Louis Spohr und die Bach-Renaissance 73 Friedrich Wilhelm 32 nie zu erwärmen. Beide ließen sich in Musikfragen lediglich von engstirnigen und kleinlichen persönlichen Interessen leiten. Die Oratorienaufführungen wurden überhaupt nur deshalb genehmigt, weil die zu erwartenden höheren Kasseneinnahmen stets mildtätigen Ein richtungen zuflossen. Es ist anzunehmen, daß Spohr wegen einer Aufführung der Matthäus- Passion zunächst mit einem Pfarrer verhandelte, dieser aber keine Befür wortung bei Hofe in Aussicht stellte. Zweifel, wie sehr Spohr nach Aufführungsmöglichkeiten für Bachwerke suchte, kann es nach einem von ihm am 3. Juni 1829 an Wilhelm Speyer in Frankfurt gerichteten Briefe kaum mehr geben 33 : „... Freitag und Sonnabend bleiben wir in Frankfurt. Einen von diesen Tagen wünschen wir bey Ihnen zuzubringen. Am andern mögte ich gar zu gern den Schelbleschen Verein hören und wenn es einigermaßen möglich wäre, die Bach’sche Messe, die er ohnlängst aufgeführt hat. Thun Sie mir doch den Gefallen und reden Sie mit Schelble, ob es möglich ist?...“ Darüber, ob Schelble dem Kasseler Freunde Proben aus der von ihm am 10. März 1828 teilweise (Credo) aufgeführten h-Moll-Messe (BWV 232) bot, ließ sich bisher nichts ermitteln. - Nach den Wiederaufführungen der Matthäus-Passion in Berlin, Frankfurt a. M. und Breslau scheint Spohr auch in Kassel neue Ansatzpunkte gefunden zu haben. Einige seiner Briefe be zeugen die weiterhin quälenden Schwierigkeiten: Kassel, 8. Dezember 1830 an Adolph Hesse: „... Im Theater wird die Räuberbraut von Ries einstudiert, in den beyden Gesangvereinen die Bachsche Passion zu einer großen Aufführung auf Ostern.. ,“ 34 Kassel, 9. Oktober 1832 an Wilhelm Speyer: „...Heute mache ich die erste Orchesterprobe von der Bachschen Matthäus-Passion, die heute über acht Tage in der großen Kirche aufgeführt werden soll. Seit vier Monaten drängen wir den Prinzen um die Erlaubnis dazu und noch haben wir sie nicht erhalten können, auch bin ich keineswegs sicher, daß sie nicht noch im letzten Augenblick ver weigert wird. Gott bessere es!...“ Kassel, 31. Oktober 1832 an Adolph Hesse: ,,.. .Längst hätte ich Ihnen geschrieben, gäbe es nur jetzt in Cassel etwas für den Künstler Interessantes zu berichten! Leider leben wir jezt aber hier, wie in einem Sibirien der Kunst. Giebt es ja einmal etwas Neues, so ist es etwas schlechtes! So wollten wir in der 32 Kurprinz Friedrich Wilhelm von Hessen (1802—1875), von 1831—1847 Mitregent und Leiter der Regierungsgeschäfte, ab 1847—1866 Kurfürst. 33 Wilhelm Speyer (1790—1878), Freund Spohrs. Vgl. E. Speyer, Wilhelm Speyer, der Fiederkomponist, München 1925. Vgl. auch Anm. 19. 34 Adolph Hesse (1809—1863), Komponist und Organist von Rang. Er spielte als erster deutscher Organist J. S. Bachs Orgelwerke auf Kunstreisen im Auslande. Am 2. 6. 1832 schrieb ihm Spohr u. a. in einen Empfehlungsbrief: „...Er gilt in Deutsch land jür den besten jegt lebenden Orgelspieler und trägt besonders die Bach'sehen Fugen vollendet vor...“ (Autograph Staatsbibi. Berlin). Die in dieser Arbeit zitierten Briefstellen sind dem Briefwechsel Spohr—Hesse, hrsg. von J. Kahn, Regensburg 1929, entnommen.