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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010228027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901022802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901022802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-28
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Abend-Ausgabe Druck uud Verlag von L. Pol- tu Leipzig. SS. Jahrgang. Donnerstag den 28. Februar 1901 Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbefürderung ^l 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Anzeige« »Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Ls. Reklamen unter dem RedacttonSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Bezug-»Preis 4» der Hauptexpeditto» oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» .4l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!, ^l 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postauffchlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egvpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expeditton dieses Blattes möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedactio» un- Expedition: JohanniSgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Sorttm. UnwersitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kathaxtnevstr. 14, pari, und Königsplatz 7. MMr. Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Molizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Der Krieg in Südafrika. Louis votha. „Standard" berichtet aus Pretoria unter dem 26. Februar: LouiS Botha überschritt die Delagoabahn mit einem kleinen Boerencommando und steht jetzt (wie wir vermuthet d. R.) nördlich von Middelburg. Wahrscheinlich marschirt er nach Biljoen (auf dem Wege von Middel burg nach Lydenburg). Das Hauptquartier und der Sitz der Regierung befinden sich in der Nahe von Roossenkal (60 englische Meilen nördlich von Middelburg). Die Londoner Morgenblätter berichten aus Standerton: Die von French erbeuteten Geschütze waren von den Boeren vergraben gewesen (wurden also nickt im Gefecht genommen!); sie wurden von Schützen aufgefnndcn, als man sich bemühte, die englischen Transportcolonnen über einen angeschwollenen Fluß zu schaffen. Ebenso wurde Munition auSgearaben. General French belobte die Schützen wegen ihrer Findigkeit. Auch die große Beute, welche General French und die anderen britischen Generale an Pferden, Vieh u. s. w. den Boeren abgenomwen haben wollen, ist, wie auS London be richtet wird, einfach innerhalb der letzten drei Wochen in de» sämmtlichen östlichen Distrikten von allen Far men und Städten zusammengetrieben worden, während die wirklichen Verluste der Botba'scken EommandoS in dieser Hinsicht überhaupt kaum nennenSwerth gewesen sein müssen. Weshalb also die Aufschneiderei? Man muß ihrer doch in London bedürfen, um wieder einigen Eindruck auf die Oeffentlichkeit zu machen. „Daily Chronicle" meldet unter Vorbehalt, daß Lord Kitcheuer und Botha eine Zusammenkunft gehabt hätten, um die Bedingungen für die Uebergabe des Letzteren festzustellen und daß Botha ein 24stündiger Waffen stillstand bewilligt worden sei, um sich mit seinen Comman- danten wegen Annahme der britischen Bedingungen in Ver bindung zu setzen. In einem am 28. Februar abgetzaltenrn EabiuetSrath sei über jene Angelegenheit verhandelt Worden. Wir schließen uns dem Vorbehalt des Londoner Blattes an. De Wet. „Daily Mail" berichtet aus De Aar: Den 26. Februar sind viel mehr Gefangene gemacht worden, als am 25. Februar, darunter zwei Commandanten. Die Zahl der Gefangenen beläuft sich nunmehr auf 200. Die Pest. * Gapstadt, 27. Februar. („Reuter'S Bureau".) Heute sind hier seck- neue Pest fälle vorgekommen. Zwei Eingeborene wurden todt aufgefunden; man glaubt, daß sie an der Pest ge storben sind. Reue Trauer für Krüger. Nach einer Depesche deS Brüsseler „Petit Bleu" aus Utrecht hat Präsident Krüger ein Telegramm aus Pretoria erhalten, das ihm den Tod seines Schwiegersohnes Kusi.Malan und seine- Enkels Feldcornet Piet Krüger mittheilt. Beide gehörten zum Commando Klarey'S und stelen im jüngsten Gefecht in der Gegend von Rustenburg. Gestern war der Jahrestag tz-n Majnba und der Capitulation deS General Cronje bei Paardeberg, und die englischen Blätter ergehen sich in melancholischen Betrachtungen über die endlose Dauer des südafrikanischen Krieges, des „Schreckens ohne Ende", wie ein Blatt ihn nennt. Die Wirre» in China. Die Hinrichtungen in Peking. Die chinesische Hauptstadt ist am Dienstag wieder einmal der Schauplatz einer grausigen Execution gewesen. Die traurige Noihwendigkeit einer eindrucksvollen Sühne für die im vorigen Jahre begangenen Verbrechen zwang die fremden Gesandten, für mehrere hochgestellte Würdenträger des Reiches die schwersten Strafen zu fordern, deren Vollstreckung nun zum Theil in Peking, zum Theil in Singanfu ins Werk gesetzt wird. Ueber die bereits gemeldete Enthauptung der frllherenMinister derJustiz und des Cultus wird dem „B. L.-A." unterm 26. Februar aus Peking ausführlich depeschirt: Auf derselben Stelle, wo im Juli vergangenen Jahres die Minister Tschisin und Hsutschengyu der Hinrichtung der fremdenfreundbichen Würdenträger bei wohnten, fiel heute Nachmittag 3^ Uhr ihr eigenes Haupt unter dem Richtschwerte des Henkers. Zahlreiche Officiere aller Truppenkontingente, hohe chinesische Würdenträger, sowie eine ungeheure Menschenmenge, oie den Richtplatz umdrängte, wohnten der Hinrichtung bei. Als Vertreter deS Grafen Waldersee fungirte Major Lauen stein, während die chinesische Regierung den jetzigen Justizminister als Delegirten entsandt hatte. Japanische Truppen escortirten die beiden Delinquenten nach dem Richt platze, wo ihnen das Todesurthcil noch einmal vorgelesen wurde. Etwa zwanzig Schritte entfernt lagen zwei kleine Matten, davor stand der Scharfrichter. Tschisin wurde zuerst vorgeführt, und zwar von fünf Henkersknechten. Der in seinem Amtskleid stattlich aussehende, graubärttge alte Mann von hochgewachsener Figur war bereits ganz gebrochen. Er kniete sofort nieder, sein Hals wurde freigelegt, und eine Sekunde später rollte sein Haupt in den Sand. Hierauf begab sich der Scharfrichter zur zweiten Matte, wohinHs utschen gyu gebracht worden war. Auch dieser hatte ein sehr vornehmes Aussehen, schien aber auch schon halb- kodt zu sein, als er kam. Seine Augen waren geschloffen, und er machte den Eindruck, als ob er Opium genommen hätte, das ihm wahrscheinlich zugesteckt worden war. Unmit.elbar nach vollzogener Hinrichtung zog das Militär ab, während die Menge auf den Platz losstürmtc. Die Henkersknechte nähten dieKöpfe wieder an die Leiber an, die hierauf in bereitgestellte prachtvolle Särge gelegt und von den Verwandten der Hin gerichteten weggetragen wurden. Die Execution hatte ersichtlich einen tiefen Eindruck sowohl auf die Mandarinen, als auf die versammelte Menge gemacht. Die beiden Executirten befanden sich seit Langem im Gewahr sam der verbündeten Truppen. An Beweisen ihrer Theilnahme an den Fremdenverfolgungen hat es nicht gefehlt, doch wünschte man das abschreckende Beispiel der Bestrafung dadurch empfind licher für die Chinesen zu gestalten, daß man dte Hinrichtung bis zu ihrer öffentlichen Genehmigung durch den Kaiser von China aufschob. Tschisin war Mitglied des Staatsrathes. Die Verurteilten wurden in der Tracht der chinesischen Beamten, doch ohne die Abzeichen ihres Ranges, unter Bewachung von japanischen Truppen auf den Richtplatz geführt. Die Straßen waren von amerikanischen, deutschen und französischen Truppen besetzt. — Ueber die fernern Bestrafungen heißt es, daß mehrere höhere Beamte, die bei Hofe oder in seiner Nähe lebten, nach Ninghsiafu, am Rande der Mongolei, geflüchtet seien. Andere, wie Uingnien und Tschaotschutschiao, hätten Selbstmord be gangen. Ob im inner» China die verhängten Strafen wirklich vollzogen werden, wird man schwerlich mit voller Bestimmtheit erfahren. * Shanghai, 27. Februar. („Reuter'S Bureau-.) Drei ita lienische Kriegsschiffe haben im Nimrodsund, südlich von Ningpo, Vermessungen vorgenommen. Die Mannschaften errichteten Baracken am südlichen Ufer deS Lundu. — Nach Privat nachrichten ist auf dem Peiho Eisgang eingetreten. Wie es heißt, sollen unverzüglich Dampfer von hier nach Taku abgehen. — Nachrichten aus chinesischer Quelle besagen, sechs Bataillone von den Truppen Juanschikai's sollten unter dem Com mando des Generals Mei nach Singanfu marschiren, um dem Kaiser bei seiner Rückreise nach Peking als Vorhnt zu dienen. politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Februar. Bei der gestrigen Fortsetzung der zweiten Beratbung deS MilitzLretatS im Reichstage brachten eS die Social demokraten doch nicht fertig, ihr alles Steckenpferd der Soldatenmißhandlvngen nicht zu reiten. Charakteristischer weise war es aber nicht Abg. Bebel, der wie früher dieses Pferd tummelte, sondern der Abg. Kunert, dem wegen irgend eines Vergehen- gegen die ParteidiSciplin die Er- laudniß ertheilt worden zu sein schien, sich wegen der Be hauptung, jene Mißhandlungen hätten in neuerer Zeit zu genommen, nicht nur eine gründliche Widerlegung vom BundeSrathStische, soudern auch eine Zurechlweisuna durch seinen Genossen Bebel zuzuzieheu. Letzterer mutzte' zu gestehen, daß die Mißhandlungen zurückgegangen sind, Herr Kunert also ins Blaue hinein geredet hatte. Natürlich suchte dann Herr Bebel die seinen Parteigenossen beigebrachte Abfuhr in einen Sieg der Partei durch die Behauptung um- zustempeln, lediglich der Socialdemokratie sei der Rückgang der Soldatenmißbandlungen zuzusckreiben. Leider wurde es vom BundeSrathStische wie von den bürgerlichen Fraktionen unterlassen, Herrn Bebel darauj aufMpll»» T» «sLe». daß einem großen Tbeile' Her noch vorkommenden Miß handlungen die Ursache in dem Geiste der Wider spenstigkeit liegt, der von den „Genoffen" nicht zum wenigsten durch ihre ReichStagSreden gepflegt wird. Im Ueb igen suchte sich die Socialdemokratie für den Mangel an eigenem Bcsckwerdestosf durch Unterstützung der polnischen Klagen und Vorwürfe zu entschädigen. Und daS ist wieder höchst bezeichnend für die „Genoffen". Mit den polnischen Socialdemokraten liegen sie im Streite, weil diese zu sehr polnisch und zu wenig socialdemokratisch sind. Aber sie unter stützen die Bestrebungen der polnischen Bourgeoisie, obgleich diese mindestens ebenso polnisch, aber gar nicht socialdemo- kratisch ist. Durch nichts kann der antinationale Charakter der Socialdemokratie so schlagend bewiesen werden, wie durch diese ihre Parteinahme für die der Svcialdemokratie feind lichen polnischen „Ausbeuter", die Herrn Bebel an- Herz wachsen, weil sie mit allen Mitteln daS Deutschthum auS- zurotten streben. Für die Reichs- wie für die preußische Regie rung könnte daS sehr lehrreich sein; aber wo das Cent rum den Lehr- und Zuchtmeister spielt, ist es mit dem Lernen ein übles Ding. Anscheinend war eS auch gestern Rücksicht auf daS Centrum, was den Kriegsminister v. Goßt er bewog, die Abwehr der polnischen Klagen und Vorwürfe den natio nalen Fraktionen zu überlassen. Vorgestern hatte er selbst diese Abwehr übernommen und dabei den sehr bezeichnenden! Ausspruch gethan: „Ich bleibe dabei, daß der Angriff ledig-1 lich auf Seiten der Polen liegt und daß man sehr wohl inI der Lage wäre, derartigen, doch sehr betrübenden Zuständen sebr bald ein Ende zu machen." DaS ist eS eben, was man auch anderwärts einsiebt, daß man nämlich derartigen Zu ständen sebr bald ein Ende machen könnte, wenn man wollte und — dürfte. Wie wir der Zeitschrift „DaS Recht" eutuehmeu, hat vor einigen Wochen die hessische AnwaltSkammer einen Antrag, der Vorstand wolle dahin wirken, daß jeder deutsche Rechtsanwalt bei einem Gerichte jedes BundeSstacvteS zugelassen werden müsse, mit sehr großer Mehrheit ab gelehnt. Daß gerade jetzt derartige Anträge gestellt werden, ist ja, nachdem durch daS Bürgerliche Gewtzbuch ein einheitliches Recht für das ganze Reich geschaffen ist, sehr naheliegend. In wenigen Jahren werden die LandvSaesetze kaum noch bei einer irgendwie nennenSwertheu Zalhl von Processen zur Anwendung gelangen. Ma« muß aber be denken, daß die Frage des einheitlichen Recht- nicht allein für die Frage ver Freizügigkeit der Anwälte durch da ganze Reich maßgebend sein kann. Hanoelte eS sich nur um diese Frage, so bätte die Verschiedenheit deS Recht- vor der Einführung deS Bürgerlichen Gesetzbuchs für die Frei zügigkeit der Anwälte durch ganz Deutschland ebeusowenia eia HinverungSgrund zu sein brauchen, wie sie eS innerhalb deSKonig- reichS Preußen war. Ein Rechtsanwalt auS BreSlau oder Berlm konnte auch schon vordem l.Ianuar 1900 unbehindert in Hannover oder in Frankfurt a. M. sein Bureau eröffne», obschon in diesen LandeStheilen nicht daS preußische Landrecht, sondern daS römische Recht Geltung hatte. Es scheinen uns aber andere Gründe gegen die Zulassung von Anwälten durch das Reich zu sprechen. Einmal würden dadurch besonders die kleinere» Staaten in ihrer Position verschlechtert werden. Wohl mag auch in manchem von ibnen ein Uebersluß von Anwälten vor banden sein, aber bei ver beschränkten Einwohnerzahl dieser Staaten und bei der leichten Möglichkeit für den Einzelne», gerade in einem kleineren Staate die Verhältnisse zu über blicken, wird vaS Rechtsstudium doch in einigem Einklang mit dem vorhandenen Bedürfniß bleiben. Wenn aber Frei zügigkeit durch da» ganze Reich eintritt, so ist gerade für einen kleinen Staat die Gefahr der Ucberfüllung durch aus wärtige Elemente viel größer al« etwa für Preuße». Zum zweiten kommt eS für die ersprießliche Ausübung deS Anwaltsberufes durchaus nicht nur darauf an, daß der An walt Kenntniß von dem geltenden Rechte bat, sonder» auch darauf, daß er die wirthschaftlichen Verhältnisse und daS Wesen der Bevölkerung seine- Bezirks einigermaßen kennt und schon dadurch das Vertrauen seiner Klienten er wirbt. Nun wird man einweuven können, daß schon bei dem gegenwärtigen System diese Bedingung sehr oft nicht erfüllt wird, denn wenn Jemand, der in Memel Referendar gewesen ist, sich in Dortmund niederläßt, so wird er zunächst von den wirthschaftlichen Bedingungen und dem Wesen der Bevölkerung in seinem neuen Berufskreise herzlich wenig wissen. ES wäre doch aber wenig logisch, zu sagen, daß, weil ein Uebelstand vorhanden sei, er noch erweitert werden müsse. DaS wäre aber der Fall, wenn man aus der Freizügigkeit der Anwälte ia einem Gebiete von 34 Mill. Einwohnern eine solche in einem Gebiete von 56 Millionen machen wollte. Die Moral des AlphonS von Ltguori, die letzter Tage im Lesterreichischen Reichsrath zur Sprache kam, soll nach Pius IX. „bei allen kirchlichen Studien undchristlichenUebungrn citirt, vorgetragen und angewandt werden", und Leo XHI. hat FeuiHrton. Die Landstreicherin. Oberbayerische Erzählung von Ant 0 n Frhr. v. ,Perfall. Nachdruck verboten. Etwas mußte geschehen, heute noch. Der Tag sollte nicht so ledern enden, wie alle die Hunderte, die seit Jahren verflossen. Bärbl mußte ein Stück Wildprct Herrichten zum Nachtmahl, er zapft« das Fahl Tiroler an, daS schon seit Jahr und Tag un berührt im Keller lag, und Marion mutzte aucy dabei sein. Sie gehörte jetzt zum Haus, da kann die Bärbl nichts daran aussetzen. So ein richtiges Jägermahl! — So wohl hatte er sich noch nie gefühlt, wie neu geboren. Marion neben ihm mit der kleinen Biela. Er war sonst gewiß kein Kinderfreund, aber das Mädel gefiel ihm, wie es sich so heimisch fühlte am Tische, als gehöre es längst hierher, ganz ohne Scheu, — wie eine wirkliche Fa milie saßen sie beisammen. 'Und Marion erzählte Geschichten um Geschichten, so unter haltend, wie er sie noch nie gehört, von ihren Reisen, von ihren Thieren, von ihren Abenteuern mit ihnen, von ihrem Liebling, dem Löwen, der aus ihrer Hand gefressen, ihr das Gesicht ab- aeleckt, von den Wölfen, die ihr gefolgt wie zahm« Hunde, von den tollen Streichen der Affen, und ihre Augen leuchteten, ihr ganzer Körper erzählte mit. — Die ganze Nacht hätte er zuhören können. Bärbl selbst riß Mund und Ohren auf und vergaß daS Schelten. Der Lawiner sprach dem Tiroler tüchtig zu, auch Marion's Antlitz glühte von Wein, und dem erregten Gespräche. Der Mann gefiel ihr wirklich, abgesehen von der Dankbarkeit, die sie für ihn empfand. Dazu kam eine gewisse angeborene Ge- fallsüchtigkeit, der starke Drang, zu unterwerfen, zu beherrschen, in ihren Bann zu zwingen, die sie sich in den Käfigen angeeignet. Ihr« Augen sprachen heiße Worte, fede Bewegung hatte etwas Geschmeidiges, Umschlingendes, dem Allen war die knorrige, schlichte Natur des Lawiners nicht gewachsen, das Feuer der Ju gend entzündete sich in ihm. Bärbl hatte den Tisch abgeräumt. Die Beiden achteten längst nicht mehr auf sie, sie sahen auch nicht mehr ihre drohenden Vlicke, als sie unter der offenen Küchenthür noch einmal stehen blieb, so ganz waren sie verloren in einander. Bärbl konnte ihn noch immer nicht fassen, den räthselhaften Anblick. Der Unterschied der Jahre verwischte sich immer mehr. Dort jpß ein Mann in drr Blüthr seiner Jahre, voll Kraft und Leben, neben einem reifen Weibe. Der „alte" Lawiner mit dem grauen Bart und dem gebeugten Rücken war verschwunden. Ein teuflischer Zauber war's, nichts Anderes, da half keine Gewalt, nur beten — beten —" Sie machte das Zeichen des Kreuzes auf Stirn und Mund und ging in die Küche. Der Mond warf seinen Schein durch das kleine Fenster. Es brannte kein Licht in der Küche, und auch das Feuer war schon ausgegangen. Da huschte ein Schatten draußen Uber die leuchtende, flim mernde Schneedecke. Bärbl, schon einmal in den Kreis dunkler Mächte gezogen, die ihr Spiel trieben in dem Haus, rief den Namen ihres Schutzpatrons, schlich aber doch an das Fenster. Ihr immer noch scharfes Auge entdeckte eine frische Fährte im Schnee, sie führte aus dem Walde heraus, lief hinter den Bretterschuppen im Ge müsegarten, aber nicht mehr hervor. Dahinter steckt es also, — aber was? Ein Dieb? — Ein Dieb kommt nicht im Schnee. Ein Dieb wird sich hüten, wenn der Bauer zu Hause, noch Licht brannte in der Stube. Es giebt auch gar keine Diebe in der Gegend. Die Fremde! Wenn's das wär'. — Sie schleicht sich erst ins Haus, kundschaftet Alles aus, dann kommt das Gesindel nach. Sie öffnet in der Nacht die Thür. — Oft hat sie so etwas gelesen. — Jetzt fürchtet sie sich gar nicht mehr, jetzt lacht sie sogar. „Na wart', Dir wird'n wir scho' heimleicht'n, Dir und ihr. — Das wär' a Spaß, — der verliabte Alte und die Diebin, — dann wär' ja All's, All's wieder guat. Grad' lachen wollt' sie —" Jetzt wich sie nicht mehr von ihrem Posten. Ihr Glaube wurde immer mehr zur Gewißheit. Das Flüstern, das heimliche Lachen, das herausdrang aus der Stube, berührte sie gar nicht mehr. Nur zu! Die Schänd', die er sich selber anthuat, wird nur immer größer. Plötzlich löst sich etwas los vom schwarzen Schuppen, — ein Mann! Noch blieb er im Schalten, dann schlich er, den Rücken gekrümmt, gegen das Fenster, aus dem ein breiter, gelber Lichtschein fiel. Bärbl stockte der Äthern. Sollte sie Lärm machen? Wenn ein Unglück geschähe. — Jetzt hatte er das Fenster erreicht, drückte sich an di« Wand, hob den Kopf bis zu der Scheibe. Bärbl konnte einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken, — Ambros war'S! Zuerst war es ein Gefühl der Enttäuschung, daS sich ihrer bemächtigte, sie hatte sich schon ganz in den Dieb hineingedacht, dann aber leuchtete es ihr blitzartig auf, — die Lösung! Der Diebin hätte er am End« auch noch verziehen, der verliebte Narr, der Geliebten de» Sohne« verzeiht er nie. Ambros schlich gebückt über den Hof. Bärbl folgte der dunklen Gestalt, welche einen grotesken Schatten über den Schnee hinwarf, mit gierigem Blick. Sie schlüpfte in den Stall. Das hatte sie erwartet. Er wußte, daß Marion durch den Stall auf ihre Kammer ging. Bärbl betrat möglichst unbefangen die Wohnstube, trotz dem schrak das Paar am Tische sichtlich auf, wie über Unrechtem ertappt. „Die Fleck blärrt so schiach. Was wohl hat?" bemerkte die Bärbl, sich am Tische zu schaffen machend. Marion ergriff sichtlich froh die Gelegenheit, sich zu ent fernen. Ihr Gesicht war geröthet, ihre Züge in starker Erregung. „Werde gleich schauen." Schon war sie draußen. Der Lawiner goß ein volles Glas Rothen hinunter und stieß das leere Glas zornig auf 'die Tischplatte zurück. „Natürli — das häst net d'erlitt'n, grab' g'wart' hab' i d'rauf." Bärbl sprach kein Wort. Das reizte ihn noch mehr. „Nutzt Dir aber nix, ja, i sag's grab' 'raus, sie g'fallt ma, die Dirn. No mehr, wenn Du 's hören willst, i könnt' ma den Hof gar net mehr denken ohne die Marion." Sein Zorn wuchs gegen die immer noch schweigende Bärbl. „Und wenn die ganz« Welt sich aufricht' dagegen, i halt's." Er schlug mit der Faust auf den Tisch, „gegen Dich, gegen den Pfarrer, gegen den Ambros — all's gleich —" „Gegen den Ambros!" Bärbl lachte hämisch. Der Lawiner verstand sie wohl, trotz des kleinen Schwipses, den er sich angetrunken. „Was hast da schon wieder mit dem Ambros?" fragte °er. „Wo sie nur bleibt!" bemerkte diese, ohne auf sein« Worte zu achten. ,,D' Fleck is ja längst stad." „Antwort gieb!" drängte der Lawiner, „was is mit dem Ambros?" Bärbl hatte plötzlich ihre Ruhe verloren, sie war vorge treten, hatte den Arm des Bauern ergriffen, Haß und Freude leuchteten aus den grauen Augen. „Geh' in den Stall und schau selber, was is mit dem Ambros." Der Lawiner fuhr auf. „Mit dem Amoros — im Stall? Bärbl, gieb' Obacht, waS D' red'st. Der Ambros is ja auf der Wlden. Net auf der Sölden?" Er ergriff Bärbl's Arm, daß sie aufschne, „net auf der Sölden, der Ambros?" Bärbl bereute fast ihren Verrath. „Er wird halt z' red'n hab'» mit Dir —" wich sie aus. Der Lawiner stutzt« «inen Augenblick, bann ging er zur Thür«, zög«rte noch einmal, verschwunden war er, die Thür fiel hinter ihm in das Schloß. „Ganz recht, s' g'hört ihm net anders. Wenn er'K net mit eigenen Augen sieht, — und er wiöv's seh'n mit eig'nen Aug'n —" Bärbl öffnete die Thür, horcht«. Jetzt mußte er schon im Stalle sein. Sie schlich auf den Gang — Alles still! Wenn der Ambros am Ende doch nicht — dann bat sie's nur schlimmer gemacht. Angst befiel sie, als ob in der Stille irgend etwas Unheilvolles sich vollziehe. Die Thür, welche von der Küche in den Stall führte, stand off«». Die erblindete Laterne an den spinnenumwobenen Quer balken ergoß ihr mattes Licht über die fleckigen Rücken der Kühe und auf die auf ven Balken der Decke schlafenden Hühner. Schlverer Stallgeruch erfüllte den Raum. Ueber den breiten Rücken des Flax, des Zuchtstieres, der sein Genick, mit der Kette rasselnd, am Barren rieb, erblickte sie Marion. Sie sprach heftig, offenbar mit Ambros, den sie nicht sehen konnte. Erst war kein Wort zu vernehmen vor dem Lärm des Flax, dann traute die Bärbl ihren alten Ohren nicht. „Ich will aber nicht, nein, ich will nicht!" klang es energisch. Dann sprach wohl er, sie aber schüttelte das Haupt. „Das ist nicht wahr, ihm bin ich Dank schuldig, der mich aufnahm mit meinem Kinde, ber mir ein Dach bot und Brod, mir und Biela. Nie werde ich ihn verrathen — niemals!" Die Bärbl hätte in den Boden sinken mögen vor Scham. Deshalb ließ sich der Lawiner nicht sehen, er lauschte wohl irgend wo im Dunkel und konnte sich nicht satt hören, und sie achtete es wohl, die schwarze Hexe, und sprach ihm jedes Wort zu Ge fallen, und sie, die Bärbl, war die gehässige Verleumderin für alle Zeit. Jetzt tauchte der Kopf des Ambros auf. „Hast ihn gar gern, den Alten?" Das junge Antlitz, auf das jetzt da volle Licht der Laterne fiel, erschien um Jahre gealtert, ganz verzerrt. Eine lange Pause. — Bärbl drückte den Daumen fest in die Faust. Jetzt galt's! Sie, oder Marion! Ambros flüsterte wohl eine zweite Frage. Marion'S Haupt hob sich energisch. „Wenn Sie eS denn wissen müssen — Ja! Ja!" Ambros sti«ß ein gellendes Hohngelächter aus, dann sah Bärbl nur noch seinen Kopf sich dem Marion's nähern, zwei ringende Arme — Flax brüllt« laut — dann tauchte plötzlich «r Lawiner au» dem Dunkel auf — er faßte Ambros, der Marion in seinen Arm gezwungen, — ein dumpfer Schlag — noch rimr —
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