cassirer Wellenberg gerichteten Telegramme ein, sie lautete: „Treffe baldmöglichst selbst ein, bis dahin keine Anzeige macken. Hardenberg." Friedrich triumvhirte. „DaS habe ich za gewußt. Um die paar Hundert Tbaler ist es uns nicht, aber um den Skandal. Und ich möchte es Euch allen gerathen haben, daß Ihr Eure Mäuler haltet." Wellenberg stellte an die Kammerjungfer der HauSfran das Verlangen, trotz der frühen Stunde Frau Hardenberg zu sprechen. Aber Luise, die sammt der alten Friederike wie gewöhnlich herabgekommen war, um ihr Frühstück einzunehmen, meinte sehr entschieden, daß die« ganz unmöglich wäre. Die gnädige Frau hatte ihr gegen 7 Uhr ungefähr geläutet und gesagt, daß sie eine sehr schlechte Nacht gehabt habe, sie möge ihr ein Morphiumpulver einrühren und'sie dann un gestört schlafen lassen, da sie an unerträglicher Migräne leide und Ruhe daS Beste für solchen Zustand sei. . Jetzt schlafe die Gnädige gewrß und eS wäre eine Grau samkeit, sie zu wecken, noch dazu, um ihr eine solche Nach richt zu geben, die höre sie immer noch früh genug. Wellenberg zuckte die Achseln und brummte etwas in den Bart über die zarten Nerven der Damen, dann fragte er nach Fräulein Renate. „Auch das Fräulein scheint noch zu schlafen, denn ich habe wie gewöhnlich an ihre Thür gepocht, aber keine Antwort erhalten. Das ist auch ganz natürlich, denn Fräulein Renate hat die halbe Nacht bei ihren Weihnachtsarbeiten aufgesessen, wie sie mir gestern sagte, und wird spät genug zu Bett ge kommen sein." „So", meinte Wellenberg eifrig, „da gehen Sie doch gleich noch einmal hinauf, Luise, und pochen Sie an, denn gerade weil Fräulein Renate so lange aufgeblieben ist, könnte sie ein Geräusch gehört haben und uns irgend eine Auskunft geben." „Ich gehe gleich." In der That pochte auch Luise fünf Minuten später an Renate's Thür — einmal — zweimal — keine Antwort erfolgte. Jetzt wollte sie leise öffnen, ohne erst eine Erlanbniß dazu abzuwarten— aber was war daS? Die Thür widerstand — sie mußte von innen verriegelt oder verschlossen sein. Das war ja nie vorgekommen — „Himmel — wenn nur nicht ein Unglück geschehen ist —" dachte Luise und pochte nun stark und starker, dabei immer den Namen ihrer jungen Gebieterin rufend. Endlich vernahm sie ein leichtes Geräusch. Sie erneuerte das Klopfeu und Rufen. Der Riegel wurde zurückgeschoben und Luise, schnell ein tretend, gewahrte in dem dämmerigen Gemache die Gestalt des jungen Mädchens, in ein Nacktgewand gehüllt. „Guten Morgen, Fräulein Renate — wie haben Sie mich aber geängstigt! Ich glaubte schon, eS sei Ihnen etwas geschehen. Warum haben Sie aber auch die Thür verriegelt?" „Weil — weil ich mich gefürchtet habe", erwiderte Renate, ihrem Lager zuwankend, mit seltsam veränderter, heiserer Stimme. In dem Bestreben, die große Neuigkeit loS zu werden, achtete Luise nicht darauf, sondern fuhr fort: „Gefürchtet haben Sie sich und just in dieser Nacht — nun, da muß Ihnen wohl etwas geahnt haben, Fräulein, denn denken Sie nur, wir haben alle in Lebensgefahr ge schwebt, im Cassenzimmer ist nämlich eingebrochen worden." Ein dumpfer Schrei tönte von dem Bette her, Luise war indessen zum Fenster getreten und zog die dichten Vorhänge zurück, dem Tageslichte Einlaß gewahrend; al- sie auch v»a der» zweiten Fenster die Gardinen entfernt, wunderte sie sich doch, daß das junge Mädchen gar keine weitere Frage an sie stellte, sollte sie wieder einzeschlafen sein, daS ließ sich doch kaum annehmen nach dieser Mittheilung. Sie näherte sich dem Himmelbette und zog die spitzen besetzte Draperie zurück. Doch erschreckt beugte sie sich über die Ruhende. Da lag Renate's Haupt auf den weißen Polstern, über welches die Strähnen des gelösten dunklen HaareS sich ringelten. Auf den Wangen glühten Purpurrosen, die Augen waren starr geöffnet und in kleinen Zwischenräumen ging em krampf artiges Zucken durch die Gestalt, und eS war, als verzöge der Mund sich zu einem Lächeln, da- etwas unendlich Schau riges hatte. „Gott stehe mir bei, sie hat Nervenkrämpfe — ich hätte ihr daS nicht so unvorbereitet sagen sollen — aber wer konnte denn ahnen!" Luise schlug sich vor die Stirn, verlor aber keim Zeit, der Leidenden Hilfe zu bringen. Sie netzte Renate's Schläfe mit Aether, ließ sie an einem Flacon mit englischem Salz riechen und srottirte die starren Glieder. Dabei dachte sie, daß eS besser wäre, nicht erst Lärm von der Sache zu machen, denn die superkluge alte Kinder frau würde ihr die Vorwürfe nicht ersparen. Erst nach einer halben Stunde kam Renate wieder zur Besinnung, doch war ihre Schwäche so groß, daß sie nur zu lallen vermochte: „Lassen Sie zu Frau Martha senden — sagen Sie, ich sei krank und sie solle zu meiner Pflege kommen." Dann sank Renate's Kopf wieder schwer in die Polster zurück und sie schloß die Augen. „Wollen Sie jetzt schlafen, Fräulein?" fragte Luise leise. Eine fast unmerkliche Bewegung mit dem Kopfe sollte Wohl eine Bejahung sein, wenigsten« meinte Luise die- und zog sich erleichtert zurück, um den ihrer ungeduldig harrenden Wellenberg von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen. Sie sagte auch Friedrich, daß er zu Frau Winterfell» senden möge, doch der Alte machte ein grimmige« Gesicht und meinte barsch: „Das hat keine Eile, wir haben Klatschbasen genug im Hause. Wenn der Herr erst hier ist, wird er wohl selbst ein Wort mit Frau Martha reden, bi- dahin bleibt ste fern." Luise zuckte die Achseln und ging ihren Geschäften nach. Wellenbexz hatte nur den ersten Buchhalter in da- Vertraue»
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