IDEE UND WIRKLICHKEIT Noch immer sann und grübelte der Student, noch immer klangen jene Worte des Professors in seinem Ohr, schon längst nachdem das Trampeln der Hörer wie ein Schluß signal die Vorlesung beendet hatte. Die anderen Studenten waren plaudernd und lachend aus dem Hörsaal und aus der Polytechnischen Schule hinausgestürmt in die Sonne des Julitages. Er hatte sich von ihnen getrennt und ging nun langsam und nachdenklich durch die Anlagen um die Münchner Alte Pinakothek und dann weiter durch die langen geraden, rechtwinklig sich kreuzenden Straßen, in denen grell und heiß die Mittagssonne lag. Die Straßen waren still; alles hatte sich vor der Mittags hitze geflüchtet. So konnte der Student im Dahinschreiten seine Gedanken Weiterarbeiten lassen, und sie begleiteten ihn, als er jetzt in die schattigen Parkwege des Englischen Gartens einbog. Es war an einem Tag im Juli des Jahres 1878 und das Semester an der Münchner Polytechnischen Schule, der späteren Technischen Hochschule, ging seinem Ende zu. Während er auf den Parkwegen weiterschritt, wurde das Bild der letzten Vorlesungsstunde noch einmal bis ins Einzelne in der Seele des Studenten wach. Es klang etwas aus dieser Seele herauf, eine Stimme, ein Ruf, verhalten wie aus einer Feme kommend, unbestimmt, aber dennoch drängend. Der Student sah den Lehrer, Professor Carl Linde, den er über alles verehrte, noch einmal vor sich; er sah, wie der Professor, am Vortragspult stehend, mit lebendigen Gebärden gesprochen, sich dann zur Tafel ge wendet und begonnen hatte, jene verschlungenen und ver winkelten Kurven aufzuzeichnen, die in diesen Sommer tagen die Geister und Gemüter der Studenten erfüllten