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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951119025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111902
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-19
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Die Regierung beabsichtigt demnach nicht, die bisber fast ausschließlich von Innung- Handwerkern und von diesen nicht übereinstimmend begut achteten Berlepsch'schen Vorschläge oder eine andere Verfassung dem Handwerk von der Gesetzgebung octrvyiren, sondern die Meinung der Gesammtheit der Handwerker in staatlich geordneten Vertretungen zum Ausdruck kommen zu lassen. Es wäre Wohl zweckdienlicher gewesen, eine derartige An hörung des Handwerks der Veröffentlichung irgend welcher OrganisationSvorschläge vorangehen zu lassen, aber die Bekanntgabe der Berlepsch'schcn Vorschläge bedeutet kein Engagement für die Bundesregierungen und den Reichskanzler. Sie sind von einem Minister eines einzigen Bundesstaates der Oeffentlichkeit unterbreitet worden und auch dieser Beamte hat cö wiederholt abgelehnt, sich mit seinen Vorschlägen zu ideutificiren. Es ist deshalb durchaus unbegründet, wenn ein IunuugSausschnß in der an den Bundeöralb gegangenen Vorlage einen „Rückschritt" gegenüber den Berlepsch'schcn Vorschlägen erblickt. Ein solcher ist e« wenigstens für die jenigen nickt, die den Satz, daS ganze deutsche Handwerk lechze nach ZwanaSinnung und Befähigungsnachweis, nicht L priori gellen lassen wollten. Die Unruhe, die sich der Führer der „züuftlerischeu" Handwerkerbewegung seit der gesetzgeberischen Inangriffnahme des Entwurfs des Reichs- amtS des Innern bemächtigt hat, bekundet eine starke Be- sorgniß vor dem Versuche, die Giltigkeit jenes Satzes dar- zuttmn, und ist darum ein Beweis für die Nothwendigkeit, den Handwerkern Gelegenheit zur Bezeichnung ihrer Wünsche zu geben. Daß man» wenn der Wille der Gesammt heit i» Erfahrung gebracht werden soll, sich nicht auf die Anhörung von Vertretern einer Partei, deren Forderungen ohnehin bekannt sind, beschränkt, ist etwas so Selbstverständliches, daß es geradezu ungeheuerlich genannt werden muß, wenn an dem Regierungsentwurf bemängelt wird, daß er auch außerhalb der Innungen stehenden Handwerkern — soviel bekannt, nur solchen, die Gesellen oder Lehrlinge beschäftigen — das Wahlrecht zur Hanvwerkerkammer zuschreibt. Die bereits aufgetauchte An deutung, der Entwurf sichere den „Pfuschern" die Mehr heit i» den Kammern, bat die Annahme zur Voraus setzung, die Nichtinnuugsmitglieder im Handwerk seien zum Unterschied von den Inuungsmitgliedern gewerblich untüchtig. Das Publicum, daS für Fehlgriffe bei der Auswahl von Handwerkern an seinem Geldbeutel bestraft wird, thrilt diese für die Mehrheit der Kleingewerbetreibenden beleidigende Ansicht bekanntlich nicht. Die „Kreuzzeitung" hält allerdings die Privilegierung der Innungsbandwerker für gerechtfertigt. Sie sagt: „Wenn man die Wahlen zu den Handwerkerkam mern auf einen so breiten Boden stellt, als eS die Absicht des Ministers v. Bötticher dem Anscheine nach ist, so kann eS leicht kommen, daß die neue Organisation den Wünschen derjenigen Theile der Kleinzewerbtreibenden, welche seit einem Viertel jahrhundert deren treibende Kraft darstellen und deshalb edenfall« ein Anrecht auf besondere Berück- ichtigung besitzen, keineswegs entspricht, vielmehr denen äußerlich Recht giebt, die sich stet« darauf berufen, daß die „Masse der Handwerker" von dem InnungSzwange und Befähigungsnachweis nicht« wissen wolle u. s. w." Die Betheillgung als „treibende Kraft", die nach der „Kreuz zeitung" besondere Ansprüche sichern soll, ist keineswegs, wie das Blatt vielleicht geglaubt wissen will, auf gewerblichem Gebiete und auf eine den Handwerkerstand ökonomisch fördernde Weise erfolgt, im Gegentheil hat sich die auf den Befähigungsnachweis und die ZwailgSiiinnng hindrängende Bewegung dem Ergreifen von HilfSmaßrcgeln hinderlich gezeigt. Man denke nur an die Feindseligkeit, der in den Kreisen des Handwerkerbundes der Gedanke der genossen schaftlichen Vereinigung begegnet ist und die noch im Jahre 1892 auf einem Innungs- und Handwerkertag einen geradezu grimmigen Ausdruck gefunden bat. Jene Kraft ist eine rein agitatorische. Und die Rechtsanschauung, daß fortgesetzte politische Agitation der Minderheit den Anspruch erwerbe, der Mehrheit ihren Wille» aufzudrängen, möchten wir schon im Hinblick auf die gleichfalls seit einem Viertel- jahrhuudert „treibende Kraft" der socialdemokratischen Agi tatoren die Anerkennung versagt scheu. Die sog. Umsturzvorlage ist „s. Z." besonders von „freisinniger" Seite mit der Behauptung bekämpft worden, die bestehenden Gesetze seien vollkommen ausreichend zur wirksamen Bekämpfung »er Umsturzlirwegnng; eö komme nur darauf an, diese Gesetze energisch und conscquent zur Anwendung zu bringen. Seitdem aber die Staatsanwälte energisch und consequent Vorgehen und die Gerichte ihnen in der energischen und conseguenten Anwendung der bestehenden Gesetze folgen, klagt gerade die „freisinnige" Presse über Bedrohung und Beschränkung der freien Meinungs äußerung und bemäkelt sogar Urtheile, deren Begründung noch gar nicht genau bekannt ist. Das tritt namentlich gegenüber der Verurtheilung des Abg. Liebknecht in Breslau wegen Majestätsbeleiviguiig zu Tage. Dem „Vor wärt«" zufolge heißt es in den Entscheidungsgründen, die Acußerungcn Liebkneckt's seien zwar an sich nicht beleidigend, aber der Redner hätte wissen müssen, daß es unter seinen Zuhörern Leute gäbe, die seine Worte als eine Belei digung des Kaisers hätten mißverstehen müssen, deshalb sei tr strafbar. Gegen diese angebliche Begründung wird nun von der fortschrittlichen Presse ebenso Sturm gelaufen, wie von der socialdemokratischrn. Hierzu bemerken nun heute die „Hamb. Nachr.": „Wir sind der Ansicht, daß, selbst wenn die BreSlauer Straf- kanuner auf Grund einer solchen Auffassung zur Verurtheilung Liedknecht's gelangt wäre, es nicht Ausgabe der Presse der staats- erhaltenden Parteien sein würde, sich darüber zu entrüsten. Die Socialdemokratie ist die erklärte Todfeindin des bestehenden Staates und seiner Einrichtungen, sie „pfeift" bekanntlich auf die Gesetze, billigt u. A. den Meineid zur Irreführung der Rechtspflege principiell, wenn er im Parteiinteresse geschworen wird, und stellt sich damit außer halb der allen anderen Staatsbürgern gemejnsame» Rechtsbasis. Wen» einem Angehörigen dieser Revolutionspartei durch ein gerichtliches Er- kenntniß wirklich Unrecht geschähe, so würde cs,wie dieDiuge liegen,doch ein Beweis Loctrinairer Principienreiterei sein, wenn die staatserhaltendr Presse es als ihres Dienstes erachtete, die Sache eines Verurthcilten zu führen, der mit seiner Partei aus die Gemeinsamkeit des Rechts- bodens aller übrigen Staatsangehörigen in frivolster Weise Verzicht geleistet hat und sie offen verhöhnt. Wir würden das für Ver blendung halten, die derselbe» Quelle entspringt, wie seiner Zeit der unheilvolle Wahn, es sei im Interesse der Gerechtigkeit nöthig, die Socialdemokratie auf dem Boden des gemeinen Rechtes zu bekämpfen. Die Sache gestaltet sich dadurch »och compro- mittirender für die bürgerlichen Preßorgane, welche sich für den Socialistcn Aegen das staatliche Gericht i»S Zeug gelegt haben, daß die Breslauer Entscheidungsgründe bisher keineswegs in a uthentischer Fassung vorliegen. sondern eS offenbar ist, daß sie von socialdemokratische» Berichterstattern tendenziös bearbeitet worden sind; nach einem Referate der ..Schlesischen Ztg." lautet die betreffende Stelle der Begründung schon ganz anders, als im Bericht de« „Vorwärts". Man hat also nicht einmal den Wortlaut der Entscheidungsgründe abwartcn zu müssen geglaubt, ehe man eine Lanze für den Socialistrn einlegte! Wir fühlen uns durch diesen doctrinairen Eifer der bürger lichen Presse silr Liebknecht in dem Glauben an die Wahrscheinlich, teil einer energischen Abwehr der Socialdemokratie durch gewisse Schichten de« BiirgerthuinS doch sehr gestört und können umso- weniger auf die Ansicht verzichten, daß es gegenüber dieser nvto- rischen Schwäche aus bürgerlicher Seite nmsomehr Pflicht der Staats regierung ist, den Kampf gegen die Socialdemokratie init aller Energie ihrerseits auszunehmen und dadurch den bürgerlichen Kreisen, welche an Haltlosigkeit der Gesinnung und des Urthril« der Revolution-Partei gegenüber leiden, ei» aufmuntrrndrs Beispiel zu geben." Völlig können wir dieser Ausführung nicht beipflichten. Soll gegen die Socialdemokratie nur das gemeine Recht in Anwendung kommen, so ist es auch gegen Socialremokraten in derselben Weise anzuwenden, wie gegen Nichlsocialbemo- kraten. Und wird die Verurtheilung eines Socialdemokraten auf eine Weise begründet, deren allgemeine Anwendung zu ernsten Bedenken Veranlassung geben müßte, so ist es Pflicht der gesammten Presse, gegen eine derartige Begründung Protest zu erheben. Mindestens leichtfertig aber ist es, solche Proteste gegen ein Unheil zu richten, dessen Begründung noch gar nicht oder nur in tendenziös gefärbten Berichten vorliegt Und daö sich überdies auf Auslassungen bezieht, welche von socialtemokratischen Blättern aus Furcht vor Strafe unterdrückt wurden. Dadurch wirb der social- demokratischen Verhetzung in einer Weise Vorschub geleistet, die, wie die „Hamb. Nachr." mit vollem Rechte sagen, die StaatSregierung und ihre Organe zu um so energischerem Vorgehen zwingen. Zugleich wird die Gefahr vergrößert, daß auch einmal von Staatsanwälten und Gerichten über das Ziel hinauSgeschossen und einer jener übereifrigen Leute getroffen wird, welche die bürgerliche Gesellschaft vor Verirrungen der Rechtspflege schützen zu müssen glauben und in ihrem blinden Eifer nur den Todfeinden der bürgerlichen Gesellschaft in die Hände arbeiten. In den Parteiverhältnissen deö ungarischen Ab- geordnetcnhauses scheint sich eine gründliche Umgestaltung vollziehen zu wollen. Die liberale Kirchenpolitik war auf die gesammte Linke von einer so zersetzenden Wirkung, daß in derselben ein schlimmes FractionSunwesen eingerissen ist. Dieser Zersplitterung sind nun so ziemlich alle oppositionellen Führer nach Kräften Einhalt zu thun bestrebt. Graf Apponhi hat mit seiner Nationalpartei eine entschiedene Schwenkung nach links gemacht. Ugron, der Führer der antiliberalen (klerikalen) Achtundvierziger, hat seinerseits nicht ermangelt, auf diesesLiebäugeln Apponhi's im Parlament nachdrücklich zu reagi- ren, indem er den schlecht und recht auf dcrBasis des l867er Aus gleichs sich bewegenden Grafen ganz offen für dicBestrebungen der „U»abbängigkells"-Partei zu gewinnen versuchte. Franz Kossuth und Julius Just h hinwiederum, die Häupter der liberalen äußersten Linken, arbeiten schon seit Monaten emsig auf die Vereinigung der staatsrechtlichen Opposition hin. Die unter Führung des ebrmaligen Ministerpräsidenten Grafen Szapary zwischen rechts und links bin- und herlavirende Gruppe der Dissidenten wird von den Appouyianern gekirrt, scheint aber in ihrer Mehrheit mehr Neigung zur Rückkehr in die liberale Regierungspartei zu verspüren, von der sie sich wegen der kirchenpolitischeu Reformen trennte. Insonderheit Graf Szapary dürfte nach der Schwenkung deS Grafen Apponyi fürderhin keine Lust mehr haben, sich mit der Nationalpartei z» alliiren. ES bleibt dem Ex-Premier kaum ein anderer Weg übrig, als der nach rechts. Ei» beträchtlicher Theil seines An Hanges dürfte ihm dahin folgen, während der Rest der Dissidenten durch reactionaire Neigungen allmählich nach links gedrängt werden mag. Gelingt es trotz aller geaeulheiliger Erwartung den antiliberalen und ausgleich-feindlichen Fraktionen die Parteiverhältuisse der Linken auf gesunder, principicller Basis umzugestalten, so kann da- nur dem Parlamentarismus, dem die Opposition Tag für Tag so arg zusetzt, von Nutzen sein, der liberalen Majorität aber nicht den geringsten Schaden zufügen. Man weiß, daß die liberale Ausgleichs- Partei einiger und stärker als je tasteht, daß sie fester als jemals im Boden der Wählerschaft wurzelt, daß ihre Volks- lhümlichkeit zusehends wächst, und daß sie schließlich im Ministerpräsidenten Baron Banffy einen zielbewußten Führer besitzt, so daß sie den Rüstungen der Opposition für die be vorstehenden Wahlen mit Gleichmuth zusehen kann. Zweifellos bat das französische Ministerium Bvnr- cois einen Meistergriff gethan, indem eS den allen, schon alb verschollenen Pauamaschwindler Artou in London am Kragen faßte; denn einmal hat eö sich dadurch im Lande als das „Eabinet der ehrlichen Leute" eine unerwartete Popularität verschafft, und dann ist es ihm gelungen, die conservativ- republikanischeMcbrbeit,von der gestürzt zu werden eS jedenAugcn- blick fürchten mußte, eine Zeit lang mundtodt zu machen; denn wollte die Mehrheit die Männer beseitigen, die Arlon verhaftet haben, so käme sie in Verdacht, diesen befreien zu wollen. Tic Gegner desEabiuelS sind zuspät aufacstanden, sie wollten mit ihrer Action warten, bis die neuen Männer ihre ersten Thaleu gezeigt, eine Frist, welche diese zur Vorbereitung eines durch seine Schlauheit verblüffenden Sckachzuges auSgenutzl haben. Wie sehr die Kammer eingeschüchlert ist, geht daraus hervor, daß sie völlig den Muth verloren hat, diesem Ministerium etwas abzuschlagen. Nicht nur, daß sich für die Progressiv-Erbschaftssteuer eine unerwartete Mehrheit gefunken hat, wie die gestrige Kammerverhandlung, über die wir an anderer Stelle berichten, zeigt, hat eine Majorität dem „Reinigungsministerium" seinen Beifall bezeugt, wie sic in der Geschichte des französischen Parlamentarismus Wohl nur selten dagewesen ist. Die Opportunisten hatten für morgen eine Conferenz vereinbart, um ihre Haltung gegenüber dem Eabinet zu bestimme», nunmehr dürfte es kaum zu einer die rasche Beseitigung des Cabinets bezweckenden Interpellation über die allgemeine Politik kommen, um so weniger, als sicherlich ein nicht ge ringer Theil der Nichtradicalen im Stillen daS Vorgehen deS radikalen Eabinet- billigt, weil es, mögen auch immer hin die Motive desselben nichtethischer, sondern egoistischer Natur sein, einmal tabula ra^a mit Len letzten Resten des Panama schmutze« macht. Freilich ist es nicht unwahrscheinlich, daß der erneute Neinigungöproceß den opportunistischen Parteien wiederum schweren Abbruch lbut und eine Anzahl bisher geachteter Namen zu den politisch und moralisch Tobten wirft. Man weis; ja, wer Arten ist, und was für Geheimnisse er be wahren soll. Bekanntlich soll Arten s. Zt. etwa IliOOOOo Francs Panamagelder empfangen, zur Bestechung von 104 Parlamentariern verausgabt und über diese „Ausgaben" und die Empfänger deS Sündengeldes genau Buch geführt haben. Seiner mehrfachen Verurtheilung wegen Be- FerrNlotorr Der Kampf ums Dasein. 18j Roman von A. von GerSdorff Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) ES War Wohl nicht die Armuth und die Verkommenheit, welche ihn veranlaßt hatten, einst seine Thür vor neugierigen Blicken zu verschließe». Nein, sie sollten nicht auf die Bilder an den Wänden, auf die gekreuzten Schläger und daS alte, verblaßte rothe Cereviskäppchen, auf die Andenken an eine versunkene Zeit fallen, mit welcher der Mann, der gesellschaft lich todt war, gebrochen batte. Kein alter Haß, kein ver jährter Groll warf Schatten Uber seinen Abend. Er war nicht verbittert durch die Ungerechtigkeit des Schicksals, die kurzsichtige Unfehlbarkeit eines irdischen Richters, denn er dachte immer der Anderen, der Besseren, die mehr litten und gelitten hatten als er. In ihm war es still, seine LcbenSlampe flackerte nicht wild und ängstlich, leise, leise er starb daS Licht, und er sah gedankenvoll zu und machte sich bereit, schlafe» zu gehe». Wie schon, daß man hier dir Sterne so gut sehen kann, dachte er befriedigt. Wie muß eS erst sein, wenn man den hellgemordenen Blick unter ihnen Wandel» läßt Er wandte den Blick nach der Thür, denn ein wohl bekannter Schritt näherte sich. „Franz!" nickte er bestätigend, als dieser eintrat. „Nun? Wie gehts, alter Papa?" fragte Wächter, seine Stimme sorglich dämpfend. „Gut, ganz gut." „Na, daS ist recht." „Ja, Franz, es ist recht, ist mir sehr reckt." »Soll ich denn nicht Licht anmachen, oder wollen Sie so im Dunkeln bleiben, Papa?" Er nannte den Allen oft so: alter Papa! und RawelSki hatte daS lächelnd gerne gehört. „Es ist ganz hell hier, Franz, hell genug. Mußt Dich nur erst ein bi-cken gewöhnen; komm nur ans Fenster hierher, so, sieh, wie die Lichter angesteckt werde» in dem großen Himmel-Hause» als wenn da rin lieber Gast erwartet würde oder vielleicht ei» müder Sohn von der Wanderschaft und Lehrzeit heimkehren loll — ja, ja! Wie der Mensch dock bis zum letzten Hauch, wenn er nur mehr noch ein flatterndes Häufchen Staub ist, daS bald verfliegt, sich zum Mittelpunkt machen möchte der Erde und des Himmels. Merkst Tu'S, Franz, ich altes Kind bilde mir natürlich ein, daß der große ewige Himmel gerade auf mich wartet und mir zu Ehren alle seine Wohnungen erleuchtet." Er hatte langsam, sehr leise, in großen Absätzen ge sprochen. Franz hatte ihn nicht unterbrochen. Ehrerbietig hatte er gelauscht. Wenn auch sein Verstand den Bildern des Alten nicht nachgiug, sein Herz fühlte ihren Ernst. „Sie dürfen daS auch schon glauben, daß der Herrgott seinen Himmel gerade für Sie recht extra schön macht", sagte er, still am Fenster lehnend und den Augen deö Alten folgend. „Ich?! Wie sollt' ich daS wobl? Ich Hab' keine großen Dinge vollbracht; meine guten Tbaten sind wenige." „Was' haben Sie aber für ein schrecklich schweres Leben gehabt, alter Papa! Das muß Ihnen der liebe Gott doch vergelten!" „Hm — ich weiß nicht. Wenn man leidet, was man muß — da kann ich eigentlich kein Verdienst darin sehen." „Aber wie ruhig und geduldig haben Sie Alles gelitten, was Ihnen die Leute Böses gethan haben!" „Das kann ich aber auch nicht als Verdienst gelten lassen, lieber Franz", lächelten die blaffen Lippen. „Ruhe und Geduld sind eben köstliche Gottesgaben, und wer sie nicht erhalten hat, der ist sehr zu bedauern, sehr zu be dauern." Franz schwieg. Er wußte nicht recht darauf zu erwidern und hätte gern von dem Brief angefangen, aber der Greis kam ihm so anders vor — so crdrntrückt, als könne ihn das gar nicht interessiren, oder wüßte er kaum mehr, von was Franz eigentlich rede. Auch war'S ihm seltsam schwer, jetzt die freundlichen Augen» die so hoffend in eickc andere Welt schauten, zurückzuzwingeu ans den schmutzigen, schweren Erden- Weg, die 4.hränen und Blutstropfen irdischer Qual. So klang es unbewußt und wortlos in dem braven, mitfühlenden Herzen des jüngeren Manne-, während er den Brief unwillkürlich verlegen betrachtete und auf der Hand wiegte. Aber der Alte sah das wobl und dachte, daß eS Fraiizen's Angelegenheiten beträfe, deshalb sagte er: „WaS hast Du!" Und Franz fing an zu berichten. Er sprach so sanft, so langsam er konnte — mit vielen Pausen, als fürchte er, der Greis könne ibn Zar nicht mehr begreifen. Auch ihm selbst kam die ganze Sacke diesem abgeschlossenen Leben gegen über so seltsam unwichtig vor, daß er nur vollendete, weil er einmal begonnen hatte. „Ja, alter Papa, und so könnte Alles noch gut werden — und Alles blank und rein werden, WaS in Ibrem Leben schmutzig gemacht worden ist — von gottverlassenen Spitz buben und dummen, blinden Kerls, und die sollten schon ihre Strafe kriegen!" vollendete er mit wieder heiß werdendem Eifer. Die Hände des alten ManneS batten sich eng gefaltet, aber sein Blick war am Himmel basten geblieben. „Haben Sie mich denn verstanden?" forschte Franz zaghaft. „Ganz gut verstanden, mein Sohn! Aber für mich, sieh mal, ist eS nun ein wenig spät — und eS will mir so Vor kommen wie ein verlorenes Spiel, von dem man eine Karte unter den Tisch fallen ließ und findet sie erst, wenn der Beraubte schon »ach Hause gegangen ist. Freuen tbut mich nur, daß Du, Franz, von selber schon, ganz von selber, ohne daß Jemand sonst mich vertheidigt hat, nicht hast glauben könne», daß ich diese irdische Strafe verdient habe." „Können Sie sich denn besinnen, ob der Schuft, ick meine der Fino, 'mal in dem Hause war, wo die Geschichte mit den Wechseln passirte?" sagte Franz voll brennender Spannung. „Der Fino war da. er war eine Zeit lang Diener da» aber er konnte kaum seinen Namen schreiben, geschweige in den Verdacht kommen, Handschriften nachzumachen." „Also da herum ist der Hund dock gewesen?! Dacht' ichS doch!" rief Franz, der kaum mehr seine Selbstbeherrschung bewahren konnte. „Jetzt ist die Geschickte klar, und wir wollen ihn schon fassen, daß ihm di« Haare zu Berge stehen sollen. Herr Gott! Hab' ich 'ne Wutli auf den Kerl! Auch an all' meinem Unglück ist er schult!" knirschte er im Ge danken an die Scene im Thiergarten. „An Allem?" bauchte cs zu ihm hinüber. Und Franz senkte beschämt da« Haupt. Und dann fing er von Neuem an und erklärte und be richtete, stellte ganz scharfsinnig zusammen und vermuthcte und schloß daran«. „Und zuerst", rief er eifrig, ohne an de« alten Mannes Schwäche zu denken, in seinem Zorn über da« Unrecht, da« Jener erlitten, in der Erinnerung daran, wie gerade Fino es gewesen, der ihm höhnisch zugrflüstrrt hatte, daß er mit einem Zuchthäusler, einem Falscher so dicke Freundschaft hielte, „zuerst muß der Fido fest an die Kette gelegt werden, und dann muß die ganze Geschichte wieoer ausgenommen werden, und das dauert gar nicht lange, dann kommt Alles ans Licht der Sonne, was noch so infam, noch so fein gesponnen war." „Aus Licht — ans Licht!" murmelte der alte Mann. „Na, sehen Sie, alter Papa, Sie freuen sich doch noch, wenn Sie nachher groß dastehen und Alles vor Ihnen dienert und krumme Buckel macht, und Sir stehen blank und rein da." Wolken fliehen über die Sterne und verhüllen für Secundcn die leuchtenden Wohnungen deS Vaterhauses, tiefer wird die irdische Nacht — laß dich nicht irren, hcimkehren- der Sohn! Sie warten auf dich, die du liebst — an den leuchtenden Fenstern stehen sie! O, weicht zurück, irdische Vergeltung, Ehre von Staub! Falle zum Staube, du thönerner Gott, „guter Name" genannt! Der du in Scherben liegst vom Tritt eines Buben — bleib bei den Scherben eines zerbrochenen Lebens! Weicht zurück, ihr Hoffnungen und Wünsche und Pläne eines reichen, stolzen, bockbcgabten Geistes — eure Flügel brechen, ibr kriecht im Staube — bleibt beim Staube — und du allein, du Funke vom ewigen Feuer, gebe ein zum ewigen Leben! „Und es soll daS allereinfachste Begräbniß sein, Franz — ohne allen Prunk — kein Geld soll genommen werden, nur das, was in meinem Bette liegt, aber nicht« von dem, was bier ist — hier ist! Es ist Dein, Franz. Ich habe Nie mand sonst. ES soll in der Dunkelheit sein — ganz still — Niemand, als Du — Vater unser, der Du bist im Himmel —" „Aber nicht doch — Papa, alter Papa. Sie werden mir doch jetzt nicht sterben wollen -- jetzt, wo all« Böse sich zum Guten wendet!" rief Franz, ängstlich sich nieder- beugend. „Alle« Böse sich zum Guten wendet —" Fort ihr Wolken! Fort mit dem Vorhang, der Irdisch« und Himmlisches scheidet! Seht, wie sie strahlen und leuchten die ewigen Wohnungen: Gehe ein, Du Gesegneter de« Herrn! Gehe ein zu Dein« Herren Freude! 14. Eisig kalt blie« der Nordost über daS schneebedeckte flache Land. Dcr Abend war hereingebrochen. Noch glomm da letzte Roth am blaßblauen Himmel, an dem hier und da schon ein Stern ausblitzte und in lichtem Glanze da« erst« Viertel v« Mond« schwamm.
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