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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930728023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893072802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893072802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-07
- Tag1893-07-28
- Monat1893-07
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Es muß jedem Staate daran liegen, daß er wenigstens aus eine Reihe vo» Jahren hinaus genau weiß, welchen Arttheil an den Zöllen und indireclen Steuern des Reiches er jährlich erhalten werde, und welchen Betrag er als Matri- cularbeitrag an das Reich jährlich wieder entrichten muß. Natürlich muß auch jeder Staat wünschen, daß jener Anlheil höher bemessen sei als der Matricularbeitrag, und daß milbin jeder Staat eine feste Delation vom Reiche er halte. Etwas seltsam klingt eS aber, wenn einige einzelstaatlicke Osficiöse bei ihrer Zustimmung zu diesem Plane I)r. Miquel's betonen zu müssen glauben, eS sei schon der Zweck der Franckenstein'schen Klausel gewesen, den Einzel staaten einen solchen Ueberschuß der Einnahmen aus der Rcichscasse gegenüber der Leistungspflicht an das Reich sicher zu stellen. Das ist ein Jrrthum, der berichtigt werden muß, damit er aus der weiteren Erörterung auSscheidet. Tie Franckenstein'sche Klausel zur Zolltarif revision von 1870, bezw. zu der späteren Börsen- und Brannt weinsteuer-Reform hatte jenen Zweck keineswegs und konnte ihn auch nicht baden. Die Erhöhung der Zoll- und Steuer einnahmen selbst war eS, welche vom Fürsten BiSmarck ins besondere auch damit befürwortet wurde, Laß das Reich nicht länger der lästige Kostgänger bei den Einzelstaaten bleiben dürfe, sondern finanziell reichlich genug auSgestattet werden müsse, um seinerseits freigebiger Dersorger der Einzelstaaten zu werden. (Rebe vom 2. Mai 1879.) In diesem Puncle herrschte 1879 auch völlige Uebercinstimmung zwischen dem Kanzler und der nationalliberaien Partei. Eine Reform, welche das Reich finanziell „auf eigene Füße" stellen würde, war um so mcbr Ms Ziel einer nationalen Finanzpolitik ge fordert worden, als man Hessen konnte, die parttcularistisckc Einrichtung der Matricularbeilräge bei solcher Gelegenheit abzustreisen. Der Kanzler selbst hatte an jenem 2. Mai, also reichlich vier Wochen, bevor irgend Jemand an eine Franckenstein'sche Klausel dachte, auf die Hobe nationale Bedeutung der Reform als aus das „erste Motiv" der selben verwiesen. „Die Consolidation des Reiches, der wir ja alle zustrcben, wird gefördert, wenn die Matricular- beitrage durch NeichSsteucrn ersetzt werden; sie würde auch nicht verlieren, wenn diese Steuern so reichlich ausfallcn, daß die Einzelstaaten vom Reiche empfangen, anstatt daß sie bisher in einer nicht immer berechenbaren und für sie un bequemen Weise zu geben hätten." Gerade dieses erste, in hobem Grade nationale Ziel der Reform mußte jedoch im weiteren Verlauf der Dinge prciSgegeben werde». Das Reich sollte nach dem Willen des Eentrums auch fernerhin aus Ein nahmen angewiesen bleiben, die ihm von den Einzellandtagen bewilligt werden, eS sollte seine finanzielle Selbstständigkeit nicht erreichen! Als eS sich nämlich darum handelte, die cou- stitutionelle Form zu bestimmen, in welcher die Einzelstaaten ihre Dotation empfangen sollten, triumphirte der particu- laristisch-klerikale über den nationalen und liberalen Vor schlag. Gerade um die Matricularbeilräge aufrecht zu erhalten, hatte das Centrum seine Franckenstein'sche Klausel sich construirt, und da ebne dieselbe eine Mehrheit für die Tarifrevision kaum, wenigstens nicht hinreichend sicher zu haben war, nahmen die verbündeten Negierungen das particularistische Anhängsel zur Reform mit in Kauf. Die censtitulionelle Fvrmsragc, die hier zu entscheiden war, betraf aber nicht den Dotationszweck, sondern das Einnabme- bewilligungsrechtdesReichSparlanientsnndtaSMitbewilliguiigS- rcckt der Landtage. Ter nationalliberale Vorschlag wollte crsteres Recht unter der Voraussetzung, daß die Einnahine- bewilligung beim Titel der Matricularbciträge gegenstandslos werden würde, an anderer Stelle, und zwar in unmittel barer Verbindung mit dem Zolltarife selbst wiederherstellen. Einer oder der andere der Finanzzölle (Kaffee u. s. w.) sollte beweglich gestaltet werden, d. b. die Höbe der Einnahme auS dem betreffenden Zoll sollte der alljährlichen Bewilligung des Parlaments amheimgcstellt sein. Die praktischen Erfahrungen von vierzehn Iabren haben inzwischen gesprochen. Deren Resultat ist ein höchlich interessantes. Die Einzclstaatcn haben es an ibrer eigenen HauSbaltswirtbschaft empfunden, daß der DotalionSzwcck, der mit der Zoll- und Steuerreform seit 1879 verbunden war, unter der Herrschaft der Francken- stein'schen Klausel je länger je mehrNotb leidet, und daß mit den steten Schwankungen im finanziellen Verbältniß zwischen Reich und Emzclstaaten für Letztere auf die Dauer kein erträgliches Abkommen mebr möglich ist. Ter Druck der materiellen Umstände zwingt jetzt, die constilutionelle Formsraac abermals auszuwersen. und es will uns scheinen, als sei die particularistisch-klerikale Errungenschaft von l879 zur Hälfte schon aufgegeben, wenn allen Ernstes von einer „Fixirung" der Matricularbciträge und von einer der wachsenden Kopf- zabl der ReickLbevölkerung angepaßten Einnahme aus de» Zöllen die Rede ist. Die Sitzung deS BundcürathS, in der über die Er greifung von Repressalien gegen die Inkraftsetzung des russische» Martmaltarifs Beschluß gefaßt werden soll, ist von gestern auf heute verschoben: daS Resultat wird aber dadurch kein anderes werden. DaS ergiebt sich schon auS der Entschiedenheit, mit der die „Nordd. Allg. Zkg." die im volkSwirthschaftlichen Theile unseres gestrigen Abendblattes mitgelbeiltc Behauptung deS russischen „NcgierungSbotcn", die deutsche Negierung habe die handelspolttiichen Perhand- lungen binausgezogen und den von russischer Seite ge stellten Antrag aus commissarische Beratbuug wegen Ueber- müdung der betreffenden Beamten bis zum Herbste hinauszeschoben, znriickwcist und seststellt, daß der deutsche Vorschlag, die commissarischen Verhandlungen am 1. October beginnen zu lassen, lediglich deshalb erfolgte, weil die bisherigen Verhandlungen ein Einvcrnebmen über wesentliche Punkte nickt ergeben haben. Jedenfalls wird die in Berlin herrschende Stimmung auch dadurch nicht ver bessert, daß von Petersburg aus die Nachricht verbreitet wird, die russische Regierung werde die Vorschläge Oester reichs annehmcn und die Paraphirung deS östcrrcichisch- rnssikchen Handelsvertrages werde in kürzester Zeit erfolgen. Rußland werde dann gegenüber Oesterreich-Ungarn den bis herigen Tarif beibehalten, bis daS österreichische und ungarische Parlament den Handelsoertrag annebmen. Oesterreich würden sodann auch die Zollermäßigungen des Vertrages mit Frank reich zukommen. Die österreichische Negierung hat übrigens nickt Lust, fick von russischer Seile gewissermaßen als Drucker gegen Deutschland verwenden zu lassen. DaS officiöse Wiener „Fremdenbl." ist daher zu folgender Erklärung ermächtigt: „Gegenüber der Meldung, die den österreichisch.russiichen Handels vertrag bereits als perfect binstellcn will, müssen wir constatircn, daß diese Meldung zur Stunde noch unbegründet ist, da nach der uns von berufener Seite gewordenen Information die russische Antwort auf die durch den Botschafter Grasen Wollenstem in Petersburg unterbreiteten öslerrcich-uiigarischen Vorschläge in dem hiesigen Auswärtigen Amte bis jetzt noch gar nicht cinlangte. Alle an diese Nachricht geknüpften Folgerungen erweisen sich daher auch als einsache Lombinationcii. Vollkommen unzulässig erscheint uns aber der gleichzeitig unternommene Versuch, die zwischen Oesterreich-IIngarn und Nußland schwebenden Verhandlungen in directe» Gegensatz zu den deutsch-russischenVerhandlungen bringen zu wollen." Die bevorstehenden französischen Deputirtenwahlcn werden sowohl von Seiten der regierenden, als der nach der Regierung strebenden BeoölkerungSclassen als eine politische Kraftprobe betrachtet und demnach die Vorbereitungen zu rem Wahlkampfe getroffen. Für die am Ruder befindlichen Radikalen ist der Sieg eine Lebensfrage; ihnen ist die republikanische Staatsform nichts weniger als Ideal, sondern lediglich Mittel zur Ausführung ihres Zwecks, da sie ihnen seil Jahren gestattet, wie große Herren zu leben, ihre Freunde zu protegiren, ihre Feinde zu chikaniren. Die monarchisch- conservativcn Parteien baben es, so lange sie das Heft in Händen hatten, nickt besser getrieben, und die in den Fnßsiapscn der Radikalen einherwandelnden Umstürzler aller Schattirungen deS Roth benutzten ihre blutrünstigen Toctrinen ebenfalls nur als Köder für die Dummen, die ihnen selber zur Erringung der Macht verhelfen sollen, die ihrem Ehrgeiz und ihrer Geldgier goldene Tage verspricht. In den Zeitungsartikeln und Partei programmen ist natürlich von der wahren Triebfeder all der in der Wahlarena sich breit machenden Volksbeglücker nicht die Rede. Da betheucrn sie Alle um die Wette, eS mit der Nation wie mit der Republik ven Grund ihres Herzens ehr lich zu meinen; gleichzeitig aber warnt ein jeder vor den Coucurrcntcn als vor falschen Freunden und Vcrrälhern an der Sache deS Volke«. So ist die Katzbalgerei auf der ganzen Linie der mandatslüsternen Be werber im schönsten Gange, die Wählerschaft aber steht dabei und fühlt sich täglich ratbloser. Sie ahnt, daß Alle nicht« taugen und daß jede Wahl voni Uebel ist. Es fragt sich für die Wählerschaft mithin nur, wo im Zweifels- falle das kleinere Uebel liegt. Die Art tcS WablfeldzugeS läßt daher bei den politischen Machern den Wunsch nach Eintritt irgend eines die Massen rulstammenden und mit sich sortreißenden Ereignisse« begreiflich erscheinen. Deshalb hat man auch, worauf wir scheu wiederholt hingewiesen babe», wohl vornehmlich die siamesische Angelegenheit cingefädclt, deren bisheriger Verlauf dem Selbstgefühl der Franzosen allerdings durchaus genehm erscheint. Der Brrnrr „Bund" stellt sich in der bekannten Aus- weisnngssrage in entschiedener Weise ans die Seile der dortigen Regierung. DaS Blatt hält den anarchistischen Aufwiegler l)r. HanS Müller, der auS dem Eanton Bern auSgewiesen worden und dessen Ausweisung aus der gesammte» Schweiz jetzt den BundcSrath beschäftigt, durchaus nicht für so harm los, wie ihn verschiedene Zcngnisse darstellcn, und schreibt: „Wenn Herr Müller bei der Spaltung zu den „Un abhängigen" absprang und später in Surick mit Leib und Seele dabei war, den Streit zwischen Fraclionellen und Unabhängigen auf Zürich zu übertragen, so erklärt es sich, daß man ihn auch als Gründer der Züricher Frnction der Unabhängigen bezeichnet. Einige der Letzteren haben ihm da« Zcugniß ausgestellt, er sei nicht der Gründer und habe ihre Statuten nicht versaßt. Die Behörden trauen aber diesen Unabhängigen nicht und haben bei ihnen Haus suchungen halten lassen. WaS dabei herauSgckomme» ist, wissen wir nickt. Allenfalls wird es sich auch hier uni die Frage der Ausweisung Handel». Wir haben an Ausweisungen keine Freude; ganz unpassend sind aber die Lamentationen, die Schweiz werde dabei ihren freiheitlichen Traditionen untren. Es sind >a nicht ernste Leute, die vor politischer Verfolgung bei uns Schutz suchen, sondern Renommisten, die unsere Gastfreundschaft mißbrauchen, um Stänkereien zu machen. Mehr können und wollen sie nicht. . . . Es wäre namenlose Schwäche, wenn wir solchen Leuten gegenüber nicht das HauSrecht wahren würden, und cS ist kein Heldenstück, unsere Behörden, die bei der Ausübung ihre« Amtes mit allen Winkelzügen haranguirt werden, zu verunglimpfen. Eine Agentur-Depesche, die wir in verschiedenen Blättern lesen, melket, der BunbeSratb babe den Bundesanwalt mit einer Untersuchung der Anarchisten unitriebe in der ganzen Schwei; beaustragt und eS ständen Verhaftungen in Genf, Bern, Zürich Basel, St. Gallen und Neuenburg unmittelbar bevor. Diese Nachricht ist nicht genau: der BundeSanwalt weiß von einem solchen Aufträge nichts, die Berhastungcn sind aus Zürich beschränkt." DaS norwegische Stortbing hat eS nicht lassen können, noch vor Schluß der Session seine radicalc Gesinnung in mög lichst demonstrativer Weise zum Ausdruck zu bringen, indem eS, was in andern Ländern geradezu als eine Beleidigung de« Herrschers aufgesaßl werden würde, die Herabsetzung der bis herigen Civilliste des König« um 80000 Kronen und die derApanage des Kro »Prinzen um 50 000 Kronen jährlich beschloß. Hierbei darf inbeß nickt überseben werden, daß diese gegen die Dynastie gerichteten Beschlüsse nur mit sehr schwacher Majorität, nämlich mit einer solchen von 10, be- zichuiigSweise 8 Stimmen gefaßt wurden. Es kann als un- weisclhast gelten, daß dieses Auftreten deS StortbingS in ehr weilen Kreisen Norwegens Entrüstung Hervorrufen wird, denn selbst die etwas radical angehauchten Elassen der Bevölkerung sind zum überwiegenden Theile durchaus nickt antimcnarchisch und ebensowenig antiunionistisch gesinnt. Uebriaens ist die Rechtskraft deS vom Stortbing bezüglich des Königs gefaßten Beschlusses keineswegs über allen Zweifel erhaben, dieselbe wird vielmehr von sehr an gesehenen Juristen beider Länder der Union bestritten. Es ist allerdings richtig, daß die norwegische Verfassung eine Bestimmung (8. 75) enthält, der zufolge die Civilliste de« Königs vom Slorthing festgestcllt wird. Dem gegenüber siebt aber die seit dem Beginne der Union gellende Praxis, nach welcher die Civilliste deS Königs bisher immer ein- für allemal bei dem RegierungSanlrille festgesetzt und in die jährlichen Budgel-Berathungen nicht hineingezogen worden ist. Die Russifirirung der baltischen Provinzen schreitet systematisch und ohne Unterbrechung fort. So wird dem nächst i» Riga eine neue Volksschule eröffnet werden, ähnlich denjenigen, die in Dorpat und Goldingen bereit« bestehen. Ferner gehl die russische Negierung daran, ihr Reform - project der Mittelschulen in Ausführung zu bringen und die russische Sprache als obligatorischen Lehrgegenstand in alle Marineschulen der baltischen Provinzen cinzuführcn. Um all diese Maßregeln z» voller Wirksamkeit zu bringen, werden die Volksschulen vermehrt werden, damit ein genügend großes Lehrerpersonal für die russische Sprache verbanden sei. Außerdem werden gewisse andere Verfügungen getroffen, um die Nussisiciruug der genannten Provinzen auch nach außen bin sichtbar zu machen. So müssen sämmtliche deutsche Inschristen auf den Bahnhöfen und den anderen Ge bäuden der Eisenbahnen durch solche in russischer Sprache ersetzt werden. Auch die deutschen Handelskreise der Ostseeprovinzen haben unter dieser NussificiruiigSwutb des MoSkowiterthumö immer nichr zu leiten. In Riga wurde bisher auf der Börse, im Börscnvcrein und in den Handels gesellschaften sowohl im Innen- wie im Außenverkehr nur die deutsche Sprache angewandt. Wie hätte eS auch anders sein können, da die Besucher und Angestellten der Börse fast alle von deutscher Abstammung sind und die Zahl der Russen unter den >«> Fenilletsn. Heber Klippen. 27j Roman von Caroline Deutsch. INachdruS »erböte». (Schluß.) „Und wo bliebst Du die andere Zeit, Franz?" „Ich trieb mich im Lande herum, bald da, bald dort, ich wußte nicht« zu beginnen. In einer kleinen siebcnbürgischen Stadt, wo mich Niemand kannte, war ich eine Zeit lang Schreiber " „Und warum kamst Du nicht zu unS? Wußtest Du denn nicht, daß wir Dich erwarteten, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche?" „Ich konnte nicht, . . . . eS war mir nicht möglich .... der Strom deS Lebens mußte mich erst reinigen ..." Die Stimme deS jungen ManneS klang leise und gepreßt. „Jener Ort war nicht für Dich, WaS für Andere", rief Stefan und legte ihm in tiefer Bewegung die Hände auf die Schultern. „Dich hat er nicyt entehrt; denn als Tu ihn betratest, warst Du Dir wieder ganz zurückaegebcn. Aber Tu gabst viel Deinem Lande darin, Dein Schönstes. Tein Bestes: dieses Buch hier. Mit der Gewalt seines BlitzcS hat eS eingcschlagcn, alle Gemüthcr aufgcrüttclt, cs beschäftigt alle Geister, hat schon drei Auslagen erlebt, und man fängt bereits an, cS in fremde Sprachen zu übersetzen. Freut e« Dich nicht, erhebt es Dich nicht, Franz?" „Ich müßte kein Mann sein und ohne alles Selbstgefühl, wenn dies nicht der Fall wäre." Ein lebhafterer Ausdruck entzündete sich in seinen Augen. „Ich habe cS mit meinem Herzblut geschrieben, Stefan, >edeS Wort aus der tiesinnersten Seele heran-! .... Und eS ist ja der einzige Weg geblieben, mich nützlich zu macken, etwa« zu leisten; meine Beamten- carribre ist für immer durchschnitten. Doch jetzt zu Dir, Stefan. Wir habe» uns zu lange mit mir beschäftigt. Wir geht eS Dir? Bist Du glücklich?" „Ick habe einen Sohn, der Deinen Namen trägt", sagte Stefan, und seine Augen leuchtete» auf. „Du bist glücklich, ick sehe cS", sprach Perfall, und ein lebhafter Ausdruck trat jetzt in sein Gesicht. „AaS bin ich, und aus vollem Herzen." „Gräfin Salwar ist todt", sagt« Perfall nach einer Weile, cS war, als ob er noch etwas hinzusüzen wollte, aber er schwieg. „Wie so weißt Du daS?" fragte der Pastor überrascht. „Als ick an dem Hause vorüber kam, konnte ich nicht weiter ...." Ein dunkles Roth stieg in PcrfaU'S Gesicht. .. und da erfuhr ich eS vom Mädchen. Sage mir die Wahrheit, Ttefan, Gräfin Satwar hat der Verlust ihrer Hoffnungen getödtet." „Meine Schwiegermutter ist einfach einem Gchirnschlag erlegen", beeilte sich dieser beruhigend zu erwidern. „Sie war noch einige Minute» vorher ganz wohl und munter. Entbehrt bat sie auch nichts, Lory hat sie im Gegentheil mit einer Art Luxus umgeben, da sie ja nur jür sie allein zn sorgen batte" „Und.... und.... sie ist noch immer hier Lebrerin?" Seine Stimme zitterte in Bewegung; auch sah er bei diesen Worten nicht auf. „Meine Schwägerin war bis jetzt hier, sie hat aber in Preßburg eine Stelle angenommen und gebt schon im Januar dort bin. So ist sie nicht weit von de» Brüdern, und daS wird ihr Ersatz sür TcreSka geben. Franz", fügte Stefan nach einer Pause binzu und ergriff seine Hand, es hatte einen Augenblick tiefe« Schweigen zwischen ihnen geberrsckt, „ick dachte einst, Du näbmest an Lory ein tieferes Interesse, und trotzdem, was geschehen, trotz Deiner Verirrung kann ich diesen Gedanken nicht aufgeben. Was wirst Tu sagen, wenn ich Dir mitthcile, daß — auch sie Dich liebt... ." Einen Augenblick flammte cs in Persall'ö Augen auf, dann sagte er, während sich ei» Ausdruck riesen Schmerzes über sein Gesicht breitete. „Ich bin ihrer nicht Werth, ich darf an sie nicht denken!" „Sei nicht so unnachsichtig strenge gegen Dich!" versetzte der Pastor erregt. „Selbst, nachdem Tu fehltest, Wurst Du noch mehr wertb als hundert Andere, die au« Gewohnheit, aus Furcht, ja oft nur auS Vortheil von dem Pfade deS RecklS nickt abirrcn. Weil Du eine Krankbeit durckgemackt, glaubst Du, Du^eist ewigem Siechtbum verfallen?" O, Franz, e» ist die alte Telstquälerei l Tu kannst Dir in keiner Weile genug thun!" „Du weißt nickt, wa« an mir zehrt. Ick kann da« Ge fühl der inneren Scham nicht lo« werken Wie konnte sich mein Herz so weit verirren, nachdem ich eine Lory Satwar gekannt, ja geliebt babe...." „Blut und Sinne sind mächtige Bundesgenossen, Franz, und jene« Weib mit der unheilvollen Schönheit hat Dich zu sehr umstrickt und belhört." „Warum hist Du unberührt geblieben? Warum bat sie bei Dir gerade entgegengesetzte Einpsindungen hervorgerufen? In mir bat sie Verwandtes geamit und so lange den Dämon gesucht, bis sie ilm gesunden; ich will mich nicht selber täuschen", versetzte Persall unbeirrt und mit demselben strenge» Ausdruck. „Du hast an ihre Liebe, ihre Leidenschaft geglaubt, und da« bat die Deine wachgerufen. DaS ist Deine ganze Schuld, Franz! Als Tu Dich dann überzeugtest, daß eö nicht so war, daß sie mit Dir gespielt, wie mit allen Andern, da erwachtest Du, und Deine Gefühle verwandelten sich in Verachtung und Widerwillen. Und dann ist noch eines, Frenz, prüfe Dick selber! Dein Stelz, Dein Selbstgefühl sind auch verwundet, und eine solche Deinüthigung können wir Männer schwer verwinden." „Lory muß mich verachten", sagte Perfall. „So sehr ich Alle zn täuschen wußte, so sehr Ihr mit Blindbett geschlagen wäret, sie ... . sie allein bat von meinem bösen LiebeStraum gewußt, vom ersten Augenblicke an gewußt. Ich könnte ihr nie wieder vor die Augen treten, wenigstens nickt, ohne ein Gefühl tiefer, erdrückender Scham. Doch erzäblc mir jetzt, wie die Angelegenheit sür dir Stadt geendet? Ist sie unter sucht, ein neues Verfahren eingeleitet worden?" Der Pastor berichtete, daß die Sache durch einen Vergleich geordnet worden, daß Herr von Schmerlizs achttausend Gulden der Stadt gezahlt habe. „Und Deine Schwiegermutter ging leer dabei aus", meinte Perfall leise »nd mit gepreßter Stimme. „Mit dein kleinen Feinde sich abzufinden, fand eS Herr von Schmertiz« gewiß ganz überflüssig. Ich hätte Schritte in dieser Lache bei ihm gethan; denn meine Schwiegermutter drängte mich gar zu sehr; aber Lory wollte nicht- davon wissen." „Ich weiß, daß Schmertiz« die Absicht hatte, Lory zu hciratben", sprach Perfall. „Hat er ihr niemals einen Antrag gemattt? Der Gedanke daran quälte mich naiiienloS. und die Furcht, die mich manchmal überkam, eS könnte so sein, sie hätte es, selbstlos, wie sie ist, und zu jedem Opfer bereit, gc- than, erfüllte mich mit tiefster Ver.weiflung." „Ich weiß von keinem solchen Antrag", sprach Stefan. „Aber ich glaube, Du irrst, Franz, so selbstverlcugncnd Lory auch ist, so etwas würde sie doch nicht thun, niemals! Zu so etwa« könnte sich ihr reiner Fraucnsinn nicht bergeben, selbst wenn ibr Herz noch frei wäre. Ueberbaupt wohnt Herr von Schmertiz« mit seiner Tochter in Pest; seit einem Jahre ist hier ein Verwalter; bei den Leuten heißt cS sogar, daß er da« Bcsitztbum verkauft habe." „Die Baronin lebt ihr altes Leben weiter. Eine Zeit lang soll sie wie umzewandclt, ja ganz schwermütbig gewesen sein; seit einigen Monaten ist sie wieder verbcirathel mit einem italienischen Grafen, den sic auf der Reise kennen gelernt. DaS soll aber ein echtes Kind seines Landes, ein in seiner Eifersucht gefährlicher Mann sein, uud die Leute prophezeien kein gutes Ende, wenn sie die Alle bleibt. Doch jetzt z» Dir, Franz! WaS willst Tu beginnen, wie Deine Zukunft ent richten? FürS Erste bleibst Du doch eine Zeit bei uns!" „Wie lann ich das, Stefan? Wie kann ich mich vor den Leuten hier jemals wieder zeigen? .... Ich reise morgen in aller Frühe wieder ab, cs ist ein Abschied sür Jahre, vielleicht für immer. Mein Entschluß ist gefaßt: ich gebe nach Amerika." „WaS?!" unterbrach ihn Pastor Kis mit dem Ausdrucke tiefsten Schrecken-, „DaS Wort erschreckt Dich; eS zieht keine Entfernungen mehr", sagte Pcrfall beschwichtigend und drückte ihm liebevoll die Hand. „Was soll ich hier beginne», Stefan? Meine Beamtcnlaufbahn, der Nerv meines Lebens, ist durchs nittcn worden; zum Soldaten oder KausmaiinSstande babe ick weder Neigung noch Talent, und geistige Thätigkeit allein wird mein Leben nicht anSfUlle», ich fühle cS. In dem fernen, fremde» Lande kann ick wieder von vorn beginnen, und vielleicht gelingt eS mir, mich wieder zu einem handelnden, gemein- sördcrndcn Berufe cniporzuarbeiten. „Nein", sagte Stefan mit festem AuSdrucke, „nein, Du wirst nicht geben! Diesen Plan hat Dir nur die Verzweiflung einzegeben. Männer wie Du solle» nicht ihre Krätte außer LaudeS tragen. Auch über diese Sacke wird Gras wachsen, und Tu wirst wieder auf Deinem Platze stehen. Habe Gekulv, Franz! Ick babe einen andern Plan. Du kaufit Dir irgend wo im Lande ein tlcineS Gut, dazu wird der Rest Deines Vermögen«, das Dir geblieben ist, noch reichen, und führst dort alle Er'induuqen und modernen Verbesserungen der Land- wirthschafl ein, die in ander» Ländern schon in vollster Blüthe sieben. Dadurch wirst Tu bahnbrechend auf diesem Gebiete, und da Tu auch Zeit zur schriftstellerischen Thätigkeit finden wirst, so wirst Tu in doppelter Beziehung Deinem Vaterland« dienen." „DaS vielleicht später.... in Jahren.... jetzt.... jetzt kennte ich cS nicht! Ich muß fort, Stefan, in die Fremde, über« Meer, um mich innerlich zucechtzufinden!" Ein Klopsen
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