Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020822017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-22
- Monat1902-08
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-PretS in der Hauptexpedition oder de» tm Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^l 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in» HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich 6, für die übrigen Länder lautZeituogSpreiSliste. Vrdacliou und Erveditiou: Bohmmt»gaffe 8 Fernsprecher 15S und L2L. FtttatvvvvdM*»«,, Alfred Hahn, Buchhaadlg., UntverfltLtsstr.S, L. Lösche, Katharinenstr. 14, n. KöntgSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strrhlenerstraße S. Fernsprecher Ami 1 Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlin: Königgräherstraße IIS. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SS. Morgen-Ausgabe. KipMtr Ta-MM Anzeiger. Ämlsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Votizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen «Preis die 6gejpaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaetionrstrich (4 gespalten) 75 vor den Familteuoach« richten (6 gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanuahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, oha« Postbesördernng SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Itunahmeschluß für Anzeige«: Abend-Au-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen find stet« an d« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag nnnnterbrochen geöffnet von früh 6 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Potz in Leipzig. Nr. 425. Zur Frage -er engeren Vereinigung der deutschen evangelischen Landeskirchen. v. Th. Braun, Wirklicher Consistorialrath in Berlin, hat in einer bet Mittler k Lohn erschienenen Einzelschritt ein wichtiges Botin» abgegeben. Er gehört nicht zu dem am 31. Mai d. I. von der Eisenacher Kirchenconfercnz ein gesetzten Dreizehncrausschuß „zur Bearbeitung der An gelegenheit eines engeren Zusammenschlusses der deutschen evangelischen Landeskirchen", aber seine Stellung im Berliner Evangelische» Oberlircheurath und seine Wirt- samkcit auf der Eisenacher Eonscrcnz sichern seinen Er örterungen eine maßgebende Einwirkung auf den Gang der Verhandlungen, innso mehr, als er vorerst nur eine „Weiterbildung der Eisenacher Confe- renz" fordert. Er hatte selbst 1898 der Eonferenz in einem Präsidtalberichte die Bildung eines ständigen Verwaltungs-Ausschusses »iahe gelegt. 1900 wurde auch ein solcher, aus sechs Mitgliedern bestehender Ausschuß eingesetzt, mit der Aufgabe, „die Eonferenz in der ihr obliegenden Förderung der einheitlichen Entwickelung der Zustände der einzelnen Landeskirchen zu unterstützen". Ihn weiter auszubauen, seinen Wirkungskreis zu erweitern und seine Organisation zweckmäßig zu gestalten, erscheint dem Verfasser als das Erfordernd des Augenblicks. Er möchte die dein Ausschüsse neu zu stellende Aufgabe etwa so umschreiben: „Ter Ausschuß hat die Stellungnahme anderer K i r ch e n g e m e i n s ch a f t e n und Religionsgesellschaften zur evangelischen Kirche zu beachten, Angriffe auf diese und ihre Einrich tungen zurnckzuwcisen, zur Abstellung von Gesetzwidrig keiten Anträge an die zuständigen Behörden zu richten oder die Stellung solcher Anträge seitens der zu ständigen landeskirchlichcn Behörden anzuregen; — der Entwickelung der R e i ch s g e s c tz g c b u n g auf dem das kirchliche Leben berührenden Gebiete, sowie der Handhabung der Reichsgesetze fortdauernde Aufmerksamkeit zuzuwenden, zu erwägen, ob durch gesetz geberische Vorlagen oder durch Maßnahmen der Behörden bei der Ausführung erlassener Reichsgesetze oder durch die Rechtsprechung der Gerichte evangelische Interessen ge fährdet werden, und in diesem Falle durch Anträge an die zuständigen Rcichsbehörden auf die Fernhaltung, bezw. Abstellung der befürchteten Schäden hinzumirken; — der seelsorgerischen Bedienung der Evangelischen in den deut schen Schutzgebieten, sowie an Plätzen außerdeutschcn Auslandes, wo eine Mehrheit von evangelischen Deutschen lebt und Einrichtungen für evangelische Seel sorge nicht bestehen, seine Fürsorge zuzuwcnoen, nach Be darf die Bildung evangelischer Gemeinden anzuregcn und wegen Uebernahme der Versorgung solcher Gemeinden seitens einer der deutschen Äirchenregierungen eine Ver ständigung hcrbeizuführen." Der wichtigen Erweiterung der Aufgaben des ständigen Ausschusses gemäß müßten, meint der Verfasser, die Mit glieder nicht, wie bisher, von der Eonferenz gewählt, sondern unmittelbar von dcnKtrchenrcgic- rungen ans der Zahl der von ihnen zur Eonferenz zu entsendeten Abgeordneten ernannt, um der Einheitlichkeit seines behördlichen Wirkens willen aber die Mitglieder zahl nnr ans höchstens 10 erhöht werden. Die Negierungen der größeren Landeskirchen müßten das Recht erhalten, für sich allein ein Mitglied oder auch mehrere zn ernennen, die übrigen ihr Recht nach Euricn ansübcn. Von einer arithmetisch genauen Berücksichtigung der Lcelenzahl wäre bei der Bertheilung im Hinblick auf die kleineren Landes kirchen abzusehen; insbesondere würde die preußische Landeskirche auf eine ihrer Seelenzahl oder auch nur der Zahl ihrer Provinzen entsprechende Vertretung zu ver zichten haben. Auch die große sächsische Landeskirche würde sich zu ähnlichen Zugeständnissen entschließen müssen. Ein fester Sty und Anlehnung an eine be stehende landeskirchlichc Behörde sei für den Ausschuß schon Freitag den 22. August 1902. 96. Jahrgang. aus äußeren Gründen der Geschäftsführung unerläßlich, wegen der ihm zugcwiesenen kirchenpolitischen Ausgave aber könne er seinen Sitz nur in der Reichshaupt stadt haben. Dadurch werde die Bethciligung der aus wärtigen Mitglieder an wichtigen Arbeiten nicht ausge schlossen sein; die laufenden Geschäfte aber würden haupt sächlich von den in Berlin wohnenden Mitgliedern über nommen werden müssen, wie denn in den letzten Zähren mit Ausnahme der Easscnsachen im Wesentlichen alle laufenden Arbeiten der Kirchencvnfcrcnz thatsächluh von Mitgliedern und Beamten des Evangelischen Oberkirchen- raches in Berlin versehen worden seien. Weiter folgert der Verfasser, daß der Präsident des Evange- lischen O b e rk i r ch e n r a t h e s in Berlin, weil er in -er ganzen deutschen evangelischen Kirche die amtlich einflußreichste Stellung einnimmt und ungehinderten Zu gang zu den höchsten Reichs- und Staatsbeamten uiid die Möglichkeit persönlichen Vortrags an Allerhöchster stelle hat, der geborene Vorsitzende des Ausschusses sei. chat sächlich laste schon jetzt die Verantwortlichkeit für das Wohl und Wehe der evangelischen Kirche in ihren Be ziehungen nach außen auf Niemand schwerer, als auf dem zu amtlicher Bcrathung des Kaisers als summus vpiseopns der preußischen Kirche an erster Stelle bernsenen Beamten der preußischen Landeskirche; auch für ihn würde der Bei stand eines aus dem Vertrauen der deutschen Kirchen regierungen hcrvorgehenden Organes von Werth sein. Das ist der Kern dieses höchst wcrthvollcn Votums. Es ist nicht zn fürchten, daß seine innere Nothwcndigkcit von der Mehrheit -cs Dreizehnerausschusscs aus Angst vor „Hegemonischen Bestrebungen Preußens auf kirchlichem Ge biete" verkannt werden könnte. Man wird vielmehr hoffen dürfen, daß „die nächste Aufgabe" ihrer Lösung entgegen geht. Das von dem Vorsitzenden als berechtigt aner kannte und S. 32—43 erörterte „weitere Ziel" ist c i n v e r f a s s u n g sm ä ß i g gesicherter dauern der Bund selbstständiger Landeskirchen iür gewisse, einer gemeinsamen Behandlung fähige und dafür besonders geeignete Angelegenheiten mit Bundes regiment und Gesammlsnnode, eigener Verwaltung und dem Rechte einer innerhalb seiner Zuständigkeit snr die einzelnen Landeskirchen verbindlichen Gesetzgebung." Es wird nichts geschehen dürfen, was der Erreichung dieses weiteren Zieles hinderlich werden könnte. Deutsches Reich. Berlin, 2k. August. lArbcitcrals Schöffe n.j Nach der „Socialen Praxis" bat der Rathcnowcr Orts verband der Hirsch-Duncker'schen Gcivcrkvcreine vor eini ger Zeit dem dortigen Gerichte geeignete Mitglieder als Schöffen in Vorschlag gebracht, und es sind daraufhin in der That zwei Arbeiter als Schossen berufen wor den. Für das nächste Fahr hat der Ortsverband bereits eine Anzahl berechtigter Mitglieder in Vorschlag gebracht, und man glaubt, daß alsdann eine größere Anzahl von Arbeitern zu Schöffen berufen werden wird. Bei dieser Mittheilung läuft wohl eine Ungenauigkeit unter, denn es ist nicht anzunehmcn, daß der Vorschlag dem Gerichte dircct unterbreitet worden sei. Nach dem Gesetze findet die Auswahl der Schöffen in der Weise statt, daß zunächst von dem Vorsteher einer jeden Gemeinde eine Urliste ausgestellt wird, die dann an das Amtsgericht gesandt wird. Dort tritt alljährlich ein aus dem Amtsrichter, einem Verwaltungsbcamten und 7 Vertrauensmännern bestehender Ausschuß zusammen, der aus der Urliste eine Jahresliste für die Hauptschössen und Hilfsschösfen zusam menstellt. An sich ist jedenfalls die Betheiligung von Ar beitern an der Strafgerichtsbarkeit nur zn wünschen. Ge setzlich steht ihr nicht das Geringste im Wege, da die Ar beiter nicht zu den Personen gehören, die nach dem Gesetze unfähig sind oder als Schössen nicht berufen werden sollen, wie Personen unter 30 Jahren, Dienstboten, gewisse Be amte und active Militärpersonen. Wenn Arbeiter an der Strafjustiz active» Anthcil nehmen, so werden sie zu der Erkenntiß kommen, das; die Behauptung der Loeialdcmo- kratie von der „ Classcnj n st i z " auf Unwahrheit be ruht und werden diese Erkenntniß in die Kreise ihrer Bc- russgenosien tragen; schon ihre Thcilnahme an der Straf justiz widerlegt ja am besten die Behauptung von der Elassenjustiz. Insofern alio ist die Berufung von Ar beitern zn Schössen auch von politischer Be- d eu tu n g. Eine andere Frage ist es, ob jedem Arbeiter dieses Ehrenamt erwünscht sein wird. Die Hauptschöfscn sollen zwar jährlich höchstens an fünf ordentlichen Sitzungen der Schöffengerichte thcilnehmcn, aber schon dies kann unter Umständen für einen Arbeiter sehr lästig sein. An jedem Titzungstage geht zum mindesten ein halber Arbeitstag verloren, oft auch, wenn die Sitzung bis in den Nachmittag hinein dauert und, wenn der Sitz des Schöffengerichts von der Arbeitsstelle weit entfernt ist, ein ganzer Arbeitstag. Immerhin darf dies Bedenken nicht zu schwer ins Gewicht fallen, denn einmal würden wir es als eine sociale Pflicht der Arbeitgeber ansehen, in diesen Fällen den Arbeiter zu entschädigen, vor Allem aber ist der Arbeiter berechtigt, die Berufung als Schöffe abzulehnen, da dieses Recht solchen Personen, welche den mit dem Amte verbundenen Aufwand nicht zu tragen vermögen, zusteht. ,S. Berlin, 21. August. lDie bescheidene T o c i a l d e m o kra t i c.j Die oberschlesischen pol nischen „Genossen" sind angeblich bereit, die Wahlkreise Lublinitz-Glciwitz und Ratibor den deutschen Partei genossen konkurrenzlos zu überlassen, wofern diese ihnen die Wahlkreise Benthen-Tarnowitz und Kattowitz-Zabrzc überlassen wollen. Eine Zuschrift an den „Vorwärts" sagt: „Wenn man jetzt nachgiebiger sein will «als auf dec ober schlesischen Eonferenz; A. d. N.j, so ist das sehr zu be- g r ü ß c n." Darin liegt doch wohl die Zustnmnung zu dem Vorschläge der polnischen Genossen, nnd diese Zustimmung muß als ein Beweis sehr großer Bescheidenheit angesehen werden. Bei Lichte besehen, ist nämlich der Vorschlag der polnischen Genossen in Wirklichkeit eine Verhöhnung. Sie wollen den Deutschen großmnthig die Wahlkreise Lublinitz und Ratibor , bcrlassen; in dem ersteren Kreise erhielten die Svcialdemokratcn bei den letzten Wahlen rund 2490 Stimmen, gegen rund 16 000 bürgerliche Stimmen, also noch nicht ein Sechstel der abgegebenen Stimmen, während sic in Ratibor 1740 Stimmen, gegen ungefähr 14 000 bür gerliche Stimmen, erhielten, also etwa ein Achtel der abgegebenen Stimmen. Bei diesem gewaltigen Uebcr- gewichtc der bürgerlichen Stimmen können also in beiden Wahlkreisen socialdemotraiischc Eandidaturcn nnr die Be deutung von Zählcandidaturcn besitzen. Hingegen er hielten die Socialdemokratcn in Beruhen 8000 Stimmen, gegen 25 000 bürgerliche Stimmen, also nahezu ein Drittel der bürgerlichen Stimmen, in Kattowiy-Zabrzc sogar 9829, gegen ungefähr 20 500 Stimmen, also nahezu die Hälfte der aus die bürgerlichen Parteien gefallenen Ziffern zahl. Nun ist ja auch in diesen Wahlkreisen das Ueber- gewicht der bürgerlichen Parteien — richtiger des Een- trums, das allein in Frage kommt — ein so großes, daß auch hier ein Sieg der Socialdemokraten bei den nächsten Wahlen recht unwahrscheinlich ist. Immerhin ist er nicht ganz ausgeschlossen, insonderheit, wenn die polnischen Demokraten eine Spaltung der klerikalen Wählerschaft herbeiführen. Die polnischen Socialdemokratcn schlagen also den deutschen Parteigenossen eine „sooistss keonina" vor und die deutsche Svcialdcmvkratie begrüßt anscheinend dies ungleiche Bünduiß. Wenn doch die deutsche Soeial- dcmvkratic den bürgerlichen Parteien gegenüber sich einer ähnlichen Bescheidenheit befleißigen wollte! * Berlin, 21. August. (Zum Capitel von der Parität.) Die „Mgdb. Ztg." schreibt: Nicht obne Lenun- ciatorischen Beigeschmack stellt die „Köln. Volksztg." fest, daß die im vorigen Jahre erfolgte Begrüßung der General versammlung des Evangelischen Bundes in Breslau durch den Gencralsuperintendenten v. Nehmiz „ihre Ratification" erhalten habe und noch überboten werde dadurch, daß der Generalsuperintendent von Westfalen I). Nobe bei der in diesem Jahre in Hagen stattfindenden Generalversammlung des Evangelischen Bundes sogar (!) die Fest predigt übernommen habe. Das Blatt kümmert sich damit wieder um innerkirchliche evan gelische Angelegenheiten, die cö gar nichts an gehen; eS verleugnet aber zugleich die von ihm für die katho lische Kirche mit solchem Nachdruck geforderte Parität. Wem in aller Welt fällt eS wohl von evangelischer Seite ein, eS zu bemängel», wenn bei den zu großen Heer schauen sich gestaltenden Katholiken - Versammlungen Erzbischöfe und Bischöfe Messen celebrieren, Ansprachen halten, den Segen ertheilen u. s. w. Auch für die in den nächsten Tagen in Mannheim stattfinvende Katholiken versammlung wird mit großer Reclame die Mit wirkung hoher Würdenträger der katholischen Kirche in Aussicht gestellt. Mit welchem Rechte kann es da bemängelt werden, wenn ein evangelischer General- superuitendcnr auf einer Generalversammlung des Evan gelischen Bundes die Festpredigt hält. Von dem denunciato- rischen Tone, in welchem die in Rede stehende Mittbeilung gemacht wird, sehen wir dabei noch völlig ab. Wenn, wie LaS Blatt bemerkt, im westfälischen Eonsistorium ein scharfer antiklerikaler Wind weht, so Hal das seinen guten Grund. Man kennt dort mehr als anderswo aus täglicher Erfahrung das Wesen des Ultramontanismus und eS gilt auch hier das Wort: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt eS auch wieder heraus." 8. Berlin, 2l. August. (Privattelegramm.) Der Provinualstcuerdireclor a. D. Löhning veröffentlicht in der „Nat.-Zlg." eine Erklärung, in der er die Auslassung der „Nordo. Allgem. Zlg." vom 17. d. M., daß für seine Ver setzung in den Ruhestand seine den Intentionen der Staats regierung direct zuwiderlaufende Haltung in der Polen politik entscheidend gewesen sei, als „unwahr" zurückweist. — Dcr Provinzialstcucrdircctor a. D. Löhning hat sich nun auch noch persönlich aussragen lassen, natürlich vom „Lokalanzeigcr", dem diesmal die Sensation sogar wichtiger ist, als gewisse nicht unbelohnt gebliebene Rück sichten. Das Merkwürdigste an den Aussagen Löhning s ist folgende Stelle: „Tie Mittheilungcn des Herrn Gesch über meine Pcr- lobnng und meine Ansichten in dec Polenfrage hatten aber die Wirkung, daß Herr v. Rheinbabcn nur den einen Gedanken hatte: „Ter Mann muß fort!"" Rian beachte das „und" — eS kann noch wichtig werden. Freilich erklärt Herr Löhning auch diesmal wieder, seine Ansichten über Polcnpolitik Hütten ihm den Hals nicht brechen können; er sei überhaupt durchaus für aggressive Polenpolitik: „Man kennt noch heute im Finanzministerium das Wort, das ich zu Miquel sprach: „Eijcellenz! Machen Sie für die deutsche An siedelung in den polnischen Gebietstheilcn eine Milliarde flüssig!" Ich gehe also viel weiter als die Regierung. Aber über die Formen der aggressiven Politik bin ich und auch viele andere Herren anderer Meinung. Ich stelle natürlich nichr auf dem Stand- pnnctc, den gelegentlich ein Herr vertrat, die Polen ein fach tvdtznschlagen. Auch diese Auffassung weicht doch start von der Ansicht dcr Regierung ab." — Vielleicht stellt sich noch heraus, daß Herr Löhning wegen zu eifriger Gcrmanisationsbestrebungen gegangen wurden ist. Viel fehlt schon jetzt nicht an dieser Entdeckung. — Tie Generalversammlung Les Landesderein» preußi scher Volksschullebrerinnen hat in Halle die Gründung einer Wirthscha ftlichen Hilfscasse beschlossen. Die Gasse ist nunmehr ins Leben getreten. Zweck derselben ist die Förderung der wirthschafllichen Verhältnisse ihrer Mitglieder durch Gewährung von Unterstützungen und von Preis- Ferrilleton. Wenn das Licht erloschen ist. Novcllctte von Lars Dilling. Deutsch von Wilhelm Thal. Nachdruck vcrdoien. Die Gäste hatten das Haus verlassen. Der Kammerhcrr und die gnädige Frau waren zu Bett gegangen, und das Fräulein hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Im Eßziunncr räumte die Dienerschaft die Messer und Gabeln fort und zankte sich wegen eines verschwundenen Thürschlüssels. Die beiden großen Salons nach der Straße zu lagen im Halbdunkel. In dem einen war das Licht bereits er loschen. In -cm andern brannten noch einzelne Kerzen in dem großen Kronleuchter und vermischten sich mit dem Schein einer Gaslaterne draußen, denn die Jalousien waren noch aufgezogen. In dcr schweren Luft schwebt ein Gemisch von Kerzen geruch, Parfüm und Blumenduft. Im Zimmer stand ein Flügel, und daneben ein kleiner, gestickter Puff mit reichen Lcidenquastcn, von einer großen auf einer vergoldeten Bronzcconsole stehenden Palme be- .schattet. An das Elavier gelehnt stand eine hohe Fraucngestalt. Ihr Gesicht war bleich »nd fein geformt — und viel leicht etwas zu scharf — und das üppige, schwarze Haar war von den Schläfen zurückgestrichcn und mit einer großen, hellgelben Rose auf der einen Seite in einen Knoten im Nacken zusammcngcbnndcn. Eine hochge schlossene, marineblaue Seidcntaille schloß sich geschmeidig um ihre schlanke Figur, und auf dcr einen Sette hielt eine gelbe Rose ein Fichu aus weißen Spitzen zusammen, die die Blässe des Gesichts noch schärfer hervortreten ließen. Es lag etwas jungfräulich Kaltes über ihrem ganzen Wesen, und wie sie da mit dem langen Lichtlöscher, wie mit einem Spieß in der Hand dastand, ähnelte sie einer Minerva- figur in anderem Evstüm. Auf jeden Fall mar sie eine von Minervas glücklichen oder unglücklichen Töchtern, wie man cs nun nehmen will. Blanko Fern — so hieß sie — war als ganz junges Mädchen, als Gouvernante für die Tochter des Kammer herrn, die kleine Margarethe, ins Haus gekommen und hatte hier eine Reihe von Jahren gelebt. Und die kleine Margarethe war inzwischen zu einem blühenden, siebzehn jährigen jungen Mädchen herangcwachsen; Blanka aber war eine achtundzwanzigjährige — fast hätte Ich gesagt alte Jungfer geworden, doch nein, das war sie nicht, denn sie zählte wohl 28 Jahre, doch nicht mehr. Als Gouvernante wurde sie jetzt nicht mehr verwendet, eher als Gesellschaftsdame, Stütze dcr Hausfrau, oder wie man das nennen will. Blanka löschte mechanisch noch einige Lichter. Nur eins ließ sie brennen. Dann setzte sie den Stock mit dem Lichtlöschcr fort und sank leise auf den kleinen Puff unter der Palme. Hier auf dieser Stelle hatte sic mit ihm ja vor einer Stunde gesessen, und hier wollte sie von ihm träumen und sich noch einmal wiederholen, was er gesagt, was er ge- than, und wie sonderbar er sich benommen hatte. Die bösen Männer spielen in den Träumen der jungen Mäd chen ja immer eine große Rolle. Und diese erstickende Atmosphäre von Kerzengcruch, Parfüm und Blumenduft war zum Träumen wie ge schaffen. Als er da war, war nur der Duft von Blumen und Parfüm zu spüren. Da rochen die Kerzen nicht. Sic brannten hell und klar in dcr großen Krystallkronc, die wie ein ungehcnrcr Brillantschmnck über ihren Häuptern hing. Sie saßen dicht bei einander auf dem kleinen Puff und lehnten den Rücken an den Flügel. Eine Dame trug nrit verblüffender Fingerfertigkeit ein größeres Lalonstnck vor; doch Blanka hörte nicht auf die Musik; nur auf ihn. Oder richtiger gesagt, sie hörte gar nicht auf ihn, sie sah nur auf ihn. Er war heute Abend so merkwürdig verändert. Sonst war er so still und gedrückt in den vornehmen Salons, der junge Künstler. Sein Vater war ja nur ein armer Schullehrer auf dem Gute des Kammcrherrn, und dieser hatte ihn erzogen und auf die Zcichcnschulc ge schickt, und als er als tüchtiger Maler bekannt zu werden begann, wurde er zu den Gesellschaften cingcladcn. Heute Abend schien Jonston all seine Gedrücktheit von sich ge worfen zu haben. Seine großen Augen funkelten in selt samem Glanz, seine Lippen kräuselten sich fast stolz unter dem dichten Bart, und er warf seinen schönen Kops mit den dunklen Locken keck empor. Vielleicht war er so glücklich, weil er öffentlich Anerkennung gefunden hatte. Er hatte Reise stipendien erhallen und sollte morgen nach dem sonnigen Süden, wo die Genies zusammen mit den goldgelben Orangen sich entwickeln. Der Kammerhcrr halte auch in wohlgcsctztcn Worten sein Hoch bei Tische ausgcbracht. Aber das allein konnte ihn doch nicht so stimmen. Er hatte so viel wunderliches Zeug gesprochen, während er ver traulich seine Hand in die ihre legte. Sie hörte cs gar nicht Alles; denn die Musik übertönte seine Stimme, außer dem war sic so verlegen. Sie merkte, daß mehrere kritische Blicke auf sie gerichtet waren. Die Gnädige hatte sic ja früher immer damit gehänselt, daß er so oft kam; natür lich that er das nur Blankas wegen. Allerdings war er drei bis vier Jahre jünger als sic, aber deshalb konnten sie doch recht glücklich werden, meinte die Gnädige. Blanka fuhr bei einem klirrenden Laut halb aus ihrem Träumen empor. Es mar nur eins dcr Mädchen, das ein Glas entzwei geschlagen hatte. Dann wurde eS wieder still. Ein paar Thürcn wurden geschloffen; die Dienstboten gingen zn Bett. Blanka lehnte ihre brennende Schläfe an den Flügel, um sie ein wenig zu kühlen. Der Lichtergcruch begann von Neuem seine Wirkung zu üben, und sie versank wieder in ihren Traumzustand. Etwas von seinen Worten hatte sie doch gehört- Er sprach davon, daß er jetzt ein Ziel gefunden, für das er arbeiten wollte, dann sprach er von einem leuchten den Stern, der auf seinem Wege funkelte — und noch mehr dergleichen. Durfte sie das wirklich hoffen? Sollte sie so glück lich sein, sein Ziel, seinen Stern zn beleben? Sollte sie diese goldenen Ketten abwcrfen dürfen, ihr eigenes kleines Heim haben, anstatt ihr ganzes Leben genöthigt zu sein, wie eine in Seide gekleidete Dienerin, auf den Zehen, über diese reichen Brüsseler Teppiche schleichen zu müssen? Die letzten Worte, die er zu ihr gesprochen, waren die merkwürdigsten. Als die Musik schwieg, hatte sie sie ganz deutlich gehört, aber verstanden hatte sie sie nicht. Er hatte gesagt: „Ich sage Ihnen jetzt nicht Lebewohl. Wir sehen uns heute Abend noch wieder, wenn das Licht erloschen ist." Wenn das Licht erloschen ist! Das konnte ja geschehen, wann sic wollte. Sie hatte das Nöthigc ja in dcr Hand. Und dann? Kam er dann wirklich, und wie würde er kommen? War er im Besitz eines Zanbcrstabcs, der ihn an ihre Seite seven konnte, wenn er cs wünschte? Als sic die Stange hochhcbcn wollte, um das Licht zu löschen, öffnete sich leise die Thür. Blanka drehte sich halb erschrocken nm. Margarethe steckte ihren blonden Kopf herein: „Pst! Pst!" Sie schloß die Thür vorsichtig hinter 'ich und trat ein. Uebcr die Schulter hatte sic ein kurzes, weißes Theater kleid geworfen, war aber sonst noch in Gesellschaststoilette, einem hellgelben Seidenkleid mit Vcilchcnbouqucts im Haar und dem Mieder. „Aber Margarethe! Bist Dl« noch nicht zu Bett? Ich wollte eben die Lichter löschen." „Nein, Blanka, das darfst Di« nicht — noch nicht; sonst kommt er, und ich muß erst mit Dir sprechen." Blanka betrachtete sie säst entsetzt. Wartete das Kind auch ans Jemand, wenn diese mystischen Lichter erloschen waren?
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite