Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.01.1869
- Erscheinungsdatum
- 1869-01-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186901032
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18690103
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18690103
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1869
- Monat1869-01
- Tag1869-01-03
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.01.1869
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58 LIMHerltt. Leipzig, 2. Januar. Der NeujahrSabeud brachte uns zwei neue Stücke von Roder ich Benedix; eSist eine gute alther gebrachte Sitte, daS neue Jahr mit Productionen unsere- wackern einheimischen Lustspieldichters zu beginnen. Diesmal indeß sind es nicht Scherze und Verwechslungen der heiter lächelnden Thalia, mit denen wir daS neue Jahr im Theater anfingen. ES sind zwei ernstere Rührstücke auS dem deutschen Familienleben, in wel chem die Muse unsere- Autors vor allen Anderen heimisch ist und besten kleine Trübungen und Aufhellungen, Conflicte und Versöhnungen den Gang seiner Dramen bezeichnen. Mit dem Schauspiel: „Die NeujahrSnacht" hat Benedix einen sehr glücklichen Griff gethan und mit einfachen Mitteln eine er greifende Wirkung erreicht. DaS Stück besteht im Grunde nur auS einer einzigen, ohne Aufwand von Motiven vorbereiteten Situation; aber in dieser Situation kommt ein echt dramatischer Conflict zum AuStrag, der außerdem für unsere Zeit eine ganz besondere Berechtigung bat und auS dem modernen Leben herauS- gegriffen ist: der Conflict zwischen politischen Meinungen und dem Familienglück. Ein Sohn, der sich von einem streng denken den Vater auS politischem Zwiespalt getrennt hat, kehrt nach langer Abwesenheit mit seiner Familie in daS Vaterhaus zurück und söhnt sich dort am Sylvesterabend mit dem Vater auS, welcher tiefgerührt die jungen Enkel und Enkelinnen umarmt. Die Be leuchtung der Sylvefternacht, die seit Jean Pauls Vorgang gern zu solch innerer Umkehr der Gemüther von den Dichtern benutzt wird, schwebt über dem stimmungsvollen Situationsbild, daS bei einer so vortrefflichen Darstellung, wie ihm gestern zu Theil wurde, nirgends seine Wirkung verfehlen wird. Gerade daß sich in dem Ensemble nichts hervordrängte, nichts vorlaut Flackerndes die einheitliche Beleuchtung störte, machte einen so wohlthuenden Eindruck. In erster Linie verdient Herr GranS (Präsident von FelSeck) hervorgehoben zu werden, der für den Ausdruck weicher Rührung die geeignetsten Accente zu finden weiß. Herr Julius als Oberst von Lindau spielte ebenfalls mit gemüthvoller Wärme; ebenso Herr Herzfeld (Arnold) und Fräulein Link (Walburg), Frau Bachmann (Frau Waldner) und Herr Gier- (Lutz). Fräulein Klemm (Amalie) war diesmal ganz unter die unconfirmirten Backfische gerathen. Die Aufnahme deS Stückes war eine sehr warme, der Hervorruf deS Verfassers ein stürmischer. Hierauf folgte daS dreiactige Familienbild „Der achtundachizigste GeburtStag", eine Idylle, in welcher die Muse von Roderich Benedix sich an dem „Siebenzigsten GeburtStag" des alten Voß begeistert zu haben scheint. „Auf die Postille gebückt zur Seite deS wär menden OfenS" — diese Worte klangen uns immerfort während der Aufführung in den Ohren, nicht minder der Schluß der Idylle „hing in der trautesten Kinder Umarmung", waS in der That Len wesentlichen Inhalt deS letzten ActeS auSmacht. Benedix nennt feine Idylle ein „Familienbild" und drückt da mit auS, daß der Maßftab eines eigentlichen Drama nicht an dasselbe angelegt werden darf. Doch die Windstille, die in einem solchen Familienbilde herrscht, entbehrt auch auf der Bühne deS eigentlich belebenden OdemS. Schon ein Charaktergemälde, das sich breit in den Vordergrund drängt, verstößt gegen die alte Regel deS griechischen Dramaturgen, daß daS Drama der Handlung und nicht der Charaktere wegen da sei, eine Regel, deren fortdauernde Gültigkeit sich noch täglich an den matteren Wirkungen der soge- nannnten „ Charaktergemälde" bewährt. Hierzu kommt, daß die Handlung in unserem Drama nicht durch die Charaktere fortbewegt wird, sondern durch eine Menge von außen hereinbrechender Zu fälligkeiten, wie die Wiederkehr deS einen SohneS, die überdteS durch dre Zusammenstellung der beiden Stücke an einem Abende alS ein matt sich wiederholendes Motiv erschien, die Entdeckungen in Betreff RosamundenS, welche ähnlich wie in Aschenbrödel durch Nachweis eineß adeligen oder patricischen Stammbaume- eine Hoch zeit ermöglichen, eine daS Recht der Liebe beschämende Lösung, welche die Poesie nie in Anwendung bringen sollte, und andere dergleichen Enthüllungen mehr, die mit einer wenig motivirten Plötzlichkeit hereinbrechcn, eine weitschweifige Exposition noch im Schlußacte nöthig machen und mehr in eine Novelle, als in ein Drama paffen. Wenn wir daS Stück indeß nicht mit dem dramatischen Maß stabe messen. den der Dichter ja selbst durch die seinem Stück an geheftete Etikette ablehnt, obgleich die Bühne eben daS Drama verlangt und alle Zwischengattuvgen au-fchließt oder mit Wirkungs losigkeit bestraft: so bietet das Charaktergemälde der alten Urgroß mutter, die auS einer Zeit gesunder Aufklärung auf ein Enkel- aeschlecht voller religiöser und socialer Vorurtheile herabsieht, von Schiller und Goethe, Napoleon und Vandamme so amüsante Ge schichten zu erzählen weiß und trotz ihre- hohen Alter- die Ange legenheiten der jünger« Generationen so energisch ordnet, manchen anziehenden und liebenswürdigen Zug, welcher in der Darstellung der Frau Straßmann nicht verloren ging. Ob die Urgroß- mama, so au-gezeichuet sie sich auch conservirt haben mag, doch nicht um einen leichten Strich in Haltung und Sprache älter aufzufasien war, geben wir der Darstellerin zu erwäge». I Der Sohn, der Professor Ludolf Gchwarzeuow, der plötzlich im zweiten Act sich in den „Vetter" zu verwandeln scheint, indem ihm eine Fülle von verwirrenden Geheimnissen anvertraut wird, wurde von Herrn Falle nbach recht gemächlich dargestellt. Die Beziehungen der Alten zu diesem Sohn, den sie noch immer bemuttert, sind ein- der glücklichsten Motive in dem Stück und von leichtem komischen Reiz. Der hochstrebende Advocat und die etwas pteiistisch angeflogene, aber brave Gattin desselben wurden von Herrn Straßmann und Fräulein Alten in ihrer charakteristischen Eigenthümlichkeit wiedergegeben. Fieldiug (Herr Stürmer), Edmund (Herr Mittel!), Gerhard (Herr Herz feld), Rosamunde (Fräulein Delta) und Wal brecht (Fräulein Klemm) find etwas blaffe Rollen, eigentlich nur bestimmt, um die Familiengruppen um * die Großmama stellen zu können. Etwas mehr hervor tritt der Commissionair Amster, der in seiner Mischung von geistlichen und weltlichen Eigenschaften und mit seiner gutmüthigen Heuchelei und berechnenden Dienfibefliffenheit von Herrn Heder aützemeflen und mit guter MaSke durchgeführt wurde. Auch dieser Commissionair ist im Grunde ein guter Mensch; hart gesottene Bösewichter kennt die Muse von Benedix nicht, auch keine unverbesserlichen Menschen. Der Geist, der stet- verneint, in welchen MaSken er sich verstecken mag, wird schon an der Thüre dieser Stücke abgewiesen. Kleine Schwächen, kleine Schattenseiten werden geduldet und im letzten Act, wenn irgend möglich, auf- gebeffert; aber die Energie dämonischer Charaktere, oder in Wahr heit lasterhafte Menschen, die ihren alten Avam nicht auszuziehen, die schmutzige Wäsche ihns Herzens nicht zu wasche» vermögen, dürfen nicht eivtreten in diese warmbeleuchtete Welt der Tugend und Sitte, in diese gottbegnadeten Familiengruppen am häuslichen Heerd! Warum Herr Claar als Doctor Heimbach die MaSke deS AutorS wählte und als dessen Doppelgänger auf der Bühne erschien, können wir nicht begreifen, da die Bühne doch kein photo graphisches Atelier ist und daS Interesse für eine derartige Leistung, so gelungen sie an und für sich fein mag, doch auS dem Rahmen deS Stückes herauSfällt. Der verdiente Autor deS Familienbildes wurde am Schluffe desselben, mit den Hauptdarstellern, hervor gerufen. Rudolf Gottschall. Elftes Gewandhaus - Coneert. Leipzig, 2. Januar. Gluck, Haydn und Mozart sind die Grundsteine der modernen Instrumentalmusik, auf welchen Beet- . Hoven fußen und weiter bauend den höchsten Gipfel genialer Voll kommenheit erreichen konnte. Sie btldeu aber auch den Grund der geistigen Bedeutsamkeit des Leipziger ConcertinstitutS, dessen Macht an den Thaten dieser Heroen erstarkte und sich zum Segen der Kunst bis zu dem Grade entwickelte, daß eS jede Aufgabe auf jenem erwähnten Gebiete mit Leichtigkeit zu bewältigen vermochte. Beethoven, Cherubini, Mendelssohn und Robert Schumann boten dem trefflichen Orchester die besten Werke zur weiteren Entfaltung der Virtuosität und gegenwärtig dürfte es wohl keinen Compouiste» von Bedeutung geben, welcher nicht die bewundernswerthe LerstungS- fähigkeit deS Leipziger GewandhauS-OrchesterS kennen gelernt hätte. Dieselbe trat bis auf einige Stimmungsdifferenzen zwischen Bläsern und Streichern im NeujahrSconcert bei der Reproduclion der größten und höchsten Symphonie Mozart'- wiederum zu Tage und die Ausführung dieses Meisterwerkes bestätigte aufs Neue, daß über so vielen Erzeugnissen der jüngsten Zeit der tiefe classtfche Grund nicht vergessen worden ist. Wenn die Kunstgeschichte eine Fuge ist, in welcher die Stimmen der Völker einzeln hervortreten, so ist diese Symphonie 6 äur mit der grandiosen Schlußfuge eine That, über deren Größe die Stimmen aller gebildeten Nationen jubelten und sich in einem markigen Thema vereinigten, was durch Frage und Antwort fest hingestellt bis zur mächtigsten Engführung gesteigert wurde. Ueberall, wo die gute Musik eine bleibende Stätte gefunden hat, ist die Hoheit und Würde deS Werke-, die tiefe Empfindung, welche sich im ^ncksnto ausspricht, die Leichtigkeit und Grazie im Menuett und die eminente contrapunctische Meisterschaft im Fmale anerkannt worden. Letztere besaß Gluck bei Weitem nicht in diesem Grade; er ersetzte aber Viele- durch die Größe der Gesinnung, welche namentlich in dem Vocalsatze de- Meister- zu Tage tritt. Gewissermaßen da- vocale Element in den Instrumentalsatz hineintragend und auf die Färbungen der einzelnen Stimmen besondere Rücksicht nehmend, ist auch Gluck für die Entfaltung der Iustrumentalmufik ein wichtiger Hebel, welchen die historische Kritik mit Recht in da- Bereich ihrer Analysen gezogen hat. Namentlich wird der Ton dichter aber für die InfnumeniationSlehre stet- eine reiche Quelle bleiben, auS deren Inhalt der Kunstjünger fort und fort Beleh rung schöpfen kann. Die Ouvertüre de- Meister- zu „Iphigenie in AuliS" kam mit allen ergreifenden Momenten zur richtigen Geltung und wurde vom Publicum al- kunstwürdiges NeujahrS- geschenk mit lebhaftem Danke ausgenommen. Neben den erwähnten Leistungen de- Orchester- hörten wir die berühmte Sängerin Frau Hermine RuderSdorff auS London und den Violinvirtuosen Herrn August Wtlhelmj au- Wies baden. Erstere steht an der Grenze ihrer künstlerischen Laufbahn,
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