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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951111029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
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Im Vor grund Frankreich; mit der Linken daS Auge beschattend, glaubt es noch nicht recht an die Nähe der Gefahr; Deutschland hingegen mit Schild und Schwert gemaffnet, folgt aufmerksamen Auges dem Anwachsen des Unheils. Rußland, ein schönes, reichlockiges Weib, legt traulich seinen Arm auf die Schulter der wehrhaften Gefährtin. Neben dieser Gruppe steht entschlossen Oesterreich; es streckt seine Rechte auffordernd aus, nm daS noch etwas zögernde England für die gemeinsame Arbeit z» gewinnen. Italien sieht zwischen Beiden und schaut gleich Deutschland erregt auf das drohende Unheil. Den Schluß dieses ZugeS edler Frauengestalten bilden zwei junge lockige Mädchen; sie versinnbildlichen die kleineren Culturstaaten, auch sie tragen Sperre in der Hand. Vor dieser wehrhaften, vielgestaltigen Gruppe steht der ungepanzerte, ge- flügelte Erzengel Michael; seine Rechte hält das flammende Schwert. Sein Antlitz ist der Frauenschaar zugewandt; seine Züge spiegeln ernste Energie wider und seine ausgestreckte Linke, welche auf das nahende Furchtbare hinweist, unterstützt noch die Aufforderung, zum heiligen Kampfe bereit zu sein. Zu Fußen des Felsplateaus dehnt sich die weite Ebene des europäischen Kulturlandes, ein majestätischer Strom durchranscht cs, Bergzüge begrenzen den Horizont, und in der Niederung werden Städte sicht- bar, aus denen Kirchen der verschiedenen Bekenntnisse ansragen; im Borgrund erscheint die Burg Hohenzollern. lieber diese friedvollen Gaue aber ballen sich die Wolken des Unheils zusammen; dunkles, qualmendes Gewölk verfinstert den Himmel. Der Weg, den die sich heranwälzenden asiatischen Horden nehmen, wird von dem Flammenmeer einer brennenden Stadt bezeichnet. Massige, zu höllischen Fratzen verzerrte Rauchwolken entsteigen dein zerstörenden Brande. Die drohende Gesahr, in Gestalt des Buddha, thront in diesem düsteren Rahmen; ein chinesischer Drache, der den Dämon der Vernichtung gleichsam verkörpert, trägt dies Götzenbild In unheimlichem Vordringen nähern sich die finsteren Gewalten den Ufern des schützenden Stroincs; nur wenige Zeit noch und er ist keine Grenze mehr. Unter den zeichnerischen Entwurf, den Prof Hermann Knackfuß in Eafsel zu einem wirkungsvollen Bilde auS- gestaltete und Prof. Noese, der Leiter der chalkographischen Abteilung der Reichsdruckerei, durch heliographische Nach bildung vervielfältigte, schrieb der Kaiser mit eigener Hand: „Böller Europas, wahret eure heiligsten Güter. Wilhelm I. k." lieber den Zweck, den der Kaiser mit diesem Bilde verfolgte, bemerkt die „Nordd. Allg. Ztg": „Es ist nicht das erste Mal, daß Deutschlands Kaiser zu Zeichenstift und Pinsel greift, um mit den Gebilden seiner künstlerischen Thätigkeit irgend eine Noth zu lindern, eine Wohl- thätigkeitssache zu unterstützen. Schon alS er noch Prinz Wilhelm war, stiftete er selbstgeschaffene künstlerische Beiträge für Armen- bazare, und noch vor wenigen Monaten, als es galt, dem Unglück zu steuern, welches ein Theil des italienische» Volkes durch zer störende Naturereignisse erlitte», bildete des Kaisers große Tusch zeichnung „Torpedoboote im Kampfe" den Hauptgewinn der dafür veranstalteten ausgiebigen Tombola. Heute jedoch stehen wir einer künst- lerischenThatdeSHerrschers gegenüber, welchedie vorangcgangenen durch ihren geistigen Inhalt, durch den ihr zu Grunde liegenden tiefernsten Ge danken weit überragt. Auch dies Mal war einzig und allein der Wunsch, dem Unheil zu steuern, vor kommender Ge fahr zu warnen, die Triebfeder von des Kaisers Schassen. Es drängte ihn, den Culturvölker» Europas eine Mahnung zu- zurufen, die so klar und eindringlich sei, daß sie auch dem flüchtigsten Beschauer, dem schlichtesten Beobachter verständlich wäre Die ganze Darstellung ruft eindringlich dem Beschauer zu, daß es Pflicht jedes einzelnen denkenden Menschen ist, solche entsetzliche, FsrtlHetsir. Der Kampf ums Dasein. Roman von A. von Gersdorff. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Schade, daß Sie fortgehen", meinte Jakoba bedauernd. „Ich hätte Ihnen gern eine Arbeit angeboren." „Können Sie ja. Ich bleibe noch ein Quartal. Ist wohl die Abschrift vom alten Rawelski? Er hat mir davon erzählt." „Von meinem Roman? Der alte Abschreiber?" fragte Jakoba erstaunt. „Ja. Seine Kritik meinte, die Sache wäre ganz gut, nur mit der Rechtswissenschaft schienen Sie auf gespannten, Fuße zu stehen." Zn diesem Augenblick schlug eS 11 Uhr, und Jakoba erhob sich rasch. Sie hatte Helmnth versprochen, ibren Heimweg nicht früher anzutreten. Sie bat Schmidt um seine Begleitung, und Bergmann fragte, ebenfalls aufstebend, ob er sich ansckließen dürfe. Der Weg durch den einsam stillen Tbiergarten sei doch behaglicher mit zwei Herren, als mit einem zu machen in so später Stunde. Sie lächelte Bergmann dankbar zu, denn sie fühlte, daß sein feiner Takt an Helmuth dachte. Ehe sie ging, bat sie noch Frau Bierke um die Erlaub- niß, ihr am andern Tage zu einer bestimmten Stunde Jemand vorstellen zu dürfen, der ihr sehr nabe stände. Es wurde mit dem wärmsten Blick und Lächeln gewährt. Als Jakoba mit ihren Begleitern auf die Straße trat, sah sie plötzlich suchend um sich. ES wurde ibr jetzt klar, daß sie eigentlich gemeint batte, ihr Verlobter müsse hier sein, sie erwarten, sie selbst heim begleiten. Statt dessen überließ er sie wirklich den Anderen. Sie bätte das kaum gedacht. Aber, wer weiß, waS ibn aufhielt. Man konnte daS nickt beurtheilen, er hatte Verpflichtungen so mancherlei Art, hatte seine Familie. Plötzlich legte Bergmann leicht seine Hand auf Jakoba's Arm, al« wolle er sie zurückhaltrn. „Wir wollen hier ab alle Religion, Kultur, Gesittung und Wohlfahrt bedrohende Gesahr mit den zu Gebote stehenden Waffen aufs Energischste zu bekämpfen. Nur aus diese Weise kann der äußere »nv innere Friede erhalten bleiben! Das Bild strebt ein hohes Ziel an." Die „Nordd. Allgem. Ztg." veröffentlicht das Vorstehende nicht im politischen Theile, sondern im Feuilleton und scheint dadurch andeuten zu wollen, daß das Werk des Kaisers nicht sowohl als politische, als vielmehr als künstlerische Thal aufgefaßt sein wolle. Die ausländische Presse wird sich jedoch schwerlich damit begnügen, den künstlerischen Maßstab an daS Werk anzulegen; besonders dürfte die französische de» russischen Arm, der sich traulich aus die Schulter Deutsch lands legt, mebr vom politischen als vom künstlerischen Slandpuncie aus betrachten. Dadurch wird wahrscheinlich auch die „Nordd. Allgem. Ztg." geuöthigt werden, das durch das kaiserliche Werk angeregte Thema im politischen Theile weiter zu verfolgen. Dann wird man Wohl auch Näheres über den politischen Zweck des Werkes und darüber erfahren, in welcher Weise und mit welchem Erfolge die deutsche Diplomatie diesen hohen Zweck zu fördern sucht. Die in Berlin erscheinende „Tstasiatischo Eorrespon- denz" bringt von „völlig eingeweihter, ebenso deutsch- wie chinesensreundlicker Seile" eine Betrachtung der Ver hältnisse in Ostasien. Sie sagt, ein geheimer Vertrag zwischen Rußland und Ebina bestehe nicht, die Bahn von Wladiwostok durch die Mandschurei werde nicht Rußland, sondern China bauen, und fährt dann fort: „Was nun Port Arthur betrifft, so ist ja das Ankern russi scher — aber auch anderer — Kriegsschiffe in diesem eisfreie» Hafen nicht ausgeschlossen. Aber von einer Abtretung kann nicht die Rede sein! Deutschland ist im Verfolg der richtigen Politik in der Liaotong-Frage. Es handelt sich dabei um das Gleichgewicht nicht nur in Ostasien, sondern — um es so anszudrücken — um ein Weltgleichgewicht der Welt mächte. Run werden für Deutschland aus seiner Betheiligung an dieser Weltmachtfrage allerdings Kosten erwachsen. Aber man kann nicht Weltmacht sei», ohne eine bedeu tende Flotte zu haben. Deutschland ist mit dem Fort schritt der Welt und mit seinem eigenen Fortschritt in Handel und Machtstellung eben dem ersten deutschen Flottengründungsplan ent wachsen, — wie der erwachsene junge Mann seinen Consirmanden- Anzug nicht mehr tragen kann; er ist zu eng. Nun ist es aber ein ganz hervorragendes Interesse Deutschlands, in Ostasien eine starke Flotte zu habe», um dazu dcizutragen, den ulLtu» giw, wie er jetzt besteht — also auch Port Arthur nicht als russisches, sondern als chinesisches Territorium — ausrecht zu erhalen. Es wird dazu sogar eventuell von China eine Insel als Flotten-Station verlangen müssen. . . China würde sich wohl dagegen sträuben; aber jeder aufrichtige Freund Chinas und ebenso Deutschlands wird dies nur als das Beste sür beide Reiche zugleich erachten können." Dem gegenüber möchten wir Folgendes bemerken: Aller dings haben wir ein ganz hervorragendes Interesse daran, in Ostasie» eine starke Flotte zu haben und hoffentlich kommen wir bald in den Besitz der verfügbaren Schiffe, aber wir streben eine Verstärkung unserer Position im äußersten Osten lediglich dazu an, um unsere merkantilen Interessen zu schützen, nicht aber, um in den Streit Japans und Rußlands um Port Arthur uns einznmischen und das Streitobjekt China zu erhalten, eine Einmischung, die uns mit beiven Rivalen in unnöthige Feindschaft bringen würde. Wir brauchen allerdings eine Kohlenstation an der chinesischen Küste, oder eine Insel als Flottenstation, aber wieder nur zu jenem, nicht zu diesem Zweck. Selbst wenn unS eine Insel von Ebina angeboten würde, würden wir sie nicht annehmen, wenn sie uns nur zu dem Zwecke abgetreten würde, um sie als Operationsbasis gegen Rußland zu bc nutzen. Wir halten es für durchaus nicht überflüssig, dies offen zu erklären, um so mehr, als die Ausführung der biegen und zur Straße zurück. Dort ist etwas passirt. Hören Sie die Stimmen? — Streit!" „Wahrscheinlich Betrunkene", meinte Jakoba, und sie bogen in einen anderen Pfad. Als der Doctor von ihr Abschied nahm vor ihrer Haus- tbür, sagte er etwas so Sonderbares und hatte einen so seherischen Blick, daß sie sich beinahe unheimlich berührt fühlte. „Wenn Sie jemals in Noth oder Angst sind, und Sie brauchen einen ehrlichen Freund, den nichts vertreiben kann, was cs auch sei, dann kommen Sie jeder Zeit zu mir." Fest drückte er ihre Hand: „Der Ihre, Jakoba in Noth und Tod." Und die ganze Nacht konnte sie die letzten Worte, die aus dem Dunkel an ihr Ohr geklungen waren, die letzte» Worte am Schluß dieses glücklichen TageS nicht aus ihren Gedanken und Träumen ringen. Sonderbar, von überall her schien es bestätigend zu flüstern wieder und wieder, verklingend und wieder aufwachend, dicht, dicht an ihrem Herzen und aus weiter Ferne: „In Noth und Tod!" 7. Oberst von Andor ging sinnend mit den Händen auf dem Rücken im Zimmer hin und her. Ab und zu warf er einen Blick nach dem Schreibtisch. Kahl und öde sah cS kort aus. Man sah, da war lange kein Bogen umgewendet, keine Feder gerührt. Ja, eS war so. Die Arbeit mit ihrem ganze» Gefolge von Interessen, Befriedigung, Hoffnung hatte ihm wieder den Rücken gekehrt. Herr von Braun war znrückgekommen a»S dem Eurort und batte wider Erwarten gekräfligt sein Amt in vollem Umfange wirrer angetreten. Oberst Andor hatte nun Zeit. Zeit, wie damals, als er den Säbel abgelegt. Die Stunden schlicken wieder so langsam, die sonst so geflogen waren bei der Thätigkeit, die er um ihrer selbst willen geliebt. Vorbei, vorbei! Etwas Neues finden? Wo? Durch wen? Er — ein Greis, ein alter Ofsicier, ein Edelmann! WaS überhaupt war für ibn noch zu wollen aus dem großen Arbeitsmarkt, wo so Viele standen und sich wie ihre Leistungen feilboten, so viel Berufenere, junge Männer und Frauen, in bester Kraft — und die auch da standen, nnbegebrt wie er, Tag auS, Tag ein, denen er nur den Platz wegnahm! Sein Blick fiel auf ein kleines Gedicht dort auf dem Tisch, daS er gestern von seinem Wandkalender gerissen und das ihn seltsam getroffen hatte: „Lstasiatischen Eorrespondenz" daraus hinauSzugehen scheint, die dcnlschcn Wünsche auf ein chinesisches Acguivalent sür die guten Dienste unserer Diplomatie Rußland verdächtig zu mache» und so um die Erfüllung derselben herumzukommen. Die Perfivie ist aber zu durchsichtig, als daß sie großen Schade» anrichten könnte, und wir vertrauen, daß unsere Reichsregiernng min erst recht daraus dringt, für bereits ge leistete Gefälligkeiten schadlos gehalten zu werde». Davon wird cs abbängen, ob wir zu neuen Diensten bereit sind, für die dann neue Forderungen zu stellen wären Nur werden diese neuen Dienste sich nicht in der Richtung der oben ausgesprochenen chinesischen Wünsche bewege». Die Ablösung des französischen Eabinets Nibot durch daS radikale Ministerium Bourgeois ist ein Ereigniß, das begreiflicherweise in den vatikanischen Kreisen nicht mit Gleichgiltigkeit ausgenommen werde» konnte. Man giebt der Besorgniß Ausdruck, daß die neue französische Re gierung gegenüber der Geistlichkeit und den kircheiilreuen Katholiken vielleicht eine unumwunden feindselige Haltung eiiinebmcii werde, die zu scharfen Eonflictcn führen würde. Ohnehin ist der religiöse Friede i» Frankreich bereits durch das Zuwachssteuergesetz in bedenklicher Weise ge trübt worden; sollte nun unter dem radikalen Regime dieses Gesetz in rücksichtsloser und vezatorischer Weise zur Durchführung gelangen, dann kann eine scharfe Zuspitzung der zwischen Kirche und Staat in Frank reich entstandenen Differenzen kaum ausbleibe». Die Meinungsverschiedenheit, dic zwischen dem Papste und dem Earkinat-Staatssecretair Rampolla mit Bezug aus die Behandlung Frankreichs besteht, wird sich natürlich bei der weiteren Entwicklung der berührten Fragen fühlbar machen. Es heißt sogar, daß diese Differenzen sich eher verschärft, als abgcschwächt haben. Während Cardinal Rampolla an der Ansicht festbält, daß die Congrcgationen in Frankreich sich beeilen sollten, die neue Steuer zu leisten, nimmt der Papst im Gegentheil den Standpunct ein, daß die nicht autorisirten Eougregationen richtig hanteln, wenn sie dieser Steuer passiven Wider stand entgegensetzen, und daß der Vatikan in keinem Falle in der Lage sei, den Eougregationen die Unterwerfung unter die neue Steuervorschrift zur Pflicht zu machen. Ter päpst liche Staalssecretair wäre überhaupt geneigt, der franzö sischen Negierung im weitesten Maße entgegenzukommen und ihr alle Zugeständnisse zu machen, die sie ver langt; Leo XIII. ist dagegen überzengt, daß der Balican in seinen Eoneessionen an die Republik bereits die äußerste Grenze erreicht habe, und daß nunmehr der Zeit punkt gekommen sei, sich gegenüber weiteren Forderungen Frankreichs ablehnend zu verhalten. Wenn man nun er wägt, daß seitens des radikalen Eabinets, welches soeben die Zügel der Negierung ergriffen hat, Nachgiebigkeit gegenüber dem Vatikan kaum zu erwarten ist, so muß man sich wohl sagen, daß das neue Regime eine empfindliche Trübung der Beziehungen zwischen der Republik und dem heiligen Stuhle mit sich bringen kann. WaS speciell die Ernennung neuer französischer Eardinäle betrifft, so hegt man im Vatikan die Erwatnng, daß das Cabinet Bourgeois das Ergebniß der zwischen dem früheren Ministerium und dem Vaticali gepflogenen Verhandlungen ratifioire» werde. Bekanntlich werde» zwei sranzösische Kirchenfürste» im bevor stehenden päpstlichen Coiisistorillin den Purpur erhalte», nämlich der Bischof von Autu», Monsignore Perraud, unv der Erz bischof von Boerges, Monsignore Boy er. Die französische Regierung hatte zwar darauf gedrungen, daß noch ein dritter französischer Cardinal ernannt werde, der als Cardinal der Curie seinen Sitz in Rom haben sollte, rer Papst verweigerte jedoch dieses Zugeständniß, obgleich der Cardmal-Staats- ecretair sich für dasselbe nachdrücklich eingesetzt hatte. Mit Spannung batte man die Rede erwartet, welche Lord Salisbury über die Lage in Ostasien und im Trient ans dem vorgestrigen Lord Mayor-Bankett gehalten hat. Diejenigen waren gut unterrichtet, welche behaupteten, die Ausführungen des englischen Premiers würden die in der Türkei durch die armciiischen Wirren geschaffene Lage als nicht gefahrdrohend erscheinen lassen. Nach einigen Be inerknngen über die Concnrrenz Englands und anderer Mächte, namentlich Rußlands im fernen Osten, in denen Salisbury zwar auf der einen Seite mit stolzer Geste ans die Bereitschaft Englands zu jedem Waffengang binwies, auf der andern Seile aber hiiizuzufügen für rathsam hielt, in Asien sei Raum für Alle, fuhr er fort: „Es giebt einen Welltheil, wo die Tinge nicht so friedlich und hoffnungsvoll ausjehen. Armenien hat die Gemüther Aller seit Monaten beschäftigt." Unter Hinweis auf die im Mai dem Sultan gcniachten Reforinvorschläge der drei Mächte hob Salisbury hervor, die Unterhandlungen seien mit großem Geschick von den Botschaftern geführt, und man schulde dem Botschafter Currie großen Tank für die Umsicht und die Arbeit, welche wenigstens zeitweilig einen friedlichen Ausgang herbcizusühren vermochten. Tie im Mai gemachten Vorschläge seien im Wesent lichen von dem Sultan angenommen worden. Er, Salisbury, habe zu diesen Vorschlägen »ichls hinzugefügt, er habe nur in einer Unterredung als Ersatz sür die Forderungen der drei Botschafter ein einfacheres Mittel, zu demselben Ziele zu gelangen, angeboten, falls cs vorgezogen werden sollte, daß die jetzige in ohaine da - nische Maschienerie sortlaufe und von einer gemischten Commission überwacht werde. Der Sultan habe die Forderungen der Botschafter vorgezogen, somit sei sein (Salisbnry's) Vorschlag selbstredend hinsällig geworden. Wenn die Reformen a»s- gesührt würden, so würden sie den Armeniern alle Aussicht aus Wohl- fahrt, Friede» und Ruhe geben. „Aber werden sie ausgeführt werden?" Wenn man den Sultan überreden könne, de» Armeniern Gerechtigkeit zu gewähren, jo sei cs gleichgillig, auf welchem Papiere daS Versprechen geschrieben sei, aber wen» der Sultan keine Gerechtigkeit gebe und sich nicht herzhaft entschließe, sie zu geben, so würde die sorgfältigste Verfassung nutzlos sein. „Co lange das Ottomanische Reich besteht, ist die einzige Möglichkeit unserer Action und der Action aller Mächte Europas zusammen dic Einwirkung, welche sie auf das Gemüth des Sultans ausübcn könne». Wenn aber der Sultan nicht überredet wird, — und die Nachrichten ans Kon- slantinopel sind in dieser Beziehung nicht erfreulich, — was wird die Folge sei»? Meine erste Antwort ist, daß trotz aller Ver träge und trotz aller Coinbinationen auswärtiger Mächte beharr- liche Mißverwaltung die Regierung, welche sie übt, ihrem Schicksal zu führt. Aber es ist nicht allein die nothwendige Wirkung natürlicher Gesetze, von der ich spreche, es giebt auch diejenige der Autorität der Großmächte. Seit einem halben Jahrhundert hat die Türkei ihre jetzige Stellung nur inne gehabt, weil die Groß mächte beschlossen hatten, daß im Interesse des Friedens und des Christenthums die Aufrechterhaltung der Türkei nothwendig sei, und ich glaube nicht, daß die Großmächte jetzt anderer Ansicht geworden sind. Die Gefahr, falls das otto- manische Reich fällt, ist nicht nur die Gefahr, welche die türkischen Gebiete bedroht, sondern auch diejenige, daß sich daS dort entzündete Feuer auch auf andere Nationen aus- dehnt und alle, selbst die mächtigsten und civilisirtesten Europas, in den gefährlichen Kampf mit hineinziehen „Hier soll ich also dauernd bleiben, Hier ist mir Haus und Hof bestellt — Mich aber plötzlich überfällt Ein Bangen, nimmer zu beschreiben. Hier ist mein Hof, hier ist mein Haus Und auch mein Grab — hier harrt die Erde Bereit, daß ich verschüttet werde! Mir ist, als wär' mein Hoffen aus! Mir ist, als ob der Tod sich setze Zu mir, in eine stille Ecke, Wie Spinne» an der Zimmerdecke Zu weben mich in seine Netze! — Und seine arme Tochter! Wie traurig war sie gescheitort mit ihrem Versuch, Arbeit zu bekommen. In dem Lade», in welchem sie schon mit bangendem Herzen, in Angst vor Helmuth'S Entrüstung, mit aller Onal der Heimlichkeiten ihre Arbeit hatte anbieten lassen, war diese gar keines Blickes gewürdigt worden. „Packen Sie nur gar nicht auS, liebe Frau", batte die Besitzerin zu der alte» Wäscherin gesagt, die von Maria- Margarethe beauftragt war, „wir können nichts, gar nichts gebrauchen. Wir sind reineweg überschwemmt mit Angeboten auf unser Inserat. Vornehme Tamen und alte Spittelsranen, die balbe Stadt lief unS den Laden ein. Wir hatten bloß das Aussuchen." Dann halte Maria-Margarethe weiter berumaeschickl und andere», immer anderen Läden anbieten lassen. Zwei Mark hatte man ihr schließlich geboten, halb wie ein Almosen! Zwei Mark! Für eine Arbeit, die ihr zwölf beinahe gekostet hatte. Nun lag sie da, die schöne, mühsame Stickerei — eine entmuthigende Mahnung an vergebliches Hoffen, vergebliches Streben, vergebliches Leben. Wie bitter hatte das arme Kind geweint, als sie das Kissen auSgepackt und dort bingelcgt batte. Und er batte keinen Trost, keinen Rath gefunden, wie er gehofft, wie er an jenem Abende versprochen hatte. Eine Uebersctzung inö Englische hatte er ihr besorgen wollen, aber der Versuch war so holperig ausgefallen, daß der Redakteur, dem er ibn vorgelegt, ackselznckeno den kleine» Auftrag zurückgezogen hatte. Nun saß sie drüben am Fenster, gedrückter als je, die Hände im Schooß, und sah grübelnd hinaus auf dir Straße. Helmuth hatte sich auch feit einigen Tagen nicht sehen lassen. Cr hätte jetzt hier viel Gutes stiften können, Zureden, aufheitern, vielleicht die Schwester mit hinausnehmen. Lieber Golt, er wollte den Kindern ja gern geben, jetzt schon geben, was er zur WeihnachtSgabe zurückgelegt hatte. Jetzt war es dem armen Mädel viel nöthiger, sich zu zerstreuen und anf- zuheitern, als zu Weihnachten, wo es vielleicht ohnebin schon mehr überwunden war. Trübe und nachdenklich trat der Oberst ans Fenster, das aus den Hof hinauSfübrte. Die Regentropfen hingen an den Fensterrahmen und stoffen sinkend an den Scheiben nieder. Das Stückchen Himmel da zwischen den Dächern war grau bezogen. Draußen war es Wohl noch Heller Tag. Hier herrschte graue, farblose Dämmerung. „Nun — wer kommt denn da? Wird Wohl Helmuth sein? Aber nein, daS war ja eine fremde Stimme. Die Thürglocke war gezogen worden. Er hörte seiner Tochter laute, erstaunte Frage: „Helmutb, was ist denn? Ist etwas passirt? Warum bist Du denn in Civil? — Gott im Himmel, Helmuth — ein Unglück! ein Unglück!" schrie sie laut auf. Nasch stieß der Oberst die Tbür auf. Ta stand Helmuth und wehrte die Schwester ab, die ilm umklammern wollte. — Helmutb in Civil! Ein verstörtes, sahleS Gesicht, mit liefen, unheimlichen Falten auf der Stirn Der Oberst winkte ihm gebieterisch. „Komm herein, mein Sohn. Du willst mit mir sprechen". „Ja, mein Vater." Wie fremd das klang. „Laß ihn gehen — Maria-Margarethe. Spar Deine Thränen bis nachher." Helmuth trat ein und der Oberst schloß die Thür ab hinter ihm. Mit einem Aechzen, wie ein verwundetes Thier — lehnte sich der junge Mann gegen die Wand und bedeckte das Gesicht. Der Oberst sprach kein Wort. Er ging wieder an das Fenster und sah in den trüben, grauen Tag. Er konnte sein Kind, seinen Sohn, nickt anschen. Er krampfte die Hände ineinander und sagte heiser: Herr, bleibe bei mir! „Mein Vater, mein armer Vater!" „Hier bin ich, mein Kind. Sprich Dich a»S!" „Ich schwöre Dir» daß meine Ehre unberührt, daß nur Unglück" — schluchzte er auf. „Ich weiß, mein Sohn. Ich habe keinen Augenblick gt«
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