— 11 — das älteste Kind galt und als solches stets geachtet und behan delt wurde, war im europäischen Hause das allerjiingste. Sie fand in diesem Erdtheile erst in der Zeit des Mittelalters Auf nahme, wurde aber beständig mit Misstrauen betrachtet, zurück gesetzt, später sogar verfolgt und lange Zeit zu der Rolle einer Aschenbrödel verdammt. Doch einige Erfindungen für die Spin nerei hoben sie seit dem Jahre 1770 von einer Stufe zur ändern; sie nahete ihrem Ziele zuletzt mit Riesenschritten und sitzt nun mehr auf dem Throne der Industrie. 3. Die Seide. Lnter allen Schmetterlingen ist der Seidenspinner für den Menschen der nützlichste. Die weisse oder gelblich weisse Raupe dieses unscheinbaren Nachtfalters spinnt, um sich ein zupuppen, ein eiförmiges Gehäuse, welches Cocon genannt wird. Die Spinnwerkzeuge der Raupe befinden sich an der Unterlippe des Mundes, wo aus zwei Oeffnungen ein zäher Saft austritt, der sofort zu einem Seidenfaden erhärtet. Der Faden ist daher schon bei seiner Erzeugung doppelt und besteht aus Zwillingsröhren, die der Seidenwurm bei dem Spinnen parallel legt und durch den natürlichen Firniss, der die ganze Oberfläche des Fadens bedeckt, aneinander klebt. Die äusserste Lage der Cocons besteht aus rauhen, groben und unregelmässig aneinander gelegten Fäden, die sich nicht abwickeln lassen und daher nur gekrämpelt oder gekämmt als Flock- oder Florett-Seide zu Fäden gesponnen, zu geringeren Zeugen verwebt oder zu Seidenpapier verarbeitet werden. Die zweite Lage der Cocons enthält einen feinen goldgelben oder sclineeweissen Faden, der regelmässig im Zickzack hin- und herläuft und mehrere parallele Schichten bildet. Er lässt sich abhaspeln, sobald man den Cocon in heisses Wasser legt und den Kleber, der die Fäden und Schichten mit einander verbindet, auf löst. Die Länge des ganzen Fadens beträgt zwischen 800 bis 1000 Fuss. Da der einzelne Faden zu fein ist, um practisch verwendet werden zu können, so pflegt man 3 bis 20 einfache Fäden anein ander zu fügen. Um die Seide ganz weiss herzustellen, muss man sie von der firnissartigen Umhüllung befreien, was durch Auskochen mit Seife geschieht. Die Weisse durch Bleichen zu erlangen, ist bei Seide nicht möglich. „Der Ursprung des Seidenbaues verliert sich in das graue Alterthum.“ Es ist ausser Zweifel, dass man in China die Seiden- cultur lange Zeit vorher, ehe dieselbe in irgend einem anderen Lande bekannt war, ausgeübt hat.