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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951130020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895113002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895113002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-30
- Monat1895-11
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E» bestätigt in allen wesentlichen Puncten die Annahme, daß die nach der Verhandlung- von socialdemokratischer Seite verbreiteten Berichte, die sich auch bürgerliche Blätter als Grundlage für eine Preßcampagne zu Gunsten des Herrn Liebknecht genügen ließen, aus objektiver und subjektiver Unwahrheit beruhten. Im „Vorwärts hatte e« geheißen: „Daö Gericht trat in allen Puncten den Ausführungen Liebknecht'S bei", und diese zusammenfassende Behauptung war sodann durch Lügen specialisirt worden, die selbst in der socialdemokratischen Presse in so dreister Weise nur selten vorgetraaen werden. Das Gericht sollte ausgesprochen haben, Liebknecht habe „seine Worte so vorsichtig ge wählt, um jeden Verdacht der Majestätsbeleidiaung zu vermeiden". Im Erkenntniß heißt eS: „Wenn er (Lieb knecht) auch bestrebt gewesen sein mag, seine Worte so zu Wahlen, daß eine Verfolgung wegen Majestäts beleidigung ausgeschlossen erschien, so hat er doch bei den Hörern seiner Rede den Eindruck Hervorrufen wollen, und hat ihn thatsächlich hervorgerufen, daß er sich gegen die der Parteileitung feindliche Kundgebung des deutschen Kaisers wende". Das Gericht hat also nur von dem Bestreben, die gerichtliche Verfolgung wegen MajestätS- beleidigung zu vermeiden, gesprochen. In der Form, der Liebknecht sich bediente, hat das Gericht eine „schwere Beleidigung" des Kaisers gefunden, wie es auch nicht im Zweifel darüber gewesen ist, daß Liebknecht sich deS „ehrenkränkenden Charakters seiner Aeußerung bewußt war." DaS Gericht war weit davon entfernt, die Absicht der Beleidigung alS nicht vorhanden anzunehmen, es hatte vielmehr die Ueberzeugung, daß Liebknecht damit ein verstanden war, wenn seine Hörer glaubten, die ehren kränkenden Worte seien auf den Kaiser gemünzt. Es hat überdies angenommen, daß nicht nur die socialdemokratischen Zuhörer Liebknecht, sondern auch politisch unbefangene Hörer hatten glauben müssen, der Kaiser sei gemeint. Wenn im „Vorwärts" berichtet wurde, es sei ausgesprochen worden, Liebknecht habe nicht beleidigen wollen, „aber er hätte sich sagen müssen, daß unter seiner Zuhörerschaft sich Leute be fänden, die dennoch annehmen würden, er wolle mit seinen Worten den Kaiser treffen", so ist auch daS natürlich falsch. Da» Gericht war im Gegentheil der Meinung, daß die Be ziehung der beleidigenden Worte auf den Kaiser von dem Vorsatze des Angeklagten nicht ausgeschlossen war. DaS Erkenntniß, das angeblich die Rechtssicherheit in Hrage stellen sollte, verräth an keiner Stelle eine ungewöhn liche, mit der herrschenden NechtSauffassung und der Spruchpraxis der Gerichte unvereinbare Auffassung. DaS Stärkste, was der „Vorwärts" leistete, war die Behauptung, das Urtheil spräche sich dabin aus, „daS Strafmaß müsse in Anerkennung der Absicht Lieb knecht'», jede Majestätsbeleidigung auszuschließen, auf nur vier Monate lauten." Auch für diese Ungeheuerlichkeit hatte da» Blatt Gläubige außerhalb seiner Partei gefunden. Bei der Erwägung der StrafbrmessungSgründe bat das Erkennt niß die Schuldfrage natürlich erledigt. Als strafmildernd nimmt r» folgend« Umstände an: „das hohe Alter veS An geklagten, daß seine Auslassungen die Antwort enthalten auf die Kundgebung des deutschen Kaisers, endlich, daß der An geklagte eine Reihe von Zugeständnissen über Umstände ge macht hat, die im Bestreitenssalle schwer nachweislich gewesen wären." Hätten die bürgerlichen Kritiker deS UrtheilS den Wortlaut desselben abgewartet, so wären ihre Verbiete sicher lich ganz anders ausgefallen, als sie infolge der Anlehnung an den „Vorwärts" ausgefallen sind. Jetzt mögen nun jene Kritiker nicht eingesteben, daß sie in leichtfertiger Weise sich haben beeinflussen lassen, und suche» ihre abfälligen Be merkungen trotz des Wortlautes des UrtheilS wohl oder übel aufrecht zu erhalten. Einen solchen Erfolg seiner dringenden Mahnungen an die schwer bedrohte bürgerliche Gesellschaft hat der Kaiser sicherlich nicht befürchten zu müssen geglaubt. Je näher der Tag des Wiederzusammentrittes des Reichs tags kommt, um so mehr ereifert sich die ultramontane Presse darüber, daß der BundeSrath noch immer keine Antwort auf den Neichstagsbeschluß über die Aufhebung des Aesuttcngesetzes gefunden hat. DaS Centrnm möchte aus der Antwort entnehmen, was es dem deutschen Volke und den verbündeten Regierungen weiter bieten darf. Eben deshalb wünscht man auch von anderer Seite eine baldige Antwort und findet eS unbegreiflich, daß der BundeSrath mit einer Ablehnung des socialdemokratisch - polnisch - ultramontanen Mehrheitsbeschlusses zögert. Der „Hann. Cour." sucht daher dem BundeSrathe den Beschluß :u erleichtern, indem er ihm einige Stellen ans Schriften der jetzt lebenden deutschen Jesuiten unterbreitet, die ihre Ansichten über den confessionellen Frieden enthalten. Unter dem Titel „Katholische Flugschriften zur Lehr und Wehr" geben die deutschen Jesuiten der Gegenwart seit einer Reihe von Jabren kleine Broschüren heraus, die in Berlin ini Verlage der „Germania" erscheinen. Die meisten dieser „Flugschriften" (Fluchschriften wäre richtiger) sind, entsprechend der jesuitischen Kampfweise, anonym oder pseudonym, nur wenige tragen den wahren Namen ihrer Verfasser. Diese sind die Jesuiten: Pesch (Tilmann und Heinrich), Reichmann, v. Hammerstein, Krciten, Drewes n. A. Schon das Titelbild zeigt, weß Geistes Kinder diese „Volksschriftcn" (daS Stück ü 10 ^s) sind und was sie zur Wahrung deö confessionellen Friedens beitragen: Sturmblasende Engel durchfliegen die Luft, unten windet sich ein greulicher Drache, wohl der Protestantismus. In dieser „künstlerischen" Umrahmung stehen dann die Titel: „Luther und die Ebe", „Die Segnungen per Reformation", „JgnatiuS und Luther", „Die Prolestkircbe zu Speier", „Gemischte Eben", „Was verdankt Kunst und Wissenschaft dem Protestantismus", „Katholische und protestan tische Sittlichkeit", „Das reine Evangelium der Refor mation" u. s. w. u. s. w. — Wir lassen jetzt einige Stich proben folgen, die für sich selbst sprechen: „Luther versteht in der Schrift „Bon der Freiheit eine-Z Christen-- menschen", alle Gebote Gottes und alle Sitten g «setze zu entkräften und außer Curs zu setzen. . . . Mit diesem vollen Bewußtsein, daß die Aufhebung des Gesetzes, welche er predigte, nichts Anderes sei, als Aushebung und Umsturz des weltlichen Regiments sowohl als der Religion oder, was dasselbe ist, vollständige Anarchie und Aufhebung aller Ordnung, der politischen sowohl als der religiös-sitt lichen, fuhr Luther fort, jene Aufhebung und jenen Umsturz zu predigen und das Alles dem Moses selbst und den Propheten und beionders auch dem heiligen Paulus zu unterschieben." Und weiter: „Den Protestantismus müßt ihr von ganzem Herzen hassen, verabscheut ihn wie das größte Nebel; für diesen müßt ihr ebenso viel Haß haben, als ihr Liebe besitzen müßt für euren katholischen Glauben. Solcher Art waren die Häupter des Protestantismus, Menschen, welche nach dem Ausspruch eines Pro testanten sämmtlich des Strickes würdig waren." (Katholische und protestantische Duldsamkeit, S. 23, 30.) „Das Werk der Reformation erweist sich im Lause der Seit alS das Gegentheil von dem. was es nach den Erklärungen seiner Urheber und Anhänger sein sollte, insbesondere in Bezug auf Kunst und Wissenschaft. Universitäten und Schulen verkümmerten oder gingen ganz zu Grunde und die herrlichsten Denkmäler der Kunst wurden in wilder Barbarei zerstört und vernichtet. Der Sinn für die christliche Kunst erlosch. Was Feuer und Schwert in den lang jährigen Kriegen verschonte, ging durch Fanatismus, Muthwillen und Unwissenheit verloren, wurde an Inden und andere Trödler verschleudert oder in der Rumpelkammer als werthlose Waare auf bewahrt. Möchte endlich einmal die Zeit kommen, in der mau das Volk nicht mehr mit den Borurtheilen gegen Alles, was katholisch ist, überwindet; dann wird man vielleicht auch die Wahrheit des Spruches anerkennen: „TieReformation ging auf; die Kunst ging unter!"" (Was verdankt in Bayern Kunst und Wissenschaft dem Protestantismus? S. 5, 52.) WaS tönt uns aus diesen Stellen, die sich beliebig ver mehren ließen, entgegen? Der Haß und die Verachtung deS Protestantismus. Darin sind die Jesuiten sich gleich ge blieben. 16. oder 19. Jahrhundert, gleichviel, stets lautet die Parole: I'infLmk;! Dieser WutbauSbruck des welschen CynikerS gegen die katholische Kirche war gegen evangelischen Glauben schon längst vorher im Jesuitenorden zur Thal uud Wahrheit geworren und ist eS bis heute geblieben. Das wird angesichts der vorstehenden Citate Niemand leugnen können, und so gebietet die Wahrung des confessionellen Friedens gebieterisch, den fremden Jesuiten die Rückkehr ins deutsche Reich nicht zu gestatten. Wer von sich selbst rühmt, daß er ein Kampforden gegen die evangelische Kirche ist, der gehört nicht in ein Land, dessen Bewohner der Mehrzahl nach evangelisch sind. Auf seinem Gute Ellischau in Mähren ist, wie gemeldet wurde, gestern Graf Taasfc nach langer und schwerer Krank heit gestorben. Mit ihm ist ein Staatsmann Oesterreichs ans dem Leben geschieden, der mit seinem Namen und Wirken einer Aera den Stempel aufgedrückt hat, in der die innere Zersetzung Oesterreichs rapide Fortschritte gemacht hat. An seinem eifrigen Willen ist gewiß nicht zu zweifeln, um so mehr aber an seiner staatSniännischen Begabung und seiner ernsten Festigkeit. Er wollte versöhnen, und die Wirkung war eine Zerfahrenheit uud Entzweiung, wie sie nie uvor bestanden hatte. Er schied, als er sich von der lnmöglichkeit überzeugen mußte, verschiedene einander feindselige Parteien unter einen Hut zu bringen: nämlich Deutsche, Czechen, Polen, Liberale und die drei Gruppen der Conservativen. Unter den Letzteren befand sich der Feudal adel, der das böhmische SlaatSrecht, die Klerikalen, welche dir konfessionelle Schule, und die Slowenen, die ein eigenes Slowenien anstrcbten. Für Oesterreich bedeutete Jahrzehnte hindurch der Name Taaffe ein Regierungssystem, und der Liberalismus hat diesem System bis zum Rücktritte seine« Repräsentanten offene und ehrliche Opposition gemacht. AlS das Coalilionsministerium Windischgrätz an der Wahlreform gescheitert war, tauchte vorübergehend die Nachricht auf, Kaiser Franz Josef habe dem Grafen Taaffe wieder die Bildung eines Cabinets übertragen wollen, doch war in Wirklichkeit die Zeit jenes Systems vorüber. Der durch körperliche Leiden wirklich arbeitsmüde gewordene Staats mann hat keinen Augenblick daran gedacht, wieder die Zügel der Regierung in die Hand zu nehmen. Auch die Gnade seines Monarchen konnte ihn nicht darüber täuschen, daß er vergessen war. Die Deutschen Oesterreichs werden Taaffe keine Thräne nachweinen; den» für diese bedeutet die Aera Taaffe eine Zeit nationaler und politischer Be- dräugniß. Allein gerade für die Deutschen mag sich in diese schmerzliche Erinnerung ein trostreicher Gedanke mischen: dem Geiste gleich, der stets das Böse will und stets das Gute schafft, hat Graf Taaffe die Deutschen in Oesterreich zu lebendigem Nationalbewußtstin aufgerüttelt, sie daran er- . innert, daß die ersten Pflichten jedes Volkes sich selbst gelten, sie davor bewahrt, aus allzu selbstloser Hingabe an den Staat Oesterreich sich selbst zu verlieren. Die Erklärung CriSpi'S uud Baron Blauc'S in der italienischen Deputirtenkammer bezüglich der Orient- Politik Italien« haben zu einem vollen parlamentarischen Erfolge für beide Minister geführt. Namentlich war CriSpi der Held des TageS. Es könnte auffällig erscheinen, daß Crispi sich mit besonderem Nachdruck gegen die Unter stellung verwahrte, als sei Italien im Orient anderen als den eigenen Interessen dienstbar, wenn man nicht wüßte, daß diese Unterstellung mit zu dem Der dächtigungSsystem gehört, dessen sich die grundsätzliche Oppo sition, wahrscheinlich ihren Pariser Freunden zu Liebe, gegen den leitenden italienischen Staatsmann bedient, indem sie sich bemüht, den Glauben zu erwecken, als lasse sich Italien für die Zwecke Englands mißbrauchen. Diesen Verdächtigungen gegenüber hob Crispi hervor, daß, wenn es zum Aeußersten, d. h. zu einer den Bestand der Türkei gefährdenden Action kommen sollte, Italien lediglich seinen Vortheil im Auge haben und verfolgen werde. Wenig Vertrauen zeigte Baron Blanc in den ehrlichen Willen der ottomanischen Regierungs kreise. Europa hat seine Stellung genommen, die Pforte die ihrige noch nicht, wenigstens erscheint die dilatorische Behandlung der Forderung wegen der Einfahrt zweiter S l a t i o n s sch i ff e zur Verfügung der großmächt- lichen Vertreter in Konstantinopcl ganz danach angethau, Zweifel zu erwecken, ob es den türkischen Politikern überhaupt mit ihrem Eingehen auf die Vorschläge der Mächte Ernst sei. Italien denkt zwar nicht daran, sich von der gemein samcn Action zu trennen, erblickt aber, wie man nach den Erklärungen vom Minislcrtisch beinahe annehmen muß, in fortgesetzter Halsstarrigkeit der Türkei eine Gefahr für die Einigkeit der Mächte unter sich, jedenfalls rechnet Crispi mit der Möglichkeit, daß die Dinge sich auch noch anders entwickeln könnten, als dies im Plane der jetzigen Ccllectivaction gelegen sein würde. Die Hauptsache ist und bleibt auch nach den Darlegungen der Minister Crispi und Blanc, daß die Türkei guten Rath annimmt und in ent sprechende Handlungen umsctzl. Zu diesem Bchuse ist es nothwendig, daß die Pforte stets im besten Einvernehmen mit den großmächtlichen Vertretern bleibt und selbst den Schein vermeidet, als stände sie auf einem grund sätzlich abweichenden Standpunkte. In der Behandlung der Forderung, betreffend die zweiten StationSschiffc, i,i nun aber die Pforte in Wahrung des äußeren Scheins nicht sehr glücklich gewesen, und damit hängt es wohl auch zu sammen, wenn die Beruhigung der Leidenschaften in letzter Zeit keine rechten Fortschritte aufweist. Um so weniger darf Europa in seiner moralischen Pression auf die Konstantinopcler Regierungskreise Nachlassen, in dieser Erkenntniß stimmt Crispi mit den übrigen Staatsmännern Europas völlig überein. In einem englischen Blatte wurde bekanntlich der Plan einer Aufthcilnng der Türkei kürzlich von dem Parlaments Mitglied F. S. Stevenson mit ernster Miene, aber mit dem Erfolg, nicht ernst genommen zu werden, erörtert. Danach sollte Oesterreich das westliche Kteinasien bekommen, aber nicht ganz, sondern Smyrna mit seiner Umgebung wird hcraus- geschätt und fällt an Griechenland. Ost-Kleinasicn fällt an Rußland, mit Ausnahme jedoch der Gebiete des alten Königreiches Cilicien, aus welchem ein unabhängiges Fürstenthum Armenien mit Nubar Pascha als Regenten errichtet wurde. Frankreich bekommt Syrien, Italien Tripolis, England Egypten und Arabien. Konstantinopel mit seiner Umgebung wird eine freie Stadt unter der Ber- waltnng von sieben Commissaren, die von den Großmächten und der — Schweiz ernannt werden. Bulgarien erhält den größeren FeniHetoir. Ver Kampf ums Dasein. 27j Roman von A. von Gersdorfs Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) „Ich bin eine ganze Stunde fortgewesen, liebes Herz. Beefsteaks macht man möglichst kurze Zeit vor dem Anrichten. Bei diesen hier hat eS am Fleisch gelegen — da, sieh, solch eine starke Sehne hat nur ein altes Thier. Lieber Gott, daS kann doch Vorkommen, daß man sich mal täuscht beim Einkauf." Maria-Margarethe wurde dunkelroth. Der Vater sah auf seinen Teller, und Hekmuth warf seiner Frau einen ganz ärgerlichen Blick zu. Warum nur diese Zurechtweisung? dachte er. Sie kennt doch meiner Schwester schwache Seite! Daß sie unter seiner Scdwester schwachen Seiten schon den ganzen Morgen gelitten batte, konnte er nicht wissen. Er rauchte nach Tisch wieder eine Cigarre mit seinem Vater. Jakoba aber schützte Kopfschmerzen vor nnd legte sich in ihrem Zimmer auf« Svpha. Ehe Hekmuth ging, WaS sehr bald nach dem Essen geschah, kam er noch rasch zu seiner Frau, küßte sie zärtlich, hatte aber keinen Augenblick Zeit, sich mit ihr auSzusprechcu. Dir Kaffeestunde um vier Uhr verlief ziemlich still. Maria-Margarethe hatte rothe Augen und Jakoba ließ ihren Kaffee einfach stehen. Sie konnte ihn nicht berunterwürgen und mußte auf dringende und etwas spitz werdende Fragen ihrer Schwägerin gestehen, daß sie den Natrongeschmack etwas u stark in dem Kaffee fände und ihr Magen die Annahme ehr energisch verweigern würde. Maria-Margarethe zuckte nur die Schultern. Der Vater rauchte schweigend. Als Jakoba in ihr Zimmer gegangen war, pochte e- und der Oberst trat ein. Jakoba hatte unthätig am Fenster gesessen. Sie sprang verlegen auf. „G'stattest Du, daß man hier raucht, mein Töchterchen?" „Aber gewiß, lieber Vater!" Der Oberst ging mit der Pfeife einige Male auf und ab. ^Dürdest Du mich nicht ein Stündchen begleiten. Ich Hab« «in» kleinen Spaziergang vor?" „Herzlich gern!" In diesem Augenblick ging die Thür auf. Maria-Margarethe erschien mit einem Brett, auf dem ein Kännchen, eine Taffe, ein Sahnentopf standen, nebst einem Tellerchen mit Sträußelkuchen. „Daß Du den ersten Tag hier gleich hungern und dursten sollst, Jakoba, daS möchte ich doch nicht gern. Ich habe Dir anderen Kaffee gemacht. Ganz obne Natron." Gerührt umarmte Jakoba ihre Schwägerin und konnte eS sich nicht versagen, ihr zuzuflüstern:' „Ich kann es wohl be greifen, daß ein gewisser Herr so gar entzückt von dem echt weiblichen Wesen meiner kleinen Schwägerin ist." Neberrascht sab Maria-Margarethe auf. „Von mir entzückt!?" fragte sie mit einem so echten Ton ungläubigen Erstaunens, daß Jakoba ihr ganzes großmüthigeS Herz aufgehen fühlte. „Ja, ja. Aber mehr darf ich nicht sagen. Ich weiß noch mehr." „O — Jakoba — Du spottest!" „Nein, nein. Du darfst stolz sein. Der ist nicht so leicht entzückt." „Ach, jetzt weiß ich, wen Du meinst!" sagte Maria- Maraarethe erröthend. „Als wenn Du es nickt gleich gewußt hättest!" „Nein, da mußt Du Dich aber irren." „Jrrthum ganz ausgeschlossen." Maria-Margarethe machte sich ganz verlegen mit dem Kaffeegeschirr zu lbun und Jakoba sah, wie wohl sie dem armen Herzen gethan hatte. Der Oberst stand während dessen am Fenster nnd be trachtete mit Interesse die umliegenden Küchenfenstcr. „Nun — dann kann ich ja wieder an meine Schreiberei gehen", sagte er jetzt vergnügt, „in Wahrheit hatte ich nämlich nur die Absicht, Dich bei Gelegenheit des Spazier ganges in eine Conditorei zu führen. Da ist mir nun Maria-Margaretbe zuvoraekommen. Gefällt mir sehr." „Hole Dir doch auch eine Taffe", bat Jakoba ihre Schwägerin. „Ach nein, danke. ES reicht nur für Dich. Und ich trinke den Kaffee auch lieber mit Natron. Sie eilte hinaus, denn sie hatte noch einen Marktgang zu macken, wie sie sagte, um da» schlechte MittagSeflen wieder einzubringen. „Ich wollte Dir übrigen« eine Frage vorlegen oder einen Vorschlag machen, Töchterchen", hob der Oberst von Neuem an. „Du wirst daS nicht mißverstehen und nicht etwa denken, daß ich Dich verbannen will in dies etwas merkwürdige Gartenzimmer — ich denke aber nur. Du genirst Dich viel leicht, da einen directen Wunsch auszusprechen. Möchtest Du nicht lieber Deinen Schreibtisch hierher haben? Arbeiten kann man überall, wo es nur ruhig und ungestört ist." Jakoba athmete erleichtert auf. Innig froh nahm sie den Vorfchlag an. Als Helmut!» anr Abend nach Hause kam, fand er zu seiner innigen Freude seine Frau fleißig schreibend in ihrem Zimmer, wo der Schreibtisch vor den Fenstern stand. Der Apoll auf einer Console, die der Vater aus seinem Zimmer gegeben batte, prangte in weißleuchtender Schönbeit darüber. Rosiges Licht lag im Gemach, die Abenddunkelheit verbarg den häßlichen Anblick des Hofes, und Jakoba sah schön und froh aus in ihrem hellseidenen Kleide mit ihren heiß- gcschriebenen Wangen. Die drohende Wolke von Unfrieden und Groll im engsten Familienkreise schien verscheucht. 20. Helmuth lag auf dem Svpha im Gartenammer. Ein Kissen unter dem Kopf, eine Decke über den Füßen. ES war an einem Sonntag Nachmittag. Also konnte er zu Hause sein. Draußen lagerte eine drückende Hitze uud hier im ge schlossenen Raum war so dnmpfe, schwere Luft, daß Helmuth immer wieder mit dem Taschentuch über seine feucht werdende Stirn fahren mußte. Es war Anfang Juli. Biele Tage batte die Sonne in kaum je dagewesener Gluth gebrannt und Alles ausgedörrt. Kaum, daß da» Wasser aus den Spritzwagen das Pflaster der Straßen berührte, war eS auch schon wieder verdampft. Alles schmachtete nach Regen, nach Erlösung von dieser glühenden Pein. Jakoba saß in einem Sessel, ihrem Gatten gegenüber. Ihr Auge lag in geheimer Sorae auf ihm. Er war blaß und wurde täglich magerer, die Schatten unter seinen Augen täglich tiefer. Matt und müde lag er, wenn er zu Hause war, auf dem Svpha oder den Sesseln herum, aß wenig und war unlustia zu allen Andern. „Geliebter Helmutb — Dir muß doch irgend etwas fehlen! Sage doch nicht immer nein! Du magerst doch zusrbend» ab! DaS thut man doch nicht, wenn man gesund ist!" „Aber ich versichere Dir, daß ich über nichts Besonderes zu klagen habe. Vielleicht ists die ungewohnte Lebensweise, die etwas anstrengende Arbeit, die mich müde macht." „Daran müßtest Du nun aber doch gewölmt sein, Lieb. Du bist doch nun zwei Monate auf der Expedition." „Es louiint eben jetzt erst nach. Die Länge trägt viel leicht die Last." „Die Arbeit ist doch wohl sehr wenig anregend, sehr monoton?" „Nun, wie so Rechenarbeiten im Allgemeinen sind. Spaß machen sie selten." „Kannst Du den» nicht auf einige Tage Urlaub nebmcn und Dich auSruben? Ich ängstige mich um Dich! Du siebst zu elend aus!" „Wo denkst Du hin? Urlaub! Nachdem ich eben acht Tage zur Hochzeitsreise gehabt habe! Ich kann in meiner jetzigen Stellung überhaupt nickt Urlaub nehmen, ich bin un entbehrlich." „Und wenn Du nun krank wirst!?" „Da sei Gott vor!" sagte Helmuth ernst. „Bedenke, daß ich, wenn ich auSbalte und meine Leistungen befriedigend sind, im Januar eine Gehaltserhöhung zu erwarten habe, welche uns die Möglichkeit bietet, ein eigenes bescheidenes Heim zu gründen, nachdem Du allerdings die erste große BaarauSgabe bestritten hast Gott Lob, daß Du jetzt wenigstens mit dem letzten Honorar die rückständige Miethe und die anderen Schulden bezahlt hast." „Und unS doch noch ein Rest in der Hand geblieben ist. Ja, daS war eine große Erleichterung. Ich wollte nur, daß ich mit der jetzigen Arbeit erst fertig wäre!" „Befriedigt sic Dich?" „Nickt sebr. Ich habe noch nie so schwer, so unlustig gearbeitet, wie jetzt." „ArmeS Herz! Kann mirs deute». Aber ich hoffe sehr, daß wir doch davon eine Summe in die Hand bekommen, um endlich einmal nach Hause geben zu können!" „Ach Helmutb, nach Hause! Das bat noch gute Weile. Ich bin nock nickt zur Hälfte fertig Es gebt so furchtbar langsam dies Mal." „Und Du meinst, daß Schmidt den Roman nimmt?" „Ick glaube wobl" .... Ein jäher Donnerschlag ließ sie verstummen. DaS Gewitter, das schon Tage lang am Himmel umdergezogen, war plötzlich herangeschlichen. Jakoba stand aus und öffnete da» Fenster, schloß e» aber
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