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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.12.1880
- Erscheinungsdatum
- 1880-12-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188012143
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18801214
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18801214
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1880
- Monat1880-12
- Tag1880-12-14
- Monat1880-12
- Jahr1880
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.12.1880
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Erste Beilage M Leipstger Tageblatt and Anzeiger. .«rr». Dienstag dm 14. December 188V. 74. Jahrgang. Parlamentarische Lage. ** Berlin, 12 December. DaS Abgeord netenhaus wird seine ganze ArbeilSkiast und eine weise Selbfibeschränkung in Rede und Gegen rede aufbieten mllssen, um noch bis zur Vertagung in der Weihnacht-woche (voraussichtlich am 2t. d. M.) den Etat in zweiter Lesung erledigen zu können. Bereit- wird denn auch vom Prä sidium die Anberaumung von Abendsitzungen in Aussicht genommen. Die zweite Lesung de» Com- peteuzgesetze» soll in jedem Falle bis zum Januar verschoben werden, resp. bis nach der Be ratung über den Steuererlaß und da- damit in Ver bindung zu bringende neue VerwendungSgrsitz. Man sieht aus liberaler Seite die verspätete Vor legung de- letzteren nicht ungern. Je mehr der ReichShanshalttetat in seinen Einzelheiten und die Behandlung desselben m den Bunde-rath-auS- fchüssen bekannt wird, desto größere Klarheit ver breitet sich über die Covsequenzen, zu denen die Annahme d,S VerwendungsgesitzeS führen kann. Denn dasselbe würde den Reichstag in einer Werse «ngagiren, welche für da» Schicksal der angekün digten neuen Steuern vielfach al- präjudiciell an gesehen wird. Die Berathung de- neuen Entwurf- de» Com- petenzgesrtzeS für die SelbstverwaltungSbehörden legt wieder die Frage nahe, ob und in wie weit die Arnderungen in der Verwaltung die Mit- betheiligung de- LaienelementeS die allgemeine Lande-verwaltung entlastet und deren Kosten für den preußischen Staatshaushalt vermindert haben. Die in dieser Beziehung gehegten Erwartungen sind bisher in sehr geringem Maaße verwirklicht. Der Etat für da- nächste Jahr weist sogar eine nicht unerhebliche Mehrausgabe aus. Gemäß dem Gesetz vom 2V. Juli 1880 über die Neu ordnung der allgemeinen Lande-verwaltung ist nämlich für die Competenzen derjenigen Beamten der Regierungen, welche au- Veranlassung der neuen Organisation nicht verwendet, die also in Disponibilität gestellt werden, die Aufstellung eine- besonderen Etat- vorgesehen. Hierfür ist i» Staatshaushalt 1881/82 em Pauschquantum von 400,000 Mark auSgeworfen. Es war die An nahme gerechtfertigt, daß die Ausgabe für die Be amten der Lande-verwaltung um dieselbe Summe sich verringern würde, daß die Zahl der Beamtenstellen entsprechend abgemindert werden würde. Die» ist in dessen nach den Erklärungen de- Finanzministers in der letzten Sitzung der Budgetcommission nicht der Fall: jene Beamten werden lediglich deshalb zur Dis position gestellt, weil sie den erhöhten Anforderungen de- Dienste- nicht mehr gewachsen sein sollen. Die Zahl der RegierungSräthe und HülsSarbnter bleibt zunächst dieselbe wre früher, wennschon nach der weiteren Erklärung des Finanzminister- in der Zu kunft aus thunlichste Verringerung Bedacht ge nommen werden soll. Erwägt man, wie große Au-gabrn durch die neuen Selbstverwal- tuug-behörden an anderer Stelle ent stehen, wie viel Kräfte unentgeltlich in Anspruch genommen werden, so ist leider der Ausspruch ge rechtfertigt, daß die Selbstverwaltung dem Laude nicht nur keine Kosten gespart, sondern sie erheblich vermehrt hat. Man könnte sich hierüber vielleicht mit dem Gedanken trösten, daß die Betheiligung des Volke- an der Verwaltung immerhin ein großer politischer Gewinn ist, und daß sie allein die Erfüllung der immer wachsenden Aufgaben der Verwaltung ermöglicht, aber die Höhe der Verwaltung-kosten im Staat-Hau-Halt beweist deutlich, daß die Thätigkeit der Staatsbehörden nicht abgenommen hat, daß mit anderen Worten «in vollständiger RegierungSapparat wie bisher neben den SelbstverwaltungSbehörden arbeitet. Erwägt man weiter, daß dieser RegierungSapparat nach Beseitigung der collegialischen Verfassung der Negierungen in straff central,sirten Organen vom Minister durch den Regierungspräsidenten bi» zum Landrath arbeitet, so steigen die Zweifel immer «ehr, ob beide Apparate neben einander wirken können und ob in Zukunft nicht der straffer cen- tralifirte Apparat, der deshalb vielfach rascher und einheitlicher wirkt, den immerhin schwer fälligeren, mitunter in seinen Entscheidungen «m-emander gehenden Selbstvrrwaltungsorganen Gefahr droht. Nur die tiefer und tiefer Wurzelnde Ueberzeugung, daß der Beamten- apparat im konstitutionellen Staat die Verwaltung nicht mehr allein führen kann und nicht mehr führen soll, kau» diese Gefahr vermindern, drängt aber vielleicht später zu Arnderungen in der Or ganisation, welche die au-fllhrenden Regierungs organe in eine mehr abhängige Stellung von den EelbstverwaltuagSkörpern bringen. Dir AUrubmzer Veichrtigswahl. ^ Leipzig, 13. December.s lNoch ist in der Stunde, in welcher wir die nachstehenden Bemer kungen niederschreibeu, da- definitive Resultat der am S. d. M. im Wahlkreise de- HerzogthumS Altevburg stattgesundenen engeren Wahl zum Neich-tage nicht zusammengestellt und verkündet, e» unterliegt aber keinem Zweifel mehr, daß der Eaudidat der verbündeten Fortschrittler, VolkS- varteiler und Socialdemokraten mit einer Mehr heit von einigen Tausend Stimmen den Sieg über den Eandidaten der vereinigten Ordnung-Parteien, der Rationalliberaleu und Conservativen, davon getragen hat und daß die Vertretung de» gedach ten Wahlkreise- im Reichstage auf d,e Dauer einer Session, bi-Mitte nächsten Jahre-, dem pol tischen Radicali-mu- anheim gefallen ist. Diese Tbatsache wird nicht verfehlen, in weiteren Kreisen Aufsehen zu erregen, und sie ist in der That geeignet, auch ihrerseits auf gewisse Ding«, die sich im Deutschen Reiche vorderen«,, aufmerksam zu machen; gleich wohl meinen wir. daß der diesmalige AuSgang der Wahl im Altenburger Lande nicht allzu tragisch genommen zu werden braucht, da er nur durch da- Zusammentreffen von Umständen ermöglicht worden ist, die künftig wohl kaum immer dieselben Dienste leisten werden. Wenn wir den Gründen vachspüren, welche den Sieg der extremen Parteien herbeigrführt haben, so stoßen wir zunächst aus die beklagenSwerthe Thatsache, daß bei der ersten Wahl am 22. No vember die nationalliberale und die conservative Partei sich spalteten und über die Aufstellung eines gemeinsamen Eandidaten sich nicht verstän digten. Bei der Wahl im Jahre 1878 hatten die Altenburger Nationalliberalen, welche daselbst auch heute noch die stärkste Partei bilden, einen BeweiS ihrer patriotischen Einsicht und ihre- opferbereiten Entgegenkommen- gegeben, indem sie die Candidatur de- conservativen Landraths Findeisen unterstützten und mit zu der ihrigen «achten, so daß Derselbe mit großer Mehrheit gewählt wurde. Dadurch, daß die Conservativen diese» Mal, wo die Einig keit mehr al» je geboten war und die Verhältnisse für die radikalen Parteien weit günstig« lagen, jene- damalige Entgegenkommen nicht mit Gleichem vergalten, sondern eine eigene aussichtslose Can didatur auf da- Tapet brachten, trotzdem daß der nationalltberale Canvidat der durchaus gemäßigten Richtung entnommen war, die mit d« konserva tiven Partei, insbesondere der freiconservativen, so viele Berührungspunkte hat, wurde der erste Keim zu der Niednlage gelegt, die nun beide Ordnungs- Parteien erlitten haben; ein gemeinschaftlicher Can- didat aus Seiten der Nationalliberalen und Conser- vativen hätte, wie die Erfahrung gezeigt, die Gegner sofort im ersten Wahlgange geschlagen. In den meisten Fällen liegt die Sache so, daß, wenn National liberale und Conservative sich bei der ersten Wahl gegenüber gffiavden , dann bei der entscheidenden Stichwahl nicht dasjenige Zusammenwirken erzielt wird, welche» vothwendig ist, um dem Gegner, der die Blößen seiner Feinde in d« Regel geschickt zu benützen weiß, den Sieg zu entreißen, und die jetzige Wahl in Altenburg hat auf» Neue hinzu einen entsprechenden Beleg geliefert. Zum Zweiten ist auf Seite der uational- liberalen Partei in Altenburg und wohl auch der conservativen d« Fehler begangen worden, daß sie e- von vorn herein an der nölbigen Agitation in hohem Grade haben fehlen lassen. Beide Par teien haben nicht geglaubt, daß e» den ex tremen Parteien gelingen werde, die Ge- mütb« in dem Maße mit sich fortzureißen, wie Dies jetzt thatsächlich geschehen ist; sie haben sich in ihrem langjährigen Besitzstände allzu sicher gefühlt und sich nicht in genügender Weise mit den Massen der Wählerschaft in Verbindung ge setzt. Erst al- der ungeheure AgitalionSapparat deutlich sichtbar wurde, mit dem die verbündeten Gegn« arbeiteten, erst al- eine Menge von Agi tatoren der Gegenparteien über den Wahlkreis hergesallen waren, da raffte sich auch das Wahl- comitL für Justizrath Große zu ein« energischeren Thätigkeit !auf; indessen e- war schon zu spät, um noch eine wirkungsvolle Tegenagitation ent wickeln zu können. „Seit dem Jahre 1848 ist die Einwohnerschaft unseres Lande- in ihren Tiefen nicht so ausgewühlt worden wie bei dem dies maligen Wahlkampfe",! so schrieb «an dn „Frankfurter Zeitung" au- AUevburg am Vorabende de- Wahltage», und wenn man die beiderseitigen AgrtattovSleistungen übersieht, dann neigt sich allerdings die Waagschaale be deutend auf die Snte d« Fortschrittler und ihrer Verbündeten. Der Centralvorfland der Fortschritt-Partei in Berlin hat nicht allein durch seine Mitglied« persönlich in den Wahlkampf ein gegriffen, indem die redcfähigsten fortschrittlichen Abgeordneten, Herr Eugen Richter voran, in den Wahlkreis eilten und sich au der Agitation in au» gedehntestem Maße betheiligteu, sondern e- sind von dem letztgenannten Abgeordneten Namens der Berlin« Partei, wie au- einem bekannt gewor denen Schreiben desselben erhellt, Gelder in unbe schränkter Höhe den Parteigenossen in Altenburg zur Verfügung gestellt worden. Eine derartige hinaebende Thätigkeit ist auf Seiten der nanoualliberalen Partei zu vermissen gewesen, und eS hat insonderheit die Partei auch jede Unterstützung durch ihre Centralleituug m Berlin entbehrt. Wir müssen DaS lebhaft bedauern und können nur wünschen, daß die Cevtralleituvg künftighin mehr au» ihr« etwa« vornehmen Zurückhaltung herau-trelen und die Parteigenossen in den einzelnen Wahlkreisen, namentlich wenn sie, wie DaS in Altendurg der Fall gewesen, einen so gewaltigen, in d« Haupt ache von außen hinein getragenen Ansturm zu de- tehev haben, kräftig« unterstützen möge. Wenn man auf Setten der natiovalliberalen Partei sich nicht dazu aufzuraffeu vermag, in die politische Agrtation energisch« einzutreten, dann wird und muß sie nach unserm Dafürhalten mehr und mehr Einbußen «leiden. Wir geben recht gern zu, daß eS nicht gerade ein angenehme» und dankbares Geschäft ist, den maßlosen Wühlereien und Hetze- reien, wie sie die Firma Eugen Nicht« und Ge nossen im Bunde mit den Socialdemokraten so eben wied« rm Altenburger Wahlkreise in Scene esetzt, öffentlich entgegen zu wirken, indessen diese rbeit ist trotz alledem im Interesse der gedeih lichen Fortentwickelung unsere» Deutschen Reiche- unentbehrlich, und alle Diejenigen, welche nicht wol len, daß diese- vor kaum zehn Jahren in heißem, schwerem Kampfe errungene Deutsche Reich ein Sptelball der radikalen Parteien werde, müssen sich zu jen« politischen Arbeit mehr, al- sie e» seither gethan, »«einigen. L- ist nicht zu ver kennen, daß die gegenwärtige sociale Lage, die Fortdauer d« geschäftlichen KrifiS in manchen Branchen, die gesteigerte Steuerlast dem wüsten Treiben der Radikalen, die nur die vorhandenen Schäden und Uebelstände vor den Augen der un wissenden Menge in den grellsten Farben auS- malen, die aber niemal- d« großen und segens reichen Errungenschaften, welche un- da- Deutsche Reich gebracht, in Dankbarkeit gedenken, Vorschub leistet ; aber gerade deshalb ist e» für alle vor- urtheilSlo» denkende, treu zu Kais« und Reich stehende Männer doppelte Pflicht, wachsam auf dem Posten zu sein und eine Phalanx zu bilden, an wAcher d« Angriff der Coalition d« extremen Parteien schließlich scheitern muß. Für die nationalliberale Partei in Altenburg liegt die Aufgabe, welche sie bi- zu den im nächsten Jahre stattfindenden allgemeinen Reichstag-Wahlen zu erfüllen hat, sehr einfach. Daran, daß ein halbe» Jahr lang ein Abgeordneter der Fort schrittler und Socialdemokraten den Wahlkreis vertritt, ist Nicht» zu ändern, aber die national liberale Partei wird alsbald an die Arbrit d« Sammlung und Zusammenfassung der Gesinnungs genossen gehen müssen. Sie muß überall tm Wahlkreise Verbindungen anknüpfen, Vertrauens männer in den einzelnen Orten damit beauftragen, in ihrem Sinne politisch thätig zu sein, und auch sonst in geeignet« Weise «ufklärend auf die Wähler einwirken. Wir zweifeln nicht daran, daß sich hierzu patriotische Männer in genügender Weise bereit finden lassen werden. Th«t Da- die national- liberale Partei, bereitet sie sich in dies« Weise von lang« Hand auf die Wahl vor, daun wird e- mit der Herrschaft der Fortschrittler und So- cialisten ebenso rasch und plötzlich wieder ein Ende nehmen wie sie gekommen ist. Der Schlußband voa Freytag's „Ahnen". Besprochen von Fritz Mauthner.*) Ein herzlich« Glückwunsch für den Dicht« mag da» Erste sein, waS nach d« Lectüre von „AuS einer kleinen Stadt", dem letzten Bande von Freytag'» ,.Ahnen", der Leser auf dem Herzen hat. ES war ein große» Werk, daS da unternommen wurde: die Geschichte der Ahnen eine- unter uns wandelnden Menschen in einer Reihe von historischen Romanen vorzuführen. Und diese- seltene Werk, dem nicht alle Nationen etwas AehnlicheS an die Seite zu stellen vermögen werden, es ist in seiner Art vollkommen gelungen. Daß Freytag nicht» Anderes zu Wege bringen würde als Freytag'sche Romane, verstand sich ja wohl von selbst. Die Gunst de- PublicumS ist dem Unternehmen in verdientem Maße geworden. „Ingo und Jngraban" (der I. Band) liegt in zehnt« Auflage vor, „DaS Nest der Zaunkönige" (ll.) in achter, „Die Brüd« vom Deuisten Hause" (III.) in sechster, „Marcus König" (IV.) und „Die Geschwister" (V.) in vierter Auflage. Der sechste Band beendet nun die Reihe, beantwortet alle Fragen des neugierigen PublicumS und gewährt einen Blick auf daS Ganze. Die Neugierde des PublicumS hielt sich begreiflicher Weise weniger an die ästhetischen und historischen Fragen dieser Bücher als an daS Stoffliche, an daS Räthsel deS AuSganaS. AIS waS lebt d« letzte Enkel Jngo'S unter unS? Anfangs gab eS naive Semüther genug, welche in Ingo, dem Fürsten und Römer- bekämpf«, den Stammvater erner uns«« großen Rrgentenfamilien suchten. AIS später die Nachkommen der „Zaunkönige" den bürgerlichen Namen König annahmen, mußte jene Bermuthung aufgegeben weiden und die Ueberzeugung wurde unter den Verehrern Freytag's allgemein, daß der Enkel dn Ahnen in unscheinbarer Gestalt, als harmlos«, tüchtig« Gesell, als ein deutscher Normalmensch unter unS wandeln würde. Zeichneten sich doch sämmtliche Helden der einzelnen Romane mehr durch ihr« abenteuerlichen Schicksale als durch überwältigende Geisteskraft vor Anderen auS, Nun hat uns Freytag aber dennoch eine kleine Ueberraschung bneitet, eine Ueberraschung, welche die Lesnwelt entzücken wird, wenn auch manch Einer vom Literatengeschlecht den Kopf dazu schütteln dürfte. Der letzte Enkel der Ahnen, Victor König, ist nämlich — Literat. Und nicht genug daran: der letzte Enkel Ingo»' ist ein Literat, der ungefähr Anno 1816 alS Sohn eine- praktischen Arzte- in einem kleinem schlesischen Städtchen geboren wird, später in BreSlau Philologie studirt, allerhand Schriften üb« die Aesthrtik de- Drama» herauSgiebt, selbst Dramen schreibt und in der Bewegung de- JahreS 1848 eine liberale Zeitschrift gründet. Ich brauche wohl nicht erst darauf aufmerksam zu mechen, daß diese kurze LebenSskizze Victor König'-, de- letzten Enkel-, identisch ist mtt den äußersten Umrissen der Biographie von Gustav Freytag selbst. Eine begreifliche Scheu verbietet mir, mehr üb« diese seltsame Ueberraschung zu sagen. Sie ist offen bar keine Laune de- Dichters, sondern lag dem gan zen Plane, dessen Geheimniß so streng gehütet wurde, von Anfang an zu Grunde. DaS beinahe weibliche Wesen der Helden, ihre sinnige, betrachtung-frohe, sentimentale Sprache, ihr leiser Humor stellen sich in *) Die vorstehende, dem „Berliner Tageblatte" ent nommene Besprechung der trefflichen neuesten Schöpfung Gustav Freytag's «schien un» auS meh reren Gründen kochst beachtenSwerth und wird ge wiß auch unfern Lesern eine angenehme Unterhaltung bieten. Die ungeschwächte Begeisterung unseres Volke» sür seinen Liebling zergt sich übrigen- recht deutlich m der außerordentlichen Nachfrage nach dem Roman, die in kürzest« Zeit bereit» drei starke Auflagen desselben nothig gemacht hat. D. Red. der Erinnerung plötzlich a!S bisher ganz unverstan dene psychologische Erklärungsversuche dar, die nicht einmal völlig von dem Vorwurfe ein« kleinen Ko ketterie freizusprechen sind. Ein« Monographie üb« «Die Ahnen", die nun gewiß nicht ausbleiben wird, bleibe es Vorbehalten, in den Zügen Jngo'S und In- araban'S nach d« Verwandtschaft mtt dem Dicht« der „Valentine" und der „Journalisten" zu spüren. An sich betrachtet ist d« neue Roman ein« d« besten aus dem ganzen Werke. Er »«fällt, ohne daß es äußerlich bemerkt wäre, in zwei selbstständige Er zählungen, von denen die erste „Bon Jena bis Wa terloo" beißen könnte und die Schicksale de- Ante- Ernst König «zählt, während die zweite, deren Held d« Sohn Victor ist, eben über Geburt, Studien- aang und Berufswahl dieses liberalen Schrift steller» berichtet. DaS Talent Freytag's zeigt sich von keiner neuen Seite; die Erfindung ist nicht frei von Gewaltsamkeiten, die Sprache leidet mtt« unter durch allzu große, fast Pastorale Gewählt- heit, die Charaktere sind die alten bekannten. Ab« wahrhaft unübertrefflich, gerade in d« Masse unser« nachgemachten historischen Romane besonders hervor- zuheben ist daS historische Zeitgemälde, da» Freytag mit feinen Strichen nach der Natur gezeichnet hat. Die tiefste Erniedrigung und die große Erhebung DeutschlandS find in „Au» einer klecnen Stadt" wie von einem Augenzeugen geschildert, wie etwa Auer bach in seinem „Waldfrred" die jüngste Bewegung Deutschlands gebannt hat. Die Fabel deS Roman-, ru welcher die Zeitgeschichte mit echt Freytag'sch« Vornehmheit nur den Hintergrund abgiebt, erinnert wieder an Auerbach'- neuere Novelle „Brigitta." Der Arzt Ernst König liebt Henriette, die Pastor-- locht« Ein französisch« Officier hat Gelegenheit, dem Mädchen da» Leben zu retten, und will die Ver pflichtete darum zwingen, feine Braut zu werden. Er trägt ihren Ring am Fing« und sie glaubt sich dadurch für Lebenszeit gefesselt. So ist d« Franzose — nebenbei auch ein Enkel der Ahnen — der Tod feind des Liebespaares. Da er jedoch auS dem russi schen Feldzug schwer krank wiednkommt, retten ihm Ernst und Henriette da» Leben. Im Befreiungs kriege treffen die Nebenbuhler mit den Waffen auf einander: doch wird Henriette erst frei, da d« Fran- »ose freiwillig ihren Ring zurückschickt. Rach d« Vernichtung Napoleon'- — der in einem köstlich erfun denen Moment auf dem Schauplatz des Romans nblickt wird — hrirathet Ernst sein Mädchen und wird der Bat« Victor'-, de» Literalen, d« seiner- feit- wied« zur gehörigen Zeit der Gatte eine schönen Weibes aus dem Geschlechte Jngo'S wird. Am Ende faßt Victor'- Schwager und Mttredacteur den Grundgedanken dn „Ahnen", den Glauben unserer allzu historischen Zeit in folgenden Worten zusammen: ..vielleicht wirken die Thaten und Leiden d« Vor fahren noch »n ganz ander« Weise auf unsere Ge danken und Werke ein, als wir Lebenden begreifen. Ab« es ist eine weise Fügung der Weltordnung, daß wir nicht wissen, wie weit wir das Leben ver gangener Menschen fortsetzen, und'daß wir nur zu weilen erstaunt merken, wre wir in unseren Kindern weiter leben. ... Je länger daS Leben ein« Nation in den Jahrhunderten läuft, um so geringer wird die zwingende Macht, welche durch die Thaten d« Ahnen auf da- Schicksal d« Enkel auSgeübt wird, desto stärker ab« die Einwirkung de» ganzen Volke- auf den Einzelnen und größer die Freiheit, mit welch« der Mann sich selbst Glück und Unglück zu bereiten vermag. Lies aber ist da- Höchste und Hoff- nungSreichste in dem geheimnißvollen Wirken d« Vollkraft." Es kann nicht Absicht odn Aufgabe dies« kurzen Anzeige sein, diese Gedanken und seine plastische Er scheinung in den sechs Romanbänden zu prüfen. Insbesondere muß ich den knappen Raum vor Tadel frei halten, da er ja nicht einmal für da- reiche Lob ausreicht, da- zu sprnoen wäre. Mag die "vom Dicht« angenommene Manin der ersten Theile, mag die ganze Individualität seiner Schilderung mitunt« selbst den Spott gereizt haben — und auch ich habe an andern Stelle dies« Versuchung nicht widerstanden — mag auch technisch gegen eine solche Säulenreihe von Romanen Manche- einzuwenden sein: beim Betrachten dn gan zen großen literarischen That «greift un- doch ein warme» Gefühl der Hochachtung für den Schöpf« und jeder Scherz muß verstummen. Gustav Freytag ist kein Kraftgenie, der sein« Nation etwa mit seinen Idealen um ein Jahrhun dert vorauSzueilen vermöchte, er ist kein bahnbrechen der Poet, d« alle- bi-her Vorhandene durch sein bloßeS Erscheinen verwelken lassen könnte. Ab« « kennt alS Gelehrt« den ganzen Borrath an idealen Gütern unsere- Volke- und findet al- Dicht« die Mittel, diese unsere Güter zu sammeln und un- wie etwa- stet- Neue- immer w»ed« »u Danke zu formen. AlS einer d« vornehmsten Dichter uns«« Gegen wart seit zwei Generattonen anerkannt, hat « mtt dem mächtigen Dichtung-Werke der „Ahnen" da- fast Unmögliche «reicht: im Herbste seine- Leben- die ungewöhnliche Popularität seine- Namen- noch z« erhöhen und diese Freud« auch zu »«dienen. Neues The«ter. Leipzig, 13. December. Heinrich Rarscho«'» romanttsche Opern hatten sich früher hi« lange Zeit ein« besonder» pietätvollen Pflege zu erfreuen und es behaupteten sich namentlich die drei Werke ,^v«r Templer und die Jüdin", „Der Vampvr" und „Han- Heiling" auf de»Repertoire. Voa diesen hörten wir in neuest« Zeit immer nur die letztere Oper, allerdiug» die getuageuste »nd durch intensive Warme dn Empfindung, edelste Tou» spräche und frischen Schwung der Melodik ein- druckoollste seiner dramatischen Schöpfungen, dere» Wirkung stet» voll und mächtig bleiben wird, so lange wir noch einen Träger der Hauptpartte wie jetzt Herr» Schelper besitzen werdeu. >«ch bei d« gestrigen Ausführung dies« herrliche» Op« wurde wiederum da Erfolg derselben hauptsäch lich durch unser» unvergleichlichen „Helling", durch Herrn Schelper'» au-gqeichaete Leistung.
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