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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.06.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050606019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905060601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905060601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
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BezugS-PrkiS pell« «hßihrlv »ialiyShrÜch twetmallgn Valich« 8»ß«U»S tu« Han« ^I L>7L Durch di« Vosi bezoq« w» Deutsch- land ». O«G«retch vtoMjÄkltch 4L0; für Ur übrig« Länder laut Z^tun-Sprei-ltsi«. Liefe Nummer kostet 4 /d M? auf «Leu Bahuhdfeu »ad I II 7^1 betd«Leit-«g»-verrä»fer»^V «edLttte» mrt «r-edtttr« 1ÜS Fernsprecher SS JohanutSgass« L. paupt-FUtal« Dre«»e«r Martenstraß« 34 (Ferusprrcher Ami I Nr. 1713^. H<mAt»rüt<Ie Verktur TürlD» » < « Herzal^vayr^ofbilchdaudlg, Lützowstraß« 10 (Feruspttcha Ami VI Nr. 4S08I Morgen - Ausgabe. MWgcrTWMM Handelszeitung. Ämtsökatt ves Hönigk. Land- und des LiSnigk. Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Volizeiamtes der Stadt Lelpfig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 28 Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanziell» Anzeigen, TeschäftSanzetg« unter Text ober an besonderer Stell« nach Taris. Di« 4grspaltear ReNamezeil« 75-^. Aunatzmeschlub für Anzetgeu: Abend-AnSgabe: vormittag« 10 llhr. Morgea-AuSgab« nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stet« an di« Expedition znrichten. Oxtra-Beilageu (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonder« Vereinbarung. Die Expedition tft wochentags ununterbrochen geöffnet von früh S bi» abend« 7 Uhr. Druck und verlaa von V. Volz in Leipzig (Inh. vr. V, R. äc L Eltnkhardtl HerauSgeberr vr. Victor Kliukhardt. Nr. 284. Dienstag 6. Juni 1905. 98. Jahrgang. Var WMigrlr vom rage. * Der Gießener Schneiderstreik und die übrigen Solidaritätsstreiks sind beigelegt worden. (S. Dtsch. Rch.) * Präsident 8 oübet wird den Besuch deS Königs AlsonS Ende Oktober in Madrid erwidern. * In PittSburg (Nordamerika) begann am Montag unter den Auspizien deS Pittsburger Bezirks des Nordamcri- kanischen Sängerbundes ein dreitägiges Sängerfest, an dem sich 50 Vereine beteiligen. * In Petersburg ist eS am Sonntag aus Anlaß der Niederlage beiTsuschima zu einem Straßenkrawall gekommen, wobei es mehrere Verwundete gegeben hat. (S. Ausld.) * Eine japanische Expedition soll im Begriff sein, nach Sachalin aufzubrechen. Var Aablreat in Sen IjanrertMen. Die drei kleinen städtischen Republiken haben sich dem bundesstaatlichen Gefüge des neuen Deutschen Reiches ganz gut eingefügt. Als Ueberbleibsel des Hansabundes haben sie ein historisches Recht, das ihnen heute niemand streitig macht, selbst die Agrarier nicht. Wohl waren die reichsstädtischen Selbstherrlichkeiten Schutt aus dem Verfall des mittelalterlichen Kaiser tums. Doch waren sie auch wieder Pfleger einer hohen Kultur. Kunst, Gewerbefleiß. Handel und manche Zweige der Wissenschaft haften für Jahrhunderte an dem Gedeihen der Reichsstädte: die Sicherheit der Land- straßen hing lange Zeit und in vielen Landschaften nur an dem städtischen Geleit. Mit der Reformation be ginnt das größere Landesfürstentum den Reichsstädten diese Arbeit abzunehmen. Im Hansabunde erreichte das städtische Wesen insofern seine höchste Ausbildung, als er die einzige Instanz war, die Deutschlands See- Politik in Nordeuropa vertrat, die einzige, die Deutsch, lands Küsten und Deutschlands Handel sicherte. Seit dem Dreißigjährigen Kriege verloren die meisten binnenländifchen Städte ihre Bedeutung. Selbst Nürn berg, Augsburg, Ulm und Frankfurt waren im 18. Jahrhundert längst nicht mehr das, was sie im fünf- zehnten und sechzehnten gewesen waren. Nürnberg. Augsburg, Frankfurt und die jetzigen drei Hansestädte blieben allein übrig, als der Reichsdevutationsaus- schuß 1803 nach dem Verlust des ganzen linken Rhein ufers an Frankreich den Rest des Reiches neu ordnete. Neunundsiebziq, zum Teil winzige Nester wurden da mals den Landesfürstentümern einverleibt. Und der Wiener Frieden von 1815 nahm auch noch Nürnberg und Augsburg ihre Selbständigkeit. Nur vier Städte traten in den Deutschen Bund, und von diesen wurde Frankfurt 1866 preußisch, so daß nur die drei Hansestädte ihre Selbständigkeit behielten. Von einer Verteidigung Deutschlands zur See konnte seit dem Verfall der Hansa überhaupt keine Rede mehr sein. Erst die Entstehung des neuen Deutschen Reiches gab unserer Küste allmählich wieder Sicherheit. Gleichwohl haben die drei selbständigen Städte ihre eigenartigen Aufgaben behalten und erfüllt. Es ist kein Zufall, daß von allen nur diejenigen übrig geblieben sind, die die Ueberbleibsel der Traditionen des Hansa- bundes pflegten. Nicht nur wegen ihrer günstigen geographischen Lage (an der übrigens Lübeck keinen Anteil hat) waren sie als Pfleger der Seeschiffahrt und der Seehandelsinteressen besonders berufen, sondern auch weil sie als republikanische Gemeinwesen über- wiegend im Bann des Handels und der Schiffahrt standen und den Erfordernissen dieser Wirtschaftswege mit viel größerer Beweglichkeit folgen konnten, als ein größerer Staat mit seinen wirtschaftlichen Gegen- sätzen. An dem Aufblühen des deutschen Seehandels und der Seeschiffahrt haben viele Dinge ihren Anteil, unter anderem die mächtige Entfaltung der deutschen Industrie, die Zunahme unserer Bevölkerung und ihrer Konsumkraft, die Sicherheit unserer Seointeressen durch daS Deutsche Reich. Aber auch die Regierungen und Bürgerschaften der Städte haben daS Ihrige getan. Politische Gegensätze zwischen dem Reich und den Hansestädten haben das herzliche Einvernehmen nur ganz vorübergehend getrübt, eigentlich nur, als Ham- bürg und Bremen ihre Freihafenstellung noch vertei digten. Diese wurde aber unter wesentlicher Beihülfe des Reiches mehr abgelöst als aufgehoben. Die Blüte der Seestädte wurde nicht geknickt, sondern konnte sich noch weit kräftiger entfalten. Kein vernünftiger Mensch bat ihnen verübelt, daß sie noch die freihändlerischen Gesichtspunkte vertreten, denen Deutschland bis 1879 so warm angehangen hatte. Sie sind am E.,de deren ge borene Verteidiger, müssen sich alber fügen, wenn das Deutsche Reich anders will. In der Pflege ihrer geistigen und kirchlichen Interessen genießen sie eine ebenso voll- ständige Unabhängigkeit, wie in der Fürsorge für Handel und Schiffahrt. Kann man ihnen verargen, daß sie ihre Selbständigkeit lieben? Seit einiger Zeit sind Sorgen entstanden, ob sie auch wohl dem Ansturm der Sozialdemokratie erliegen könnten. In den Reichstagswahlen haben diese voll ständig gesiegt. Zuerst erlagen zwei Hamburger Wahl kreise, dann 1898 Lübeck und der dritte Hamburger Wahlkreis, endlich 1903 Bremen. Die staatlich-städti schen Wahlen gehen jedoch nach einem wesentlich anderen Wahlrecht vor sich als die für den Reichstag. Hamburg und Bremen haben Klassenwahlen, Lübeck zwar allge meines Wahlrecht, aber einen Zensus, der das Ein dringen unbemittelter Elemente erschwert. In Ham burg war die Erlangung des Bürgerrechts an eine Ge- bühr geknüpft. die so hoch war, daß die Zahl der Ham- burger Bürger allmählich in ein immer ungünstigeres Verhältnis zur Einwohnerschaft trat. Da entschloß man sich 1896, die Gebühr ganz aufzuheben und statt dessen den Zensus einer fünfjährigen Versteuerung des Ein kommens von 1200 jährlich einzuführen. Das hatte zur Folge, daß die Zahl der Bürger mit einem Mal stark anschwoll, und daß namentlich die Einkommens klasse von 1200 bis 1300 eine enorme Wählerzahl ge wann. Die Hälfte der hamburgischen Bürgerschaft wird durch das allgemeine Wahlrecht erkoren. Der Senat und ein großer Teil des hamburgischen Bürgertums be- fürchten nun, daß es der Sozialdemokratie leicht ge- lingen könne, diese Hälfte der Bürgerschaft. 80 Sitze, völlig zu erobern. Selbst wenn sie nur 40 gewänne, so wäre sie im Stande, jegliche Abänderung der Ver fassung zu verhindern, denn dazu sind drei Viertel der Anwesenden, bei vollbesetztem Gause also 120 von 160, vorhanden. Aus dieser Besorgnis ist die unfern Lesern bekannte Vorlage des hamburgischen Senats entsprungen, näm lich die 80 nach allgemeinem Wahlrecht zu besetzenden Mandate zu dritteln (mit Ausnahme von 8, die dem Landgcbiet verbleiben sollen). 24 Mandate sollen den Einkommensteuerklassen von 1200 bis 3000 Mark. 24 denjenigen von 3000 bis 6000 .4! und 24 den über 6000 zufallen. Das Bedenkliche einer solchen Einschränkung des Wahlrechts liegt auf der Hand. Vor allem ist zu befürchten, daß die Sozialdemokratie außer- halb der Bürgerschaft um so mehr an Boden gewinnt, je mehr die ärmere Bevölkerung den Verlust empfindet. Auf der anderen Seite kann man den erwähnten Be denken wegen der Beibehaltung des bisherigen Zu- standes die Begründung nicht versagen. Doch wollen wir hier picht auf eine Kritik der verschiedenen Ansichten eingehen. Die Verhandlungen der hamburgischen Bür gerschaft ergaben zwar eine große Mehrheit von An- hängern der Wablrcchtsänderung. Doch fragte eS sich, ob diese über die zur Annahme erforderlichen vollen drei Viertel der Stimmen verfügten. Drei Tage lang hat man nun schon gekämpft und noch ist man nicht zu Ende gekommen. Am 31. Mai hat man die Verhand lungen abermals vertagt. Die Minderheit wehrt sich mit Löwenmut, so daß die Mehrheit nicht über sie hin- wegschreiten kann. Es fragt sich nur, ob sie es auf 40 Stimmen bringen kann, um die Verfassungsände rung zu verhindern. Sicher ist das nicht. In Lübeck lag die Sache ähnlich, nur war die sozial demokratische Partei noch lange nicht so stark in die Bürgerschaft eingetreten. Dennoch vollzieht sich dort wahrscheinlich die vom Senat vorgeschlagene Aenderung, daß höchstens ein Achtel der Mandate für die Sozial demokratie überhaupt erlangbar bleibt. In Bremen ist zur Verfassungsänderung nur die Zahl von 76 Stimmen (bei einem Total von 150) er forderlich. Dort werden 68 Mandate nach allgemeinem Stimmrecht vergeben und 82 nach Klassenwahlen (Ge lehrte, Kaufleute, Gewcrbtreibende und Landwirte). Es ist also der Sozialdemokratie so gut wie unmöglich, die erforderlichen 76 Stimmen anfzubringen. Dennoch verhandelte auch Bremen vor zwei Jahren über eine Verfassungsänderung. Da die Sozialdemokratie schon 19 Sitze erobert hatte, so fürchtete die büraerlichc Linke ein Umsichgreifen jener Partei, zumal da Bremen das liberalste Bürgerrecht hat. Dessen Erwerb muß man freilich mit 16Z4 bezahlen, aber einen Zensus gibt es nicht. Es wurde daher vorgeschlagen. einen solchen ein- zuführen, und zwar von 1500 versteuertem Ein- kommen. Allein, dort war der Gang der Dinge umge kehrt wie in Hamburg und Lübeck. Dort wurde der Vorschlag so scharf kritisiert, namentlich von der söge- nannten Rechten, daß er glänzend durchfiel. Nicht ein mal die Antragsteller wagten sich für ihn zu erheben, er wurde einstimmig abgelehnt. Gefahr sei nicht vor handen. Man wolle in den Massen des unbegüterten Volkes nicht eine Zunahme des Glaubens an ungerechte Behandlung durch den gegenwärtigen Staat erzeugen. Gier sei vor allem auf daS Ergebnis hinaewiesen, daß daS hanseatische Bürgertum gar nicht daran denkt, vor der Sozialdemokratie daS Feld zu räumen und die drei Städte der Partei des Umsturzes auszuliefern. Kommt Gefahr auf, so wird es sich zu verteidigen wissen. Und daS ist recht. Denn jedes Kind wird begreifen, daß sozialdemokratische Bundesstaaten im heutigen Deut schen Reiche unmöglich sind. Gegen eine solche Wendung der Dinge würde das Reich im Notfälle Vorkehrung treffen, etwa durch Reichsbestimmungen über das einzel- staatliche Wahlrecht. Im Hintergründe steht sogar das Ende der hanseatischen Selbständigkeit — was dann wohl sogar den Sozialdemokraten nicht gefallen dürfte. berliner ferte. (Von unserm Spezialkorrespondeuten.) II. Berlin, 5. Juni. Die blöde Hitze des Sonntags hat ihr Werk getan; Berlin ist seiner silbst satt und hat sich kur, entschlossen, „ruppig" zu werden, vornehmlich deshalb, weil die Vergnügungsration gestern nach den höheren Wünschen und nach der Art der Schaustellungen höchst knapp >emefsen war. In diesen Stunden des Mißvergnügens cheint die Masse gänzlich außer Form gekommen zu sein; ie hat auf die provinziale Wichtigtuerei, mit der sie die Kosten deS Sonnabends bestritt, verzichtet und gab sich, wie sie bei der Heimfahrt der Kremser sich zu geben pflegt, wenn Fritze sich in Spirituosen übernommen und Irrte ihr neues Kleid zerdrückt hat. Wie konnte man auch glauben, daß eine solche Komparserie bei solchem Schwitzzwang nicht unmöglich sein würde! Gegen Mitternacht, als die sinnlose Völkerwanderung sechszehn Stunden gedauert hatte, haben Damen und Herren — in Berlin ist jeder ein „feiner Mann", der, ohne Hemdkragen, beim Friseur oder Ziaarrenhändler morgens wettet — die Dekoration der Feststraße geplündert. Sie wurden „zugreifsch", wie daS schone Wort lautet, das Fontane von den Insassen der Keller wohnungen erlauscht hat. Sie kürzten daS Verfahren gegen den Magistrat ab, der sie mit dem wächsernen Zauber eines Spektakels „bei freiem Entree" betrog und nicht einmal das garantierte Recht, eine Sekunde lang eine kleine, kluge, verschüchterte und echauffierte Prinzessin zu er spähen, iynen zu sichern verstand. Den Stadtvätern, gegen die jetzt alles wütet, weil die Einzugs- straße staubbedeckt und nicht gesprengt war, zeigte die Menge, daß sie nicht willens sei, sich übergehen zu lassen. Sie machte gemeinsame Sache mit den Enttäuschten, vie Kartell b:gHrt hatten, doch streitlustigen, unbesoldeten Ehrenbeamten der Stadt geopfert wurden, mit den Trivünenzahlern, die mancher gerissene Vermittler überS Ohr gehauen hat. Aus den Freilichtlandschaften de« Tiergartens, woselbst am Tage zuvor die Familien ein frohgemutes „vesouner sur I'berds" -errichteten, lag das fettige Svmbol. der Berliner Kultur, das Stullenpapier, von Glasscherben und Eischalen um kränzt. Man riß an den Girlanden, deren ver staubte, erstorbene Nadeln von ehedem gesteiften Unterröcken fortgeschleppt wurden, man erkletterte die Obelisken, ent leerte die Füllhörner und barg mit feuchten Fingern die papierenen Schmetterlinge magistratlicher Kunstlaune im Busen, denn Brautrosen bringen Glück. Unentwegt brüllten die Straßenhändler die Photographien deS Brautpaares auS: morgen oder spätestens übermorgen werden sie zu ihrem; „Huzujuju, der kleine Molli" oder zur „HeirrratS-Zeitung" zurückgekehrt sein. Auch dem offiziellen Sonntag hat wohl das Cachet durchaus gefehlt, daS der Einholung durch den historischen Brauch und durch das Schloß Bellevue zu einem Teile ver liehen worden war. Am Abend war Gälatafel im Weißen Saal. Jedoch der Saal ist „modernisiert", die leise, spöttische und feierliche Fontane-Melodie will nicht mehr auf die Lippen. Wie hieß sie doch: „Stadträte mit und ohne golvne Kette, Minister ¬ mißgestimmt in Kaschmirhosen, Straußfedern, Hofball, Hummermayonnaise. . ." Den Herren vom Zivil, die in weißen „Gala-Unterkleidern" sich zu präsentieren haben, ist der Humor vergangen, sie sind korrekt wie Herr Studt; ob noch einer wie jener verflossene Herr von Bismarck sitzt und träumt, der im Jahre 1851 un gefähr so au seine Frau geschrieben hat: „Ich wollte, du könntest den weißen Saal in seiner feen- und riesenhaften Schönheit mit allen Säulen, Treppen, Springbrunnen, Blumen und fremden Bäumen und den 1000 bunten Damen und Uniformen von oben ansehen bei einer solchen Gelegen heit; im Gewühl unten würde es dir nicht gefallen, aber von oben gesehen, auf einem weichen Divan unter Palmen und plätschern den Fontänen die Musik zu hören, und daS Wogen der Eitelkeit unter sich zu sehen, darin liegt Poesie und Stoff zum Nachdenken." Im Rittersaal, im Kapitelsaal, den die „Herren deS Vortritts" besetzen, in der Roien-Adler-Kammer, drin die Palastdamen zusammenschwcben, im Königszimmer, in der Drap d'or-Kammcr und in der Bildergalerie hat gestern jenes „ Wogen der Eitelkeit" sich fortgesetzt. In pseudotraditioneller Weise klang auö, was am Vormittag in gänzlich neuem Stil eröffnet worden war. An der Schwelle des Raschdorffschen Domes war das Menzel reich vergessen; es wird erzählt, daß die Glocken des WestturmeS läuteten, daß in dunkelroten Fracks, mit schwarzen Kniehosen und EScarpins, mit samtnen BarrettS die Mit glieder des königlichen DomchorS vor einem löblichen Publico defilierten, bis dann die Fürstlichkeiten selbst durch den Sonnenbrand zur Säulenhalle gewandelt sind. All,» nahe Erinnerungen mußten auch das Schlußstück deS Sonntags, den Fackelzug der Berliner Studenten schaft, beeinträchtigen. Jahre, Jahre sind verflossen, seit dem in einem Flammenmeer, oder einer zur Pietät noch bereiten, dank einem Berschen nahezu berauschten Menge die Angehörigen derselben Hochschule durch das Brandenburger Tor zum Königsplatz wallten, dem neunzig jährigen Grasen Moltke zu Ehren, der auf dem Balkon erschien; tausendfacher Jubel umbraust« seine zitternde Figur. Den Gang durch das Brandenburger Tor hat gestern die Berliner Polizei nicht gelitten; von der Siegesallee durch die Linden war der Zug geplant, aber die SicherheitSbehörde». strichen den Plan und strichen die Ansprache, die einer der jungen Herreu unmittelbar vor dem königl. Schlosse zu halten gedacht«. Auf d«m Trrrain der Prinz Friednch Karl-Straße, im Hofe d:r Alexander- kaserne Haden di« Trupp« der Magnesiumschwinger sich gebildet, und in den Kasern en Hof eilten sip nach der nächtlichen Huldigung über den Kupfergraben zurück. Vom Denkmal Friedrichs des Großen an hatte sich Berlin, dem seit der Automobilparade vor dem Schloff- der Anblick be kannt ist, stets dichter und lärmender geschart, und die Klänge der „Berliner Luft" hoben sich zum bleiern lastenden Himmel; mit der „Berliner Luft" hat der Zug den Kron prinzen und die künftige Kronvrinzessin, die, wie man meld«, auf einem Balkon an der Schloßapotheke standen, begrüßt. Unerträglich dumpf lag wiederum der ewige Staub geruch auf der Riesenstadt. Aus den zertretenen Bos ketts des Tiergartens winkte keine Kühlung; die Weißen Statuen sahen wie verquollen aus, die Teiche ruhten uno faulten. Kohorten und Kohorten pilgerten nach Westen; auch die schwitzenden Nosenräuberinnen vom Pariser Platz waren schon dabei. Lichtblaue Helligkeit stand über den Wipfeln. Aus den Bierlokalen, in den Straßen am Rande wütete Blechmusik, die Nationalhymne und der letzte Tagesrefrain wurden äa oapo verlangt. Der „weiße Mann, der Einwohner GroßberlinS, hat sich diese Gefilde erobert, in dessen Scheu Bismarck, mit unge- mutem Scherz sich einen Indianer nennend, „dem seine Jagdgründe einer nach dem anderen weggenommrn worden", nach der Entstehung deS Wasserkopfes dem Ausritt allmählich entsagte. Und der „weiße Mann" spricht nirgends schnoddriger als bei Junifeiern sein schnoddriges Machtwort; sein Wesen, daS die große Schau liebt und dem offiziellen Kunstgeschmack sich unterworfen hat, ist nicht zu beseitigen, und nur ein Tor kann wähnen, daß er mehr denn kümmerliche Spuren des im Wechsel der Generationen Ver lorenen treffe, ehe die Festtage verrauscht sind. k. * Telegraphisch wird unS noch gemeldet: * Berlin, 5. Juni. Der Kaijer machte heute vormittag in der russischen Botschaft bei dem Großfürsten Michael Alexandrowitsch und der Großfürstin Wladimir einen eineinhalbstündigen Besuch. Vormittags 11 Uhr empfingen der Kronprinz und die Herzogin Cecilie in Gegenwart der Kaiserin in der braunschweigischen Galene deS Schlosses Abord nungen aus dem Reiche. Hierbei sprachen zunächst die Präsidien deS Reichstages, des Herren- und Abgeord netenhauses Glückwünsche aus, sodann erfolgte die Ueberreichung der Geschenke der Hausastädte durch die Senatoren Lappeuberg - Hamburg, Marcus- Bremen und Fehling-Lübeck. Danach folgte die Ueberreichnng der Glückwunschadressen und Beglückwünschungen durch die Vertreter der Akademie der Wissen schaften, Akademie der Künste und der Universi täten Berlin und Bonn, die Ueberreichung der Geschenke der einzelne« Provinzen und Bezirksverbände der Brandenburgischen Landwirtschaftskammer und des LandeSkommunalverbandeS zu Sigmaringen. Ferner gra tulierten die rheinische Adelsgenossenschaft und die schleswig-holsteinische Prälaten- und Ritterschaft. Sodann brachten Geschenke dar: Der deutsche Landwirtschaftsrat, die Städte der preußischen Monarchie, vertreten durch 20 Bürgermeister usw., eine Vereinigung von 453 mittleren und kleinen Städten; eine Ergebenheits adresse überreichte der Stävteverband Sachsen-Anhalt, eine Glückwunschadresse die Stadt Dresden, Geschenke die Städte Bunzlau, Benau, Werder und Hoch heim. Geschenke brachten ebenfalls dar: DaS Offizierkorps des Regiments Kronprinz Nr. 1, die Offizierkorps der Re gimenter 101 (Dresden), 120 und des bayerischen 1. Ulanen- Regiments, der preußische Landeskriegerverband und eine Reihe weiterer Abordnungen, darunter die deutsche Kolonie in Moskau, ehemalige Korpsbrüder deS Kronprinzen und die Bonner Studentenschaft. Der Reichskanzler empfing am Sonntag die türkische, die serbische und die spanische außerordentliche Mission und heute die persische Mission. * Paris, 5. Juni. Die Sonderberichterstatter der hie sigen Blätter berichten aus Berlin über die ausgesuchte Höf lichkeit, mit der die französische Abordnung zur Kronprinzen-Hochzeit nicht nur amtlich, sondern auch außeramtlich von der unabhängigen Bevölkerung behandelt wird. Sie meinen, daß man aus dieser zuvorkommenden Ausnahme zwar keine politischen Folgerungen ziehen dürfe. Daß sie aber doch den Wunsch des deutschen Volkes bezeuge, zu Frankreich wenigstens äußerlich tadellose Beziehungen zu unterhalten. ver lUttircb-Iapanircke Krieg. L» wird «»eiter gekämpft. „Echo de Paris" läßt sich aus Petersburg melden: Der Krieg bis zum Aeußersten ist beschlossen; General Sacharow befahl, daß alles rollende Material der asiatischen Strecken in drei Tagen aus Rußland nach Asien zurück geschickt wird. Täglich sollen 23 Truppenzüge nach der Mantschurei abgehen. 200 000 Mann sollen binnen eines Monats nach der Mantschurei geworfen werden. Dann beginnt wieder der gewöhnliche Lebensrnittel- und Schieß bedarfs-Tranport. Die Mächte, namentlich Amerika, fahren gleichwohl fort, auf die Kriegführenden im Sinne einer Verständigung ein;u- wirken, „Standard" meldet freilich aus Washington, der russische Botschafter Graf Cassini habe sich bezüglich seines Besuches im Weißen Hause dahin geäußert, der Besuch bei dem Präsidenten habe nicht mehr Bedeutung gehabt, als irgend ein anderer, den er während der letzten zwei oder drei Monate gemacht habe. Präsident Roosevelt und er hätten lediglich über Angelegenheiten allgemeiner Natur gesprochen, aber nichts in der Richtung auf Erzielung eine- endgiltigen Abschlusses über irgend eine Frage. Da-Blatt meldet aber auch, der italienische Botschafter Mayor des Plancheö habe nach seiner mit dem russischen Botschafter gepflogenen länge ren Besprechung den Präsidenten Roosevelt besucht; danach sei der japanische Gesandte Takahira durch ein dringende« Telegramm aufgesordert worden, ru einer Besprechung im Weißen Hause au« New Aork nach Washington zu kom men. Diese habe in spater Abendstunde stattgrfundrn und längere Zeit gedauert. Man nehme au, Roosevelt hab« dem Gesandten Takahira vor Eröffnung vme Frieden«-
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