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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010410027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901041002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901041002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
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Abend-Ausgabe ripMer TaMalt Druck und Verlag von E. Polz in Leipz^ Jahrgang. 181 Mittwoch den 10. April 1901 Trtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbesürderung 70.—» Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Polizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags IO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr Bezugs-PreiS Ar der Hauptexpedition oder den km Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 KV, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!. 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blatte« möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Ubr, die Abenv-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Medarlion und Expedition: Ivhannisgaffe 8. Filialen: , Alfred Sahn vorm. O. Klemm'» Sortine. UniversitätSstraße 8 (Pausinum), Loui» Lösche, Katharinevstr. 1^, Part. »,d König-Platz 7. Anzeigen Preis die Kgespaltene Petitzeile L5 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (»gespalten) 75 vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Der Krieg in Südafrika. Da» Londoner KriegSamt betrachtet die bevorstehende Periode de» südafrikanischen Kriege» al» die schwierigste. Der neue Titz der Negierung von Transvaal LeydSdorp liegt am südlichen Abhange der AoutpanSberge in einer sehr unzugänglichen Gegend, die fortgesetzt von Krankheiten, wie Malaria, Dysenterie und Typhus, sowie von der Tsetsefliege heimgesucht wird. Die Boeren können das schlechte Klima ertragen, die Engländer, wie das KriegSamt befürchtet, jedoch nicht. * London, 10. April. (T.) Lord Ki tch euer meldet aus Pretoria unter dem 9. April: Plumer machte bei der Besetzung von PieterSburg 60 Gefangene, erbeutete ein Siebrnpfünder-Geschütz und vernichtete viele Munition und Dynamit. * London, 9. April. Das „Amtsblatt" meldet die Einsetzung einer Commission, welche zuerst in London und dann in Südafrika die Schadenersatzansprüche aller aus Südafrika aus gewiesenen Ausländer prüfen soll. Die betreffenden Ansprüche müssen dem Auswärtigen Amt bis zum 25. April cingereicht werden. Die ncne Taktik der Boeren. Der frühere tranSvaalijche Staatssekretär Ban Alphen in Brüssel äußerte sich über die Lage der Boeren folgender maßen: Soweit wir direkte Mittheilungrn auS Süvasrika erhalten haben und soweit wir dieselben durch die englischen Telegramme zu ergänzen vermögen, ist die Lage des Kriegs schauplatzes für die Boeren noch immer eine sehr günstige. Die noch wenig erkennbaren neueren Be wegungen von Botha und De Wet haben nur den Zweck, die Engländer fortwährend in Athem zu halten. Ein Be richt, der vor sechs Wochen au« dem Boerenlager abging, erklärt, daß bis Mitte April das Kampsfeld über Zululand, Natal, beide Republiken, die halbe Capcolonie und Britisch- Betschuanaland ausgedehnt sein würde, so daß Lord Kitchener an irgend einen kräftigeren Vorstoß nach einer bestimmten Richtung hin gar nicht werde denken können. Die Ankündigung ist inzwischen völlig verwirklicht worden, denn augen blicklich haben sich die Engländer auf der ganzen Quer linie von Zululand an bis an die Grenze von Deutsch-Süd westafrika der Angriffe und Beunruhigungen durch kleine Bocrentrupps zu erwehren. Deshalb könne auch in dem Borrücken der Eolonne Plumer nach dem Norden Trans vaals keine weitere Gefahr für die Boeren erblickt werden. Selbst wenn Plumer PieterSburg besetzen sollte, so würden von dort vorher alle Borräthe an Waffen und Lebensmitteln weggebracht sein, und die englischen Truppen würden dann nur noch eine weitere Verbindungslinie von 500 Kilometern zu bewachen Haden. Bleibe Plumer in PieterSburg, so wären dadurch auf Linie Pretoria-Nylstroom-Pietersburg 30 OVO Mann Engländer festgebalten, welche stündlich befürchten müssen, daß ihnen durch die herumschwärmenden BoerentruppS die Lebens mittel und MunitionSzüge abgesangen werden. Deshalb, so schloß Ban Alphen, ist der Augenblick bereit» ringetreten, wo England erkennen muß, daß der Krieg auf dem todten Puncte angekommen ist. Gegen einen unsichtbaren Feind, der über 15 000 geographische Geviertmeilen vrrtheilt ist, kann Kitchener nicht weiter Krieg führen, und wenn man ihm selbst noch 100 000 Mann schicken wollte. Vie Wirren in China. Eine Anzahl radicaler Blätter hat in Osterartikeln über das langsame Fortschreiten der FriedenSauSfichlen Klagen führen zu müssen geglaubt. Dabei ist es notorisch, daß ebenso von militärischer wie von diplomatischer Seite aller nur denkbare Eifer aufgeboten wird, um eine Annäherung an das er wünschte Ziel zu ermöglichen. Am meisten Schwierigkeiten macht die Entschädigungsfrage; alles Andere ist auf dem Wege bester Regelung. Eine nicht unerhebliche Erleicht-rung der Situation ist durch den neuerlichen Verzicht der russi schen Regierung auf eine Unterzeichnung de» viel besprochenen Mandschurei-Abkommens durch China hecbeigeführt worden. Bei der Regelung der Entschädigungsfrage kommen po litische Rivalitäten kaum in Betracht, sondern vorwiegend prak tische finanzpolitische Erwägungen. Zunächst sind aber noch nicht einmal die Forderungen der einzelnen Regierungen sämmtlich aa- gemeldet, geschweige denn die der Privaten. Wenn aber auch das Verfahren, in dem die Entschädigungs ansprüche geprüft und geregelt werden dürften, als ein sehr lang wieriges sich darstellt, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß, schon bevor man zum Abschluß dieses Verfahrens gelangt, die Mächte solche Sicherheiten gewinnen, daß sie mit der Räumung Petschilis beginnen können. Hauptbedingung ist und bleibt na türlich, daß China keine Gelegenheit erhält, sich den über nommenen Verpflichtungen zu entziehen. Kurz und gut: wenn es auch nichts weniger als gerathen erscheint, sich in Bezug auf die weitere Entwickelung der Dinge einem besonderen Optimis mus zu überlassen, so ist doch Vas Gegentheil erst recht nicht am Platze. Wenn auch langsam, so geht es mit den Aussichten nach China hin immer besser. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. April. Wenn die Behauptung, daß der Kaiser kürzlich vom Canalschlucken gesprochen, nickt wäre, wie ruhig und zu» versichtlick könnte man einer Einigung über den Zolltarif entgeqeusehen! Die Leiter des Bundes der Landwirthe haben bekanntlich den Versuch gemacht, die katholischen agrarischen Organisationen sich anzugliedern, und daS bat begreiflicherweise in CentrumSkreisen lebhafte Ver stimmung erregt. Denn wenn auch zwischen dem Centrum und jenen Verbänden manchmal recht unerquickliche Streitig keiten vorgekommen sind — wir erinnern nur an daS scharfe Duell zwischen der „Kölnischen Volkszeitung" und den rheinischen Bauernbündlern nach der Annahme der Handelsverträge im Frühjahr 1894 —, so rechnet doch da- Centrum jene Körperschaften zu seinen Parteigängern. Während nun die „Köln. BolkSztg." den Versuch de» bünd- leriscken Wolse», in die klerikalen Schafställe einzudringen, mit Entschiedenheit zwar, aber zugleich mit einer gewissen überlegenen Gelassenheit zurückweist, ergeht sich das führende bayerische CrntrumSorgan in echt bayerischen Grob heiten. Zunächst fragt eS geringschätzig, wa» denn eigentlich der Bund der Landwirthe zu bedeuten habe: „Es giebt überhaupt im deutschen Reichstage keine 20 Ab» geordnete, die sich um La« Eommando des Bunde» der Land- Wirth« kümmern. Wir werden das ja sehen, wenn eS zu den Handelsverträgen kommt. Einige Herren des Bundes der Land- wirthr — da« geben wir gern zu — werden, weil ja der Bund ihre Nährmutter und Einnahmequelle ist, mit aller Ent- fchiedenheit für die Forderungen Le» Bauernstandes eintreten... Das ist noch nicht der dreizehnte Theil der Reichstagsabgeordneten, welche der Bund für sich und seine Forderungen in Anspruch nehmen kann." Um nun den bayerischen Bauern den Bund der Land wirthe vollends zu verekeln, wird der Bund wegen seiner nationalen Gesinnung, d. h. wegen seines Eintretens für Forderungen des HeereS und der Marine, denuncirt: „Diese Herren sind die richtigen Pickelhauben-Patrioten, die Alles, was die Regierung aus diesem Gebiete verlangt, mit Hont und Haar schlucken." Sieht mar. von den persönlichen Invectiven ab, so ent halten die Ausführungen deS bayerischen Blattes einen sehr zu beachtenden sachlichen Kern, nämlich den Hinweis auf die geringe Bedeutung deS Bundes im Reichstage. ES klingt wie eine Bestätigung diese» Hinweise», daß zur selben Zeit, wo das führende bayerische CrntrumSorgan die Schale seines Zornes über den Bund der Landwirthe ergoß, das führende preußische conservative Organ den bünd- ierischen Heißspornen eine Absage ertheilte, die in der Form zwar viel höflicher, in der Sache aber gerade darum viel schmerzlicher ist. Während nämlich die bündlerische Presse immer wieder mit Ungeduld auf die Veröffent lichung des Zolltarifs hindrängt, um in runden Ziffern festgestellt zu erhalten, was Graf Bülow sich unter einer „angemessenen" Erhöhung der Zölle vorstellt, erklärt die „Kreuzztg.", daß die conservativen Politiker sich hüteten, eine bestimmte Ziffer zu nennen, und sich auf daS Verlangen einer angemessenen Erhöhung beschränkten. Es würde den Con servativen auch nicht beifallen, übertriebene Forde rungen zu stellen, weil sie wohl wüßten, daß die Conser vativen allein nicht die Zölle durchsetzen könnten, sondern dabei auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen seien. Damit ist zugleich gesagt, daß die Conservativen — wenn sie nicht „verärgert" werden — sich nicht von dem Centruin den Wind auS den Segeln fangen lassen wollen, denn wenn die Conservativen sich auf die bündlerischen Forderungen festlegten, so wäre wieder einmal das Centrum die allein maßgebende Partei Nach düsen Erklärungen der „Kreuzztg." konnte nunmehr mit Sicherheit da» Zustande kommen des Zolltarifs angenommen werden, wenn eben jene angebliche Acußerung des ReichSobcrhaupteS nicht wäre. Dann würde sich auch zeigen, daß die Behauptung des bayerischen CentruinSorgan», der Bund der Landwirthe habe im Reichstage noch nicht r/,z der Abgeordneten in seiner Hand, durckaus nicht unzutreffend ist. Wenn die Conserva tiven des Reichstags zu Wahlen haben zwischen der Parole „Hie KreuzztH-, die Diederich Hahn", so werden von ihnen der staatsmännischen Auffassung der „Kreuzztg." beitretrn. Die intransigenten Conservativen, die in den Reichstag hinein gewählten Führer des Bundes (Wanzenbeim, Hab», Oertel, Nösicke), die bayerischen Bauernbündler und einige Antisemiten dürften kaum ein Fähnlein von zwei Dutzend Abgeordneten ausbringen — immer vorausgesetzt, daß diesen intransigenten Elementen die Gelegenheit entzogen wird, die weit überwiegende Mehrheit der Conservativen als unter Hochdruck stehend hinzustellen und dadurch zur „Steif- nackigkeit" zu verleiten. Leider geschieht auch beute noch nichts, um den Spekulanten auf die verärgernde Wirkung des angeblichen Kaiserwortes das Geschäft zu verderben. Die „Nordd. Allg. Ztg." hat allerdings die Behauptung der „Post", daß der Kaiser einen derartigen Ausspruch bei einem offi- ciellen Empfange oder einer Audienz nicht gethan habe, bestätigt, aber damit die Versicherung der „Tägl. Rundsch." daß der fragliche Ausspruch bei einer gelegentlichen Unterhaltung gethan worden sei, nicht widerlegt. DaS letztere Blatt hält denn auch an seiner Behauptung fest, und wenn die „Post" hierauf grob wird, so ist das noch kein vollgiltiger Beweis dafür, daß sie in diesem Falle osficiöS ist. Hoffentlich holt wenigstens der Reichskanzler bald nach Wiederbeginn der parlamentarischen Arbeiten im Reichstage oder im preußischen Abgeordnetenhause nach, was bisher Vie amtlichen Organe verabsäumt haben. „Ein Stück Zeitgeschichte" nennen die socialdemokratischen Blätter den soeben herausgcgcbenen Geschäftsbericht des Centralvcrbandes der Maurer Deutschlands. Wie dieser Bericht selbst zugiebt, haben die organisirten Maurer in den Jahren 1899 und 1900 infolge von Streiks an Arbeitslohn 1 819 581 *6 eingebüßt, wovon nur 703 084 *6 durch Streikunterstückung aufgebracht worden sind, mit dem Reste von 1 116 499 *6 wollen sich aber die Maurer infolge der gewonnenen Streiks eine Erhöhung ihres Jahreslohnes von 5 305 360 *6 verschafft haben. DaS klingt sehr imponirend; aber wenn man auch nickt aus Erfahrung wüßte, daß derartige socialdemokratische Auf stellungen nur gemacht zu werden pflegen, um Sand in die Augen zu streuen, so müßte schon die Thatsache, daß der Centralverband der Maurer inSgesammt nur 82 964 Mit glieder zählt, also nur ein Fünftel aller in Deutschland arbeitenden Maurer umfaßt, Mißtrauen gegen die Behauptung des Geschäftsberichts erwecken. Denn wenn wirklich daS social demokratisch organisirte Fünftel der Maurer eine so bedeutende Erhöhung seine» JahreSlohnes erzwungen hätte, so würden die anderen vier Fünftel, weit über 300 000 Maurer, dem Verbände sicherlich nicht fern geblieben sein und hartnäckig fern bleiben. Wenn etwa« als ein „Stück Zeitgeschichte" anzusrhen ist, so ist e» dieses Fernbleiben von 80 Procent der deutschen Maurer von dem Verbände, obgleich dieser so glänzender Erfolge sich rühmt. Halten sich die Arbeitgeber dieses Zahlen- verhällniß zwischen den Mitgliedern des Centralverbandes und den außerhalb desselben stehenden Maurern vor Augen, so werden sie in Zukunft schwerlich so oft wie im vorigen Jahre vor dem rotycn Lappen capituliren. Sie werden dies um so weniger, je mehr sie sich beim Ausbau der Arbeit geber-Organisationen beeilen. Die an den Krieg mit Spanien sich schließenven, bis auf der: heutigen Tag fortdauernden Kämpfe aus den Philippinen, sowie die Besetzung von Cuba und Portorico hatten es zu Wege ge bracht, daß dir Berctntgten Staaten van Amerika auch nach dem Frievensschluß noch gegen 100 000 Mann unter oen Waffen hielten, und zwar 35 000 Mann als erweitertes reguläres Heer und 65 000 Freiwillige in 25 Regimentern. Dieser Zustano durfte nach den gesetzlichen Bestimmungen nur bis zum 1. Juli 1901 dauern; trat nicht ein neues Gesetz in Kraft, so mußten an diesem Tage sowohl die Freiwilligen-Regimenic: aufgelöst, als auch das reguläre Heer auf etwa 25 000 Mann (es sind hier nur die fechtenden Truppen in Rechnung gestellt) ge bracht werden. Das ließ aber die Lage auf den Philippinen nich: zu, und außerdem hatte man während des Spanischen Krieges die Unzulänglichkeit der regulären Wehrkraft des Landes klar er kannt. So legte der Kriegsminister Root dem Congreß einen Reorganisationsentwurf für das Heer vor, dec zugleich eine erhebliche Verstärkung desselben bedeutet. Nach einigem Hin und Her zwischen Repräsentantenhaus und Senat war am 31. Januar d. I. die Zustimmung beider Häuser des Kongresses zu dem mehrfach abgeänderten Entwurf erzielt, und Femilletsn. Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. Noweruck vnietin. Ruvolf Lammert war auf seiner Flucht in jener Mainacht nicht wenig betroffen gewesen, als Freund Heini ihm sein Reise ziel genannt hatte; oeim taum, daß er eine dämmernde Ahnung von diesem Großvater Heini'» 'besaß. Fast nie 'hatte der Letztere oder seine Schwester des alten Mannes Erwähnung gethan, und dann nur in Andeutungen, die auf irgend ein Zerwürfniß in der Flügge'schen Familie rat-hrn liehen. Nttirrisch genug war Rudolf empfangen worden, als er nach zweitägiger Reise — zu Fuß, zu Wagen und mit der Eisenbahn — Las schwer aufgefundenc Häuschen de» Alten betrat, beklom menen Herzens, aber in so blindem Vertrauen aus Karl Fliigge's zweckmäßige Anordnungen, wie es eben nur in der Brust eines weltscheuen und weliunerfahrrnen Menschen von neunzehn Jähren gedeihen kann. Mürrisch genug. Der fletschenden Dogg« aber, die Miene machte, auf den Eindringling loszufachren,' hakte der Alte mit vem weißen Stoppelfeld im Gesicht einen Tritt versetzt, daß sie sich winselnd unter «in an der Wand lehnendes Büchergestell ver kroch. Seines Sahne» Schreiben 'hatte er mir zögernd ange nommen, nach der Lektüre aber, die ihm noch ohne Brille gelang, unter seinen stark hervortreteiiden Brauen den jungen Menschen eine ganz« Minute scharf angesehen und dabei etwa» Unverständ liche» gemurmelt oder vielmehr gebrummt, bi» er lanasam aus seinem Lehnstuhl am Fenster aufstand, die Thür öffnete und hinauSvi-f: „Susa!" Süsa — in der Folgezeit erfuhr Rudolf Lamert, sie heiße mit christlichem Schreibnamen Susanne Berner — scheint noch älter al» ihr Herr. Ein ganz verhuzrltr», alterSgelbe» Gesicht, au» dem ein Paar stechende Augen den Gast mit einer gewissen Feind seligkeit mustern. „Er bleibt hier", sagt Christian Flügge. Weiter nicht». Nur al» Susa nicht sobald ckbtreten will, sondern ihrem Herrn mil «den solchem Lück in die Lugen steht, wie zuvor dem Oger, da gvunit der Alte: „Nicht verstanden? Wird auch Hunger haben." Daß scklchr Annahme richtig, bowrist Rudolf Lammert ein« hatkh« Stund» später «tnirch dir That. Da« von Susa aufqe- tvagen« Abendbrot, verdient auch den guten Appetit. E» ist da» beste unter de» Flüchtling» Erlebnissen an diesem Tage, vor Allem da» Best«, wa» ihm hier im Hause vor die Lugen kommt. Dmn Christian Flllgge's Behausung erscheint nichts weniger als an- heimelnd. Ein morsches Gebäude aus Lehmfachwerk, mit weit hinabgesenktem Strohdach, die Wohnstube rauchgebräunt, voll dumpfer Luft. Redselia scheint der Alte auch nicht, und wenn er ein paar Wort« an seinen Schutzbefohlenen richtet, so fragt er nach allem Anderen «her, als nach seinem Sohne und dessen Kindern. Nach Tisch setzt «r eine Pfeife mit riesigem schwärzlichen Maserkopf in Brattd und greift nach einem Zeitungsblatt. „Auch Lrctüre?" 'fragte er dann, wobei er auf das Bücher gestell mit seinen fünfzig dis sechzig abgegriffenen Bänden zeigt. Eine kuriose Bibliothek. Neben einigen Bändchen von Schiller's Musenalmanach und Goethe'» Werken, Ehrens«!»'Bienenzucht uns Birnbaum's Lehr buch der Landlvirthschaft, neben dem „Tagebuche des Rittmeisters von Colom-b" und Arndt'» Gsdichien ein „Kirchen- und Ketzer almanach auf das Jahr 1781" sowie Kantzow's Pommerschc Chronik. Auch mächtige Schweinsledern« stehen dazwischen, für Rudolf LamMert schier zu ehrwürdig, sich ihrer zu 'bemächtigen. Dagegen fällt ihm «in alter physikalischer Leitfaden in Vie Hände, in vem er mit gethetltrm Interesse blättert, bi» Christian Flügge aufsteht und mit einem knappen: „Muh ins Bett" in Begleitung oes wiederum den Gast drohend anknurrenden Huckdes das Zimmer verläßt. Susa weist Rudolf seine Schlafstube an. Ein niedriges, einstmals weiß getünchte» Gelaß unter dem Dache, sicherlich lange Zeit nicht benutzt, denn «in unangenehm modriger Geruch empfängt den Cintretenden. Auf dem Fußboden liegt in einer Ecke allerlei Gerümpel. Diesem gegenüber bläht em gewaltiges Bett sein« schweren Kiffen. Rudolf'» erster Griff gilt dem Fenster, -dessen verquollener Rahmen erst nach einigem Rütteln nachgiebt, die kühl-frisch« Abendl-ust einzulassen. Als er sich dann umsiebt, ist di« All« schon verschwunden, ohne ihm eine gut« Nacht gewünscht zu haben. Es ist kaum dunkel und zum Schlafen fühlt Rudolf sich zu aufgeregt. Er löscht da» Licht, schwingt sich auf die schmale Fensterbank und blickt eine Weile in da» mondlichtdurchflossene junge Grün draußen. Dann schließt er unwillkürlich die Augen. Ist e» denn kein Traum, wa» er seit zwei Lagen erlebt hat? Wenn's einer wäre! Wenn er jetzt nicht in einem fremden Hause, der Heimath fern, in bitterer Quak auf die Nachricht warten müßte, Ulrich Fetthenne sei auf dem Weg« zur Besserung — »der todt! Wenn er fick statt dessen beim Erwachen in seinem Stübchen fände und draußen die Stimme Gabrielen'» hört«: Kommt Ihr noch nicht? Mutting wartet schon. Wenn ach, wenn! Nein, kein Traum. Nichts ist es, als unabänderliche, hand greifliche Wirklichkeit. Er merkt es, als er das Auge öffnet, die Hand ausstreckt nach dem Rothdocn, der seine Blüthen bis dicht vor sein Fenster schickt — urro dabei an das morsche Fenster kreuz stößt, daß ihm der Finger schmerzt. Kein Traum! Und währenddem Gabriele in bebender Angst um ihn; und seine Mutter — Ihr so fern — auf lange — auf immer vielleicht — nun erst gedenkt er ihrer. Was Wunder «aber, daß Gabrielen's Bild 'das ihr« immer wieder verscheucht! Nur Gabrielen's — — —? Ach nein; aber — ja, «r wird roth, wenn er jetzt an Lisa Flügge denkt, und er freut sich, daß ihr Großvater unten ihn nicht nach den näheren Umständen seines Streites mit Ulrich ge fragt hat. Ein sonderbarer Kauz, der alte Mann! Und seine Wirth- schafterin giebt ihm nichts nach. Leben die Zwei immer so schweigsam dahin? Als er am anderen Morgen herunterkommt, findet er den FrühstllckStisch für sich allein gedeckt. Unwillkürlich sieht er sich nach dem Hunde um. „Er hat Zänker mitgenommen. Er ist schon längst 'raus", sagt Susa. „Wer?" Die alte Person zuckt nur mit den Achseln; es ist doch selbst verständlich, daß sie vom Hausherrn und seinem Hunde spricht! Doch meint Rudolf, ihr« Blicke stächen weniger scharf, al» gestern Abend, verriethen sogar ein gewisses Wohlwollen. Oder ist das nur Einbildung, weil sie heute überhaupt gefälliger aussieht in elner blllthenweißen Haube und eben solcher Schürze? Jedenfalls hält er für nöbhig, sein langes Schlafen mit ein paar Worten zu entschuldigen. Sie schüttelt den Kopf. „Junges Blut — kenn« da»! Nun essen und trinken Sie nur. Ein Körper, wie Ihrer, 'braucht 'was zum Einhrizen." Ihr Blick ruht dabei interessirt auf seinem Gesicht, was er aber im ersten Frühstückseifer kaum bemerkt. Sie seht sich mit einem Stricksteumpf an das offene Fenster. „Geht Herr Flügge regelmäßig so früh Morgens auS?" „Zweimal in der Woche zum gnädigen Herrn nach Sprakensen, außerdem Sonntags, aber dann nur nach Tisch", antwortet sie. „Wer ist denn der gnädige Herr?" Einen Moment sieht sie ihn an, ehe sie entgegnet: „Der Baron von Rheinern, sein alter Freund vom Colomb'schen Corp» und außer ihm der beste Mensch in der Lüneburger Haide." Er kaut an seinem Butterbrod und nickt. „Ich glaube auch, daß Herr Flügge ein guter Mensch ist." „So—0?" fragt sie. „Weil er Sie saus sagou ausgenommen hat, meinen Sie? — 'n ja — das muß doch 'n« Bewandtnitz mit Ihnen haben, denn von den Karninern hält er sonst nicht viel. Hat's auch nicht nöthig." „So hat er Ihnen gesagt, woher ich bin?" „Das brauchte er nicht. Daß Sie aus Vorpommern sind, höre ich an Ihrer Sprache. Und woher sollten Sie denn kommen, wenn nicht aus Karnin? Andere Leute aus der Gegend haben hier nichts zu suchen. Ich wundere mich nur —Sie hält di« Stricknadel nachdenklich vor den Mund und sucht in seinem Gesicht zu lesen. „Fällt Ihnen etwas an mir auf?" fragt er. Nun schüttelt sie den Kopf. „'s ist nur wegen der Aehnlichkeit Sie gefallen mir, und darüber können Sir sich freuen; denn sehr Viele Menschen gefallen mir nicht." Das spricht sie in einem Ton, als habe sie auf dem Buchberg zu befehlen, und nicht Christian Flügge. „Nun erst recht", fährt sie fort, al» sie ihn unter ihrem suchenden Blicke erröthen sieht. „Fast so, nur nicht ganz so ver bissen konnte er aussehen. Und hübscher, als Sie war er auch — aber das mackte auch wohl 'ver flotte Bart damals, und dann die Uniform ." Jetzt sieht sie ihn nicht mehr an, sondern still in das flimmernde Mailtcht draußen. Das Strickzeug ist ihr in den Schooß gesunken, und es dauert ein Weilchen, ehe sie wieder anhebt: „Bei den Colomb'schen war er mit, er und der Herr Baron und mein Flügge, und ich verdanke ihm mein Leben. Das war damals freilich kaum acht Jahre alt, und heute sind rs siebzig — aber vergessen habe ich's nicht, wie er mich au» dem brennenden Hause holte und sie mich abwechselnd auf ihr Pferd nahmen, er und Christian, und mich der Herr Baron dann nach Sprakensen zu seiner Mutier schickte. Ja, ja, dos war 'ne Zeit, von der der Mensch sich heutzutage schwerlich 'nen Begriff macht, weil er das KriegSelrnd nicht mehr im eigenen Lande erlebt hat seitdem. Gott sei Dank nicht!" Er rührt nachdenklich mit dem Löffel in seiner Lasse. „So sind Sie nicht hier aus der Gegend?" Sie schüttelt den Kopf. „Aus Reinsdorf bei Zwickau, und nicht wiever hingekommen, seit der Rittmeister von Colomb den Franzosen ihr« Kanonen und an die dreihundert Gefangene nahm — Alle» mit zweiund achtzig Mann. Aber freilich — da waren auch Leut, »'runter, wie der Herr Baron und mein Alter, und dann er!"
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