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Wochenblatt für Zschopau und Umgegend : 31.10.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-10-31
- Sprache
- German
- Vorlage
- Stadtarchiv Zschopau
- Digitalisat
- Stadtarchiv Zschopau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512512809-189310313
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512512809-18931031
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512512809-18931031
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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- ZeitungWochenblatt für Zschopau und Umgegend
- Jahr1893
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862 Silversterpunsch kommen. Ich werde ihn wciter- pflegen." „Sie!" Frau Pieseke starrte sie wie etwas Un begreifliches an. „Sie kennen ihn ja aber gar nicht. Kaum, daß er jemand im Hause gegrüßt hätte. Immer hochmütig, aber ein leeres Porte monnaie." „Das gehört ja nicht hierher. Er ist krank und ihm muß geholfen werden." Frau Pieseke lachte spöttisch, während sie mit der Haarnadel den Lampendocht anfstocherte. „Wie Sie wollen, Fräulein," meinte sie. „Sie sind ja lange kein Kind mehr und können ohne Vormund thnn, was Ihnen beliebt. Wenn ich keine Schererei von der Sache habe, spielen Sie nur ruhig barm herzige Schwester weiter." Adelheids feiner Mund zuckte. Sic glaubte, das rohe Weib mit seinem feisten Gesicht und den kleinen weinseligen Aenglcin in diesem Moment hassen zu können, doch sie bezwang sich und sagte anscheinend ruhig: „Das einzige, das Ihnen obliegt, ist seine Familie zu benachrichten." „Weiß gar nicht, ob er überhaupt einen Menschen aus der Welt hat. Außer Mahnbriefen, die man ja so ziemlich von außen kennt, ist wohl nie ein Schreiben für ihn gekommen. Auch kein ordent licher Liebesbrief einmal. Ans so etwas ist die Inste dressiert wie ein Schweißhund. Gute Nacht, Fräulein Bertram. Müde bin ich zum Umfallen, und morgen, am heiligen Abend, kommt man doch wieder vor Mitternacht nicht in die Federn!" Doktor Walters Mittel hatte seine Wirkung ge- than. Adelheid fand den Kranken schlummernd. Still nahm sie ihren Wärterposten wieder ein. „Also ein Schicksalsgefährte, auch ein Einsamer," dachte sie. „Wenn er nun stirbt, bleibt in der Welt, selbst in der Riesenstadt hier, keine Lücke. Wie pflegt doch Doktor Walter zu sagen, „seitdem ich meine Schulden bezahlt, lebe ich wie ein Narr ans Erden, kein Mensch denkt und schreibt an mich." Der gute, alte Doktor! Er hätte wohl auch ein besseres Los verdient, als in den Höhlen des Elends sich seine Patienten zu suchen." Fröstelnd hüllte sie sich in ihr Tuch und trat zum Fenster. Die undurchdringliche Finsternis der Dczember- nacht wich langsam einem nebeligen Grau. Im Osten lichtete es sich, der Wind jagte das schwere Gewölk auseinander, einige rotglühende Streifen zeigten sich, flammend zuckte es bald über den Himmel. Es war das Morgengrauen des kürzesten und doch wonnereichsten Tages der Christenheit. III. „Wo nur der grimme Hagen stecken mag?" hieß es in der altdeutschen Trinkstube, in welcher die junge Juristenwelt seit einiger Zeit ihr Haupt quartier aufgcschlagen. „Wahrscheinlich über das Fest verreist." „Kaum anznnehmen, da er ja bekanntermaßen keine näheren Verwandten besitzt, auch nicht Familicn- verkehr zu unterhalten pflegte. Ihm genügte der Terminssaal und die Kneipe." „Was bleibt ihm auch schließlich übrig?" meinte Assessor Thincll, gleichmütig die Asche von seiner Cigarrettc streichend. „Schon als halbwüchsiger Knabe elternlos, hat er nur seinen Mündigkeits termin abgewartct, um das kleine väterliche Erbe zu verjubeln. Deshalb hat es auch so lange mit ihm gedauert. Schon vor zwei Jahre» hätte er fertig sein müssen." „Aber ein guter Kern steckt doch in ihm," fiel Ncnmann ein. „Ein Weißbierphilistcr wird er frei lich nie werden, dazu fehlt ihm alle Anlage, aber trotz allen Leichtsinns, ist er doch ein tüchtiger Bursche, dessen Freundschaft man sich nicht zu schämen hat." „Nein, nein, ans den grimmen Hagen läßt sich nichts sagen. War schon aus der Universität ein Prachtkerl. Famoser Gesellschafter übrigens," hieß es in der Runde, während die Zinndcckcl der un geschlachten steinernen Bierkrüge klappten. „Hast Du nichts von ihm gebört, Winkler?" fragte Nenmann, einem blassiert anssehenden jungen Staatsanwalt naher winkend. „Wenn er sich heute, am Silvester, auch nicht unter uns zeigt, muß man ihm auf die Bude rücken." „Vielleicht ist er in die Provinz geschickt, irgend wo in Littane» ein Kommissorium. . ." „Nein, vor der Hand werden wir alle drei am Kammergericht beschäftigt. Heute erfuhr ich es privatim, ein Verwandter meiner Braut arbeitet im Ministerium." „Ah, gratuliere. Freilich, da muß man sich nach dem grimmen Hagen umsehen. Wenn er heute abend nicht tapfer mitthut, ist er wohl in Verlust geraten, wie man im schöne» grünen Tirol zu sagen pflegt." „Ah, Rcisereminiszenzen, Salvntiroler, Berg- fexerei," hieß cs lachend. Das Gespräch sprang um und bald war der fehlende Kamerad vergessen. Die in eigentümlich düsterem Not langsam zur Rüste gehende Silvcstersonne schenkte auch einen letzten Strahl dem unsrenndlichen Hinterzimmer, in welchem der allmählich Genesende auf einem Ruhe bett, sorgfältig eingehüllt, in wonnigem Nichtsthnn vor sich hintrttnmte. Viele Tage, von denen er nichts wußte, als daß er mit Dämonen, wilden Spukgcstaltcn unablässig gekämpft, waren ihm vergangen. Dann hatte er nach und nach gefühlt, daß man für ihn sorge, ihn schütze. Eine weiche Hand hatte ihm die Kissen geglättet, ihm kühlenden Trank gereicht; eine süße Stimme die scheußlichen Fratzen von seinem Lager gescheucht. Eine Fee, ein holder Weihnachtsengel, dachte er wohl mitte» im Fieberschlnmiiicr. Doch dann kehrte das Bewußtsein allmählich zurück und er erkannte, daß die rätselhafte Gestalt an seiner Seite keine silberglänzenden Flügel und keinen funkelnden Stern über der Stirn trug, daß cs ein blasses Mädchen mit mattem Lächeln und blauen Augen, mit einem Wort seine blaustrümpfige Nach barin war. Die Dankesworte, die er gestammelt, als er die schmale Kinderhand endlich zu erfassen im stände gewesen, er wußte ihren Sinn nicht mehr, nur erinnerte er sich »och, daß Freuden- thränen an ihren dunkeln Wimpern geperlt und ein flüchtiges Rot ihr schmales, feines Gesicht selt sam verschönt hatte. Nun waren Tage seit diesem Augenblick ver gangen und sic freute sich der Wiederkehr seiner Kräfte wie eine sorgende Mutter, der ihr totkrankes Kind endlich wieder znlächelt. Sie und der kleine komische Doktor, dessen kahler Schädel ausfallend einer Billardkugel glich, schienen die Pflege des fremden Menschen als etwas Selbstverständliches zu betrachten. Hatte er, trotz seiner halbgeschlossenen Augen doch wohl gemerkt, daß die bequeme Chaise longue, auf welcher er jetzt ruhte, aus ihrem Zimmer herübergetragen wurde. Und den Medizinal- tokayer, den man ihm stündlich cingeflößt, zog der Doktor regelmäßig ans der Brusttasche seines alt- väterischen Pelzrockes. Fühlte er sich noch zu hinfällig, oder Ware» jene beiden wirklich so ganz anders? Die drückende Empfindung Fremden verpflichtet zu sein, tief i» ihrer Schuld zu stehen, wollte nicht kommen. Wo nur die treue Pflegerin blieb? Sic habe einige Sprachstnnden außer dem Hause zu geben, hatte sie beim Fortgehen gemeint, und nun be rechnete er mit der egoistischen Ungeduld Kranker, daß sie längst hätte zurück sein können. Endlich hörte er ihren leichten Schritt. Mit geschlossenen Augen vergegenwärtigte er sich das wohlige Ge fühl, wenn er sie in seinem Halbschlaf hatte sorgend hin und her huschen hören. „Ich blieb wohl etwas lange," sagte sic freund lich, „doch die Entfernungen sind so weit und meine letzte Schülerin lag in beständiger Fehde mit der unregelmäßigen Konjugation." „Ich fiebere wieder," meinte er, eine klägliche Miene heuchelnd. „Der Kopf brennt." Leicht wie ein kühles Blumenblatt, legte sich ihre Hand ihm auf die Stirn. „Nicht doch, nur eine ganz natürliche Wärme. Doktor Walter sagte ja heute morgens, daß es überraschend gut ginge. Am Abend will er noch einmal Nachsehen." Ahnungslos, daß ihre Nähe dem Kranken Herz klopfen verursachte, reichte sie ihm die Arznei. Dann rückte sie einen kleinen Tisch dicht zum Fenster, in das letzte Tageslicht, holte Schreibzeug herbei und schlug die Mappe auf. „Nicht wieder arbeiten," bat er. „Sie sind ja erst eben aus dem Frohndienst zurückgekvmmcn." „Glauben Sic denn, daß ich als Reichsgräfin nur meinen Vergnügungen leben kann? Jede im Müßiggang verbrachte Minute macht sich in meiner Kasse fühlbar. Heute soll ich noch einen ganz kleinen Artikel ans dem „.louinut uimmunt," über setzen. Vor Abend muß er postfertig sein." Ec beobachtete, wie ihre Hand über daS Papier flog und sich während des Nachdenkens eine tiefe Falte zwischen die dunkeln Brauen grub. Den Jugendschmclz hatte das zartgeschnittene Gesicht wohl abgestrcist, es gab Linien darin, die von Seelenschmerzen, harten Kämpfen erzählten, doch die dunkelblauen Augen besaßen einen eigenen Zauber und wenn, was selten geschah, der ernste Mund lächelte, wurde sie wieder jung und schön. Noch nie waren ihm für den Lebensunterhalt arbeitende Franc» entgcgengetrcten. T Bild der toten Mutter schwebte nur wie ein verklärter Schatten in der Erinnerung. Dann hatte er auf Bällen mit junge», sorglosen Mädchen getanzt, mit Kellnerinnen gescherzt, sich für irgend eine hübsche Choristin auch leichtsinnig in Schulden gestürzt, doch das Bild dieses ernste», rastlos schaffenden Mädchens war ihm ein Rätsel. Hinter den hochgiebligen Häusern und unförmigen Schornsleinmassen versank die Sonne, rasch brach die Dänimcrnng herein, das Zimmer füllte sich mit grauen Schatten. Endlich hob Adelheid den Kopf und legte die Hand wie schützend über die schmerzenden Augen. „Nun können wir plaudern." „Heute ist Silvester," meinte er. „Wollen Sie diesen Abend wirklich einem arnn a Kranken opfern. Das wäre zu viel Großmut. Gewiß erwartet mau Sie in irgend einem fröhlichen Kreise." „Mich?" fragte sie erstaunt. „Nein. Wie zu Weihnachten ein Kind, muß > an am Silvester abend jung und srohherzig se', bei Punsch und allerlei Kurzweil hochklopfenden Herzens dem ge heimnisvollen Klang der Neujahrsglocken lauschen. Was wird das anbrecheude Jahr bringen? Bittere Enttäuschung oder das übergroße, heimlich ersehnte Glück? Wer seit lange uichcs mehr hofft und träumt, dem sind alle Abende des Jahres gleich." „Welches Menschenhcrz verliert wohl jemals die Fähigkeit, auf Glück zu hoffen?" sagte er ernst. „Bemühen Sic sich nicht, irisch glauben zu machen, daß Sie mit dem Leben völlig abgeschlossen haben. Das wäre ja Unnatur. Lebendig begraben läßt sich freiwillig niemand." „Vielleicht erwarte ich, daß das neue Jahr mir noch ein paar Schülerinnen mehr bringt," sagte sie achselzuckend. „Viellei rechne ich darauf, daß irgend ein großer Buchh-ndler einen dickbändigen englischen Roman mir z> r Uebersetzung giebt, da mit ich einen neuen Win ermantcl kaufen und mir, trotz der hohen Kohlenp» ise, mein Zimmer täglich zweimal Heizen lassen kann. Nennen Sie das Hoffnungen? Ist das Glück?" „Gewiß nicht. Aber Sie sollten solche nüchternen Dinge mit Ihrer Person nicht in Verbindung bringen. Ihnen nahen ganz andere Wünsche." Adelheid freute sich der Dämmerung, die ihr Erröten verbarg. Wie ein junges, albernes Mäd chen schalt sie sich. Kam nicht eben der Doktor? Nein. Draußen r mwrtc Frau Pieseke, die sich eben anschickte, mit Pferdebahn nach Moabit hinauszufahren. „Inste," hörte mc» .sie rufen. „Ist die Assiette mit dem Heringssa? .^,-zuch ordentlich in die Ser viette eingebunden? rind daß mir die Mohnklöße nur ganz obenauf in den Korb kommen." „Mit dem Frcßkober kann Madam ruhig bis Kamerun fahren und den Schwarze» mit einem Frühstück auswartcn," brummte Auguste, die ihren Unteroffizier nun schon eine Viertelstunde vergeblich auf ihr Erscheine» warten lassen mußte. „Wo ich nur den großen Wachsstock hingesteckt habe?" fuhr Frau Pieseke in ihren Vorbereitungen fort. „Weißt Du cs nicht, Inste? Wir wollen den Kindern doch noch einmal de» Baum anzünden und die Lichter von Weihnachten sind längst ab gebrannt." „Glückliche Frau!" flüsterte drinnen Wolf un willkürlich. „Ja, Großeltern sind beneidenswert, sie leben dreimal. Doch ich will die Lampe holen. Wir versäumen sonst die rechte Zeit zum Einnehme»." Als die Flamme anfznckte, glaubte sie allen Silvestcrspnk verscheucht zu haben, doch er hatte sich wohl nur bis zum Lager des Kranken geflüchtet, dessen Auge»,K;r unablässig folgten. Wie anmnltzj sie an dem Tisch mit den Gläsern und Medizinflaschen hantierte. Er schloß die Angen, damit er das leise Klirren des Löffels besser höre. So war es immer in den langen Fiebernächten gewesen, wenn sie bei ihm wachte und ihm kühlen Trank an die verdorrten Lippe» hielt. Fortsetzung folgt.) Verantwortlicher Redakteur: A. Raschle in Zschopau. — Druck und Verlag von F. A. Raschle, Paul StrebelowS Nachfolger in Zschopau,
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