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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.08.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950808022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895080802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895080802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-08
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Gewiß, bald bat im Osten, bald im Westen ein Gewerbeinspector zu berichten, daß Arbeitslose vorhanden waren, für die die Behörden oder die Arbeitsnachweisämter sich vergebens nach Arbeits gelegenheit auOrtundStellt umgethan hätte». Geht man aber den Verhältnissen etwas mehr auf den Grund, so sind es in der Mehrzahl der Falle entweder neu zugewanderte, für die dauernder Arbeitsverdienst vorher gar nickt vorhanden war, oder es sind „ungelernte" Arbeiter, die den Meistern und Industriellen an Ort und Stelle gar nichts nützen können. Nur in einer ganz versckwindcnden Minderzahl von Fällen wirb berichtet, daß auch für solche Arbeiter, die schon mehrere Jahre ansässig oder die gerade in den besonderen Gewerbebetrieben des Bezirks oder Ortes „gelernte" Kräfte waren, kein passender Erwerb zu ermitteln war. Nun gut. Es ist schon bei den Reichstagsverhandlungen im vorigen Winter, als der Antraa Hitze betreffs der Fortführung der socialreformatorischen Gesetzgebung zur Tagesordnung stand, von nationalliberaler Seite (Abg. Möller) betont worden, daß örtlich und bezw. für wirthschaftlich zusammengehörige Gemeinden auch wohl Ver bands- und bezirksweise sich Maßregeln gegen die Arbeits losigkeit würden treffen lassen. In den hier berichteten Minderheitsfällen ließe sich Wohl denken, daß für die betroffenen Arbeiter, die lange Iabre hindurch dem Bezirk angehöreu und nach ihrer besonderen Arbeitssertigkeit dort auch wohl später wieder am besten Verwendung finden würden, eine Ge meindefürsorge zeitweise Platz griffe. Damit wäre aber auch der Schimmer von Begründung beseitigt, die den Lehrsatz von der industriellen Reserve-Armee angeblich tragen soll. Denn das Angebot von Arbeitskraft, die in einem be stimmten Betriebszweig unbrauchbar ist, kann unmöglich den Lohn Derjenigen drücken, die in dem betreffenden Betrieb eingelernt und brauchbar sind. Diejenigen endlich, die nach Orten mit höherem Lebensgenuß zuwandern, obwohl sie Wissen, daß dort eine dauernde Arbeitsgelegenheit für sie nicht zu finden ist, sollte man die auch noch durch besondere Ver sicherungseinrichtungen vermehren? Das hieße doch gerade dem dauernd beschäftigten Arbeiter jene industriell« Reserve- Armee auf den Hals schicken, die bislang nur in der Ein bildung der Socialdemokraten vorhanden ist! Wie erinnerlich sein wird, berichtete kürzlich die „Köln. Zeitg." in einem „die Aenderung der Ltrafprocetzordnung' übersckriebenen Artikel, daß in parlamentarischen und juristischen Kreisen an der Wiedervorlegung der Justiznovelle gezweifelt werde, weil die Ansichten des derzeitigen Chefs der preußischen Justizverwaltung bezüglich der Richtung und des Inhalts der Abänderung des Strafverfahrens von den jenigen, die in dem nicht erledigten Entwürfe Ausdruck ge funden haben, wesentlich verschieden seien. Bald darauf ging demselben Blatte von angeblich „unterrichteter Seite" die Mittheilung zu, „daß der Minister Schönstedt eine Wieder vorlegung des in Rede stehenden Entwurfs für unbedingt nothwendiß erachte und daß der Entwurf voraussichtlich in unveränderter Gestalt wieder an den Reichstag gelangen werde." Wir bemerkten zu dieser Mittheilung, daß Herr Schönstedt Über die unveränderte Wiedereinbringung des Entwurf» nicht allein zu entscheiden habe und daß sein Gefallen an der Vorlage kein großes gewesen sein könne, da er sie sonst in der Commisston energifcker hätte vrrhridigen lassen. Heule wird in der „Schief Ztg." daran erinnert, daß Herr Schönstedt selbst bei der ersten Lesung des Entwurfes die Erklärung abgegeben hat, er könne sich mit dem Entwürfe nicht schlechthin identiftciren und nicht alles unterschreiben und sich ancignen, was sein AmtSvor- gänger — der Urheber der Vorlage — für das Nichtige ge halten habe. Indem er weiter erklärte, daß bei seinem Dienstantritt die Vorlage im BundeSrakh bereits festgestcllt war und daß er ihr im Reichstage nicht als preußischer Iustizministcr, sondern als Mitglied ktS BundrSrathS gegcnüberstehr, abgesehen hiervon sich aber die vollständige Freiheit der Brnrtheilung der einzelne» Fragen Vorbehalten müsse, ließ er keinen Zweifel, daß unter seinen Händen und nach Maßgabe seines Einflusses der Entwurf Nicht in der vorliegenden Gestalt an den Reichstag gelangt sein würde. Daß der Minister gewillt sein sollte, sich mit seinen eigenen Erklärungen in Widerspruch zu setzen, ist ebenso unwahr scheinlich, als daß in der kurzen Zeit zwischen der Schließung des Reichstages und dem Beginn der BunkeSrathsferien end- gütige Beschlüsse über die Wiedervorlegung des Entwurfs gefaßt sein sollten. Kommt der Entwurf überhaupt an den nächsten Reichstag, so dürfte er also zweifellos Spuren der Einwirkung des jetzigen Chefs der preußischen Justiz an sich trage». In die Theorie unserer „Vorwärts "-Socialdewo kraten will das Bombcnattentat von Slniche nicht hinein paffen, denn sie predigen ia mit Vorliebe das allmähliche Hineiuwachsen der jetzigen bürgerlichen Gesellschaft Und daS allmähliche Uebergehen der jetzigen StaatSsorm in den social demokratischen Zukunftsstaat. Kommen Ausschreitungen wie die de» „Genoffen" Deconx vor, so müssen sie als Aus schreitungen verrückter Individuen oder als persönliche Rache acte hingestellt werden. Die herrschende Richtung der „deutschen" Socialdemokratie schüttelt daher unweiger lich feden anarchistischen Sprengbombenwerfer von ihren Nvckschößen ab. Es ist bemerkenswerth, daß sie mit dieser Taktik selbst in ihren eigenen Kreisen völlig isvlirt da steht. Wenigstens die französischen Genossen denken gar nicht daran, den AttentatS-Urheber zu verlenaüen oder der Tbat- sache zu widersprechen, daß Deconx jahrelang in dem Vorder« treffen der den gewaltsamen Umsturz alles Bestehenden procla mirenden Propagandisten der Tbat gestanden hat. FürbieAengst lichkeit deS „Vorwärts", der möglichst weit von jedem Spreng bombenwersrr abrückk, hat die französische Socialdemokratie kein Verständnis;. Wo bleibt da dir Solidarität der Gesinnungen und des takt schen Vorgehens auf der ganzen Linie veS internationalen Proletariats, welche nach der Behauptung der deutschen Führer gerade die eigentliche Starke der Bewegung ausmachen soll? Unsere Nevolutionaire haben ein persönliches Interesse daran sich selbst und ihre Ziele als möglichst harmlos hinzustellen. Des halb erscheinen sie, sobald irgendwo ein anarchistischer Franktireur als Sprengbomben-Attcntäter debutirt, mit gerungenen Händen auf der Bildfläche, versichern einmal über das andere, daß wohlerzogene Socialdemokratrn eine» solchen schwarzen Thuns unfähig seien, unv drehen und deuteln an dem Geschehenen so lange, bis es zu dem persönlichen Racheakte eines aus dem sittlichen Gleichgewicht gerathenen überspannten Individuums abgeblaßt ist. Es bleibt hierbei nur die Frage zur Beant wortung offen, wer mit solchem Comödienspiel eigentlich hinters Licht geführt werden soll. Nach halbjähriger Session ist daS norwegische Storthing eschlosscn worden. Während der ganzen Tagung hatte das 7torlhing mit einem Ministerium zu tbnn, das unmittelbar vor Beginn der Session seinen Abschied eingereicht halte, aber an sein Amt gefesselt blieb, nachdem vier Versuche deS UiiionSköiiig- zur CabinetSbildung a» den Schwierig keiten gescheitert waren, welche die Radikalen derselben bereitet hatten. Die auf fünf Mann gestellte radikale Mehrheit war jedoch ebenso wenig im Stande, eine ausschlaggebende Rolle zu spielen. So bot die Lage ein merkwürdiges parlamentarisches Bild. Anstatt zu schieben, wurden die Radikalen geschoben. Eine Zeit lang zeigten sie eine bcmerkenswerlhe Mäßigung unv bewilligten einen Haupt posten des Budgets nach dem andern. Sie schienen endlich selbst das Bedürfniß zur Beilegung des unerquicklichen UnionS- streittS zu fühlen, und als die Tagesordnung vom 7. Juni d. I.. welche sich zu Verhandlungen mitSchweden über daSConsnlalS- wesen und die Frage deS Ministeriums des Aeußern bereit er klärte, angenommen worden, schien der Friede angebahnt. Doch bei» war nicht so. Plötzlich zeigte sich die radikale Mehrheit von Neuem widerhaarig. Sie knüpfte an die Bewilligung dcS Voranschlages für die Universität die Bedingung, daß bei Neubesetzung von Professuren vor dem König da- Ttorthing gehört werde, die norwegischen Beiträge für den König und den Kronprinzen wurden wiederum in den herabgesetzten Beträgen bewilligt, die Tafelgelder für dir norwegischen Staatsminister gestrichen. Andererseits griff sie jedoch für norwegische Ber- theiviguugszwecke tief in den Staatssäckel. Bezüglich der Unions-Frage aber stehen vorläufig die Dinge ziemlich auf dem alten Fleck, und da» Ministerium Slang bleibt einst weilen noch auf dem gewohnten Platze. Zum Nachsommer soll König Oskar abermals nach Christiania komme», um seinen Versuch zur Bildung einer parlamentarischen Regie rung zum fünften Male seit sechs Monaten zu erneuern. In den „leitenden" Kreisen Bulgarien» scheint große Verwirrung und Rathlosigkeit zu herrschen. Ofsiciös wird der Versuch gemacht, die bekannte russisch« Abweisung an die Adresse des Prinzen als unecht hinzustellen. Die russische Regierung kümmere sich gar nicht um die Einzelheiten der Fürstenwahl; als ob nicht gerade aus Rußlands Betonung dieser Einzelheiten die ganze Spannung mit Bulgarien entsprungen wäre! Zu dem versichert außer dem „Hamb. Corr", jetzt auch her Berliner Berichterstatter des „Standard", daß jenes Commnnique nichts weniger als apokryph sei, ja er könne aus ausgezeichneter Onelle mit- theiien, daß der Zar den Fürsten Lobanow selbst an gewiesen habe, daS Schriftstück aufzusetzen und zu ver öffentlichen , in welchen Rußland die Anerkennung deS Fürsten verweigert. Zum Uebrrfluß hat auch der Brüsseler „Nord", daS anerkannte Organ der russischen Negierung, kurz vor dem Erscheinen der Note eine Peters burger Auslassung gebracht, die mit jener fast wörtlich über einstimmt! Schon beginnt man unter solchen Umständen in der Umgebung deS Fürsten daS schwanke bulgarische Staats schiff, Vas man zu weit in russischem Wind hatte dahin gleiten lassen, bedächtig wieder zurückzurudern, nachdem man gesehen, wohin die Fahrt zuletzt führen muß. Gleichzeitic wird durch englische Vermittlung (daS Reuter'sche Bureau ein Hilferuf an die übrigen Mächte erlaffen; der Prinz nebst Stoilow stehe ganz auf dem Boden der Stambulow'schen Politik, ohne doch derenUnregelmäßigkeiten(?!)sich anzueianen. Beide seien keine Russenfreunde, und die Absendung der Deputation nach Petersburg sei ihnen nur anszedrängt worden. Oesterreich- Ungarn, England rc. möchten den Prinzen doch ja nicht im Stich lassen und ihn nöthigenfallS, wenn Rußland unzugänglich bleibe, einkeitlicb von sich auS anerkennen. Auch leine ein und Schwiegcrgroß mutter kommt dem Prinzen nach dieser Richtung hin zu Hilfe. Dieselbe, die gegenwärtig in Mainz wohnende Herzogin Adelheid von Braaanza, bat dem ultra montanen „Mainzer Iourn." eine Zuschrift geschickt, in der cS heißt: „Fürst Ferdinand vo» Bulgarien ist rin viel zu glaubeiiStrencr Katholik, um jemals seinen Glauben zu verleugnen oder UI» zuzu- lassen, daß sein Sohn. Prinz Boris, im Schisma erzogen würbe, und die Fürstin desgleichen. Lieber würden Bride dem Throne, ja selbst dem Leben entsagen. Das ist mir vor einigen Lagen von meiner Tochter, der Herzogin von Parma, Schwiegermutter des Fürsten, in aller Bestimmtheit geschrieben Worden." Vor Wenigen Wochen »och wurde dem Prinzen ofsiciös ' ' innerer Hang zur orthodoxen Kirche nachgerühmt! Wo wie können solche Doppelzüngigkeiten Vertrauen Wecken? Inzwischen hat sich ein Theil der Stambulowisten mit de» Anhängern des Liberalen RadoSlawow vereinigt, der Nest der Partei Stambulow's unter Petkow operirt in Ueber- einstimmung mit jenen. Nun sind die Liberalen zwar keine zrundsätzlichen Gegner einer Aussöhnung mit Rußland, aber ie erkennen keinerlei Zugeständnisse an dir russische Politik in. Ihre Haltung dem Fürsten gegenüber ist kühl, aber nicht cindsrlig. Entschlösse sich Ferdinand noch, in die Bahnen der Stambulow'schen Politik zurückzukehren, so fände er eine Partei vor, welche über die begabtesten und tadellosesten Männer Bul gariens, Wie RadoSlawow, Tontschew, Nikvlajew, Peschow, Lhristo Popow, Iwantschow u.Ä. verfügt, von denen einige auch im Heere sich großen Ansehens erfreuen. Allein die liberale Partei hat milsammt den Stambulowisten nicht viel mehr als ein Viertel der Stimmen in der Sobranje. Die russenfreund- iche Partei ist bei Weitem mächtiger undAlles dreht sickdaber um die Frage, wie wird diese sich verhalten, wenn es sich herauS- lcllt, daß die Person deS Fürsten ein Hinderniß für die Herstellung regelmäßiger Beziehungen zu Rußland ist. Sie scheint gesonnen, ihn gänzlich fallen zu taffen und so sind die inneren Wirren, dir nicht, wie man fürchtete, unmittelbar nach der Ermordung Stambulow's über Bulgarien berein- gebrochen stnd, offenbar nur um wenige Wochen aufgeschoben. Kommen müssen und werden sie. Die Vrodkrckwalle in Täbri» erinnern daran, daß Russen und Engländer einander in Persien scharfe Concurrenz machen, eine Concurrenz, welche zur Zeit sich zwar vorzugsweise auf handelspolitischem Boden bewegt, die aber nichtsdestoweniger ihre eigentliche Wurzel in dem staatö- politischeu Antagonismus besitzt, der in dem Streben Rußlands nach dem eisfreien Occan und in dem Widerstand, den Eng land diesem Streben bereitet, seinen Ausdruck findet. Der russische Einfluß in Persien dehnt sich stetig aus; ist die den Russen allein zur Verfügung stehende Verbindung mit Persien auf dem Landwege einstweilen auch ungleich kostspieliger, be schwerlich«»- und zeitraubender, als der von den Engländern beherrschte Wasserweg, so kann, ja wird sich das doch von dem Tage ab zu Gunsten Rußlands ändern, wo dieses sein Eisenbahnnetz vis zur persischen Grenze und über dieselbe in das Innere de« Landes hinein vorgeschoben hat. Inzwischen bewahrt sich die Gewandtheit, womit Rußlands asiatische Politik überall den Weg zum Herzen der dortigen staatlichen wie religiösen Machthaber und der hinter diesen stehenden Bevölkerungen »u finden weiß, auch in Persien aufs beste, und drängt die in dieser Hinsicht weit schwerfälligeren Engländer allmählich ins Hinter treffen. Das hat sich auch bei den Eingangs erwähnten Brodkrawallen in TäbriS gezeigt, wo die Volksmenge sich gleichsam instinctmäßig an den russischen Generalconsul als Helfer in der Noth wandte und ihre Hoffnung auch nicht betrogen sah. Die Crawalle sind inzwischen beigelegt, aber das Ansehen Rußlands im Volke hat daraus einen dauernden Der sechste Sinn.. Novelle von Woldemar Urban. »iachdruck »«rtot«». I. Herr Obermeister Moritz Horn rüstete sich mit etwa umständlicher Würde und Grandezza zum Ausgehen. „Aber Moritz", sagte sein« Frau erstaunt, „Du wirst doch nicht etwa jetzt ausgehen, wo Max jeden Augenblick an- tommen kann. Was soll denn der arme Junge denken, wenn er Niemand zu Hause antrifft?" „Hat sich mein Herr Sohn während seiner — hm — sogenannten Studien in Heidelberg etwa darum gekümmert, was ich mir von ihm denke?" fragte Herr Horn stolz zurück. „Aber Hörnchen", redete seine Frau ihm begütigend zu, „es ist doch immer unser Junge." Dieses „Hörnchen" war der Anfang allen Unglücks. Es war ja richtig, daß ihn seine Frau während seiner etwa dreißigjährigen Ehe immer so genannt hatte; daS „Hörnchen" war traditionell, und geravt deshalb war vernünftigerweise nichts direct dagegen zu thun; aber Herr Horn fühlte mit stolzem Bewußtsein, daß er in diesen dreißig Jahren so zu sagen rin Mann geworden war, ein reicher Mann, «in an« gesehener, in Amt und Würden befindlicher Mann, dem vielleicht noch Große« bevorstand, und er wollte deshalb kein „Hörnchen" mehr sein. „Meine Liebe", sagte er, indem er mit anscheinend gleich gültiger Ruhe seine Handschuhe anzog, „Du weißt, daß ich schon mehrfach — hin — bedauert habe, bei Dir eine totale Verständnißlosigkrit von Schliff und Tact, wie ihn die neuer« Zeit nun einmal unbedingt fordert, anzutrrffen. Max hat sich in Heidelberg ungebührlich aufgrfÜhrt — — „Aber lieber -- —" „Ungebührlich anfgefübrt", fuhr Herr Horn unerbittlich unv mit erhobener Stimme fort, „und in Folg« dessen nicht nur einen herzliche», sondern überhaupt jeden Empfang meinerseits verwirkt. Ich will nicht auf die — bm — empörenden Einzelheiten znrückkvnimeii, di« man sich selbst hier im Orte von ihm erzählt, sondern ick will nur daran erinnern, daß er sich mit seinen — hm — rücksichtslosen Witze leien —" „Aber Moritz, wo er doch heut« zurückkommt " „Seinen und meinen Namen in Unebre gebracht hat", fuhr Herr Horn mit immer steigender Redeenergie fort. „Damit hat mein Herr Sohn nicht nur das große und herz liche Interesse, das ich im Anfang seiner — hm — Carriere entgegengebracht habe, verwirkt, sondern er hat sich auch meine — hm — Verachtung und meinen Zorn zugezogen. Theil» deshalb, theiiS einer wichtigen Sitzung im Innungs- Ausschuß wegen wird mich also mein Sohn heute nicht sehen. Adieu." Damit schritt Herr Moritz Horn mit der einem JnnungS- obermeister entsprechenden Respectabilität zum Zimmer und gleich darauf auch zum Hause hinaus. Frau Horn, eine rundliche Frau mit außerordentlich gut- müthigen und gemiithlichen Zügen sah ihm nach und seufzte dann tief auf. WaS war auS dem Manne geworden, seit er Innungsobermeister war! Früher der herzlichste Gatte und für seine Familie die Liebe selbst, war er jetzt mit einer wahren Wutb auf's Nedenhalten verfallen. Scho» wenn sie sein — Hm! hörte, dann wußte sie, daß in ihm weder Ver stand noch Herz zur Geltung kam, sondern nur die Grammatik, die ihm allerdings voll und ganz zu schaffen machte. Frau Horn hatte ja in den dreißig Jahren ihrer Ehe Vieles Über sich hingehen lassen müssen! Sie jwaren Beide arm gewesen, und an der Noth des Lebens hatte es nicht gefehlt. Aber nichts war ihr so bitter, so unglücklich erschienen, als wenn sie sehen mußte, wir ihre Häuslichkeit, ihre Familie alö Ver- suchSobject eines angehenden Revner- gelten mußte, wie di« alte herzliche Vertraulichkeit seiner gedrechselten, großspurigen Vornehmtbuerei einem geist- und gemüthlosen Phrasentratsch verfiel. Womit hatte sie da- verdient? Womit hatte sie verdient, daß ihre eigene Tochter, ihr eigene- Kind dem alten Herkommen mit verächtlichen! Nasenrumpfen entgegen kam, Alles bester wußte und einen Geschmack entwickelte, der mit nichts, was alt und bewahrt war, übereinstimmte? Sie konnte sich in die angeblich neue Zeit, die jetzt angebrochen war, als Hörnchen Innungsobtrmeister geworden, nicht finden. Wie, wenn nun Max auf der Universität auch den alten Ton vergessen hatte? Wenn er, statt seiner Mutter einen ordentlichen Willkommenkuß zu geben, nur ein „Gestatten Sie" oder ein „Derzeiben Sie", „Haben Sie die Güte" über die Lippen brachte? Dan» stand sie ganz allein mit ihrem vollen Herzen, mit ihrem reichen Gcmütb, wie ein alte» Möbel, »cif für die Rumpelkammer, lind es war doch immer ss gut gegangen, in der alten Zeit. Wer weiß, ob sie mit einem modernen Geschmack über so viel Noth und Sorge des Lebens binweggekommen wäre, denn das Leben war gar lange gewesen. Uno nun sollte daS alte Herz auf einmal nicht» mebr taugen? Ein Wagen raffelte vor daS HauS, und Frau Horn stieß einen lebhaften Freudenruf auS. Sie eilte, was sie die Füße tragen konnten, hinaus, und im Garten, der vor dem Hause war, kam ihr raschen, elastischen Schrittes ein junger Mann mit freudeblitzenden Augen entgegen, der sie lebhaft in die Arme schloß. „Mutter, Mutter!" rief er, und seine Stimme zitterte leicht. Frau Horn sagte gar nichts, sie konnte nicht. Sie küßte ihren Sohn, besah ihn, freute sich über sein stattliches, etwas gebräuntes Antlitz, in dem ein junger Schnurrbart seine ersten Wucherungen trieb, und küßte ihn wieder. „Wo ist der Vater?" „Komm nur herein, Mar, Deine Stube ist heraerichtet. Du wirst müde und hungrig sein. Nicht? Komm, Max." „Und wo ist Dore?" „Deine Schwester ist zum Kaffeekränzchen bei der Nathin Sens." „Zum Kaffeekränzchen? Das hatte Wohl nicht Zeit bis morgen?" Frau Horn unterdrückte einen kleinen Seufzer. „Na, Du weißt ja, Mar —" „Hm, ich weiß Wohl. Statt mit Glacehandschuhen und pomadisirt den angenehmen Schwerenvther zu machen und ihnen als Paradepserd zu dienen, bin ich auf meine Weise selig geworden. Sie haben mich auf den Strich, Mutter, nicht wahr? Auch der Vater?" Frau Horn sagte nichts, aber ihr Muttcrbcrz schwoll vor freudigem Stolz. Sie führt« ihn in da« HauS, schaffte Essen und Trinken berbei, und war entzückt darüber, wie eS ihrem Sohn« schmeckte. „Hast Du Hunger, Max?" ,<2ch Hab« immer Hunger, Mutter, aber sage doch endlich — auch der Daker?" „Nun", antwortet« Frau Horn zögernd, „Du hast'- Wohl auch «in wenig arg getrieben — in Heidelberg meine ich —" „Liebe Mutter", sagte der junge Mann lachend, „Du weißt doch, daß Adam sogar im Paradies rin Sünvtr wnrdt, wie willst Du nun, daß Dein Sohn in dem sündigen Heidel berg ein Gerechter bleibe?" Dabei funkelten seine Äugen so juzendfreudig und lebenS- lustig, daß sogar seine Mutter trotz aller Mühe, die sie sich aufrichtig gab, ein kleines Lächeln nicht unterdrücken konnte. Aber sie wurde sofort wieder ernst. „Ia, Max, aber Du weißt doch, wie die Welt geht und noch dazu heutzutage. Alle Welt urtheilt nach Dem, was man ohne Weiteres siebt. Deshalb ertheilen sich die Menschen allerlei Würden und äußere Abreichen oder Aemter unter einander, wonach sie dann abgeschätzt werden. Der Vater hätte es nun sehr gern gehabt, wenn Du seinem Namen mehr Ehre gemacht hättest, wenn Dir auch etwas ertheiit worden wäre —" „Aber zum Henker, ich kann doch im sechsten Semester nicht Gchcimrath werden. Was wurde denn meinem Vater im sechsten Semester seiner Laufbahn ertheilt? Ein Schorn- steinfegcrbesen!" „lim GotteS willen, Max, rede nicht davon, der Vater will durchaus nicht, baß man von seinem früheren Hand werk rede." „Unsinn! Sein früheres Handwerk ist ein ehrliches, und er ist dadurch zum wohlhabenden und geachteten Mann ge worden. Es ist undankbar, sich jetzt seiner zu schämen." „Ia doch, aber sage es ihm nur nicht. Mir bat er einmal in einer vertrauten Stunde gesagt, sein Handwerk sei der schwarze Punct in seinem Leben, den er mit aller Macht und Kraft durch ein neues, würdigere- Leben aus- löschrn müsse. Deshalb macht er all' die schrecklichen Rede- übnngen, deshalb mußtest Du durchaus studiren und deshalb kann es jetzt in unserem Hause nicht vornehm, nicht stilvoll, nicht zeitgemäß genug hergeben. Acki, Max, wenn Du auch etwas bekommen konntest, einen Titel, einen Orden " „Ich armer Kerl — —" „Der Vater würde Dir um den Hal« fallen. Sieh, da ist der junge Herr Saegebühl, ein Mensch, den ich nickt aus stehen kann und der sich Adolar nennt, wo er doch Adolf beißt. Er ist Actnar geworden und sogar Secretair im Verein zur Verbesserung der Hundelialsbändrr. Sieh, Max, das ist nun der Mann Deines Vater«, der ist zeitgemäß und ich fürchte, ich fürchte, ich wett» noch schlimme Tage mit ihm erleben." „Wieso denn?" „Nun, er macht der Dor« so schrecklich den Hosi" „Der Saegebühl? Warum nicht gar. Dorr ist doch ein vernünftiges Mädchen." „Ja, Vas war fl» früher, Max, früher! Aber jetzt — Ack Du lieber Gott, sie sieht nur noch an, WaS — Chic hat und Herr Saegebühl hat Chic."
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