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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 22.08.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-08-22
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188408221
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840822
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840822
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungChemnitzer Anzeiger und Stadtbote
- Jahr1884
- Monat1884-08
- Tag1884-08-22
- Monat1884-08
- Jahr1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 22.08.1884
- Autor
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Anlechaltungs-Neilage;um ..Lyemniher Anzeiger". Nr. 1. - Freitag, 22. Verlags-Expedition: Alexander Wiede, Bnchdruckerei, Chemnitz, Theateistraßk <8 (ehemaliges Bezirksgericht, gegenüber dem Kasino). 1884. — 4. Jahrgang. Aa die geehrte» Leser des Anzeigers. Nachdem der „Chemnitzer Anzeiger" so außer ordentlichen Anklaug und zahlreichste Betheilignng gefunden bat, find wir 1« de» Stand gefetzt, de« unter haltenden Lheil desselben bedentend zu erweitern und bringen daher regelmäßig wöchentlich drei Unter haltungsbeilage«. Um das unseren werthe» Abonnenten wünschenSwerth erscheinende Sammeln dieser Unter haltungsbeilagen zu erleichtern, werden wir dieselben Vv« heute an separat riuBmeriren. Verlag und Redaktjchi des „Chemnitzer Anzeiger." ZWki Mmiate Kaßberg. Bilder aus Gefiingnißleben in der königl. Gefangeuaustalt ^ zu Chemniy von Marlin Hildebrandt. *) , ^ Original-Beitrag für den „Themnitzer Anzeiger". ^ (Nachdruck verboten.) DaS graue HauS auf dem Kaßberg, dessen mächtige Flügel sich iu unmittelbarer Nähe des Iustizgedäudes, mit dem es in innigster Verbindung steht, links und rechts von einem schlichten Mittelbau erstrecken, ist jedem Bewohner von „Klein - Manchester" wohl zur Genüge bekannt, soweit das — Aenßere in Frage kommt. Mancher wird eS auch unfreiwilliger Weise in seinem Innern kennen gelernt haben — wie ich, der ich hier Gelegenheit erhalten sollte, über einige Artikel der inzwischen sanft entschlafenen „Chemnitzer Zeitung" »achzudenken. Ob ich das gethan habe? — Diese Gewissensfrage muß ich mit einem ehrlichen „Nein" beantworten. Ein volles Tintenfaß, einige prima uutvvi-iml pv»s und ein genügender Vorrath vorzüglichsten Lonzeptpapieres sorgten dafür, daß ich immer andere Gedanken halte als gerade diesen und dazu kam das Interesse sür einen Ort, an dem ich mich, als. bisher „unbestraftes" Individuum, zum ersten Male aushielt und der sür den ausmerlsamen Beobachter genug des Inter essanten bietet. Die nachstehenden Zeilen mögen den Beweis dafür erbringen. I. Reu angekommen. Ich hatte lachend von den Meinen Abschied genommen. Nicht etwa, weil ich besonders sröhlich gestimmt war, sondern um Denen den Abschied zu erleichtern, die Thränen in den Augen und Kummer im Herzen von meinem „Lebewohl" etwas empfindlicher getroffen wurden als ich. Ich könnte hier da- Wort „Galgenhumor" in seinem ureigensten Sinne anwenden — allein, so schlimm war eS nicht. Ich ging ja diesen Gang für meine Ueberzeugung und wenn auch mein sonst unverwüstlicher Humor etwa» gedrückt war —'ganz war er nicht geschwunden. Noch einmal labte ich, mich an dem mir besonders süßen Gifte einer zu diesem Zwecke eigens gewählten „L> ^d»jo" und trank — zum Abgewöhnen — noch «nen Schoppen' edlen Gerstensaftes, dann schritt ich tapfer dem Kaßberg zu, nach dem Gerichtsgebäude, da» mir heute nicht wie der Tempel der Themis, sondern wie rin Zwinguri erschien und meldete der königl Staats-! auwaltschaft mein Erscheinen. Nicht lange darauf, so winkte mir ein G-ericht»dirner, der einen, auf einem jener grünen Formulare ver- zeichmten Bruchtheil meines enrriouiuiu vituo in der Hand hielt, in welchem auch namentlich darüber Auskunft gegeben war, wie lange ich zur Gattung der „Zellenbewohner" zu zählen habe und wenige Minuten später überschritten wir beide — ich immer voran — die Schwelle der königl Gefangevanstalt. Zunächst wies man mich in die Expedition, in welcher mein Lebensabriß vervollständigt wurde und dann in das Wartezimmer. Doch auch hier war meines Bleibens nicht lange. Ich wurde aufge fordert, vor dem Herrn Direktor zu erscheinen, der mich mit einigen Worten auf das mancherlei Unkomfortable meines nunmehrigen Chambre garnie aufmerksam machte, mir freundlichst innerhalb der Grenzen der Möglichkeit Erleichterung zusicherte, im Uebrigen aber Resignation empfahl, wogegen ich aus mein Talent hinwies, alS echter Journalist in jeder Lage des Lebens den Kopf oben behalten zu können, eine Versicherung, die, wie mir schien, nicht so ganz zweifelsohne ausge nommen wurde. Dann nahm mich ein Aufseher — der Volksaus druck bezeichnet diese Charge irrthümlicher Weise als Schließer — in Empfang, ein Schlüsselbund raffelte, er öffnete eine eisenbeschlagene, schwere Thür — ein kleiner Vorcaum — der, wie ich später bemerkte, zum Empfang der Besuchenden dient — wurde durchschritten — eine zweite Thür von gleich solide Massivität geöffnet und geschloffen, — ich stand im Jnnenraume des Gesängnißgebäudes. Hier hatte ich einige Augenblicke Zeit, mich umzusehen, doch — wohin da» Auge blickt — allüberall Eisen, Eisen, Eisen. Vom Mit telraum, in dem ich stand und der frei bis zur Decke durch Oberlicht erhellt wird, liegen links und rechts durch Eisengitter, die vom Boden bi» zur Decke reichen, abgeschloffen, die Flügel mit den Jsolirzellen. Man sieht auch hier vom Parterre bis zur Decke, da in den Flügeln die Mitte ebenfalls frei ist — wie da- Schiff einer Kirche — den Zugang zu den Zellen der I. und II. Etage vermittelnd, links wie rechts Gallerien, die weiten Hallen sind durch Oberlicht und an den AuSläuscn beider Flügel durch je ein gewaltiges Sciienscnster, das sich vom Boden bis zur Decke streckt, ausgezeichnet erhellt, sodaß Luft. Wie Licht, diese zwei wichtigsten Bedingungen allen Lebens, mehr als zur Genüge vorhanden sind. Ich war in meinen Betrachtungen ungesähr soweit gekommen und blickte eben an einem Rundgitter hinab, das eine, einen Blick in da- Souterrain gestattende Oeffnung umgiebt, als mein Führer mir einen Wink gab, ihm zu folgen.. Ich kann an dieser Stelle gleich be- merken, daß die Ruhe der Anstalt sich dem Gefängnißpersonal ersicht lich mittheilt, so daß e« dem Grundsatz „Schweigen" huldigt und alle«, was sich pantomimisch auSdrücken läßt, auf dies« Weise zu ver stehen giebt. — Er führte mich in da» Zimmer de» Oberausseher» *) Borstehend bringen wir aus der Feder M. Hildebrandt'S, früher Redak teur der im Verlag von W. Kafemann bis Ende 188Z erschienenen „Chemnitzer Zeitung", eine Schilderung deS Lebens inderhiesigen Kgl. Gefangenanstalt, dle, da aus Selbsterlebniß beruhend, tn den weitesten Kreisen interejsiren dürste. Wir können unsern Lesern zugleich verrathen, daß der Bersasser dieser Gesängniß- btldcr seit der gegenwärtigen Saison zu den Mitarbeitern des „Chemnitzer Anzeiger" gehört. Unter dem Pseudonym „Fritz Larsen" brachte er die „Chemnitzer Lokalerjählungen": „Othello", „Der verrückte Zeiger". „Mein Freund Lehmann", „Der neue Ueberzieher", sowie ferner „Die Geschichte vom reichen Müller seine» Affen" und „Die sidele Ul. Etage". — Der Autor PU sich ferner in jüngster Zeit mit einem Lustspiel „Durch Konkurrenz" be kannt gemacht, welches im Verlag der bekannten Berliner Firma Felix Bloch «schienen ist und bei seiner Probeaufsllhrung am Etadttheater zu Danzig von Kritik wie Publikum beisälligst ausgenommen wurde. Wie wir hören, hat Herr Direktor Hasemann das Aufführungsrecht de» Stückes sür Lübeck erworben. He« Hildebrandt ist gegenwärtig Redakteur des Leipziger TageS-Anzeiger». und beordert« diesen zum Direktor — einen Umstand, den ich inner lich so arrogant war, zu meinen Gunsten zu deuten. In wenig Augenblicken kehrte der Oberanfseher zurück, setzte sich an feinen Schreibtisch, schlug einen mächtigen Folianten auf — ich wurde eingetragen. Dann wurden sämmtliche Sachen, die ich am Leibe trug und bet mir führte, uotirt und au» den Tiefen meiner Laschen, die ich entleeren mußte, zog ich eine Zigarre und ein Porte monnaie hervor, beide» auf den Tisch des Hause» niederlegend. Das Portemonnaie wurde zwar einer Spezialvifitation unterworfen, aber trotz gründlichen Suchen- nur der bekannte eine Pfennig darin gefunden, ohne den man, einem wenig geschmackvollen Volkssprichwort zufolge, vorsichtigerweise nicht auSgehen soll. Al- Alle» da» geschehen war, bestätigte ich die Richtigkeit der Aufnahme durch meine Namen-unter schrift und gleich darauf bemerkte ich, daß die Blicke meine» unifor mirten Gegenüber lebhafter an meiner Physiognomie und Erscheinung hafteten — mein Signalement wurde ausgenommen, um für alle Fälle gedeckt zu sein. Nachdem ich so da» genügende Material zu meiner Biographie geliefert hatte, sagte mau mir, daß ich mich nun noch einer Prozedur zu unterziehen Hab«, die mir leider nicht erspart wer den könne und übergab mich einem neuen Begleiter, der, wie alle seine Vorgänger mit dem bereits erwähnten mächtigen Schlüsselbund ausgrstattet war. Wa» ich an Kleidern und Wäscht bei mir führte, konnte ich gleich mit mir nehmen, dagegen mußte ich Bücher und Manuskripte vorläufig zurücklassen, da über deren Zulässigkeit eine Spezialzensur vorerst noch stattzufinden batte. Mein neuer Begleiter führte mich in da» Souterrain hinab — einen langen dunkeln Gang ging e» hinunter, in dem verschiedene Sträflinge, die mit Handarbeit beschäftigt wurden, mir begegneten und hier schenkte ich auch der „Uniform des Hause»" einen Blick, umsomehr, al» ich persönlich damit verschont blieb. Wieder raffelte der Schlüsselbund, eine Thür wurde aufgesperrt, die in einen Raum führte, in welchem nebeneinander drei feuerfeste und diebessichere Badezellen solidester Eisenkonstruktion und von einem starken Eisendrahtnetz überdacht sich befanden. Die erste wurde mir geöffnet und ich dann mit der Weisung hineingesperrt, der Dinge zu harren, die da kommen würden. Von der Badezelle aus sah man durch ein kleines vergittertes Fenster in einen Materialhof de» Gefängnisses hinein und während ich hinausschaute, trat von Außen eine neue Auffehergestalt mir ent- gegen, mich aufmerksam betrachtend. Doch gleich darauf verschwand sie auch wieder und wenige Minuten später, nachdem ein Schlüssel den Badekerker geöffnet, stand der Betrachter vor mir. — Wie lange haben Sie denn? fragte er mit einem Gesicht, das „Amtsmiene" zum Ausdruck brachte. — Zwei Monatei erwiderte ich lakonisch. — So — entgegnet« er — weshalb denn? — — Prcßvergehcn I — Sie sind Redakteur? — Zu dienen! Damit schien unsere Unterhaltung zu Ende, doch, nach einem kurzen Umblicke in der Zell« fuhr er fort: Na, denn ziehen Sie sich einmal au»! Da ist beizubringen. Zudem auch haben wir in Sachsen nur 3 Anstalten dieser modernen Einrichtung, Dresden, Leipzig und Chemnitz, und in diesen finden nur diejenigen Strafgesetzbuchsverletzer Unterkunft, denen bi» zu 5 bezw. 6 Monaten Gefängniß zuerkaunt find — den übrig» sichert Zwickau und Waldhrim eia ohne Zweifel weit freudlosere» Asyl. Doch — die» nur nebenbei. Auch die moderne Zelle hat ihre Schreckt»- die ewige Monotonie de» Dasein», zu dem st« verurtheilt, drückt ihren Bewohner schwer und umso stärker, als da» Gefühl der Schuld, iu vielen Fällen auch die Sorge um die Angehörigen und um die eigne Zukunft auf dem Verurtheilten lastet, je mehr er Hang für Melancholie besitzt. Und trotzdem ist die Jsolirung für den Gefangenen ein Glück. Da. wo diese allenthalben möglich ist, kann man da» Gefängniß eine Besserungsanstalt nennen, während da, wo die Gefangenen mit mehreren verkehren müssen, das gerade Gegeutheil der Fall ist: Da wird da» Gefängniß die hohe Schule de» Verbrecher» sein, gute Vorsätze, wen» überhaupt vorhanden, werden im Keime erstickt werden, der entlassene Dieb oder Betrüger wird raffinirter „an die Arbeit" zurückkehren. Iu der Jsolirzelle dagegen ist er allein, steht Niemand und wird von Niemand gesehen. Freilich sucht auch hier der Einsam« oft di« Unten- Haltung mit seinen Zellennachbarn anzuknüpfeu. Durch Klopfen an den Wänden sucht mau sich zu verständigen, doch da» ist insofern wenig zuverlässig, als einmal de« Nachbar nicht darauf eiogeht, zum andern aber in der Zellenthür ein BeobachtungSfeosterchen sich befindet» durch welches derartige Kouverfationslustige sehr bald festgestrllt und auSquartirt werden. Wa» nach dieser Hinsicht hin den Uebertreter erwartet, läßt ein Plakat ahnen, da» in jeder Zelle hängt. E» lautet: Allgemeine Verhaltungsmaßregeln. Der Gefangene hat sich der Hausordnung und den in dem Gefängnisse bestehenden Vorschriften über die TageSeintheilung und das Berhalten gemäß zu bezeigen, den Anordnungen der Gesängnißbeamten Gehorsam zu leisten und stch gegen andere Personen, welche im Gefängnisse verkehren, achtungs voll zu benehmen. Verboten ist der Verkehr mit anderen Gefangenen oder mit Personen außerhalb de» Gefängnisses, alle Ruhestörung, die Beschädigung oder Verun reinigung der Gefängnißräume und der darin befindlichen Gegenstände- Ungehorsam, Nichtbeachtung der allgemeinen und besonderen Verhaltungs maßregeln, sowie sonstiges ungebührliches Berhalten wird nach Befinde» disziplinarisch durch Entziehung von Begünstigungen, Versitzung in die Ü. DiSziplinarklasse, Entziehung der Arbeit, Entziehung der Arbeitsbelohnung, Entziehung des BeltlqgerS, Schmälerung der Kost, einsame Einsperrung. Anschließen an die Kette oder V körperliche Züchtigung bestraft. — Zur Orientirung will ich bemerken, daß Begünstigungen in der Erlaubniß zum Tragen der eigenen Kleidung, der Selbstbeschäftigung, der eigener. BeWignng bezw. Aufbesserung der Gefänguißkost durch den Bezug von Biktualien u. s. w. gewährt werden können und dit» — nach Befinden der Direktion — denen selten versagt wird, deren Vergehen nicht entehrender Natur oder im Rückfalle begangen ist. .kalt", unds Die Versetzung in die ll. DiSziplinarklasse, in der stch nebenbei ' hier „warm", instruirte er weiter, aus zwei Messinghähne deutend, bemerkt eine sehr große Zahl der Gefangenen befindet, ist zunächst die in eine große Zinkbäbewanue "Kündeten die Sachen legen Sie durch das Hinwrgsallen aller dieser Begünstigungen sodann aber hierher I dabei zeigte er auf einen Holzschemel, der in der Ecke stand, durch erhöhte Arbeitszeit empfindlich. Das ferner vorgesehene gänz- verließ die Zelle und schloß hinter mir zu. i liche Entziehen der Arbeit kommt dem Verluste der einzigen Wohlchat Für den Verehrer von Wasser und Seife gehört ein Bad stets gleich, die da» Gefängniß bietet - wird sie auch zumeist rein zu den Annehmlichkeiten diese- Leben-, ich machte mir da- Bad mechanisch verrichtet, so ist sie doch in der Zeüenernsamkelt da- ein- daher ohne Weiteres zurecht und stieg hinein, nachdem ich meine äige Mittel, über die Zeit, deren Flüchtigkeit hier nicht zum Bewußt- Sachen auf den bewußten Holzschemel plazirt. Kaum auch saß ich kommen will, hinwegzubringen. im Wasser, da raffelte schon wieder der Schlüsselbund — mein Ober- Leider ist eS nicht möglich, Allen die Wohlthat der Jsollrhast dademeister trat herein, brachte mir ein Handtuch und ein Sträfling zuTheil werden zu lasten; die hiesige Gefangenanstalt verfügt zwar — nahm dabei den Schemel mit den Sachen fort, um sie, unter Auf- die Dunkelzellen im Souterrain nicht gerechnet — über die stattliche sicht de- Aufsehers, einer genauen Inspektion nach verbotenen Dingen Anzahl von ca. 120 Jsolir-Zellen, von denen etwa 24 Haft- bezw. zu unterziehen. ' Krankenzellen sind, deren ich an späterer Stelle gedenken werde, und Da ich Kontrebande nicht bei mir führte, so wurden sie mir weitere 40 in dem ein Gebäude für sich darstellenden Flügel bald darauf wieder zurückgegeben und ich konnte mich ankleiden. — 6., in dem die weiblichen Gefangenen unter weiblichem Aufstchts- Rücksällige und Verbrecher gemeiner Gattung sowie „Jnseltenbehaftete" Personal internirt sind. werden hier gleich in die Sträflingskleidung gesteckt, die eigene be- > Die Hauptzahl dieser Zellen ist in der Regel mit Untersuchung», kommen sie erst bei der Entlastung wieder zu sehen. An ihnen gefangenen — oft bi» 100 — belegt, so daß die Jsolirhast den vollzieht auch sogleich der Barbier die Arbeit de» Haar- und Bart-. Strafgefangenen leider nur sehr theilweise zu gute kommen kann, schecrens. — ! Die Strafgefangenen, die de» Tages über nicht auf Außenarbeit Frisch gewaschen nahm mich nun mein Abtheilungsaufseher in sind, müssen zu 30—40 und mehr, je nach dem Gefangenenbestand, Empfang, wir stiegen wieder zum Licht empor, bis in die zweite in Arbeitsstilen untergebracht werden, während sie Nachts in den über Etage. Dann ging» Ke Galerie entlang, bis Nummero 8 erreicht der 2. Etage belegenen Schlafzellen der Schlafsäle Unterkunft finden. Meine Zelle hatte so weit mein Interesse erschöpft und so be gann ich denn die Wände zu studiren. Denke keiner hier etwa an Karzerromantik; da» Recht, diese Wände mit lyrischen und tragischen Ergüssen zu bedecken, hat eben nur der akademische Bürger in seinem Karzer, hier ist — siehe Verhaltungsmaßregeln — dafür gesorgt, daß die weißgetünchte Wand sauber bleibt und zudem wird durch genügend öfteres Tünchen der Wände dafür gesorgt, etwaige Verletzungen «ach dieser Richtung hi» zu verwischen. Indessen, wo Kohle und Bleistift verboten und kaum zu haben sind, tritt die Mefferschärfe oder die eines Fingernagels in ihre Rechte, und so kann man, trotz der lieber» tünchung, vielfach die Spuren eines Kalendariums entdecken. ES ist die erste Sorge der Gefangenen, über die Zeit orientirt zu sein, und ich bin überzeugt, daß jeder dieser Anstaltsbcwohner Tag und Datum jeder Zeit richtig anzugeben vermag — es ist eben dasjenige, da» ihn an» meisten interessirt. Auch ich habe davon keine Ausnahme ge macht, wennschon mir zu dem Zwecke Papier und Tinte diene» mußten, ich habe so^ar von meiner Gefangenzeit die 580 Stunde« abgeschrieben, die ich im Gefängniß schlafend zu verbringen hatte. — Außer diesen „Kalenderspuren" und verschiedenen „Jnitialver- ewigungen", die in der Z-lle zu finden sind, fand ich auch noch «ine Inschrift und ich habe über diesen meiner Vorgänger herzlich lachen müssen. Sein Fingernagel hatte die klassischen Worte: Mensch ärgere Dich nicht! allen Nachfolgern als Trost hinterlassen. DaS war die ganze Ausbeute, die meine Zelle bot. Dagegen begegnet man den „Gedanken eines Gefangenen" öfter in den Büchern der Anstaltsbibliothek, die, meist christlichen Inhalt-, doch — der Ab wechselung halber — ziemlich stark begehrt sind In einem Daheim bande fand ich beispielsweise neben einem von „frischer Luft* han delnden Artikel deS vr. Paul Niemeyer die Bemerkung ckM Ge fangenen „Wichtig für Jsolirgefangene". — Weniger auf da/ Wohl seiner Mitgefangenen al« da« eigene bedacht, muß wohl der Mesen fein, der die innere Deckelseite zu einer Rekapitulation de- Gefängniß- MenüS benutzte. Aber auch — der Gefangenhauslyrik begegnete ich in einem Bande. Der Dichter verrieth da« Erzgebirge — sein« Heimath — in seinem Dialekt. In hochdeutscher, sehr freier Nach empfindung dürfte die Strophe etwa so lauten: Ich sinne hin und sinne her, Doch nirgend find ich Ruhe mehr. Zur Ferne blickend, muß ich weinen — wer. Hier ließ er seine Schlüssel raffeln und ohne seine Handbrwegung adzuwarten, trat ich ein, eine kurze Instruktion folgte und — einen Augenblick später schlug die Thür hinter mir zu — die Schlüssel rasselten wieder, die Sicherheitshaken schlugen in die Eisen — ich war „be sorgt und aufgehoben". H. Meine Zelle. Vier nackte, kable, weißgetünchte Wände, die durch ein kleines stark vergittertes Fenster, zu dem die Sonne zwar hercinscheinen, ich aber nicht hinaussehen kann, erhellt werden — 7 mäßige Schritte lang, 4 Schlitte breit, das ist mein Wohn-, Speise-, Arbeit-- und Empfangszimmer. DaS Mobiliar — vom Kunsthandwerk noch unbe leckt und deshalb wenig „stilvoll", besteht in zwei an der Wand be festigten Holzklappen, die niit Stützen versehen sind und Tisch und Bank darstellen — dem gegenüber, in einen Eisenrahmen eingefaßt, eine Strohmatratze, die nebst 2 wolleneu Decken und einem Betttuch an der Wand hochgeschlagen und mit den Eisen der Umfassung an Eisen in der Wano durch Schrauben befestigt ist, während da» Keil kissen mit snner breiten Fläche darauf steht — links davon ein kleines braun gestrichene» hölzerne» Regal, auf dem rin Trinkglas, Wafser- krug» eine Salzbüchse, Messer und Löffel sich befinden, während das ödere Fach durch ein zinknes Waschbecken, Seife, Kamm, Bürste und dann ein neues Testament, Gesangbuch und Katechismus gefüllt wird — unten eine Hakenleiste, an der ein graues, grobleinencs Handtuch hängt — an einem Nagel im Rahmen der Thür ferner Schuhbürste, Kehrbesen und Kehrblech — schließlich ein hölzerner Spucknapf — das ist die ganze Ausstattung. Aber — wenn schon die innere Ein richtung des Hauses verrieth, daß die- Gefängniß nach den Ansprüchen der modernen Gesundheitspflege eingerichtet, so giebt auch da- in einer Ecke der Zelle sich befindende VVnter vluset nebst den Lustheizungs und Ventilationsleitungen nicht minder wie die jeder Zelle zugeführte Gasleitung und der elektrische Signalapparat den Beweis dafür, daß der Kerker von ehemals mit seiner düster» Romantik zu den über wundenen Dingen gehört. Wer menschliches Elend kennen gelernt hat, wer jene Brutstätten der Epidemien, in denen die Armuth nistet — in denen bis rin Dutzend Menschen eingepfercht zusammenwohnen, ge sehen hat, dem wird e» in solcher Zelle begreiflich, daß Verbrechen begangen werden, um solch' ein lustiges und gesundes Heim zu er ringen. Freilich sieht sich diese Verbrechergaltung in der Regel in ihren Erwartungen getäuscht; denn für derartige Gemplare find aller hand DiSziplinarmittel vorhanden, um ihnen da» Gesicht der Strafe
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