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Mußestunden : 27.07.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1687940258-190607276
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1687940258-19060727
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1687940258-19060727
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Titelblatt fehlt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungMußestunden
- Jahr1906
- Monat1906-07
- Tag1906-07-27
- Monat1906-07
- Jahr1906
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- Mußestunden : 27.07.1906
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820 läßt. Die wenigen Unbequemlichkeiten und Unerfreulichkeiten, die bei solchen Wanderscl)aften und Fahrten mit in den Kauf genommen werden müssen, haften als solche nicht bleibend in der Erinnerung. Sie dienen, eher dazu, als dunkler Rahmen den lichten Bildern einen erhöhten Reiz zu verleihen. Durch den herrlichen Felsenbogen, den Kuhstall, mutzte die Gesell schaft doch auch schreiten. Sollten sie da wohl ohne alle Versuchung an dem „Bierstaat" der Jenenser mit durstiger Kehle vorüberge- gangen sein, ohne sich durch die hohen, braun und weiß gestreiften Hotthumpen, aus denen das „Lichtenhainer" nun einmal genossen weroen muß, zur Einkehr verlocken zu lassen. Stattlich genug nehmen sich diese Humpen jedenfalls aus. Und schließlich durfte auch Pirna nicht vergessen werden in dem wundervollen Grunde. Noch schaut ihre alte Burgfeste Sonnenstein hinab ins tiefe Tal; aber nicht kühne, tapfere Ritter wie ehedem Hausen in ihren Mauern, sie erfüllt jetzt einen sehr traurigen und ebenso menschenfreundlichen Zweck als Irrenanstalt. Möchte der Name wenigstens für viele eine wahre, frohe Verheißung enthalten und sie auf diesem hohen Steine die Sonne des Verstandes, das Licht de- klaren und gesunden Denkens wiederfinden lassen. Damals blickte Salpius auf die Kämpfe zurück, die einst hier stattfanden und längst der Vergangenheit angehörten. Wie glücklich für lhn, daß ihm die Zukunft verhüllt war, wie hätte er sonst den frohen Augenblick genießen könnenI Auch hier fanden 1813 heiße und erbitterte Kämpfe statt zwischen den Verbündeten und Napoleon. Doch jetzt hat der frohe Student und nachmalige treue und tapfere Vaterlandsverteidiger das Wort: Halle, d. 6. October 1804. Beste, theuerste Eltern. Vorgestern d. 4ten Abends bin ich gesund und munter von meiner Reise -urückgekommen, und sowie ich mich jetzt wieder etwas hier be sonnen habe, und wieder einigermaßen in der alten Ordnung bin, ist e- mein erstes Geschäft, Ihnen von meiner Reise und allen Fatis derselben Rechenschaft und Nachricht zu geben. Lassen Sie sich also jetzt erzählen, was ich alles gesehen und erfahren habe. Den 18ten Sept. Dienst. Nachmittag 1 Uhr traten wir 5, Wemmer, Zander, Pi schon, Wohlers und ich, wie ich Ihnen schon unsre Reisegesellschaft genannt habe; unsre Wanderschaft woblgerüstet und so viel es sich thun ließ, vorbereitet an. Wir hatten mehrere Bücher auS Leihbibliotheken, die mehr oder weniger unsere Reiseroute betrafen, genutzt, unter andern auch Karamsins Reise, der von Berlin aus durch Dresden und Sachsen gereist war, und esse»,-war»nur kurzer aber sehr angenehmer Erzählung davon Sie ch viÄeicht erinnern. Außerdem hatten wir einen recht brauchbaren für Fremde in Dresden . » und eine noch ausführlichere ist »Dresden und seine Umgebungen" mit sehr guten Karten von Dresden und der ganzen Gegend, übrigens durchlveg sehr »oetisch, neu uns angeschafft, und diese thaten uns zur Vorbereitung owohl al- an Ort und Stelle, da wir sie Mitnahmen, gute Dienste, lnsre Taschen, 2 grün wachsleinwanden, worunter meine, und 3 ederne, ganz angefüllt, und jede etwa gegen 20 Pfd. schver, waren vorauSgeschickt. Bor dem Thore wurden sie umgenommen, und wir wanderten nun ungefähr wie elegante Handwerksbursche getrost unsere Straße. Der Tag war heiß, die Chaussee sehr staubig; aber unser Muth und unsre Kräfte waren frisch und stark, wir marschirten tapfer und leicht, und ließen uns nichts anfechten. Der ödeste Weg bi- Schkeuditz, dem ersten sächsischen Städtchen, etwa auf der Mitte de- Wege- vor Halle bis Leipzig, war bald zurückgelegt. Hier waren wir ans dem ersten bedeutenderem Punkte der Gegend und des Lande-, das wir durchstreifen und mit seiner Hauptstadt kennen lerne» wollten. So klein und unbedeutend der Ort an sich ist, so war er mir doch dadurch merkwürdig, und zeigte uns auch schon manches Von dem Neuen und Interessanten, was unS die gewissermaßen neue West, die «nS aufging, versprach, sächsische Miliz, z. B. die Meilen säule ans dem Markte, die wir in allen Städten mit einem Postwechsel wiedersanden u. s. w. Durch einen Trunk erfrischt, den wir uns auch schon früher halten gefallen lassen, setzten wir unfern Wandcrstab weiter, und legten nun im Kühlen und mit weit mehr Genuß und gewecktem Sinn die andere weit angenehmere Hälfte des Weges bis Leipzig zurück. Hier folgte Dorf auf Dorf und schöne große Dörfer unter den freundlichsten Umgebungen. Wir wollten in Meckern etwa Stunden vor Leipzig (durch ganz Sachsen wird nnr nach Stunden gerechnet, eine recht gute und bequeme Rechnung) über nachten; denn nach der Maaßregcl, die uns unsre genau berechnete Kaffe imferlegte, und die wir wenigstens auf dem Hinwege getreu lich genug befolgten, wollten wir, so viel mögl. unsre Nachtlager und Mittage auf Dörfern zu halten suchen, wo man weder an uns noch wir selbst an die Gastwirthe große Pretensionen machen konnten, und wo wir auf jede Art um vieles wohlfeiler als in Städten weg- zuLommen dachstn. Hier wurden wir aber, vielleicht weil man uns nicht recht für voll ansah, nicht allzu höflich abgewicsen, weil schon alle- voll Karner war, und wir wandelten nun, ohne uns dies aber anfechten zu lassen, bei dem schönsten Hellen Mondschein weiter, hatten noch bei Meckern ein herrliches Echo, das volle 6 Silben deut!, wieder holte. und langten dann unter dem lauten Empfang von unzähligen Hunden, die uns alle wie wir durch das lange Dorf von Haus zu Hau- fortftolperten, begrüßten, in Gohlis, 44 Stunde vor Leipzig an. Hier freuten wir uns sehr des Zufalls, der uns bis hieher geführt hatte, den» wir aßen in einem geräumigen, bequemen Gasthause, in einem schönen großen Saale ein gutes kaltes Abendbrot», und scbliefen auf einer Streu mit einigen Betten süß und sanft in einem eignen Stübchen auf den ersten Tag unsrer Wanderschaft auS. Gohlis ist da- Charlottenburg der Leipziger, und wir freuten uns über viele recht schöne Gebäude und Anlagen, die uns hier nur bei unserm Durchzuge aufstießen. Durch Schlaf und guten Kaffe erfrischt und erfreut zogen wir mit frühem Morgen, den wir nicht heiterer und freundlicher Hütten wünschen können, aus Gohlis aus, wurden gleich durch die schönen Thürnie Leipzigs überrascht, die uns in dein krischen Morgenlicht begrüßten, sahen eine Wachsleinfabrik vor uns, und waren, ehe wir wußten wie, in Leipzig selbst. Die Leipziger Stadtsoldaten in grauen Nöcken mit ganz rothen Aufschlägen und eben solchen Unterkleidern gleich am Thore waren uns ein frappanter Anblick; wir kamen dann durch eine lange Vorstadt, die wir fast bei keiner sächsischen Stadt vermißt haben, in das eigentl. Leipzig, wo ich aber noch vor dem Thore die herrlichste Promenade unter einer Kreisallee von Bäumen, wie sie vor allen Thoren Leipzigs ist, nicht vergessen darf. Leipzig ist nicht schön, ob es gleich viele schöne Ge bäude hat, denn es fehlt ihm an Regelmäßigkeit und Gefälligkeit in der Ansicht der Straße. Doch imponirt es als bedeutender Ort. Es kündigt sich gleich als Stadt des Handels und Gewerbes an; denn ein betäubendes Gewirre und Gewühle, wo sich der Packträger und der fein und luxuriös gekleidete Kaufmann, wo sich Jude und Christ und Türke in buntem Gemisch durcheinander drängt, umtoset den Eintretenden. Wenigstens erfuhren wir dies so bei unserm Einzuge, wo der ganze Brühl, die erste Querstraße, wo man vom höllischen Thore hineinkommt, mit Frachtfuhrleuten u. ihren Wagen und 1000 andern geschäftigen Menschen aller Art bedeckt war. Ter große Markt von Europa sollte aufgebaut werden, und die Kaufleute aus allen Gegenden der Windrose waren dazu theils angekommen, theils kamen sie fortwährend an. Wir sahen noch hinter die Coulissen, wo es ge wöhnlich noch krauser und bunter zugeht, als auf dem Theater selbst. A«f dem Basiirh-f beim Morgengrauen im Herbst. Von Giosud Carducci. Uebertragen von Dr. Paul Sakolowski. Nachdruck dcrbalr». Wie dort die Lichter träge sich verfolgen Im Schatten schwarzer Bäume! Und die Aeste, Vom Regen triefend, breiten jenen Schein Auf glattem Schlamm in Flackcrflammcn aus. Und schrill und kläglich, keuchend, gellend pfeift Schon nah das Dampfroß. Bleiern liegt der Himmel Im Dämmerlicht des Herbstes auf der Erde, Ein riesiges Gespenst! Wohin, zu welchem Ziel führt dich die Reise Du stumme, ernste Schar, die in der Nacht Des engen Wagens sich zusammendrängt? Zu welchen unbekannten Schmerzen eilst du, Zu welchen Qualen fernen Hoffnungswahns? Auch du, o Lidia, setztest deine Zukunft In trüber Angst auf eines Würfels Wurf Und schenktest deiner Jugend schönste Jahre, Vergangne Lust und Glück des Augenblicks, Dem harten Drang der Zeit! — Und Wächter ziehen längs des schwarzen Zugs, Die Häupter schwarz verhüllt, gleich Schattenwesen; Matt ist der Schein der Lampe, die sie tragen, Und einen Eisenhammer faßt die Hand. Wie langes Sterbeläuten dröhnt der Schall Der Eisenketten, und im Grund der Seele Gibt eine Echostimme schmerzlich Antwort, Aus der du hörst, wie sie vor Grausen zuckt. Die Türen schlagen zu, beim Schließen schleudern Sie einen grellen Fluch zurück, wie Hohn Erklingt ihr letzter, hastiger Abschiedsgruß, Indes der Regen an die Scheiben klatscht. Mitschuldig schnaubt und faucht das Ungeheuer Und keucht in seiner Brust von Erz, es stieren Die Augen funkelnd in die Dämmerstunde, Und roh zerteilt sein Pfiff die Morgenluft. So flieht der Drache schuldbeladen fort, " Und mit der schaudcrvollen Last zugleich - Entführt er flügelschlaqend meine Liebe! Weh mir, der schöne Schleier grüßt noch einmal — Und in der Nacht entschwand das weiße Antlitz. O süßes Angesicht im Rosenschimmer, Ihr Augen, die wie Friedenssterne strahlen, O zarte Stirn, die sich zu sanftem Gruß Keusch unter vollen Locken mir geneigt! DaS Leben brauste mir wie heißer Sturm, Der Sommer brauste, wenn du mir gelächelt, Die Junisonne selbst mit jungem Herzen Fand hohe Wonne, wenn mit ihren Strahlen Sie deine Weichen Wangen küssen durfte Und sich im Glanz der Locken spiegeln konnte; Doch schöner noch als dieser Sonnenschein Umspielten, einer Aureole gleich, Dein lieblich Bildnis meine stillen Träume. — Der Regen klatscht, im matten Morgengrauen Wend' ich mich heimwärts, selbst ein Dämmerwescn; Wie trunken schwank' ich, fass' mir an den Kopf Und wähne, auch Wohl ein Gespenst zu sein! Die Blätter fallen langsam; stumm und schwer Und frostig fallen sie auf meine Seele. Ich glaub', die ganze Welt ist einsam heut, Verlassen und ein ewiger November. — Wohl dem, dem alle Lust am Dasein schwand! Weit besser diese Dämmerung, dieser Nebel! So will auch ich, ja, will ich selbst mich retten Und will mein Herz in ewigen Kummer betten! — > - - . . .. AnterhaltlmgsbtillW -es Leipziger Tageblattes. lll. JaliWW. Nr. 2V5. 27, Juli M6. krueti. s.s Roman von Theodor Duimchen. Tie nötigen Vorsichtsmaßregeln wurden ergriffen, die Korre spondenz ging jetzt zwischen den beiden Anwälten hin und her. Das Haus war für Frau Pahlcn gesichert, Schott bekam keine Hypothek darauf, sondern wurde vor die Entscheidung gestellt, ob er seinem Schwiegervater Zeit lassen oder rücksichtslos gerichtlich gegen ihn Vorgehen wolle. Das mochte er nun wegen der kleinen Summe von ungefähr dreißigtausend Mark doch nicht gern. „So groß ist Dresden nicht", sagte er, „alle Welt kennt die Beziehungen, es könnte mir doch sehr schaden." Der alte Herr Pahlen fing an, sich nach und nach etwas zu be ruhigen. Der Schrecken nahm doch ein Ende. Man gewöhnt sich schließlich an alles, was eine erledigte Vergangenheit, was etwas Unabänderliches geworden ist. Dann begannen auch, Keime zu Neuem sich leise zu entwickeln und Marie Pahlen verstand sie zu pflegen. Don der Vergangenheit sprach man nun eigentlich nie mehr. Und der alte Herr wurde auch weder von ihr noch von seiner Frau nach seinen Plänen für die Zukunft gefragt, danach, wie er sich den künftigen Haushalt denke, ob er etwa neue Einnahmequellen zu er schließen in der Lage oder auch nur Willens wäre. — In der ersten Zeit hatte Frau Pahlen den Etat aus den Reserven bestritten, die die Frau eines reichen Mannes ja immer hat. Man lebte erheblich sparsamer insofern, als alle Feste und Gesellschaften selbstverständlich wegfielen, im übrigen aber wußte sie alle brutalen Einengungen, alle jähen Uebergänge zu vermeiden. Der Herr vom Hause namentlich hatte gegen früher auch nicht das geringste zu entbehren, auch nicht die kleinste seiner Gewohnheiten brauchte er aufzugeben. Seine ge wohnten Zigarren wurden bei den bisherigen Lieferanten rechtzeitig bestellt, Frühstück-, Mittag-, Abendmahlzeiten blieben so, wie sie im Hause immer gewesen waren, wenn man unter sich Ivar. Und lange bevor Mamas Reservefonds erschöpft war, brachte Marie ihrer Mutter Geld, und gar nicht wenig. Mama war sehr gerührt. Es waren Beträge, die für den stiller gewordenen Haushalt schon ins Gewicht fielen und sie wurden immer größer. Am Tage nach ihrer Ankunft hatte Marie nämlich durch Inserate in den gelegensten Dresdener Zeitungen höhere deutsche Sprach- und Literaturstunden angeboten und ebenso durch Briefe und persönliche Besuche sich den vornehmsten Pensionaten dazu zur Verfügung gestellt. Der in Deutschland für Damen noch ganz neue akademische Grad wirkte er staunlich auf die jungen reichen Engländerinnen und Amerikane rinnen sowohl, als auch auf die Vorsteherinnen und Instituts- leiterinnen, die sozusagen sich und ihr Institut durch des Fräuleins „plillosoplline cknctvr" mitgeehrt fühlten. Sie übernahm an einigen Stellen eine bestimmte, sehr mäßige wöchentliche Stunden zahl für die Selektanerinnen gegen verhältnismäßig recht hohe Der- gütung, außerdem wurde es in der englisch-amerikanischen Kolonie Mode, sich von ihr deutsche Sprach- und Literatur-Privatissima lesen zu lassen. Es wurde umsomehr Mode, weil sich nur sehr reiche Damen diesen Luxus leisten konnten. Als kurz darauf fast gleich zeitig in einem Dresdener Blatt einige glänzend geschriebene lite rarische Essays und in einer altberühmten Leipziger Revue gar eine entzückend feine Novelle von si>c. Marie Pahlen erschienen, war sie eine Sensation der Dresdener Gesellschaft geworden. Von ihren Absichten und Plänen hatte sie vorher ihrem alten Papa gar nichts gesagt gehabt, und so war sie, für ihn fast über Nacht, schon der starke Pfeiler geworden, auf dem das Haus stand, ehe er eigentlich wußte, daß etwas vorging. Das Beispiel dieser erfolgreichen Tatkraft weckte des alten Herrn eigene Energie. Er schrieb einige Wochen lang emsig Briefe an die Firmen, die er früher mit so guten Ergebnissen vertreten hatte. Und er hatte Glück. Manchmal hat ja Goethe recht: „Nimmer sich beugen, mutig sich zeigen, rufet die Arme der Götter herbei." Ein günstiger Zufall hatte es gefügt, daß der in Leipzig wohnende Vertreter der alten Rotterdamer Firma Reinhold Böttcher <L Co., der vor Jahren sein Nachfolger geworden war, seine Tätigkeit hatte einstellen müssen: durch den Krach ebenfalls ruiniert, hatte er geistig so gelitten, daß seine Familie ihn in einer Anstalt unterbringen mußte: „Den een sien Tod, isn annern sien Brot", sagt der Sohn plattdeutscher Erde etwas plump, aber treffend. Der alte Herr — er war wirklich ganz weiß geworden in der kurzen Heit seit seinem Vermögensverlust — lachte zum ersten Male wieder über das ganze Gesicht, als er am Frühstückstisch seinen Damen die Freudenbotschaft vorlescn konnte. Und nun war es er ¬ staunlich, mit welchem Vergnügen er „wieder in die Agentenstiefcl stieg". Und es ging: zunächst in Dresden, dann auch in den anderen Städten Les Königreichs, die er von Dresden aus nach und nach besuchte, nahmen ihn namentlich die größten, ältesten, angesehensten Firmen geradezu glänzend auf. Man rechnete es dem so beliebten und angesehenen Manne sehr hoch an, daß er so energisch sich auf raffte, so entschlossen und wie selbstverständlich wieder von vorn an- fmg. Es ging noch so gut wie früher, und weitere Vertretungen würden dazukommen, schon jetzt aber konnte er auf sehr erfreuliche Erträge rechnen. Die Stimmung im Hause stieg von Tag zu Tag, eS dauerte gar nicht lange, da bekannten sich die drei Menschen lachend, daß es eigentlich seit sehr, sehr langer Zeit, selbst in den üppigen Jahren des Uebermuts, nicht so vergnügt im Hause zugegangen wäre als jetzt. Um diese Zeit kam ein Brief von Frau Börner mit der Meldung, daß Herr Bruch zwar noch nicht selber schreiben könne, weil gerade die rechte Hand, die seinerzeit von der teilweisen Lähmung getroffen war, noch immer nicht ganz „gut", daß er aber so weit wieder her gestellt wäre, um Besuch zu empfangen, und daß er seinen alten Freund den Herrn Pahlen bitten lasse, doch einmal, und zwar sobald als er es irgend einrichtcn könne, zu ihm nach Chemnitz zu kommen. Pahlen hätte demnächst sowieso geschäftlich auch nach Chemnitz reisen müssen, so verband er denn beides und fuhr schon am anderen Morgen hinüber, nachdem er es telegraphisch angezeigt hatte. Al ec wiederkam, brachte er eine frohe Botschaft mit: an diesem einen unter den vielen guten Freunden und Bekannten war das Unglück vorllbergegangcn, Bruch war ohne irgendwelche Verluste geblieben. Im Gegenteil, ihm hatten die stolzen Jahre seinen Besitz verdoppelt. Was das körperliche Befinden des alten Freundes anging, so waren die Nachrichten ja ganz und gar nicht gut, aber seltsam, in das Be dauern darüber mischte sich bei Pahlens etwas wie ein Gefühl per sönlichen Trostes: man kann mehr verlieren als bloß Geld; er war rührig, rüstig und tätig, seine schöne Tochter füllte sein Haus mit Liebe und Freude, er wurde stolzer auf sie von Tag zu Tag und fühlte sich glücklich, und da saß der arme Kerl, der Bruch, krank, von der erlittenen Lähmung immer noch nicht ganz frei, außerstande, sein Haus zu verlassen, unfähig zu ernstlicher Arbeit, jeden Augen blick von einem Rückfall bedroht, allein mit der alten Hausdame in diesem Chemnitz, das er nun nicht ohne Grund im Verdacht hatte, hinter seinem Rücken sehr übel von ihm zu reden. Wie immer, waren auch hier die Einsichtigen in der Minderheit. Das große Publikum trug es dem Manne doch nach, daß er durch die „Gründung", die so vieler Unglück geworden war, Geld, viel Geld, sehr viel Geld ver dient hatte. Daß das so kommen würde, hatte er ja geahnt: die Er regung darüber, der Grimm über die skandalösen Vorgänge, die von Schott in niederträchtigster Weise veranlaßte Verhaftung Schöppes, hatten ihm seinerzeit den schweren Anfall zugezogen. Da stand der arme Kerl nun allein, ohne Stütze, und sein Sohn weit, weit weg, durch den ganzen Erdball von ihm getrennt. Der alte Pahlen trug seit seiner Chemnitzer Reise sein Geschick noch leichter als zuvor. Seine Tochter Marie aber fühlte eine große Genugtuung: sie sprach mit keiner Silbe davon, unterließ die leiseste Andeutung, aber sie war fest überzeugt, daß sie ein großes Vermögen für Felix Bruch erhalten habe, und diese Ueberzeugung machte sie sehr glücklich. Der alte Herr Bruch hatte sie auch so herzlich grüßen lassen, so wiederholt ihren Vater gebeten, das ja nicht zu vergessen, daß es dem alten Herrn Pahlen, der sich doch gar nicht zu verwundern pflegte, daß man seine Tochter Marie bewunderte, geradezu auf fällig war. „Ich bin beinahe eifersüchtig auf ihn geworden", lachte er. „Schade, daß er so alt und krank ist, du hättest sonst einen feurigen Verehrer an ihm. Er hat übrigens noch große Pläne, er will augen scheinlich seine früheren Werke nicht in deines lieben Schwagers, meines nicht hoch genug zu schätzenden, tüchtigen Schwiegersohnes Händen lassen. Sobald er irgend kann, will er herüber kommen. Ich habe schon ein paar vorläufige Aufträge von ihm für Landbaucr mitgebracht. Hoffentlich geht es mit seiner Gesundheit gut vor wärts; wenn wir ihn erst acht, vierzehn Tage hier haben, wird er auch wieder auslcben, und Felix kommt im Herbst auch herüber. Früher kann er nicht, aber dann will er auch drei oder vier Monate in Europa bleiben, er hat sogar die Möglichkeit angcdeutet, daß sie
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