Zur Chronologie der Leipziger Vokalwerke J. S. Bachs 25 Gestalt: Zwei nahe beieinanderliegende, über das Notensystem hinaus reichende parallele Senkrechten bilden die linke Begrenzung; von ihnen aus erstrecken sich nach rechts zwei annähernd parallel verlaufende kurze Waagerechten, die die c'-Linie markieren; die rechte Begrenzung bildet eine einzelne Linie, die im Frühstadium annähernd senkrecht, also etwa parallel zu den linken Begrenzungslinien verläuft, unten nach rechts ab knickt und in einem kräftigen, zunächst nach rechts, dann nach unten ge zogenen Halb- bis Viertelkreis endet; im Spätstadium dagegen läuft die selbe Linie im spitzen Winkel nach links unten auf die beiden linken Be grenzungslinien zu, der anschließende Halbkreis wird nicht in einem Knick, sondern mit einer Schleife angesetzt. Die Frühform ähnelt daher entfernt einem H, die Spätform einem V 31 . Ausgeprägte Frühformen des c-Schlüssels zeigen die Kantaten des Jahr- gangsi vom 2. p. Trin. bis Weihnachten, während die Epiphaniaskantaten desselben Jahrgangs schon deutlich eine Übergangsform erkennen lassen, bei der besonders das untere Ende der rechten Senkrechten merklich auf die linken Senkrechten zuläuft. In der Oster- bis Pfingstzeit des Jahrgangs I schreitet diese Wandlung weiter fort, und mit dem Jahrgang TI ist dann endgültig die späte Form erreicht. Durch die Untersuchung der Schriftformen des Hauptkopisten A haben wir eine Reihe wichtiger Anhaltspunkte gewonnen, die uns die Aufstellung einer „relativen Chronologie“ ermöglichen. Diese besagt: 1. Die Tahrgänge I bis III liegen früher als die Jahrgänge. IV und V; denn der Hauptkopist A tritt wohl in den Jahrgängen I bis III, und zwar unmittel bar nach Bachs Amtsantritt (BWV 76!), auf, nicht aber in den übrigen Jahrgängen. (Die vor Leipzig komponierten Werke können dabei außer Betracht bleiben, da sie in die Leipziger Jahrgänge eingearbeitet wurden.) 2. Innerhalb der Jahrgänge I bis III ergibt sich die Entstehungsfolge I—II—III durch die Entwicklung der Sechzehntelformen. 3. Innerhalb des Jahrgangs I sind die Kantaten der Trinitatis- und Weih nachtszeit früher komponiert worden als die der Epiphanias- bis Pfingst zeit, wie die Entwicklung der c-Schlüsselformen zeigt. Die frühesten Kantaten des Jahrgangs sind (wenn man von Wiederaufführungen vor 1723 entstandener Werke absieht) BWV 76 (aut. Datum), 21, 24, 185, 167 und 22 (Violinschlüssel-Form), von denen das letzte als vor der Leipziger Amtsübernahme Bachs aufgeführt in der Entstehungsfolge des Jahrgangs eine Sonderstellung einnimmt; auch das undatierbare Sanctus BWV 237 ist dieser Gruppe zuzurechnen. 4. Innerhalb des Jahrgangs II sind die Kantaten der Trinitatiszeit mit Aus nahme von BWV 137 früher entstanden als die der Weihnachts- bis Osterzeit, wie die Entwicklung der Sechzehntelformen zeigt. 5. Innerhalb des Jahrganges III sind die Kantaten der Oster- bis Pfingstzeit (Ausnahme: Himmelfahrt) und die Kantaten der Weihnachtszeit früher 31 Vgl. die Faksimiletafeln I und II.