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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.10.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051009025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905100902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905100902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-10
- Tag1905-10-09
- Monat1905-10
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Anzeig eu-Aunahm« Augustu-ptatz 8, Ecke Iohannisgasse. Di« Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von lrüh 8 bi» abend» 7 llhr. Filial-Expedition: Berlin, Lützowstr. 10. , - Dresden, Marienstr.S». Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig (Inh. Dr. V, St. 2 W. «ltnkhardt). Herausgeber: vr. Viktor Klinkhardt. Nr. 515. Montag 9. Oktober 1905. 88. Jahrgang. Var MÄtigrte vsm Lage. * Kaiser Wilhelm wird, wie man uaS auS Dresden meldet, am 30. Oktober zu einem Besuch des sächsischen König-Hose- eintrrffen und dabei auch die in den letzten Jahren in der Albertstadt errichteten KasernemeutS be sichtigen. * Minister Möller hielt eine bemerkenswerte Rede zu guusten der obligatorischen Fortbildungsschule. (S. Deutsche- Reich.) * Der gestrige Sonntag, an dem in Prag, Brünn und Olmütz tschechische Straßendemonstratiouen erwartet wurden, ist ohne erhebliche Störungen verlaufen. * Ja Moskau kam eS zu einem blutigen Konflikt zwischen Arbeitern und Kosaken, wobei es Tote und Ver wundete gab. 200 Personen wurden verhaftet. (S. Letzte Depeschen.) ?oMKGe ragerrcda«. Leipzig, S. Oktober. Eindrücke vom Kolanialkongrrtz. Au- Berlin wird uns geschrieben: Amateur- oder Laieokongrefse verlieren sich gewöhnlich ins Phrasenhafte und die reinen Fachmännerzusammenkünfte können meist de- trockenen TonS nicht satt werden. Der eben beendete Kolonialkongreß bot ein andere-, eigene« Bild. Die bunteste Mischung von Ständen und Trachten und eine reichlich ebenso bunte Mischung der inneren Beweg gründe zur Teilnahme an dem Kongreß Ware» ausfällige Kennzeichen der Veranstaltung. Kaufleute, Gelehrte, Geographen und Mediziner, Bodenreformer, MinentyndikatS- verlreler, Missionare, Offiziere der Schutztrupvcn, der Marine, des LandheereS, Journalisten und Farmer füllten die Gänge des Reichstags, befehdeten einander, schlossen Kompro misse und faßten Resolutionen. Erwerbssinn, Ehrgeiz und »deale Kolonialbegeisterung, innig gemengt selbst in Individuen, trieben zur Konkurrenz und damit zur befruchtenden Arbeit, wobei denkwürdig« Gruppierungen der Kräfte und Personen vorkameu. Wer vermöchte ohne Lächeln an jener Gruppe vorübergeheu: ein Rabbi, auf den ein OrdenSmann in Kutte und Sandalen und «in protestantischer Theologe eifrig einreden. Sie kommen gerade aus der Sektion, die sich mit den religiösen Interessen unserer afrikanischen Kolonien beschäftigt. Vielleicht hat die Herren das an die Wand de- SektionSsaaleS gemalte Ge spenst der Islamisierung von ganz Afrika geeinigt, und der Händedruck, mit dem sie sich jetzt von einander ver abschieden, sollte dem Großlürken zu denken geben. In manchen Sektionen ist der Professor typisch, in anderen der Geheimrat, und Staunen läßt die Gesichter erstarren, wenn der Vorsitzende erklärt, jetzt werde gleich Herr Müller aus Berlin den Herrschaften seine Meinung sagen. Aber man ist wohlerzogen und tolerant und hörte Herrn Müller aus Berlin an wie den wirklichen Ober und den ganz geheimen Rat, die vorher ihre Sprüche gesagt batten. Bei den Plenarsitzungen, die dem Kongreß die großen Gesichtspunkte bringen sollen, vereinigt dann der große Saal des Reichstag- wieder die SektionSarbeiier, der Herzog Johann Albrecht zn Mecklenburg präsidiert und der RcichSlag bietet das seltene Bild eines übervoll besetzten Saales. Die Frage de- greulichen Absentismus wäre also für die drei Sitzungstage gelöst. Mit der gebotenen Vorsicht hat man sich im allgemeinen von Dingen serngrhalten, deren Zuiammenyang mit den Kolonien nicht sicher und augenscheinlich war. Man kann auch nicht sagen, daß zum Beilpiel daS Vortragslhema deS Generalleutnants z. D. von Liebert „die politische, mili tärische und volkswirtfchaflliche Bedeutung einer starten Seemacht" gegen diesen Grundsatz verstoßen hätte, denn Kolonial- und Seemacht gehören zusammen. Trotzdem ist gewiß vielen Leuten und darunter ehrlichen und eifrigen Flottensreunden beim Hören der Liederlichen Rede unbehaglich zu Mute gewesen. Es ging eine aggressive Tendenz durch die Rede und der Schluß mit dem Motto „Das zwanzigste Jahrhundert gehört den Deutschen" gehört zu einer Sorte von Redensarten, die nicht nach jedermanns Geschmack ist. In dem Auditorium waren wohl sowieso nicht all»uviele, die nicht für eine starke Flotte einzutreten bereit waren. Notwendigkeit zum Pathos lag nicht vor. Wenn die guten Deutschen in den letzten Jahrzehnten so viel an ihrer Flotte gearbeitet hätten, wie über sie geredet worben ist, so könnte unS beute die Stimmung in England kühl lassen. Da das nicht der Fall ist, sollten wir wenigstens mit Redensarten sparsam umgehen, die andere Nationen aus reizen müssen. Ein Erfolg der Rede »st schon riugetreten: die immer noch sehr unsicheren agrarischen Flottenkantonisten, die nur gewisser persönlicher Rücksichten willen daS Wort von der gräßlichen Flotte nicht wahr haben wollen, wiegeln schon wieder ab und warnen vor uferlosen Plänen. Eine in der gewaltigen Wandelhalle des Reichstags veranstaltete Kolooialausstellung «n mininturs bot in Einzelheiten recht instruktives Material, ohne doch mehr alS eine nette dekorative Wirkung auS.uüben. Glück licherweise hielt sich aber die unvermeidliche GcichäftSreklame dabei durchaus in den Grenzen des guten Geschmacks, so daß nicht daS Material durch die Aufschriften überwuchert wurde. Von dem Mahl, das am Abend des letzten KougreßtageS die Teilnehmer vereinigte, ist etwas mehr zu berichten, als die lokalen Schilderungen davon zu erzählen wissen oder für gut befinden. Zunächst mußte das Fehlen jeglicher Musik auffallen, und erst die Ansprache des herzoglichen Prä sidenten löste das Rätsel: DaS Essen sollte kein Fest- oder SiegeSmahl sein, denn man wolle der Kämpfer und Opfer in Südwestafrika gedenken. DaS Mahl wurde so gewissermaßen unter das Zeichen Südwest- AfrikaS gestellt. Noch mehr und sogar auffallend stark trat diese Absicht deS Präsidenten beim Schluß hervor, den er seiner Rede gab. Er verband das übliche Kaiserhurra in imponierender Weise mit einer Huldigung für die Südwest- asrikaner. Der Eindruck seiner trotz aller Wärme sehr lchlichten Worte war erstaunlich tief, besonders in den Kreisen, denen der Schleier vor den Mysterien de- höfi'chen Lebens keine Geheimnisse verbirgt. Deutschland und Frankreich. Gegenüber dein Mißtrauen, dem nach Abschluß der Marokto-Angelegenbeit die deutsch-sranzösitche Vereinbarung in manchen französischen Kreisen noch begegnet, wird jetzt halbosfiziös in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" geschrieben: „Vorerst sind viele Franzosen offenbar noch in dem Argwohn befangen, daß sie gewissermaßen mit verbundenen Anmen in »en Dienst fremder Interessen gezwungen werden sollen. Genügt ihnen die loyale Versicherung des leitenden Staatsmannes Deutschlands noch nicht, daß diese» Mißtrauen ein durch nichts begründetes Vorurteil zum Untergründe hat, so gibt e- für sie keinen besseren Weg, sich von der Irrigkeit ihrer Anschauungen zu überzeugen, al- eine rückhaltlose Auseinandersetzung mit Deutsch laub über alle künftig auslauchenden Fragen, die zu Differenzen Anlaß bieten könnten, sowie ein vertrauensvolle- Zusammengehen mit der deutschen Politik überall da, wo gleichartige Interessen dies zweckmäßig erscheinen lassen. Unschwer werden alsdann auch dir setzt noch Widerstrebenden, sofern der Widerstand gegen eine sreund- «chaflliche Annäherung bei ihnen nicht Selbstzweck ist, zu derAnsicht ge langen daß es dem Wesen der deutschen Staatslunst durchaus zu wider ist, andere Rationen ihrer eigenen DasemSiphare zu entreißen und sie selbstsüchtigen Anschlägen welcher Art auch immer dienstbar zu machen. ES ist zu hoffen, daß diese Ueberzeugung mit der Zeit auch bet unseren westlichen Nachbarn Allgemeingut werden wird; dann werden die günstigen Folgewirkungen der jüngsten Verstän digung zur vollen Entfaltung kommen." Inzwischen fahren die Freunde Englands und Delcassös fort, in der französischen Presse die Erklärungen deS Fürsten Bülow durch Artitel und Rückblicke zu beantworten. Im „Echo de Paris" ergreift der konservative Deputierte Denys Cochin, der schon in der Kammer sür Delcassö eintrat, das Wort und sagt unter anderem: „Die Erklärungen des Fürsten Bülow haben in Frankreich wenig Beifall gefunden und durften keinen finden. Es sind Erklärungen eines Mannes, der wieder unS beruhigen möchte, nachdem er geglaubt har, unS Furcht eiajagen zu können, und der uns ausforvert, unsere Fehler nicht zu wiederholen." Der „Malin" schließt seine sogenannte historische Darstellung der Marokko- Affäre mit einem Artikel ab, in dem er noch einmal die Verdienste DelcassäS feiert und zum Schluffe auSiührt, Frankreich und seine Regierung Kälte lange nicht verstehen wollen, daß hinter der Marokko-Affäre sich die unerträglichste und verwegenste Forderung verbarg, die jemals an ein freies Volk gerichtet worden sei, nämlich die Forderung, Frankreich solle über seine Allianzen oder selbst über seine einfachen Freundschaftsbünde Rechenschaft ablegen (!) Der „Temps" betont in feinem heutigen Leitartikel, daß die einzige Allianz, die Frankreich wünsche, die russiich- sraniösische Allianz sei. Die Freundschaft Frankreichs Mit England und Italien sei aus den jüngsten Ereignissen intakt hervorgegangen, und wenn jemand Verzicht aus diese Freund- lchaflen sordern sollte, so müßte Frankreich mit kategorischer Weigerung antworten. Eine Umwandelung der französisch- engli'chen Freundschaft in eine Allianz Ware dagegen zwar für England, aber nicht sür Frankreich nützlich; sie würde Frankreich kompromittieren, ohne ihm im Falle eines Kon fliktes genügende Garantie zu bieten. Die Politik Frank reichs müsse, abgesehen von der russischen Allianz, die Politik höflicher Selbständigkeit bleiben. Rach dem Schluß des österreichischen Abgeordnetenhauses. Aus Wien, 7. Oktober, wird uns von unserem b'.- Korrespondeuten geschrieben: Das österreichische Parlament ist gestern spät abends vertagt worden. Der Epilog zur Session ist mit wenigen Worten gehalten. Sie sollte den österreichischen Standpunkt gegenüber der ungarischen Krise wahren und betonen. Ein Königreich dem, der sagen könnte, wie daS österreichische Abgeordnetenhaus dies getan hat. Dafür hat sich daS Haus mit der Frage der Einführung deS allgemeinen und gleichen Wahlrechts beschäftigt. Die alte Sache. Oester reich ist immer um eine Idee zurück! Kommt da plötzlich der ungarische Minister des Innern Herr Kristofly mit seinem Wahlrechtsprogramm, das nicht der Wahlrechts- Idee, sondern der Niederringung oer Koalition gilt, flugs melden sich die österreichischen Parteien und bringen diesbezügliche Dringlichkeilsanträge ein. Keiner der Anträge hat aber die Zweidrittel - Majorität gesunden. Wie ist das auch möglich, wenn mit Ausnahme der Polen, nur die deutsche Fortschrittspartei und die beiden Groß- grundbefitzergruppen allein Dringlichkeitsanträge wegen der Einführung des gleichen, allgemeinen Wahlrechts auf die Tagesordnung gebracht haben? Mit Ausnahme der Sozial demokraten findet eben jede andere Partei ein Haar in der WahlrechtSsuppe. Deutscherseits müssen, um den nationalen Besitzstand zu wahren, Garantien, nationale Autonomie ver langt werden, und die Jungtschechen sürchten, gewiß nicht ohne Anlaß und Grund, das Anwachsen der radikalen Bewegung. Die WahlrechtSdebatte war rin Sturm im Wasserglas, ein Vergleich, der Dank der famosen Episode, da der tschechische Abg. Gras Sternberg dem deuischnationalen Abg. K. H. Wolf ein wirkliches Gla« Wasser an den Kopl warf, jedenfalls naheliegend ist. Von Jnter»ffe war ein Ereignis, daS außerhalb deS Parlaments stattfand, leine Folgerrtcheinungen aber im Parlamente zeitigt: der deutsche Volkstag zu Brünn. DaS war ein bedeut sames Geschehnis. DaS Deutschtum darf sich im Hinblick auf die Wahrung seiner nationalen Interessen beglückwünschen, denn eS erstand im Deutschen Hause zu Brünn ein wahre Gemeinbundschast aller deutschen Parteien, vom äußersten linken Flügel biS rur rechten Seite deS Deutschtums, bi» zu den Konservativ-Klerikalen. Gewiß, die Regierung kann nun nichts unternehmen, was die Deutschen in nationaler Hinsicht kränken könnte; vor allem ist der Errichtung einer tschechi'chen Universität in Brünn sür die nächste Zeit ein kräftiger Riegel vorgeschoben. Bei allen guten Dingen aber muß man in dieser besten aller Welten auch nach den Nachteilen fragen; denn eS gibt bekanntlich in der Politik keine erfreuliche Tat- fache, die nicht ihre — sagen wir — ihre andere Seite hätte. Es muß also konstatiert werden, daß der Zusammenschluß aller deutschen Parteien naturgemäß eine Annäherung der flavischen Gruppen nach sich zieht. Man sprach in den letzten Wochen viel von einer Parlamentarisierung des Kabinetts, die natürlich eine Art Koalition aller großen Parteien, der deutschen und der slawischen, vorausgesetzt hätte. Man sprach davon und es gab Skeptiker, die nicht viel von dieser „Idee" hielten. Nun ist auch dieser „Plan" für absehbare Zeit von der Bildfläche verschwunden. Soll man seinem Dahinscheiven eine Träne weihen? Wozu unnützes Echauffe- ment? Hallen wir unS an die guten Seiten deS Brünner VolkSlags; es ist immer »weckvienlich, wenn die Deutschen in Oesterreich mit ihrer Einheit demonstrieren tönnen. veutscdes Keich. Leipzig, 9. Oktober. * Der Lohnkampf »er sächsisch-thüringischen Weber. Aus Gera, 8. Oktober, schreibt man uns: Nach genauen Fest stellungen haben von 1105 Webern 915, gleich 80 Prozent, auf l4 Tage gekündigt, und zwar von 5LK bei Weißflog 440, von 247 bei Gey 220, von 224 bei Bardzky u. Oeter l86 und von 78 bei Münch 69. Anfang der Woche findet eine Sitzung des Verbandes sächsisch-thüringischer Webereien statt, in der aller Voraussicht nach die Aussperrung in sämtlichen Betrieben beschlossen wird, falls die Arbeiter die Kündigung nicht schleunigst zurückziehen. Damit ist aber so gut wie gar nicht zu rechnen. — In den Fabrikanten kreisen ist man der Ueberzeugung, daß die Mehrzahl der Arbeiter sich nach Ruhe sehnt, und glaubt, der Bruch sei nur dadurch herbeigeführt, daß die Vertrauenskommission der Ar beiter ihre Schuldigkeit nicht getan und weder in den öffentlichen Versammlungen noch in den Fabrik besprechungen den Tarif in seinen Einzelheiten einer objektiven Abwägung unterzogen, vielmehr zugelassen habe, baß er von den Agitatoren in Bausch und Bogen als „Huugertarif" gebraadmarkt worden sei. Auch habe die Kommission die Pflicht gehabt, der Unterstellung eatgegenzutreten, daß die Fabrikanten bei einzelnen Positionen sogar Lohnherab- fetzungen vorgenommen halten, da ihr doch die ausdrück liche Gewährleistung belannt sei, daß alle bisher über den Taris gezahlten Löhne laut den allgemeinen Bestimmungen desselben weitergezahlt werden müßten. — Einen üblen Dienst hat die sozialdemokratische „Reußische Tribüne" den Arbeitern der großen Weißflogfchen Webfabrik geleistet. Dort besteht eine ausschließlich aus freiwilligen Zu wendungen der Firma zusammengesetzte Spar- und Versorgungskasse seit Ende 1878. Die Guthaben der Arbeiter an der Kasse steigen prozentualster von Jabr zu Jahr und können entweder jährlich behoben oder der Firma zur Verwaltung überlassen werden. Im ersten Jahre ihres Bestehen« wurden den Arbeitern 5417 -E, i. I. 1904 rund 23000, insgesamt bis jetzt 274000 (!) zugewenoet. Die „Tribüne" glaubte nun in der Streikhetze rin übriges zu tun, indem sie diese WohlsahrtSeinrichtung auss böchste verdächtigte. Kein Arbeiter werde die Prozente der Firma zur Verwaltung überlassen. Nach dem Statut könne plötzlich der ganze SparsondS aus Nimmerwiedersehen im HülsSsondS verschwinden, denn eS sei Tatsache, daß die Pro- zentbezieher in vielen Fällen die schlechteste Arbeit ansertigen müßten und dadurch im Lause der Jahre um ihre Prozente kämen. Dieser gehässige Artikel hat Vie Firma zur Auf hebung der Kasse veranlaßt. Laut Statut ist der Anteil derjenigen Arbeiter, welche gekündigt haben, ver fallen, eS kommen also bis jetzt 440 Arbeiter um ihren Sparpsenoig. — Auch in der Vogtländischen Schijfchenstickerei ist die seit über Jahressrist latente Feuilleton. Ich übergehe den ganzen dunklen Grund unsrer Seele, in dessen unabsehbarer Tiefe unbekannte Kräfte wie ungeboreoe Könige schlafen; in welchem wie in einem Erdreich, daö mit Schnee und E»S bedeckt ist, der Keim modert zu einem Frühlinge paradiesischer Ge danken; in welchem wie io dunkler Asche der Funke zu großen Leidenschaften und Trieben glimmt. Uorcker. Eduard Grisebach. Ein Gedenktag reiht sich an den andern; viele werden diese Konvention als eine lästige Folge der Aktualisierung und Mechanisierung unsere« geistigen Lebens betrachten, die Ge denktage hassen und ihr Recht bezweifeln. Die Feier von Eduard Grisebachs sechzigstem Lebensjahr hält der Prüfung stand. Sie ist durch den Wunsch legitimiert, einem außer ordentlich klugen und tätigen Manne Achtung zu bezeugen, so lange er die Möglichkeit des Schassens noch in sich trägt. Der Verwalter des Schopenbauerwertes, der über die dürftigen Spezialitäten unseres Betriebes hinausweisende Literar historiker, Weltmann und Bibliophile soll am beuiigen 9. Ok- tober auch den Unbeteiligten genähert werden, damit sich nicht etwa das peinliche Schauspiel wiederhole, das beim Tode deS mit Grisebach innerlich verwandten Nachdichters Otto Gilde- meister fest»ustellen war, als Zeitungen, die Nekrologe ver öffentlicht hatten, kurz daraus den Abgeschiedenen wie einen Lebenden erwähnten. Zugleich dürste ein Irrtum zu Verbin dern sein. Der 9. Oktober gilt erst im zweiten Grad« dem Poeten Grisebach, obwohl ibn eine vom Dr. Henning besorgte Broschüre lBerlm, Ernst Hofmann und Co.s unkritisch lobt, und der Eotto-Perlag soeben die zweiundzwanzigste, mit Liebermann- Pastellaemcilde versehene Auflage de« „Neuen Tanhäuser»" in die Welt geschickt üt. Das Buch ist ein Buch der Vergangenheit und wird, wie etwa Geibels „Heroldsrufe" oder die „Völkerwanderung des mächtigeren Lingg, niemals mehr volles Leben empfangen kön nen. Als es im Juli 1869 mit neunzehn anonymen Gedichten am Berliner Spittelmarkt erschien, waren Jubel oder Ent rüstung seine Paten, cs wurde als hohes Lied gepriesen oder als Sinnbild der Verderbnis angeklagt. Es wurde zum Brevier einer Emanzipation nicht allein deS Fleisches; ganze Geschlechter memorierten es, die den schrillen Wortlaut von Strophen und von Seiten in das spätere Alter hinüber nahmen. Die Leit hatte das durch den Einbruch des jung deutschen Jountalismus, durch Rhetorik und die papierene Leidensckiastsgrimasse verheerte Bewußtsein großer, uriprüng- lichcr Kunst nicht wiedererlangt. Sie rief, der Reime des M»rza Schass» überdrüssig, auch den „Neuen Tanhäuser" als lyrischen Messias aus, wie sie im selben Augenblick Frau Ada Christen und ihre „Lieder einer Verlorenen" erhöhte, wie sie Dranmor und 1866 Hamerlings „Ahasver in Rom" erhöht hatte, und nachher für Richard Voß, den „müden Mann", den Autor der „Scherben", sich begeistern ließ. Sie erkannte im Hohenpriester der Venus, der die literarischen Wahlverwandtschaften seiner Belesenheit ebenso sehr wie die Sck-aupläke seiner Reisen in den Vordergrund rückte, nicht den deutschen Gesellen Puschkins und Lermontows, nicht Byrons Enkel. Denn der „Neue Tanhäuser" huldigte dem „Don Juan", selbst durch die osteuropäische Färbung, die er anstrebte. Und er zeigte seine unmittelbare Abkunft von Heinrich Heine, deS „Tanhusaere" und des VenuSbergS letz- tem Sänger. Er hatte ihm die Manier entlehnt, die 1878, in gleicher Abhängigkeit, der Prinz Emil von Schoenaich- Corolath für seine „Lieder an eine Verlorene" adoptierte, für seine „Angelina", deren Keuschheit vom Liebeslaster dahin- gerafft wird, und für seine „Sphinx", die Wollust und Ver- nichtuna bedeutet. Dieselbe Manier ist es, die noch in der Gegenwart, abseits von der musikalischen, der Empfindung wiedereroberten Lyrik, ihre paradierenden Deklamatoren zählt und vielleicht als titanisch bestaunt worden ist, wenn sie oe, Schafheitlin. an« Schars- „Liedern eine« Menschen" oder in Ponizzas Versen „Va-risiana" zn hören war. Im Falle Grisebachs ist eS zu solchen Superlativen nicht gekommen; denn sein Geschmack bewahrte ibn vor der Form losigkeit. Aber eS bleibt au-gemacht, daß die Szenen seines Buches sich wie Ergänzungen des „Wintermärchens", de» „Atta Troll" und „Bimini l«sen. Sie sind in dem un veränderten, nachlässigen, halb reimlosen Maß der Originale geschrieben. Sie haben im Idyll die gemachte Lieblichkeit, die sentimentale Staffage ihres Vorbildes, sie sprechen von den „blauen Veilchenauaen" der Natur, wenn jenes von „kichern den und kosenden Veilchen" und von der weinenden Lotos blume erzählte. Alle Vergleiche sind durch das Medium einer süßlichen Koketterie gegangen, von der sich der „Neue Tan- Häuser", schwächer als Schoenaich-Carolaty, nur in wenigen Strophen, wie dem berühmten Anruf an Savoyens Höhen oe- freite. Die Gazellen aus Heines Gangesgedichl kehren wieder und die Nachtviolen, bei deren Düsten der Märtyrer in der „Matratzengruft" von seiner „Mouche", seiner „Marter- blume", geträumt hat. Paraphrasiert ist die an Posen sich freuende Erotik, die Heine, als ein an Reizen ärmerer Muffe: der deutschen Sprache, durch die Verse: „Umschling mich mit Armen und Füßen und mit dem geschmeidigen Leib" begann. Von dort bat Grisebach seine Alkovenbilder, sein Lob der „Busenhügel", der dirnenhaften „virainit« , des Glieder- ichmelzeS, und des „schneeweiß schwellenden" Hautsammets be zogen, von dort stammt seine Paarung von Leib und Weib, stammt sein überhitzter und nicht sehr suggestiver Kult der Umarmung, der trotzdem der Büchersinnlichkett, dem Bereich des Gedruckten, sich kaum entwand und in dem Hymnus auf die Venus Kallipygos einräumte: „Den Leib und die Glieder be- singen wir bloß, nur immer das Allgemeinste". Die späteren Auflagen des „Neuen Tanhäuser" haben den Vermerk: „In diesem Buche steht kein Wort von Liebe". Es ist klar, daß darum seine innere Fortsetzung mißlang, daß der „Tanhäuser in Rom", ungeachtet seiner Dekorationen, der Campagna, des Petersdoms, des Pantheons oder der Tassoeiche von Sant' Onofrio, leer blieb- flum Zeitgedicht, das einige Seiten über das neue deutsche Reich, über Straßburgs Dom und Lutetia hatten ankündigen wollen, »um Hornsignal wider Papst und Kutten war der pessimistische Epikuräex nicht berufen. Aber man kann seine Poesie auch al« Vorbotin einer künftigen, ob wohl fragwürdigen Poesie ousgeben. Wenn der mit dem höchst irrtümlichen Namen „Realismus" belegte Epigonenkrampf von 1885, wenn daS „Buch der Zeit" in der Entwickelung der deutschen Dichtung nicht übergangen werden joll, dann war Grisebach der Gewährsmann, der Arno Hotz für fein« kecken Versuche im Großstadtgenre, für seine Verherrlichung der milchweißen Brüste und rosenroten Zehen, für sein« Kantusse von Ampelschein und Laternenschein die Tür öffnete. Er war der erste, der von Droschkensahrten und einer Fahrt nach Schildhorn, von der Bettstatt des Liebchens zu reden wagte, und wie der Schrei des eigenen Herzens muß den Conradi und Henckell der Schrei: „Du kalter Winter in Berlin taue auf meine Sinne!" geklungen haben. So schrieb Karl Bleib treu, der starke Mann von 1885, Jüngstdeutschlands Robes pierre: „Meines Erachtens muß man die Strömung des dich terischen Realismus von jener Beichte hcrdaneren, die ein mitkämpsender Sohn des neuerstandenen deutschen Reichs und seiner ersten champagnerberaujchten Gründerperiode mit wil dem Freimut erließ". Es ist auch zu bedenken, daß Hamer- ling vor dieser Uebersteigeruna seiner kränkelnden Jung- aesellensinnlichkeit erschrak, zu bedenken, daß der „Neue Tan häuser" sich als „Modernen" bereits fühlte und „des Tones Einheit" mit einer Bestimmtheit ablehnte, die jedoch >m Sinne der Kunst an eine andere fragmentarische Beichte jener Tage, Conrad Ferdinand Meyers „Hutten", und seinen „Widerspruch" nicht heranreichte. Eduard Grisebach hat das Buch eine „Jugendgrille" ge- nannt, aber im gerechten Stolze niemals es verleugnet; denn fein dokumentarischer Wert ist ungeschmälert, und es bildet die Einleitung eines Wirkens, düsen edle Kunstgesinnung schon die metrischen Zwischensätze nach Shakespeare und Poe inspiriert hatte, und dessen Gedankenslug vom Frankfurter Friedhof, vom Leichenstein Schopenhauers, des Freiers der Wahrheit, auSgegongen war. Grisebach ist der Apostel des ^Veltphilosophen, m dessen Philosophie alle früheren, wie die Ströme in den Ozean, münden". Seine Werke. Briefe, Ge spräche und Selbstgespräche hat er vermittelt: die „Edita und Inedita" sowie Herrigs Schopenhauerauisätze sind von ihm gesammelt worden. Er bot Bürger, Lichtenberg, E. T. A. Hoffmann, Waiblinger, Kleist und Grabbe, den Verschollenen und Beleidigten mit Pietät und sachlichstem Ernst gedient. Er hat die Bibliophilie in Deutschland wachgerufen, Hot Kataloge d>-r Weltliteratur auSoearbeitet und mit den „chinesischen No vellen" an Goethe« Traditionen angeknüpst. Seit er der Diplomatischen Laufbahn entsagte, die ibn nach Rom, Kon- Vtantinopel, Smyrna, Jasin. Bukarest, Petersburg, Mailand «nd Port-au-Prnce führte, ward eine rastlose Muße diesem Sammler zu teil. Seine Mutter starb, als er in Zentral- obneriko war, seinen Bruder, den Architekten Grisebach. Mit- akied der Berliner Akademie, bat er 1904 bestattet; er ist ver- hsirotet und hat einen acht Jahre alten Sohn. Der 9. Ok tober wird ihm manch« Ehrung bringen. k. V7.
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