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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.01.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191201147
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19120114
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19120114
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 18-21 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1912
- Monat1912-01
- Tag1912-01-14
- Monat1912-01
- Jahr1912
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Be^nq» Vreis fle »»» L»c»tt» durch «uk« IrSacr uud Eprdti«»« «mal tä-ltch <»» k>»»» -«diuch«: du PI. »»»atU. L7>, Ml. vien»!iodkl. Br) »n>»c» FtUolrn u. Lil» nLtzmrftclle» ada-d»tt: 7S PI. »»»aU.. r^SLtt. »trrirlid-kl. »urch »«. B»»r timrrhatb Leuilchland, und dir drutlch«» Kolon»«» »trcirljähcl. i.» Ml., monatl. 1.M M«. auoichl. PostdrlieUarld. tzrrnrr tn Lrlgt«», Dänemark, den Donauiiaotrn, Ilallrn, u»z«>nduka, Ktrdrcland«, Lor» »«««» c^»«rr«lch» Unaarn. Kul»»an», Lch««d«n, E<t>n>«li i». Epanlrn. 2n aUr» »dngen Eiaalen nur dtrelt durch »t« Del<l>alloll«ll« de» «lalle» ertzälluch. Da» veipjiaer DagedlaU «rlchelnl Lmat lillllch, Sonn» u. Aelertaa» »ar morgen». Ldonnrmenl»-Lnnadm«: 2»d«nnl»g»ll« tz d«i unieren Llogern, Alltalen, Svrdilrurr» »l»d LnnahmelleUen. >»«(« «oirämlern und >vr>«I »ragen«. cht»»,l»,rla»s»»r»t» 10 Ps. Nr. 24. Anzeige«. Prei- ripziger TagMalt ros. Zsilrysng Loilnmg, den 14. Isnulic lSlL s 14 692 <«acht°,,chlu») Vel.-^Nschl j 14 893 > 14 694 r-t-I-M l',rZHan-elszeitnna Amlsvkalt des Nates und des Nokizeiamtes der Ltadt Leipzig sie Snlerat» au» U«totta und Umgebung »1» llpaltlge Peltltetl« SPs. dtrLrklain«» «eil« l Ml. von au»«ärt, S> Ps. -leklomr» UV Ml.' Inlerat« von «edörden im amt» Ilitzen letl die lielllreil« w P» S»IchStt»an,»lg«n mit Platzoorlchrlste« im Pret!» «rhSht Rabatt nach Tarlr. Beilage,«bübr Eelamt» auslag« L Mk. p laulend «rkl. Poslgediltzr. Irildetlag« t>o»«r. Aekertetlt, Lustraa« können nicht zurück» aerogen werden Für da» ilrlchetnen an deftimmten logen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Lnzelgen-Lnnatzme: 2»hanni»gall« 8, bet sämtlichen Finalen u. allen Annoncen» Lzpeditlonen de» 2n» und Ausland«». Druck und Verlag »»» Fischer L Kürst«» 2nl>ab«r: Paul Kürfte». NedaM«» und <8«schSkt»ft«lli: 2ohanni»gass» L »auut»Filiale Dr«»d«n: Geeftratz« < l (Leier,gou 4üA> 40 Leiten IM" Unser« gestrig« Abendausgabe umfaßt 8 Seiten, die vorliegend« Morgennummer 32 Seiten, insamme« Das Wichtigste. * Die „Nordd. Allg. Ztg." veröffentlicht einen Wahlaufruf zur Reich stags st ichwahl. sS. Leitart. S. 1.) * Poincarß unterhandelt mit führenden fran zösischen Politikern über die Bildung des Kabinetts. (S. bes. Art. und L. Dep. §. 2 u. 3.) * Lord Rosebery warnte in einer großen Rede zu Glasgow vor der kontinentalen Entente-Politik Sir Edward Greys, ls. bes. Art. S. 2.) * Bei der allgemeinen Abstimmung der englischen Bergleute hat sich die gc.xe Mehr- hritsürden Streik erklärt. (S. bes. Art. S. 2.) * Türkische Streitkräfte in Tripolttanien sollen an die italienischen Alchenstellungen von Ain« zara heranrücken. (S- bes. Art. S. 2.) * Aus Tripolis wurde jetzt auch ein ita lienischer Journalist au-»gewiesen. ls bes. Art. S. 2.) Usch üer ersten Schlscht. Deutschland schüttelt sich und besieht sich, wa- der 12. Januar ihm gebracht yar. Der Ucberbuck wird durch die Art des Wahlrechts erttärt. Das halbe Deutschland mutz dop pelt wählen. Die erste Wahl war ins Un reine gemacht. Am tlar,lcn pon allen Erschei nungen ist die Zunahme der sozialdenloiraUsaien Stimmen. Nach uneriorich.lchem Rat,ch»utz voll zieht sie sich unaushaltsain. Es scheint das deutsche Schmal zu sem. Die sozialüenlokratijchc Parier dentl zugleich an den zweiten Schtag. Schineichelnd lockt ihr Zcntralorgan der „Vorwärts" den Liberalismus: Ist der Liberalismus bereit? Man denkt angesichts der Entscheidung, vor die der Liberalismus gestellt ist, oes Mannes, den die Wahlwelle von 1007 in den Reichstag trug, den die von 1912 wieder hinausgejpült hat: des ehemaligen Pfarrers Naumann, jahrelang halte er, von den Christlich-Sozialen kommend, gepredigt, die deutsche Sozialdemo kratie müsse die Rüstungssorderungen bewilli gen, das sei der Weg zur dauernden Macht. Er sah die Verbindung von „Demokratie und Kaisertum" gewährleistet. „Noch im mer", so schrieb er in seinem bekannten gleich namigen Werk, „heißt die Zulunstslojung jur unser Vaterland: „Soziales Kaisertum". Ist dieses gefunden, dann klingt es aus Millionen deutscher Seelen, die jetzt die Mitfreude am Machlwachslum der Nation sich selbst verbieten, dann klingt es aus den Slädten, die das moderne Leben fassen, dann klingt es vom Schacht, vom Stcinbruch, aus der Arbeiterversammlung, un- gewohnt, aber vom Herzcn: „Es lebe der Kaiser." Das war eine Idee, wenn man will, eine großartige. Ein Patriot — dazu rechnen wir den von denen um Stöcker kommenden Nau mann — iah diese Massen, die sich von ihrer Nährmutter, dem Vaterland, mehr und mehr ent fernten, er sah die Gefahr für die Massen und das Vaterland und fragte sich, wie man ihrer Herr werden könnte. Eine Tat un geheuren Vertrauens von beiden Sei ten schien ihm notwendig. Manchmal sicht es, als ob mehrere der Nau- mannschen Ideen Gemeingut geworden wären, aber doch nur das Aeußerliche setzte sich durch. Machtgruppen schlossen sich zusammen, hüben und drüben, wie sie seinen Ideen ent sprachen, aber die Glut der Bege»sterung fehlte. Auch in ibm selbst schien sie erloschen zu sein, man hörte ihn nicht mehr das Kaisertum preisen. Nicht brennende Sorge um das Vater land bel)errichte seine immer radikaler sich ge bärdenden Anhänger. Durch die Entwicklung der letzten Jahre trat immer mehr die Sorge um die Partei in den Vordergrund, bei vielen war es nicht einmal dies, es war einfach der Zorn. Man wollte seinen Weg, den Weg der Uneinigkeit bi- ans End« gehen. Patrio tische Skrupel galten al- Zeichen der Halbheit. Es war ein typiscl)er Fall von Parteiverblen- düng. „Blau-Schwarzer Block" und „Große Linke", zunächst nur in schattenhaften Umrissen, bildeten sich. Im Bürgertum sah man alle- riesengroß, was Grund zum Aerger und zum Hasse deS anderen Teiles bot, zwergeklein, was hätte veranlassen können, die Kluft zu schließen. DaS Vaterland schien verwaist. Da steigt daS Bild eines anderen herauf, der sich im Dienst des Vaterlands aufgerieben: „Wa- würde Bi-marck tun?" hat man bei der Marokkosache gefragt; so fragen wir auch jetzt. Denken wir uns ihn wieder sitzen, wo er einst gesessen; die Nachrichten, die den Aus gang der Wahl vom 12. Januar 1912 vermelden, werben vor ihn auf den Tisch gelegt; 4 Millionen Stimmen für die Sozialoemorratie. Wozu würde er sich entschließen? Würde sein frucht barer Geist was erfinden, was eben nur das Genie erdenkt, was jedem anderen unzugänglich ist ? Würde er hinausstürmen, um, wie Achill die Troier durch den Klang seiner gewaltigen Stimme von den griechischen Schissen scheuchte, alle, die den Sozialdemokraten zu weiteren Er folgen verhelsen wollen, von ihrem Vorhaben ab- zuschrccken. Wir wissen, daß er den Kampf auf Tod und Leben mit der Sozial demokratie für nötig hielt. Wer mit ihr heute paktiert, auf den schauen die grauen Augen zürnend, deren Blick standzuhaltcn, jenen so schwer war. In wenigen Lagen werden die Ver treter der bürgerlichen Parteien in Berlin über tic S t i ch w a h l lo s u n g l eratschlc g n M gn sie zu Emschtüsse.l wmnwn, ru denen die Augen des „besten Deutschen" nicht zürnend schauen würden. Eine oMMe StiHmuhlparole. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt zur Stich wahl: Tie Hauptwahlen sind vorüber. Sic brach ten, was ,ie nach erbittertem Kampfe uruer bür gerlichen Parteien bringen mußten, be trächtlichen Gewinn der Sozialdemo kratie. 24 Mandate gewannen nach den bis her vorliegenden Berichten die Sozialdcmotra- kraten im ersten Anlauf. Sämtliche bürgerlichen Parteien zusammen gewannen nur 144, davon bas Zentrum allein V3, die Parteien rechts von ihm 36. Ter bürgerliche. Liberalismus gewann nur 4. In 120 Wahlkreisen kommt die Sozial demokratie zur Stichwahl. Nicht aus eigner Kraft kann sie dann siegen. Jedes Man dat, das sie noch erwirbt, wird sie dem brutschen Bürgertum verkamen. Dis bürgerlichen Par teien selbst werden Schuld tragen, wenn die rote Flut noch wener steigt. In der .Hauptwahl zog die Sozialdemokratie nut den Schlachtrufen. „Krieg bis aufs Messer den konservativen Frci- yeitSseinden! Kamp, bis zur Vernichtung den verräterischen Zentrumspsaifen! Unerbittliches Ringen mit den nationalen Scharfmachern! Rück haltlose Fehde den fortschrittlich-liberalen Wort helden !" Welche bürgerliche Partei kann gemeinsame Sache mit dem Gegner machen, der ihr wie der ganzen bestehenden staatlichen Ordnung seinen ingrimmigen Haß so hochmütig ins Gesicht schreit? Wie steht die Sozialdemokratie zu un fern nationalen Forderungen und Aufgaben? Im Innern betreibt sie die Absperrung der Arbeiter von allen anderen Volksschichten; der Klassenkampf ist ihr Lebenselement. Die soziale Revolution mit der Abschaffung des Privateigentums ist ihr Ziel. Während sie im eignen Land den Haß schürt und gewalttäti gen Terrorismus gegen die Glieder des eignen Volkes ausübt, huldigt sie nach außen dem Trugbild der allgemeinen Völkerverbrüde rung. Deshalb ist sie die Hoffnung der fremden Neider und Gegner des Deut schen Reiches. Wie bestürzt lvaren diese nach der unerwarteten Niederlage der Sozialdemokratie bei den Wahlen von 1907! Wie lverden sie frohlocken, wenn sich die Er folge der sozialdemokratischen Partei vom 12. Januar 1912 bei den Stichwahlen sortsetzcn. Unsere Friedenswerke können nur gewinnen, wenn wir uns als starke, einige Nation in der Welt behaupten. Zu den nahen Aufgaben des neuen Reichstags gehört die Sicherung unserer Wehrfähigkeit. Die Partei, welche fick selbst international nennt, in welcher sich der Gedanke des Massenstreiks im Falle der Mobilmachung hervorwagen durfte, ist ihrem ganzen Wesen nach zur Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe un- fähig. Nicht Mißmut über diese oder jene mit Recht oder Unrecht als übel empfundenen Zu stände in Reich und Staat, nicht Rücksicht auf einen Vorteil durch Paktieren mit der Sozial- denwkratie lenke den Schritt zur Stichwahl! Nicht auf vergangenen Hader der Parteien, auf die Zukunft der Na tion richte sich der Blick! * Eine offiriöse Stimme rnm Wahlkampf in Berlin-Witte. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt ferner: Der 1. Berliner Wahlkreis kann bei der StiLwa h l durch Zusammenhalten der bürgerlichen Parteien für da» Bürgertum erhalten wer« den. ' Der Kandidat der Demokraten hat aber die Parole für die Sozialdemokratie ausgegeben. Wird diele Parole befolgt, so geht auch der letzte Berliner Wahlkreis dem Bürgertum verloren. In dem Auf ruf für Karmpf wird gesagt: „Die Sozialdemokratie ist nach ihres Führers Bebel Worten der Tod- feind de« heutigen Staats. Sie will nicht verbessern, sondern um stürzen. Die Sozialdemo kratie versagt dem Reich, dem Staat und der Ge meind« alle Mittel. Ihre Vertreter stimmen stet« gegen den Etat. Di« Beamten würden keinen Pfen nig bekommen. Ginge er nach der Sozialdemokratie, dann würde auch die Wehrkraft de« Vaterlandes schwer geschädigt. Die Sozialdemokratre ver letzt die Grundsätze der bürgerlichen Freiheit dadurch, da» sie andersdenkende, von den sozialdemokratischen Arbeitern abhängige Wähler bedrückt und terro risiert." Das ist eine zutreffende Charas- teristik, die alle bürgerlichen Wähler beherzi gen mögen! O Dachklange jur Wahl. 8t. Worms, 13. Jan. (Priv.-Tel) In Dittes- heim wurde am Watzlabcnü während des Wahl aktes von Angehörigen der Heyl-Partei Wein, Bier und Zigarren an die Wähler verab reicht. Außerdem ist, wie durch Zeugen erklärt w rd, zum Teil auf Rechnung der Gemeindekasse nach der Wahl Freibier verabreicht worden. Üvegen der Verabreichung von Bier, Wein und Zi garren während des Wahlaktes ist sofort beim Kreisamt Beschwerde eingereicht worden. Fn der Nacht gab es unter den Wählern der Heyl- Partei eine blutige Schlägerei, wobei etwa 14 Personen teils schwer, teils leicht verletzt worden sind. Kutzlm ü sn üer Is wesmenüe. Don E. Prosorofs. II. Di« politische Ruhe im Innern und die wirtschaft liche Erstarluna «alten, wie ich in meinem letzten Rückblick jchcnr andsutete, zur Folge, daß der politische Unternehmungsgeist nach außen wieder erwachen konnte. Die tiefe Niedergeschlagenheit nach dein Krieg, die Unlust, sich überhaupt zu bewegen, und jene überängstlich« Passivität, aus der England klugen Vorteil gezogen hatte, um das Rusienreich in Asien in jeine eigene Resignation fest einzuwickeln — sie sind endgültig überwunden —, u>u> ter Wille zum Handeln ist von neuem erwacht. So festen Schrittes ist Rußland ausgerechnet in Asien auf den Plan ge treten, von dem die Briten es schon hinausmanövriert wähnten, daß es vei jeder Bewegung zum Enr,ev«n der Briten die Paragraphenfesseln zum Zerspringen straff zerrte, die jener Vertrag ihm hatte anlegen srllen. Ueberhaupt waren di« Enttäuschungen der freundlichen Briten groß, di« Rußland ihnen be reitete: Gerade im Balkan, wohin es hätte ab geschoben werden sollen, legte es sich trotz der sich dort überstürzenden Ereignisse eine weise. Mäßigung auf; mit Deutschland kam es in immer angenehmere Be ziehungen; uns das im Vorjahr« abgeschlossene Ab kommen mit Japan munterte es zu kräftigerem Vor gehen in Asien auf, wo es sich — nach englischer Auf fassung — doch al« ausgcschaltet hätte betrachten sollen. Ueberhaupt lag der Schwerpunkt der russischen aus wärtigen Politik während des letzten Jahres ganz in Asien. Die Beziehungen zum Pumponkelchen Frankreich gestalten sich erfahrungsgemäß stets dann besonders angeregt und intim, wenn eine Anleihe ausgenommen werden soll. Da ein solches Bedürfnis jedoch nicht oorlag, jo war das Verhältnis zum alten Bundesgenossen gleichmäßig angenehm. Während der Marokkokrise rückte Rußland naturgemäß nicht von Frankreich ab, jedoch hielt es sich, im Gegensatz des mit seiner Freundschaft aufdringlichen Englands, möglichst abseits und hatte zu verstehen gegeben, daß es sich an die enge Auslegung der Bündnisklauseln halten würde und kriegerische Verwicklungen ihm überaus ungelegen wären. Der dritten Entente macht, dem von Freundschaftsbezeugungen über fließenden England gegenüber gewann die russisch Politik endlich ihre Selbstbesinnung wieder. Die beobachtete kühle Zurückhaltung wurde aenen Schluß des Jahres sogar durch sehr scharfe Reibereien in ärgerliche Pikiertheit umgerckandelt . . . Diese Friktionen kamen von dort her, wo England das russische Vordringen abgebremst zu haben ver meinte. In Persien konnte England die russischen Erfolge nicht mehr zurückstauen, da die Kosaken über papierne Londoner Noten einfach Hinwegritten. So ließ sich England, als nichts fruchtete, zu Stallknechts diensten herab und bequemte sich schließlich, um wenigstens nicht leer auszugehen, dazu, eine Parallel aktion im Süden einzuleiten — auf die unabsehbare Gefahr hin, damit an Stelle eines Pufferstaates eine Zone schärfster Interessengegensätze zu Rußland ent stehen zu lasten. Im Osten und im Zentrum Asiens zeigte sich der vorsichtig« Erpansionstrieb der wiedererwachcnden russischen Politik am stärksten. Das ganze Jahr stand unter diesem Zeichen. In der Mandschurei ge währte das Einvernehmen mit Japan «ine aencherre Bewegungsfreibeit, nachdem die Einspruchsoersuche und die Bahnoauangebote der Pankees abgewiesen waren. In der Mongolei hatte Rußland Eile, seine bevorrechtete Lage diplomatisch zu stützen und formell bestätigen zu lasten. Wie richtig es dabei verfuhr, beweisen die jüngsten Ereignisse in China und der Abfall der Mongolenfürften. Rußland hatte, um diese Anerkennung seiner Prärogative bezüglich des Handels und der Konsularvertretung zu erringen, im Frühjahr ein Ultimatum dem anderen folgen lasten und stand fprungbereit zur Besetzung von Kuldiha und erforderlichenfalls auch von Kaschgar. Nun scheinen die nordöstlichen Provinzen Chinas, die Mongolei und Ostturkestan, ihm früher oder später als reife Frucht in den Schoß fallen zu müssen. Rußland kann daher mit den Ergebnissen seiner auswärtigen Politik im Jahr« 1911 zufrieden sein. Es hat aussichtsreiche Stellungen in Asien ein genommen und beginnt sich loszumachen von den Ein engungen, die ihm die schlaue Politik Albions aufzu erlegen verstanden hat. Es übernimmt sich hierbei nicht mit seinen Mitteln. In Asien liegt sein« Zu kunft; in Asien ist es stark. Indem es somit die Weg« seiner natürlichen Ausbreitung wieder ausgenommen hat — und wer könnte ihm in Nordperfien oder Mittelasien entgegentreten? —, sieht e, reichen Lohn winken. Dagegen hat es allen Versuchungen wider standen, es in europäisch« Händel hineinzuzerren. aus denen es nicht» zu holen hat und nur nutzlos seine Kräfte vergeuden würde. Denn für große europäische Aktionen hatte es noch unendlich viel an der Neu- gestaltvug seiner Wehrkraft zu arbeiten; und auch die beginnende wirtschaftliche Blüte würde von solchen Eret.qnisten nertümmert. Diese gesund« Richtung brinat cs mit sich, daß das Verhältnis zu Deutschland sich sehr gebessert hat. Auch in der Stimmung de« Landes zeigt sich der Umschlag. Nur noch eingefleischte Deutschenfrester, wie das „Ncmwje Wremja", fahren mi* ihrem Geschimpfe fort. Immer häufiger finden sich Stimmen, die gute De- ziehungsn zu Deutschland befürworten, — selbst aus liberalen Kreisen. GuropSilcher Erporrinümtrislismus unü über i eilche Lsnüwirtlchsst. Zn ven unerbittlichsten Gesehen des Wirtschafts lebens gehört dieses, daß in einer beliebigen Wirt- jchaftSg.sellschast unter keinen Umständen mehr Nicht- Urproduzenten, also Gewerbe- unü Handeltreibende, Diener, Artisten, Angehörige freier Berufe und Be- ruslosc, kurz Städter existieren können, als die Land- wirtschaft mittels i.-rec Naürungöübcrschusse ernähren kann. Wenn z. B. der Ueberjchuß jedes einzelnen Durchschnittslandw.rtcs so groß ist, daß ihrer neun zehn zusammen Nahrung jür einen Städter zu Markte bringen können, dann wird es ganz genau 5 Proz. Städter und 95 Proz Landwirte geben. Und wenn jeder Landw.ri durchschnittlich doppelt so viel Nahrung erzielt, als er selbst mit den Seinen verbraucht, so gldt es 5N Proz. Städter. Jede In dustrie ist daher abhängig von irgendwelck-er Land wirtschaft: soweit es keine einheimische ist, ist es fremde. Der scharfe politisck^e Gegensatz zwischen der Mehrheit der Städter und der Mehrheit der Landbewohner in den mcsteuropäiscl>en Ländern rührt gerade daher, daß die Industrie in diesen Ländern überwiegend von einer bequemen Bersorgnng mit billigen überseeischen Nahrungsmitteln oder Roh stoffen abhängig geworden ist. Tie Produktionsleiter in der Landwirtschaft füllten alle fremde Nahrungs- mlttelzufuhr nut voliüscben Mitteln möglichst zu er schweren, um ihre einstige Monopolstellung im natio nalen Wirtschaftsleben wiederherzustellen und maci-en sich dadurch zu Todfeinden aller Städter, die schlech terdings unler den gegebenen und einstweilen nicht anszuhebenden Verhältnissen von der heimischen Landwirtschaft nicht ernährt werden können. Jede weitere politisch Emanzipation der Städter von dem Boden der heimischen Landwir:sä>ast muß demnach neue Entfaltungsmöglichkeiten für unfern ErportindustrialismuS mit sich bringen. Danach ließe sich diesem ein günstiges Horoskop für die nächste Zukunft stellen, wenn nickt eine Betrachtung der überseeischen Verhältnisse lehrte, daß sich dort die zum Austausch gegen europäisch Jnduslrieerzeugniise verfügbaren landwirtschaftlichn Ueberschüsje rasch verminderten. In den Vereinigten Staaten hat die Bcvölkerunfl in den letzten zehn Jahren um 20 Proz. zugenommen, aber die Landwirtschaft ist tn dieser Zeit säst zum Stillstand gelangt. In allen Staaten beobachtete man eine Z lnabme der städtischen Be- völkerunp von mehr als 15 Proz.: in 6 Staaten be- trufl diese Zunahme mehr als 100 Proz., in 11 andern Staaten bewegte sie sich zwischn 50 und 100 Proz. In 6 Staaten ging die ländliche Bcvölke runfl zurück, in 50 andern Staaten betrug die Zu nahme noch keine 10 Prozent, und nur in 8 Ttacuen kvon 46) überschritt sie 50 Proz. Bon den 17 Mil lionen, um die die Bevölkerung der Union anwuäeS, erhielten die Städte 70, das Land nur 30 Proz. 1890 wohnten erst 36,1 Proz der Bevölkerung der Union in Städten, 1910 bereits 46,3 Prvz. Den vaterländischen Verhältnissen entspricht diese Entwickelunfl zwar nicht. Bisher sind erst zwei Fünf tel der gesamten Fläche der Vereinigten Staaten in Farmland verwandelt worden, und nur die Halste dieser zwei Fünftel ist zurzeit angebaut. Tie andere Hälfte, 384 Millionen Acres, warten des Pfluges. Dazu können 75 Millionen Acres Moorland trocken gelegt und 40 Millionen Acres Steppen durch Be- wässerunfl kulturfähig gemacht werden. Ferner sind ausgedehnte Strecken Waldland vorhanden, die lcicht durch Rodung in Ackerboden umzuwandeln wären. Auch ist die Bodenbestellung noch sehr erkennt). Ter durchschnittliche Wei cnectrag von einem A re betragt in den Vereinigten Staaten 14 Bushcls, während in Deutschland von einer entsprechenden Fläche 28 Bushels (750 Kilogramm), in England 32 Bushcls flewonnen lverden. Demnach wird die amerikanisch Landwirtschaft schon genau wie die europäische durch eine künstliche Verteuerung der Bodenpreise nieder gedrückt, woraus fick ohne weiteres aus dem Lande Landflucht und Leutenot, in den Städten Massen andrang und industrielle Hypertrophie als soziale KrankheitSerscheinungcn ergeben Es schirrt eben, als führe der Kapitalismus das Wirtschaftsleben um so früher auf einen toten Punkt, je später er in einem Land in die Erscheinung tritt und je weniger histo rische Widerstände ihm begegnen. Um so größer ist nämlich der Aktionsradius der Bodenspekulation. Folgerichtig muß dieser in Kanada noch größer sein als in der Union. Das stimmt auch. Viele, wenn nicht die meisten von denen, die heute in Winnipeg in protzenhast stattlichen Häusern wohnen und in Automobilen fahren, kamen einst wenig oder gar nicht bemittelt an, wunderten sicy über den Mangel an Wagemut und Unternehmungsgeist bei dem an sässigen Element, arbeiteten, rührten sich, verdienten viel Geld und verwendeten alles, was sie erübrigen konnten, zum Ankauf von günstig gelegenen Lände reien. Heute ist in einer Entfernung, ivo die Stadt nur mit dem Fernrohr zu entdecken ist, der denkbare Wertzuwachs des BodenS von der Spekulation auf viele Jahrzehnte hinaus vorweggenommen. Doch auch in den großen, Weizen produzierenden Prärie provinzen im Nordweslen Kanadas kennt die Speku lation schon nicht Maß noch Grenzen mehr. Ein englischer Reisender berichtet von einem Orte von 700 Einwohnern, um den rund herum, endlos, nur hie und da ganz dünn besiedelt, die Prärie sich auS-
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