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02-Abendausgabe Dresdner Nachrichten : 16.02.1928
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1928-02-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19280216026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1928021602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1928021602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1928
- Monat1928-02
- Tag1928-02-16
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Aehn Fahre Litauen. Die Geschichte eines Zwergstaates. lD r a h t m c l d u i, g u 111 r e r Berliner L ch r i s t l « t t u n g> Berlin, t». Febr. Am 1«. Februar 19 18 verkündete der litauische Ltaalsrat in Wilna die Unabhängigkeit Litauens. Stzentge Wochen später erkannte Kaiser Wil helm II. die Leibständigkett des neue» Staates an. Noch ein Stein war damit ans dein zerbröckelte» Bau des russischen Reiches hcrauögesallen. Die Litauer konnten nicht wie dte Polen oder Finnen dte Kraft zu einer nationalen Bewegung aus der Geschichte ziehen. Schon im 1t. Jahrhundert >>atte Litauens Selbständigkeit ein Ende gesunde». Die Schule war russisiziert. die litauische Sprache verboten, der Groß grundbesitz in den Händen polnischer Adliger, nur bei den Bauer» redete man noch die alte litauische Sprache. Trotzdem gelang es einigen Führern unter dem Schuhe deutscher Waffen, den litauischen Staat ins Leben zu rufen: ganz an ders aber gestaltete sich sein Schicksal, als man 1918 glaubte. Nach der deutschen Revolution verfiel die Absicht, Litauens Krone dem Herzog von Urach aufs Haupt zu sehen, ebenso der Ver gessenheit wie der Plan, den Llond George und Wilson irr Versailles hegten, einen litauisch-russischen Nativnalstaat. der 8 bis 1" Millionen Einwohner zählen sollte, zu errichten. Ein litauischer Kleinstaat mit zwei Millionen Ein wohnern wurde Wirklichkeit, der troh innerer und äußerer Schwierigkeiten heute sein 1ü. Lebensjahr vollendet hat. I» dte Wirren, die 1919 und in-,'0 im Osten herrschten, wurde auch Litauen hineingezvgen. ES verlor Wilna, die alte litauische Hauptstadt, an Polen. Seitdem ist in diesem Winkel Europas et» Zündstoff geschaffen, der immer wieder zu Besorgnissen Anlaß gibt. Sowjet- r u ß Iand hatte 1929 Wilna den Litauer» zugesprochen. Der B vlkerbund hatte eine Demarkationslinie festgesetzt, dte von Polen wie Litauen anerkannt wurde. Aber wenige Tage nach Abschluß dieser Konvention be mächtigte sich Polen durch den Handstreich des Generals Zcliaowski des Wiluagebietes. Der Völkerbund erkannte den Raub an. Seitdem herrschte zwischen Pole» und Litauen der Kriegszustand. Vergebens versuchte bisher der Völkerbund zu vermitteln. Das gleiche Unrecht, das Litauen so bitter beklagte, fügte dieser Staat Deutschland zu. Durch einen Handstreich bemächtigte Litauen sich im Jahre 1928 des M e m c l g e b i c t s. Auch hier wieder sanktionierte der Völkerbund geschehenes Unrecht. Seitdem rissen die VcrstößeLit a u e n S gegen die Memel- tonvcntiou nicht ab. Immer wieder mußte sich der Völker bund mit den Klage» der Memelländer befassen. Immer wieder wurde durch diese Verstöße Zwietracht zwischen Deutschland und Litauen geschaffen, zwischen zwei Länder, deren Zusammenarbeit für beide gleich wertvoll sein könnte, denn das wirtschaftlich schwache Litauen kann bei seinem Kampfe für die Selbständigkeit nur den Rückhalt an Deutsch, land sind«». Der erst vvr wenigen Tagen erfolgte Besuch des litauischen Ministerpräsidenten Wvldcmaras scheint ei» Zeichen dafür zu sein, daß man sich in Kvwnv darauf be sonnen hat, die Rechte der Memelländer achte»» zu wollen. Der Unterzeichnete Schtedsvertrag und der seinem Abschluß entgegengeheude deutsch-lttautsche Handelsvertrag können, wen» dies« Voraussetzung zutrisft, zu besseren und frucht. bareren Beziehungen zwischen den beiden Staaten führen. Der Ausruf -es litauischen SlaalsprSsidenleri. Memel, 18. Febr. Aus Anlaß der UnabhängtgkettSseter ist ein vom litauischen Staatspräsidenten Smetona Unter zeichneter Aufruf erschienen, in dem es heißt: „Ein schweres Dasein führt ein Land, i» den, Fremde herrschen. Ein solches Laud war Litauen. Der Krieg zerstörte auch iinser Vaterland und forderte viele Opfer an Menschenleben. Aber schon wäh rend des Krieges verfolgte das litauische Volk die Idee, seinem Vaterlauüe die laugersehute Freiheit zu gewinnen. Bei Kriegsschluß, als der Gedanke durch die ganze Welt ging, daß jedes Volk bas Recht habe, frei zu sein, hat der litauische LanüeSrat in Wilna Litauen mit der Hauptstadt Wilna zu einem unabhängigen Staat erklärt. Das geschah ain 16. Februar 1918. Mit ernster Freude feiern wir heute die zehnjährige Wiederkehr des TagcS, an dem die Unabhängigkeit unseres Vaterlandes proklamiert wurde. Unsere Freude aber ist ernst. Das lichte Bild unseres feierlichen Festes ist noch von einer dunklen Wolke überzöge», die unsere reine Freude stört. Wir erinnern uns daran, daß wir Wilna nicht haben. Durch starke Hoffnung und gemeinsame Arbeit werden wir uns Wilna wert zeigen und eS wiedererhalten. Die Einig keit des Volkes muß der Grundstein des uuabhängtgcii Litauens sein. Sie fordert aber die Kunst des Gehorsams und der Verständigung." Kein Slaalsslreich in Litauen! Ein Dementi der Litauischen Gesandtschaft in Berlin. Berlin, 16. Febr. Die litauische Gesandtschaft in Berlin dementiert die vom Asten-Osteuropa-Dienst ver breitete Rachricht über einen bevorstehenden BerfassungS- handstreich in Litauen am 1». Februar, dem Jahrestage der Unabhängigkeitscrklärung. Hingegen jei es möglich, daß »nvrgen eine Erklärung des litauischen Staatschefs über das Referendum und einige politische wichtige Fragen abgehe» wird. De» Minderheiten könne jedoch nicht das Wahirecht entzogen werden, das würde den vom Völkerbund über nommenen Verpflichtungen widersprechen, dte den Minder heiten das gleiche Recht mit den anderen Staatsbürgern geben. Fortführung des Kranh-Prvzesses im Krankenhause? Berlin, 16. Febr. Das Befinden des Angeklagten Im Steglitzer Lchülermordprozeß, Paul Krauh, der gestern gtzend in das Ananste-Viktoria-K rankenhaus in Schöneberg eingelicfert wurden ist. hat sich, ivie wir erfahren, etwas ge bessert. Dem Gericht ist bisher noch keine offizielle Mit teilung über den Zustand des Krantz und seine Einliefernng ins Krankenhgns zngcgangen, so dgß Landgerichtsdirektor Dust bisher noch keine Entscheidung über die Fortführung des Prozesses Hai treffen können. Es besteht die Möglichkeit, daß am Sonnabend nur eine kurze formale Sitzung siatifindc» wird, n,n dadurch die Vertagungsfrist zu unter brechen, und dg»» in der nächsten Woche, falls nach dem Gut achten der Acrzte das Befinden des Krantz noch immer schlecht ist, gegebenenfalls im Krankenhause, ähnlich wie es seinerzeit im Kntisker-Prozeß gemacht wurde, den Prozeß fortzuführen. Kein Film über den Kranh-Prozetz. Mit Recht unterdrückte Sensationshascherei. Berlin, 16. Febr. Durch die Presse gehen Nachrichten, daß die im Krantz Prozeß verhandelte Schülertragödie in Steglitz verfilmt werden soll, wobei beteiligte Personen als Filmsckmnspieler auflrete» würde». Die Spitzenorgant- sation der deutschen Filmindustrie hat in ihrer gestrigen Sitzung gemäß ihrer grundsätzlichen Auffassung sich wiederum dahin ausgesprochen, daß derartige Ereignisse zur filmischen Verwertung ungeeignet seien und daß die Beteiligung an einem Sensattonsprozcß nicht dte Qualifikation zum Film- schauspielcr erweise. Demzufolge hat heute der Zentral- verbaud der F i l m v e r l e i h c r beschlossen, derartige Filme nicht in Verleih zu nehmen, und der Vorstand des Neichs- ocrbandes Dcntscher Lichtspielthcatcrbesitzcr erklärt, wenn ein solcher Film von vcrbandsfrcien Firmen in Verleih gebracht würde, ihn nicht zu spielen. Die Vorstände beider Verbände haben übereinstimmend erklärt, daß sie über zuwidcrhandclnde Verleiher oder Theaterbesitzcr die Sperre verhängen werden. Äochwasser in Württemberg. Durch das Hochwasser der Rems ist ein Teil von Groß- Hepbach sOberamt Waiblingens unter Wasser gesetzt worden. Auch die Staatsstraße wurde auf einen halben Kilometer überflutet und der Verkehr teilweise gehemmt. Bei Wangen im- Allgäu hat das Hochwasser der Argen erheblichen Schaden durch Verschlammung der Wiesen und Zerstörung des UferschuyeS sowie durch Wegschwemmung von Holz und Geräten angerichtct. Mehrere Mühlen sind unter Wasser gesetzt. Das Hochwasser des Rheins. Der Rhein ist seit Mittwoch abend fortgesetzt iin Steigen begriffen. Vielfach ist er über die Ufer getreten und Uber- flutet das Vorland. Der Pegelstand ist Donnerstag morgens 4,35 gegen 3,32 am Mittwoch früh. Mit einem weiteren Steigen des Pegelstandes ist zu rechnen. Seitlicher und Sächsisches. Aus -em Landtage. A« heutigen Donnerstag habe« »ieder intersrnkttoneük Besprechungen der Parteien stattgesnnden. E« ist anzu net«en, »aß man zu einer Einig»«« tibe« bi« strittige» Pnnkte kommt. Die Anträge der Linksparteien übe« bi« Wahlrechts- änbernnge» »neben in ber PlenaBitznng »»» der Tages orbnung abgesetzt, nachdem sich das HanS ans Ai Minute» vertagt hatte. Die Anträge sollen am nächsten DienStag behandelt »erden. . Chemnitzer Aouferenz. Unter großer Beteiligung aus ganz Sachsen hielt die Ehemnltzer Konferenz am Sonntag in Chemnitz ihre dies jährige Hauptversammlung ab. Sie ivurde mit einem Gottes- dienst i» der MarkuSkirche etngeleitct, bei dem Oberpsarrer Ludwig aus Frankenbcrg die Predigt hielt. Hierauf sprach im Tlmliahause Geh. Rat Dr. sur LottchtuS in geistvoller und fesselnder Weise über das Thema „Rechtfertigung und Heiligung". Der 82jährige alte Herr, der sich zu einem klare» Glaube» auf Grund der Schrift und Luthers Erfahrung durch gerungen hat, betrachtete von hoher Warte, was die an Menschenzweiseln suchende Seele bedrücken kann. Der eigentliche» Hauptversammlung tm „Carola-Hvtctz wohnten eine große Anzahl Ehrengäste, unter denen »>»» Vertreter der staatlichen und städtischen Behörden und einen Vertreter des Landeskvnsistvriuins bemerkte, bei. Stach den üblichen Begrüßungsansprachen hielt der Redakteur der „All gemeinen Ev.-luih. Kirchenzeitung" in Leipzig. V. Lai die. einen Bortrag über: „Sind die Aussagen des Kleine» Katechismus über dte heiligen Sakramente noch haltbar? Der Redner bejahte das einleitend auf Grund ber klare» Zeugnisse der Schrift, NM dann aus der Bibel bas gute Nell I der Kindertaufe nachzuwelsc». Der gedankentiefe Vortraa soll auf Wunsch der Konferenz gedruckt werden und in Brvschürenfvrm erlcheinen. Eine rege Aussprache schloß sic dem Vorträge an, bet der u. a. auch ans die Schwiertgkritei hingemiesen wurde, dte durch den Mangel einer aus Grund der Taufe aiifgebaute» Erziehung entstünden. Nachmittag-, folgte die Generalversammlung des ev.-luth. Gvttcökastens in der I>. Almer, Leipzig, zum Ehrenvorsitzenden ernaniu ivurde. Die Einnahmen betrugen rund 1-tiMi Mark, lieber reichlich 29>«t) Mark Gabe» für die Diaspora verfügte dte Ver sammlung. —* Dentsche Volkspartei. Sonnabend tritt in Dresden der vor kurzem gewählte L a n d e s v e r t r e t e r ta g der neugebildeten sächsischen Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Vvlkspartet zu seiner ersten Sitzung zusammen. Den Haupt punkt der Tagesordnung bildet die Erörterung der säch sischen Verwaltungsreform, zu der Präsident Schteck das einleitende Referat übernommen hat. —* Kinder im SarnevalSzug. Es haben sich eine Unmenge Kinder gemeldet, die am Karnevalsumzug teilnehmen wollen. Die Teilnahme ist unentgeltlich, wenn die Kinder im Besitze eines Kostüms sind. Doch werden die Eltern gebeten, er wachsene Angehörige mitzuschicken, die gleichfalls kostü miert sein müssen und in diesem Fall auch unentgeltlich zu- gclassen sind. Stellen Sonntag den 19. Februar, nachmittags I Uhr, Hänclstraße. Alle Teilnehmer werden gebeten, sich mi! dem nötigen Karnevalsproviant sKvnsctti, Lustschlangen usw.j zu versehen. —* Der verunglückte Schwarzfahrer. Wie gestern gemeldet, war vor einigen Tagen auf der Landstraße bei Possendors ein schwer beschädigtes Auto aufgefunden worden. Wie nun mehr sestgestellt werden konnte, hatten drei junge Burschen mit dem in Dresden gestohlenen Kraftwagen eine Schwarzfahrt unternommen und waren auf der Rückfahrt infolge der Glätte gegen einen Chanffeebaum gefahren. Einer der Täter zog sich hierbei einen Beinbruch zu und mußte inS Krankenhaus ge schasst werden. Aie/nreeH»««» „Toboggan." Drama von Gerhard Menzel. Uraufführung tm Schauspielhaus, 15. Februar 1928. Als zweite Vorstellung der Aktuellen Bühne im Schau spielhaus kam „Toboggan" von Gerhard Menzel zur Uraufführung. Gerhard Menzel, ein neuer Mann tm Dheaterbetrieb, durch Verleihung des Preises der Kleist-Stiftung für sein Drama „Toboggan" ins Scheinwerferlicht ber Oeffentlichkeit gestellt, Verfasser von Dramen wie „Eolumbus", „Republi kaner", .^Huerta" — mir unbekannt —. schon wiederholt bei nahe aufgesührt, wie Freunde berichten, geboren in Walden burg in Schlesien, durch das Erlebnis des Krieges gegangen, in mancherlei Geschäften tätig gewesen, nun als Dichter ge landet aus der Dresdner Bühne und einigen kleineren Bühnen. » Glückstrahlend erschien er am Schluß vor dem Publikum. Dies mit Recht. Es wird ihm kaum ein anderes Theater seinen Phantasietraum mit so sinnenfälligen Mitteln wieder vvr Augen stellen, und kein anderer Schauspieler wird seinen Hauptmann Toboggan so grausig tot-lebendig darstcllcii wie Erich Ponto. Alle Ursache, Glück zu strahlen. Gedacht hat sich der Dichter die Kriegsszenen seines Wer kes allerdings gespenstisch, spukhaft, nicht als den Krieg, son dern als den furchtbaren Traum eines Krieges. Das war zu schemenhaft für den Tatendrang unserer Bühnentechniker. Sie haben mit fühlbarer Wonne den Krieg in seiner Realität lauschend in Holz und PaKpe aufgebaut. Fabelhaft, was unser Apparat zu leisten vermag, sei es auch nur sür einen Abend! Da ein Artillertegefechtsstand, Ratterte im Feuer, Granaten sausen, Einschlag, aufsteigende Erdsäulen, Blitz und Donner. Da das Innere eines zerschossenen Hauses, garantiert echtes Treiben eines militärischen Stabes. Da Landstraße, richtig gehende, vielmehr wegen Panne nicht gehend« Lastkraft wagen, die endlich dach gehen. Da in Grau. Dunst und Dreck Nahnhofssaal unten irgendwo auf dem Balkan, voll von grauen Landsern, Verwundeten, Zivilisten, voll Erregung und Stumpfsinn der gepferchten Massen. Höhepunkt: der Expreß fährt ein. Lokomotive, Pullmanwagen, alles aus Realität und Pappe, fabelhaft gemacht, echt, meine Herr schaften. zum Einsteigen. Sie sehen dann das Innere eines Wagens, zweiter Klasse, im vorbetflitzenden Lichte, überfüllt von Soldaten. Fabelhaft! « Wo ist Toboggan? Er ist immer mitten drin. Mit seinem Fähnrich verwundet, liegt er im zerstörten Hause. Der Fähnrich stirbt. Der Oberst läßt den „MoribundnS" Toboggan, den vom Tode Gezeichneten, von ber Liste der Lebenden streichen, ernennt seinen Nachfolger tm Kommando. Toboggan bäumt sich: nun will er nicht sterben! Jetzt hat er Geschmack am Leben gesunden. Jetzt wird er dem Tode ein Schnippchen schlagen. Willcnsstark aufgerafft, tritt er den Wettlauf mit dem Tode an. Aber dte Lebenden weichen vor ihm. sobald sie erfahren, daß er eigentlich amtlich tot ist. Noch putscht er. der Hauptmann, dte Soldaten auf, den Expreß anznhalten, dte Zivilisten herausznsetzen, nach der Heimat zu fahren. Ihn lockt dort das Höchste des Lebens, dte Liebe. Aber Anna, Eine von vielen, hat längst auf Toboggan verzichtet und hält den militärischen Enoch Arden für ein Gespenst. Er ist am Ziel und bricht nieder. Er ivar schon tot, als er noch leben wollte. Ten Auögcstoßencn nehmen freundliche Schncemolken in die wärmenden Arme zur ewigen Ruhe. * Ein Totentanz, von dichterischer Phantasie hcrausgehoben aus dem endlosen Reigen der Stcrbcnsmöglichkeiten des Krieges. Ob auch das geschehen konnte, baß ein Offtzter. ver wundet, noch lebend, für tot erklärt, so aus der Reihe tanzte und auf eigene Faust mcitermachtc und frei über sich und sein Verbleiben verfügte, mögen Sachkenner entscheiden. Für den Dichter ist es Erlebnis und Tatsache, Stoff zu einer Ballade vom Lebenswillen, Heldenlied vom Hauptmann, ber nicht sterben wollte, heroische Flucht vorm Tode nicht aus Feigheit, sondern aus Kraft. In der Sprache seines Standes, knapp, schneidig, mannhaft, singt uns Toboggan sein Lied vom Leben und vom Tode, und der ChornS seiner jeweiligen Umgebung stimmt ein. Mit grausigem Humor höhnt er den Tod, mit entschlossenem Willen entfernt er alle, dte neben ihm dem Tode verfallen, läßt den gestorbenen Soldaten einfach aus dem Zuge werfen, duldet die Nähe des furchtbaren Herren nicht, der ihm doch immer auf den Fersen ist. Diesen modernen Totentanz hat unleugbar ein Dichter ersonnen, ersühlt, er schaut, ob auch ein geborener Dramatiker, das eben ist die Frage. Gewöß, wir haben noch kein neues Drama, und wir suchen cs. Dieses hier aber ist bestimmt nur ein Scheindrama, worin Geschehen mit Geschick verwechselt wird, Monolog für Dialog und Kampf zweier lebendiger Gewalten steht und so mit nur lyrische Wirkungen ausgelöst werden, nicht drama tischer Konflikt. So viel« um Toboggan herum stehen und wirbeln, sie sind ihm gegenüber doch nur passiv, und ber un- sichtbare Gegner, gegen den er ringt, ber Tod. steht außerhalb des Kreises der Gegnerschaft, mit der ein Held fertig zu wer- den vermöchte. Ist das nur ein Etnwand ästhetischer Schul, weishett? Nein, das Grundgesetz des Dramatischen ist ein Wesensgesetz, und seine Nichtachtung straft sich immer mit Versagen der ethischen Wirkung. Denn schließlich, wo wird uns irgend etwas vom metaphysischen Kern der Welt aus- gedeckt, wenn wir Hauptmann Toboggan von Etappe zu Etappe dem unentrinnbaren Tode verfallen sehen? Für unser Weltgcsühl ist es gleich, ob er «ach der LtebeSenttäuschung stirbt oder erst später; es war doch nichts als «in durch letzte Lebenskraft gehemmtes tzinabgleiten in» End«. Ter Apparat der Vtthne deckt dieses cpisch-lyrtschc Gleiten nur mit Lärm und Wirbel zu, üvertönt leider sogar vieles von den menschlich echten und seeltsch tiefen, dichterisch kraftvoll und sprachlich knapp auSgebrückten Inhalten der schaurigen Ballade. Mehr noch: Gerhard Men- zel hat die Sprache des Dramatikers, di« Plastik beS Nor- tes. Wie er militärischen Sprechstil mit einer Sprache der persönlichen Charakteristik zu verbinden weiß, läßt aufhorchen. Auch das Kolorit einer Szene setzt er treffsicher hin. DaS ist schon viel und rechtserttgt eine HerauShcbung durch den Kleist-Preis, der ja nicht bedeutet, daß jeder Gekrönte schon der neue Kleist sei. Erst wenn die jungen Dramatiker dte bcgueine Bildcrtechnik — Erbteil des Naturalismus — über winden werden und innerlich erfahren haben, baß Drama elektrische Entladung zwischen zwei Polen ist, werden sie ans dem Geiste unserer spannungsrcichcn Zeit das echte neue Drama schaffen können. * Große Schauspieler sind freilich große Dramatiker von Natur. Erich Ponto bewies das mit einer Selbst- cntäußerung stärksten Grades, die den Hauptmann Toboggan zum Bilde jedes zwischen Leben und Tob mit der .Krampfwut des Ertrinkenden kämpfenden Menschen machte. Alle Grausen eines Totentanzes umwitterten dte Gestalt. Osstzier und Mensch. Held und Todeskandidat führten tn ihm den eigent lichen dramatischen Zwist, dte monologische Tragödie beS Sterbens durch. Pvntos scharfe Zeichnung, seine plastische Sprechweise, seine tiefe Erlebens- und Erletdenssähigkett, ja auch seine schauspielerische Entschlossenheit zum Aeußersten des Realismus, zu dem ihn die Regie wie in der Szene vorm Spiegel noch über des Dichters Verlangen hinaus nötigte, und zuletzt seine Gabe lyrischen BcrkltngenlassenS ungeheurer Erregung trugen die verborgene Menschlichkeit und Seelen- hafttgkeit ber Dichtung ans Licht. Ihm allein waren die wirklichen Erschütterungen zu danken, die aus dem nerven« peitschenden, scheindramattschen Kricgslärm ber Aufführung zum Herzen drangen. Daneben schuf Alice Versen mit verführerischen Mitteln das weibliche Gegenbtld ber würde losen Lebcnsgier und mit bis zur Grimasse gesteigertem Aus druck das Bild des höchsten TodeSentsehenS. Aus dem Massenaufgebot sei sonst nur Alfred Meyers harter, scheinbar unmenschlicher, militärisch sorgenvoller Oberst her« vorgehoben. Alle klebrigen standen so oder so tm auS« gleichenden Feldgrau des KriegSbtldes, das Josef Gielen in der bis zum wahnsinnigen Toben gesteigerte» Bahnhofs szene mit bewundernswerter Kraft und Dynamik der Massen« regle, aber auch mit lebenswahrer SttmmungSmaleret beS grauen Elends anSgemalt hat. Was mit ihm Adols Mahnke und Georg Brandt sür einen Abend an künst lerischer Arbeit geleistet haben, ist für sich betrachtet höchster Anerkennung wert. Aber der Punkt, wo das Aeußere das Innere überwuchert, scheint erreicht. » Wir Haffen noch immer aus das Drama der Zeit, da» nicht .aktuell" zu sein braucht, weil Krieg und Umsturz seinen
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