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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021230028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902123002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902123002
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-30
- Monat1902-12
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Man hat sich in unserer Zeit so sehr daran gewöhnt, aus der Hand in den Mund zu leben, daß ein Erfolg für geraume Zeit alle an deren Misören in de» Hintergrund treten läßt. Allerdings besteht ja zwischen Zolltarif und ReichSsinanzen ein ziemlich enger Zusammenhang; aber eS ist ein holder Irrtum, wenn man meint, mit der Annahme des Zolltarifs feien nun alle Finanzkalamitäten des Reiche- auf einmal und endgültig beseitigt. Bor allem treten ja die erhöhten Zölle nicht sogleich in Kraft; dagegen sind die Ansprüche, welche daS Reich stellt, für die Einzelstaaten schier unerschwinglich. Soll doch z. B. Sachsen sür das eine Jahr 1902 etwa 10 Millionen durch Ueberweisungen nicht gedeckte Matrrkularbeitläge ausbringen, während nach dem Etat für die beiden Jahre 1902 und 1903 nur etwas über 5 Millionen Mark für Neichszwecke verfügbar sind! Und dabei ist Sachsen noch in der verhält- nismäßig günstigen Lage, daß eS über einen in besseren Tagen aufzesammelten UebenveisungSsteuerfonds von reichlich vier Millionen Mark verfügen konnte, der jetzt natürlich vollständig aufgebraucht wird. Aehnlich ergeht es den meisten mittleren und kleineren Bundesstaaten. Es tut also schnelle Hülfe not, um so mehr, als eS sehr fraglich ist, ob von den erhöhten Zolleinnabmen wirklich eine ausreichende Stärkung der kranken ReichSsinanzen zu erwarten ist. In diesem Jahre bleiben, so viel steht fest, 150 Millionen Mark durch Uebcr- weisungen ungedeckt, 150 Millionen solle», wie man schätzungsweise berechnet bat, infolge deS neuen Tarifs an Zölle» mehr eingehen. Der Flicken würde also ganz genau auf bas Loch im Rocke passen, wenn — der Zolltarif schon in die Praxis übersetzt wäre. Man nimmt jedoch in Regie- xungskreiseu als ziemlich sicher an, daß unsere Unterhändler bei dem Abschlüsse der Handelsverträge von diesen 150 Millionen mindestens 50 werden „adhandeln" lasse» müssen. Demnach bleibt, auch wenn die neuen Handelsverträge aus der Basis des vom Reichstage sanltlonierten Tarifs zu stände kommen, ei» ReichSdesizit immer noch bestehen. Außerdem aber sollte man noch auö einem anderen Grunde die zu erwartenden neuen Zölle nicht allzu zuversichtlich in die Rechnung einstellen, denn sie sind doch nicht als Finanzzölle, sondern als Schutzzölle gedacht und sollen in erster Linie die heimische Probuklion fördern. Wird aber dieser Zweck erreicht, erstarkt unsere Produktion tatsächlich unter dem Schutze der Zölle, so wird ein entsprechendes Quantum der Einfuhr überflüssig und die Mehreinnahmen aus den Zollen zum Teil illusvrftch. Dieser Gesichtspunkt wird sehr ernstlich zu beachten sein, wen» man Zolltarif und Reichsfinanzresorm mit einander in Berbindung bringen will. Co viel aber steht auch nach der Annahme deS Zolltarifs fest: die Reform des Reichüfinanzwesenü duldet keinen Aufschub! Denn die Ausgaben für Heer und Mariae, für Besoldungen und Pensionen, sowie für die Versicherungen befinden sich in stetigem Wachstum, und es ist auch die Zeit nicht mehr fern, wo Ausgaben, welche jetzt dem InvalideafondS zur Last fallen, aus den laufenden Mitteln deS Reichs gedeckc werden müssen. W. Jahrgang. Dienstag den 30. Dezember 1902. Attacken gegen die Landbündicr. Der Eindruck des Austritts des Herrn von Kardorff und — wie eS scheint — der ganzen Reichspartei aus dem Bunde der Landwirte ist für die Bundesleitung und dessen publizistisches Organ noch so stark nachwirkend, daß letzteres keine Worte für die Tatsache des Austritts findet, sondern nur die früheren Behauptungen wiederholt, daß die Haltung de« Bundes allein richtig gewesen sei. Inzwischen «st dem Bunde aber noch eine zweite fatale Gegnerschaft auü seinen eigenen Reihen erstanden; der Vorsitzende deS Bundes der Landwirte für Ostpreußen, Graf zu Dohna-Finckenstein, veröffent licht nämlich folgende Erklärung: „Tas Bundesblatt sür Ostpreußen, LaS den Mitgliedern deS Bundes der Landwirte, die 2 Jahresbeitrag und darüber bezahlen, umsonst zugeht, wird nicht in Berlin, souderu in der ostprrußischen Druckerei und Beclagsaiistalt gedruckt und von einer eigen- von der Direktion der Druckerei dazu bestellten Redaktion zusammengeslellt. In dem Blatte erscheinen Bekanntmachungen und Erklärungen der Bundeszentralleitung sowohl als auch der Pro vinzialleitung, außerdem von beiden bestimmte Artikel, die dann aber immer als solche bezeichnet werden sollen. Der neulich von der Redaktion dieses Blattes übernommene Artikel mit den hef tigen persönlichen Angriffen gegen diejenigen Konser vativen, die für den Antrag Kardorss gestimmt hatten, hat mich um so peinlicher berührt, als unter denselben mir verwandtschaftlich und freundschaftlich nahestehende Herren sich befanden. Ich habe bei der Bundesversammlung Gelegenheit genommen, meine Mißbilligung über diese Art der Redaktion auszusprechen, die weder im Sinne der Zentrale noch der Bundesleitung stand, und ich habe dafür Sorge getragen, daß derartige Verfehlungen in Zukunft nicht mehr vorkommen sollen. Der fragliche Artikel soll in dem „Bundesblatt sür Schleswig-Holstein" gestanden haben. Es ist bedauerlich, daß die Redaktion meiner Weisung, vor allem ihren Bedarf bei der „Deutschen Tageszeitung", dem „Berliner Blatt" und der „Korrespondenz des Bundes der Landwirte" zu entnehmen, nicht gefolgt ist. Dem „Bundesblalt sür Schleswig- Holstein" steht die Berliner Zentralstelle wie auch selbstverständlich die Provinzialstelle deS Bunde- sür die Provinz Ostpreußen gleich fern." Da nicht anzunehmen ist, Graf zu Dohna-Finckenstein wisse nicht genau, daß die „Dtsch. TgSztg." die Kardorff- Konservativen mindesten« ebenso heftig bekämpft bat und noch bekämpft, wie der gerügte Artikel vieS getan, so muß die Erklärung dock wohl als eine öffentliche Warnung an die Avresse der BundeSleirung aufgefaßt werden. An diese Adresse richtet sich ferner ein sehr scharf zugespitzter Artikel der „Berl. Polit. Rachr.", der folgendermaßen schließt: „Vom Standpunkt unserer nationalen Wirtschaftspolitik ist daS Vorgehen Herrn von Kardorffs als der erste entscheidende Schlag gegen die auf die Zerstörung der Solidarität von Landwirtschaft und Industrie gerichteten Bestrebungen der Leiter des Bundes der Land wirte sowie gegen die Pläne zu begrüßen, in dem heißen Kampfe gegen die Sozialdemokratie selbst um den Preis einer Stärkung der letzteren sür sich Vorteile zu erlangen. Vivat segnens!" Bevor aber die Bundesleitung diesen Angriff sich zu Herzen gehen läßt, wird sie abwarten, ob er Unterstützung durch die offiziöse Presse findet. Solange diese schweigt, werden die Herren Dr. Hahn, v. Waugeaheim und I)r. Roesicke der Hoffnung leben, daß ihnen trotz alledem bei den bevor- Ilehcnden Neuwahlen dasselbe amtliche Wohlwollen werde erwiesen werde», dessen sie sich bei den letzten Wahlen trotz aller Quertreibereien zu erfreuen hatten. leidigen; aber die Mächte hätten besser getan, diesen frechen Bravo nicht mit den Samthandschuhen dcS Haager Schieds gerichts anzufassen. Solche Sorte wird nur frecher und vermutet schwächlichen Rückzug, wenn man den Daumen los- laßt, damit sie wieder Atem holen können. Zur Benczuela-Arage. An der gestrigen Londoner Börse wurde mit aller Bestimmtheit versichert, England werde die Blockade nur so lange aufrecht erhalten, bis sickere Bürgschaften sür die Erfüllung deS Haager Schiedsspruches geboten seien. Die britische Regierung babe sich davon überzeugt, daß eine längere dauernde Schädigung des nordamerikanischen Han dels mit Venezuela in Nordamerika eine tiefgehende Er regung Hervorrufen werde, wodurch bedenkliche Zwischen fälle möglich würden. Die Züchligung Venezuelas sei aber keineswegs so wertvoll, daß sie die etwaigen Folgen einer voraussichtlichen Entfremdung Nordamerikas aufwiegen könne. Auch Deutschland werde sich wahrscheinlich derselben Erkenntnis nicht verschließen und wenigstens darein willigen, daß die Blockade auf Sckiffe unter venezolanischer Flagge beschränkt werde. Als Gewähr für Erfüllung des Schiedsspruches werde gruügen, daß eiu uordam er ikan i- sches Konsortium, welche« ja schon zur Verfügung sei, die Bezahlung der den Mächten zugesprocheiien Entschä digungssummen übernehme. — Auö Caracas, 28. Dezember, wird dem „Berl. Lvk.-Anz." noch depeschiert: Zu der Forderung der deutschen Regierung, daß Vene zuela, bevor das Schiedsgericht angerusen würde, den bereits klar gestellten Teil des geschuldeten Betrages (1700060Bolivares) bezahlen müsse, wird von den amerikanijchen sowohl wie von den vene zolanischen Behörden bemerkt, daß kein Geld im Lande vorhanden sei, um diese Zahlung zu leisten. Die hiesigen deutschen Geschäftsleute sind über das Verhalten der kaiserlichen Regierung erfreut und hoffen, baß sie aus ihrem Standpunkte verharre» werde. Ebenso rechnen sie aus die Einsetzung einer internationalen Finanz kontrolle. Sie sind auch teilweise bereit, der vcnczola- »ischen Regierung den von Deutschland geforderten Betrag vorzu schießen, obwohl sie wissen, daß Castro durchaus in der Lage ist, das Geld selbst auszutreiben. — Die amerikani che Meldung, daß die Blockade eine Kohlennot herbeigejührt habe, trifft auf die deutsche Bahn nicht zu, deren Vorräte noch sür IV2 Jahre reichen. Eine Beschlagnahme der Zollhäuser wäre erwünscht. Die Kauf- leule bestellen zwar die von ihnen gekauften Waren wieder ab, jedoch verspricht man sich, namentlich in den Kreisen der deutschen Großhändler, einen nützlichen moralischen Erfolg von dieser Maßnahme. — Die Revolution macht weitere Fortschritte, doch fehlt es ihren Anhängern vielfach an Munition. — Das deutsche Schulschiff „Charlotte" trifft morgen in La Guayra ein, um den vr. Koehler, Len behandelnden Arzt der Frau v. Pilgrim-Aaltazzi» nach Caracas zu bringen. Präsident Castro erklärte auf die Frage, ob er bereit sei, die Mächte um Entschuldigung zu bitten: „General Castro hat nichts zu ent schuldigen". Bei diesen Worten brach die Umgebung des Präsidenten in lebhafte Hochrufe auf ibn aus. Mit dem Resultate der bisherigen diplomatischen Action »st Castro sehr zufrieden. Er hätte zwar Roosevelt als Schieds richter vorgezogen, dock er sei überzeugt, daß, wenn die näheren I Tatsachen bekannt würden, die Well die Ruhe und Mäßigung deS venezolanischen Volkes bewundern mürbe. Das deutsche und englische Vorgehen erzeuge i» Südamerika Verachtung für die europäische Civilisarion, was er bedauere. — Gewisse Individuen können anständige Leule bekanntlich nicht be- Der Kriegszustand in Marokko. Ter Madrider „Heraldo" erhält eine längere Dar steUung der neueren, mit der Niederlage des Sultans sich höchst bedenklich zuspiycndcu Vorgänge in Marokko, welche mit großer Entschiedenheit die Annahme bestreitet, das; der „Thronbewerber" den Ausrottungskrieg gegen die Europäer bczw. alle Nichtmvhammedancr predige. Ucber- haupt sei die Persönlichkeit des angeblichen Prätendenten noch völlig unklar; vielleicht sei der „falsche Prinz" nur eine Mnthe, mit welcher Bu Hamara oder andere untergeordnete Kabnlcuschciks ihren Ansprüchen größere Bedeutung beizulcgen versuchten. Die Hauptsache bei den jetzigen Wirren sei die Unzufriedenheit mit dem von eng lischen Ratgebern beeinflußten Regiment des jungen Sultans; wahrscheinlich aber werde diese Stirn- mung von auswärtiger Seite lvielleicht von feiten Frank reichs! durch geschickte Agenten ausgenutzt, nm die Berbcrstümme zum Aufstand zu bringen und einen Thron wechsel herbeizuführcu. — Ucber den Schauplatz der blutigen Niederlage, die sich die Sultanstruppen im Kampfe gegen die Anhänger des Prätendenten Vu Hanrara zugezogen haben, schreibt de Foueauld in feinem Buche über Marokko: Es gibt zwei Wege von Fes nach Tesa, der kürzere, den man aber niemals einschlägt, geht an dem Flusse Inuaucn aufwärts durch das Gebiet der Hiaina und der Riata, der andere, gewöhnlich benutzte — den auch die Truppen des Sultans cinschlugcn — geht durch das Gebiet der Hiaina, der Dful und der Miknasa, indem er die Wohnsitze der Riata meidet und in ihr Gebiet erst kurz vor Tesa mündet. Die letztgenannten drei Stämme sind dem Sultan heercspslichtig, entziehen sich ihrer Pflicht aber nach Möglichkeit, ihr Gebiet ist nicht sehr sicher; aber immerhin reisen die Karawanen dort ohne Bedeckung, wo gegen sich Fremde säst nie ohne Begleitung in diese Gegen den wagen. Die Riata, in deren Gebiet Tesa liegt, sind unabhängig und wegen ihrer Wildheit und Raubsucht be rüchtigt. Ohne den Schutz eines ihrer Stammcshäuptcr kann mau keinen Schritt in ihr Gebiet tun und für Aus länder ist ein solcher Schutz schwer zu erlangen. Allmächtig aber ist in diesen Gegenden der Mokadcm der großen Sania des Mulei Edris in Fez, alle Stämme der Gegend gehorchen seinen Winten, wogegen er sich seiner Schutzbe fohlenen aunimmt, wenn Geschäfte sie nach Fez führen . . . Die Stadt Tesa liegt auf einem Felsen, 83 Meter über dem Bett des Tefaflusscs. Im Süden angclehnt an eine hohe Bergkette, im Norden, Westen und Nvrdosteu von schroffen Abhänge» unrgeben, ist sie nur von Südosten leicht zugänglich. Das Plateau, auf dem die Stadt liegt, fällt nach Osten und nach Westen leicht ab. Tesa ist von Mauern umgeben, die an einigen Stellen doppelt sind; früher waren die Befestigungen, wie einige Maucrrestc außerhalb der Stadt zeigen, weit stärker. Die heutigen Mauern haben keinen militärischen Wert, sie sind zerfallen und ausnahmsweise niedrig. Der ganze südliche Teil der Umwallung mnfaßt Gärten, dann folgt eine zweite Mauer und hinter ihr die eigentliche Stadt; aber auch hier nehmen nach Osten und Westen hin die Gärten noch viel Raum ein. Tesa scheint 3000 bis 4000 Einwohner zu haben, darunter 200 Juden, die in ein sehr kleines Mellach (Ghetto) einge pfercht sind. Tie Stadt hat vier Moscheen, zwei große und zwei kleine, und zwei oder drei geräumige, aber meist Feuilleton. Uhenania sel's panier! Roman aus dem Studentcnlebcn von Arthur Zapp. Nachdruck urrv -l<u. Ein paar Tage später fand in dem Bicrborf Birken feld Kirchweihfest statt. Es war ein alter Brauch, daß auch die Studenten in oui-porv hinauszvgen und daß sich ihnen Damen und Herren aus der Stadt «»schlossen. Draußen aus dem Fcstplatze herrschte ein lustiges Treiben. Ta hatten sich allerlei Würfelbuden, Karussells, Zauberkünstler, Schießbuden, Schaukeln «sw. ein gefunden, und unter allen, die sich der dargebotenen Ge- niisse erfreuten, waren natürlich die Herren Studenten die ausgelassensten. In dem mit Girlanden und Fahnen ausgeputzten Saale des Wirtshauses zum „Lustigen Fink", in dem die Rhenancn ihre Erkncipe ab hielten, wurde das Tanzbein geschwungen. Während in einem anderen Wirtshansc des Dorfes die Torfschönen mit den Bauernsöhnen sich im Neigen schwangen, über wog hier das städtische Element. Hier widmete Bruder Studio seine Tanzkunst den schönen Philistcrtöchtern, die seine Begleitung und seinen Schutz angenommen hatten. Daß auch mehrere der jungen Herren aus der Stadt, die den Studentenkreisen gesellschaftlich nahe standen, an dem Tanze teilnahmen, konnte und mochte niemand wehren. Kurt Gravenhorst hatte sich den ganzen Nachmittag über sehr glücklich gefühlt. Er hatte Fräulein Wreden- kamp auf dem Festplatze uochcrführen dürfen, sie hatte an seiner Sette einer Kasperlvorstellung beigewohnt, ein paarmal ihr Glück im Würfelspiel versucht und sogar auch nicht verschmäht, mit ihm in einen Karuffellwageu zu steigen, während vor ihnen sich Paul Berger und seine Cousine Klara hoch zu Roß produzierten. Gegen Abend waren sie gemeinschaftlich zum Tanzsaal im „Lustigen Fink" gepilgert, und zum ersten Mal durste Kurt Gravenhorst seinen Arm um die Taille de- an mutigen MädckenS schlingen un- sich mit ihr in den Rhythmen des Tanzes wiegen. Das Her- klopfte ihm hoch aus und wie ein Rausch kam es über ihn, als er sie in seinen Armen ruhen fühlte, al» ihr Atem ihn um fächelte und ihr Haar ihm Stirn und Mund berührte. Ein toller, übermütiger Gedanke packte ihn urplötzlich. Wie, wenn er die günstige Gelegenheit wahrnahm und seine Wette zum Austrag brachte? Nur eine kleine Wendung brauchte er zu machen, und seine Lippen be rührten ihre Wange. Aber es war nur der Taumel einer Sekunde. Schon im nächsten Augenblick schämte er sich vor sich selbst nnd belegte sich im Stillen mit nicht gerade schmeichelhaften Beiwörtern. Wollte er ihre gute Meinung wieder verscherzen, wollte er ihr beweisen, daß er im Grunde doch nnr ein leichtsinniger, plumper Gesell war, der ihres Interesses nicht wert war, sondern nur ihre Verachtung verdiente? Er atmete hoch auf, als er sio nun zu ihrem Sitz führte, froh, daß er der jähen Versrrchung nicht unter legen war. Dann kam Herr Rusche und nach ihm andere Kommilitonen, die Fräulein Wredcnkamp zum Tanze holten. Später, als man draußen im Borgarten eine Stärkung zn sich nahm, machte Klara Hellwig den Vorschlag, dem „Roten Ochsen" einen Besuch abzustatten und sich einmal den Tanz der Dorfjugcnd anzusehen. Alle stimmten be geistert bei, und so machte man sich erwartungsvoll auf den Weg. Ein betäubender Lärm herrschte im Saale des Wirtshauses zum „Roten Ochsen". Das Stampfen der Bauernburschen, das Gekreisch ihrer Tänzerinnen, dazu die Musik, bei der der „Rumpclbaß" und die große Pauke die Hauptrolle spielten — dies alles und das laute Johlen der umstehenden Zuschauer brachte eine Wirkung hervor, von der sich das Trommelfell und die Nerven der Städterinnen nun nicht gerade angenehm berührt fühlten. Während einige der Studenten hier blieben, um mit drallen Bauerntöchtern ctn Tänzchen zu wagen, machten sich die Übrigen wieder auf den Rückweg zum manierlicheren „Lustigen Fink". Klara Hellwig und Else Wredenkamp eilten Arm in Arm voraus; ihnen folgten Hildegard Hellwig mit einigen anderen jungen Damen, an die sich ein Trupp Studenten und „alte Herren" anschloffen. Da, gerade an: Ausgang de- Lokals, trafen die vordersten jungen Damen mit zwei Herren zusammen, deren schwankende Haltung verriet, daß sie im „Lustigen Fink" mehr dem trinkfrohen Gambrtnu» als der -arten Terpsichore gehuldigt hatten. Die beiden Herren, die Strohhütr trugen, schienen die Damen anznhalten. Plötzlich ertönte ein Schrei, und Kurt Gravenhorst, der an der Seite Paul Bergers in der ersten Reihe der Studenten schritt, sah, wie einer der Herren Fräulein Wredenkamp am Arm gefaßt hatte und sich bemühte, seinen anderen Arm um ihre Taille zu schlingen. Im Nu war -er zornig aufflammende Student au der Leite der Bedrohten. Mit festem Griff packte er den Frechen an der Schulter und schleuderte ihn mit einem Schimpfwort auf die Leite. Der Berauschte taumelte, aber cs gelang ihm, sich auf den Beinen zu halte«. Und nun drang er auf den Studenten ei». „Dummer Junge!" brüllte er und machte eine Be wegung mit der Hand, um seinem Gegner die Mütze vom »topfe zu schlagen. Doch Kurt Gravenhorst wich rechtzeitig auö und ehe der andere zu einem neuen An griff übergehen konnte, wurde er von seinem Begleiter zurückgehalten. Das Folgende wickelte sich nun in den üblichen Formen ab. „Ich ersuche um Ihre Karte", sagte Kirrt Gravenhorst und lüftete seine Mütze. Der mit dem Strohhut schien zur Besinnung zu kommen; er zog ein gesticktes Täschchen hervor, entnahm ihm eine Karte, überreichte sie seinem Gegner und nahm von diesem dessen Visitenkarte in Empfang. Dann ver neigte man sich kurz vor einander, und die Angelegenheit war bis auf weiteres erledigt und der Weg konnte fort gesetzt werden. ,F>ch bedauere sehr", sagte Kurt Gravenhorst, an Else Wredenkamps Seite tretend, „daß ich Sie nicht recht zeitig vor der Brutalität des Betruükenen schützen konnte." Das junge Mädchen war gärig blaß; eine mühsam be herrschte Erregung zitterte ihr in allen Gliedern und glimmte in ihren unruhig flackernden Augen. Sie machte eine abwehrende Bewegung, als wenn sic sagen wollte: „Das ist ja nicht der Rebe wert." Dann entgegnete sic, ihn forschend anschauend: „Was wird nun?" „Nicht»! Was soll denn nun noch werden?1 er widerte Gravenhorst in gekünstelt leichtem Tone. „Aber Sie haben doch Ihre Karten getauscht", warf sie ein und heftete zugleich fragend den BOck auf die an ihrer anderen Seite gehende Freundin. „Das muß doch etwas zu bedeuten haben." „Allerdings", belehrte Klara Hellwig, die mit dem Studentenbrauch besser vertraut war, mit wichtigem Ernst, „das bedeutet Kontrahage." „Kontrahage?" fragte Else Wredenkamp, bei dem ihr gänzlich unbekannten Worte unwillkürlich noch mehr er blassend. „Mein Gott, gnädiges Fräulein", nahm der Student wieder das Wort, „es ist wirklich nichts Besonderes. Eine kleine Mensur — Sie wissen ja —", er deutete lächelnd auf sein Haupt, das er rasch entblößt hatte, und auf dem eine lange Narbe bis zur Stirn hinablicf —, „so was ist ganz und gar ungefährlich." „Sic werden sich duellieren? Nein, nein, das dürfen Sie nicht. Hören Sie, Herr Gravenhorst, versprechen Sie mir, daß Sic sich meinetwegen nicht schlagen werden." Else Wredenkamps dringliche Worte, ihre halb bittend, halb ängstlich auf ihn gerichteten Blicke er weckten ein süßes, schmeichelndes tziesühl in ihm. „Aber beunruhigen Sie sich doch nicht wegen der Lappalie", suchte cv sic zu beschwichtigen. „Eine Mensur mehr oder weniger, darauf kommt's bei einem Kvrvs- studenten doch wahrhaftig nicht an." Sie sah ihn zweifelnd an. „Wirklich? Um weiter handelt cs sich nichts, als un: eine gewöhnliche Schlägcrmensur?" „Um weiter nichts, gnädiges Fräulein. Sic wissen >a, wir Studenten gehen überhaupt »licht anders los." Lein unbefangener Ton, mehr noch das überzeugt zu stimmende Nicken Klaras, die es auch nicht anders kannte, beruhigten die Aufgeregte. Freilich, die Lust an dem fröhlichen Treiben dcS Kirchweihfestes hatte sic durch den Zwischenfall verloren, und auf ihre Bitte machte sich die Gesellschaft auf den Heimweg. Nachdem die Damen nach ihren Wohnungen geleitet waren, hatte Kirrt Gravenhorst Zeit, sich die Karte seines Gegners anzusehen. Sie lautete: Erich Kampe, Landgerichts-Assessor und Leutnant der Reserve Ein eigenartiges, frostiges Gefühl durchströmte ihn und seine Augen leuchteten. Er wußte, daß er einem viel, viel ernsteren Rencontre entgegcnging, als Else Wreden kamp eS ahnte. Diesmal hieß eS, mit gefährlicheren Waffen auf den Kampfplatz zu treten, als mit den verhält nismäßig harmlosen Schlägern. Aber er kannte kein Bedauern und keine Furcht. Im Gegenteil, eine stolze Empfindung erfüllte ihn bei dem Gedanken, baß -S ihin vergönnt sein würbe, die dem geliebten Mädchen wider fahrene Unbill mit der Pistole -u räche«..
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