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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.02.1880
- Erscheinungsdatum
- 1880-02-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188002155
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18800215
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18800215
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1880
- Monat1880-02
- Tag1880-02-15
- Monat1880-02
- Jahr1880
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.02.1880
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! Sache», »«. / ivslaed«. ialttiite. aocloks We npreistS. ärveke. roi, nettes. «I. englischen verwendet Stellungen chentlichen Z8 schlietze«. besonders ksam, daß er bei un rein Lei- nehmen in m Waschen r an, lassen eln, da die den beiden näßig ein- nmen eine nere Steife, mwollenem ist. n. Str. 3«, Etage. Erste Seilage M Lchstger Tageblatt und Anzeiger. Sonntag den 15. Februar 1880. 74. Zahrgang. Verein für Erdkunde. Selten hat wohl der Saal deS Kaufmännischen Vereins eine so zahlreiche Versammlung eingeschlossen, als am II. d. M., oder wir dürfen sagen, auszu nehmen versucht, denn trotz der völlig defekten Ga lerien verhinderte die sich stetig mehrende Zuschauer zahl für geraume Zeit das Schließen der Eingangs- thüren. Wenn aber eine größere Anzahl sich ge zwungen sah, den ersten Vortrag stehend anzudören, so lag das nickt sowohl an den mangelnden S'tzen, sondern vielmehr an dem späteren Komme» der Be treffenden, welche, ihren Eintritt durch die Mittel- thüre, statt durch die in solchen Fällen zu empfehlen den Seitenthüren suchend, die hier und dort noch leerstehenden Plätze nickt zu finden vermochten. Einige Reiben von Sitzen mehr wären aber jedenfalls er wünscht gewesen -, genügender Raum dafür war ja immer noch vorhanden. Nachdem der Vorsitzende, Professor Zirkel, die er freuliche Mittheilung gemacht batte, daß die Biblio thek des Vereins in neuen und besseren Lokalitäten in der Brüderstraße untcrgcbracht worden sei, ergriff der Gast des Abends, Herr Hosrath Ger hard Rohlfs, das Wort, um über seine Reise nach der Oase Kuiarah zu berichten. Unsre vor einigen Tagen in diesen Spalten gegebene Skizze hat die Leser dieses Blattes in die Schicksale der von dem berühmten Bfrikaforscker geleiteten Expedition einge führt: daher dürfen wir uns beut darauf beschränken, aus dem lebensvollen, fesselnden Vortrage Einiges berauszugreifen, welches das besondere Interesse zu wecken berechtigt scheint. Wenn frühere Reisende auf der schon öfters be schriebenen Straße verbültnißmäßig wenig Schwierig keiten seitens der Bevölkerung begegneten, so hatte sich dies zur Zeit der gegenwärtigen Expedition völlig geändert. Tie Folgen des russisch-türkischen Krieges, welcher das Zurückziehen der Truppen des Sultans aus diesem Gebiet bedingte, machte sich erst jetzt in den zahlreichen Fehden zwischen einzelnen Stämmen, in der dadurch herbeigesührten Unsicherheit der Straßen bemerkbar. Schon in unmittelbarster Nähe von Sokna, einer der ersten Oasen, welche man be rührte, war ein Kampf zwischen Hon und Sokna ausgebrochen: selbst die Bewohner von Bengbasi waren vor den Ueberfällen räuberischer Suva und Mogharba nicht sicher, ja von Audscbila nach Benghasi zu reisen war für einen Christen mit größter Gefahr verbunden Kr. Stecker sah sich genöthigt, in arabischer Ver kleidung den Weg zu macken und Rohlfs bedurfte einer Escortc des Scheick-el-bled von Benghasi, zehn Schicks der Mogharba, des geheimen Polizeivorstehers des Gouverneurs und acht Zaptichs, um sicher hin durchzukommen. In den Zwillingsoascn Audschila und Djalo wurden die Gemüther durch die Ankunft der Christencarawane aufs Höchste aufgeregt. Beim Durchgeben der Ortschaft wäre Rohlfs auf seinem Wege zum Mudir von der durch die fanatische. Bevölkerung dazu aufgehetzten Jugend nahezu gesteinigt worden; auch erwies fick das Wohl wollen des Mudirs, vor dem die Beglaubigungs schreiben und Empfehlungsbriefe in feierlicher Sitzung verlesen wurden, dem Nebelwollcn der Bevölkerung gegenüber völlig machtlos. Erst bei ihrem zweiten Erscheinen in der Oase, als von höchster Stelle aus eine entschiedene Kundgebung erfolgt war, behandelte man die Reisenden mit geringerer Feindseligkeit. Diese Opposition gegen das Betreten der unwirth licken Gegend war indeß nur ein Vorgeschmack dessen, das das kommen sollte. Und nickt allein der Mensch setzte dem Unternehmen seinen Widerstand entgegen. Die Reise über auS- gedörrtc, vegetationslose Wüstenstrecken mit ihren Sand dünen, ihren steinigen Serirs stellte die Kräfte von Mensch und Thier auf eine gewaltige Probe. In angestrengten Märschen die wasserlosen, sonnver brannten Strecken durchmessend, wurden Roß und Reiter, kräftig beide und gewöhnt an die Strapazen der Wüstenreise, an die verzehrende Dürre und den aufreibenden Wassermangel, zuweilen von plötzlicher Betäubung ergriffen, sie stürzten plötzlich zu Boden, um, sich sofort wieder aufraffend, auf dem mühevollen Wege weiter zu taumeln. Vom Süden her wehten mit versengendem Hauch widerstandslose Orkane und beluden den Körper derart mit Elektricität, daß die Haare sich senkrecht borsten artig erhoben. Zwei naß gemachte Finger, nabe ge bracht, erzeugten elektrische Funken, die auch knisternd aus Kleidern und Decken beim Sckütteln bervor- sprangcn. Mit benäßtem Finger beschrieb Kr. Stecker in der Luft feurige Linien und Sckristzüge, aus der Zeltwand sprangen decimeterlange Funken, starke Windstöße erzeugten unter den Zeltwandungcn hin durch bläuliche, phosphorescirende Wellen. Und in der endlosen, mit kleinen Kieselckcn und grobem Kies überstreuten Fläche, zwischen Sella und Audschila, wo Ebene und Horizont in einander ver schwimmen, wo zur Zeit ein fürchterlicher Sandsturm, ein Samum, bald glühend heiß aus dem Süden, bald kalt au« dem Norden blies, wußte selbst der tüchtige Führer nicht immer die Richtung festzuhalten und mehr als einmal sah sich Rohlfs genöthigt, selber mit dem Compaß den richtigen Weg zu zeigen. Zwischen Sella und Audschila herrscht ein chaotisches Durcheinander. Sobald man den Harudj afsod ver lasten hat, kommt man in ein Eharaschas, ein Labv- rinth von Fclsblöcken. Tie ganze Gegend besteht aus riesigen Kalkzeugen, meist senkrecht aussteigend, die sonderbarsten Formen bildend, welche sich couliffen- artig hintereinander schiebend und deckend aus der Entfernung den Eindruck macken, als ob man es mit einer ununterbrochenen Wand zu thun habe. Von solchen mehr oder minder hohen Zeugen umgeben zeigte sich die unter 28" 30' n. Br. und 18" 30^ östl. L. von Paris von Rohlfs ausgesuchte, nickt unbedeutende Lase, Bu Naim genannt, welche vorher überhaupt noch nickt bekannt war. Endlich gelangte man nach Kufara, einer Oase, die sich dadurch wesentlich von den übrigen unterscheidet, daß sie keine Einsenkung bildet, daß sie nicht aus ein zelnen verstreuten Eulturstcllen besteht, sondern einen einzigen zusammenhängenden cultivirbaren Boden bildet. Unter der Oberfläche trifft man überall auf süßes Wasser. Woher dieser unterirdische reichliche Waff'erzufluß kommt, wagte der Vortragende nicht zu entscheiden Man findet das Wasser hier wie in allen andern Oasen, bald mehr, bald weniger tief. Selbst am Mittelmeerstrande stößt man in einer Tiefe von 1—2 Fuß auf süßes Wasser. Zuweilen enthält das Wasser wohl Salz, zuweilen Kalk, die Temperatur wird durch die Lust bedingt. Tie drei Ortschaften der Oase: Taiserbo, Buseima mit reizendem, tiefblauem See, und Boema besitzen mehr als eine Million von Palmenbäumen und mehr als 100,000 junge Stämme sind angepflanzt. Um diese Dattelbüschc schlagen die Angehörigen der noma- disirenden Stämme ihr Lager auf, das sie mit der wandernden Sonne verändern, immer den kühlen Schatten suchend. Wie man in dem reizenden Ain Sckerscbara Denk mäler der römischen Herrschaft: zerfallene Castelle, Mausoleen, großartige Ruinenfelder, gefunden hatte, so traf man auch hier in Kufara die Trümmer von Wohnplätzen einer untergegangencn Bevölkerung, lieber 100 Dörfer müssen hier früher gestanden haben, vermuthlich die Wohnsitze der Garamanten, des süd lichsten Volkes Afrikas, das die Alten kannten. Hier fand die Expedition ihr plötzliches, gewalt sames Ende. Es war nicht die Erbitterung über die Zurückhaltung von drei Scheichs in Benghasi als Geißeln für die Sicherheit der Reisenden, welche zu der Katastrophe führte. Tenn eine solche Sicherstel lung ist in Afrika etwas Gewöhnliches. Auch würden dieselben auf eine von Rohlfs abgesandte Nachricht, seine glückliche Ankunft in Kufara anzeigend, sofort in Freiheit gesetzt worden sein. Aber die Boten, welche abgeschickt werden sollten und für deren Ab fertigung Rohlfs eine beträchtliche Summe erlegte, wurden nicht abgesandt. Alles Das war nur Vor wand, man wollte den Reisenden berauben, und man wollte ihn auch, um sich zu sichern, mundtodt machen, man wollte ihn ermorden. Es kümmerte den Scheich Bubekr wenig, daß ihm Rohlfs verstellte, er werde sich nie wieder in Benghasi zeigen können; er beab sichtige das auch nickt, war seine Antwort, er werde seine Tage im Besitz des Raubes in Sudan zu bringen. Tie Stunde des Neberfalles stand bevor. Es blieb kein Zweifel mehr, daß cs auf das Leben des Führers der Expedition, vielleicht noch Mehrerer abgesehen war. Ta empfing Rohlfs von einem anderen Scheich die Botschaft, er möge sich ohne Säumen zu ihm, in seinen Schutz begeben. Es war möglich, daß hier Vcrrath im Spiele war, daß ihm auch Jener nach dem Leben trachtete. Aber dann war seine Lage keine schlimmere, dic Möglichkeit der Rettung war vorhanden, der Versuch mußte gemacht werden. In der Stille der Nacht sandte Rohlfs seine Be gleiter voran zur veral^edeten Stelle, sorgfältig mußten die Schritte gezählt werden, damit sie nicht über schritten werde, er folgte zuletzt. Und als nun die Mörder, welche ihr Opfer im tiefsten Schlafe glaubten, in das Zelt drangen und fick betrogen sahen, da zerstörten sie in ohnmächtiger Wuth Alles, was sich ihnen darbot. Diese Wuth steigerte sich noch mehr duxch die Entdeckung, daß die Summe, in deren Be sitz man dje Expedition wähnte, viel zu hoch geschätzt war. Freilich Hätte das tägliche Auf- und Abladen der Geldkiste belehren sollen, daß das Gewicht einen weit geringeren Werth repräsentiren mußte. Aber noch war der Kampf ums Leben nicht be endet. Bubekr scheute sich nickt, einen Preis auf Rohlfs' Kopf zu setzen! Hundert Bu-Tir (Maria Theresia-Thaler) bot er Dem, der sich zu seinem Mör der hergeben wollte. Und täglich suchte er durch auf reizende Reden seine Genossen aufzustacheln. Hier haranguirte Bubekr eine Versammlung von Suva, während unfern davon in Hörweite Rohlfs für seine eigene Sacke plaidirte. Endlich sahen die Meisten das Gefährliche ihres Unterfangens ein und bald wurde wenigstens ein Theil der geraubten Sachen zurück gestellt, die meisten freilich in traurigem Zustande. Bubekr aber gall von seinem Raube nichts heraus. Indeß darf aus eine Genugthuung und Entschädigung seitens der Behörden wohl mit Sicherheit gerechnet werden. So endete die mit vielen Hoffnungen begonnene Expedition, schon ehe sie zu dem Puncte gelangt war, bei dem erst ihre eigentliche Ausgabe beginnen sollte. Dennoch dürfen wir als ein nicht unwichtiges Resul tat verzeichnen, daß mit der Erforschung der Lase Kufara unsre Kenntnis; der Libvscben Wüste so ver vollständigt worden ist, daß hier wohl nichts mehr zu thun bleibt. Ties in gedrängter Kürze der Inhalt des im hoben Grade anziehenden Vortrages unseres muthigen Lands mannes, dessen Kraft durch die Entbehrungen und Mühen, die stetigen Sorgen und drohenden Gefahren keine Einbuße erlitten zu haben scheint, so frisch war sein Auftreten in unserer Mitte, so daß wir uns zu der Hoffnung berechtigt glauben, er möge seine erprobte Kraft der Erschließung Afrikas auch ferner und, wünschen wir, mit besserem Glücke widmen. Den zweiten Theil des Abends füllte der Vortrag des Herrn Landschaftsmaler Lindner über Nieder- dcutschland und dic deutsche Nordseeküste. Ter Redner suchte zunächst die falsche Anschauung zu widerlegen, nach welcher Norddeutschland allgemein als das Gebiet gilt, welches unter allen Tlleilen unseres Vaterlandes die wenigsten landschaftlichen Reize ausweist. Ties ist ein Irrthum, entspringend aus der geringen Kenntniß, welche der Bewohner der mitteldeutschen und oberdeutschen Gegenden von jenen Norddcutschlaiids besitzt. Ter Unterschied zwischen Nieder und Oberdeutscb- land hinsichtlich des landwirthschaftlicben Charakters ist ein sehr großer. Weit entfernt, eine tobte Ein förmigkeit zu bieten, ist Norddeutschland vielmehr das Land der landschaftlichen Contraste; un mittelbar neben der grünen Marsch die graue See und neben den hellgelben Sanddünen der schwarze Moor. Redner ging dann über zur Schilderung der ein zelnen Gebiete, zunächst zu derjenigen der Watten, welche sich längs unserer Küsten hinziehen und ein ganz eigenartiges Landschaftsbild darbieten; die Luft erscheinungen, darunter die Fatamorgana, die Ge, fahren, welche der Schifffahrt und dem Einzelnen im Watt drohen, die Sturinslutbcn wurden im Einzelnen vorgeführt. Daran schloß sich eine Darstellung der eigenthümlichen, die gesammte Vegetation Nieder deutscblands beherrschenden Einwirkung des Nord West-Windes und der Schutzmittel gegen denselben. Auch von der historischen Seite bieten die Watten großes Interesse, indem wir von ihnen die ältesten Ueberlieferungen besitzen, wie sic kein andrer Theil unseres Vaterlandes aufzuweisen hat. Redner gab hierauf eine ausführliche Darstellung von der Reise deS Pvtheas von Massilia an unsrer Nordseeküste, I sowie über die Römerfahrten und die Seeräuber« I der späteren Zeit. Nach einigen kurzen Bemerkungen über die Scbiff- fabrtszeicben ging Redner zur Darstellung der Marsch über, gab zuerst ein allgemeines Landschaftsbild und hieraus eine Charakteristik der einzelnen Marschen und ihrer Bewohner. Sodann behandelte er dic! Halbinsel, welche von Weser und Elbe gebildet wird und dic muthmaßliche Heimath der Cimllern ist, um zum Schluß eine Charakteristik des alterthümlichen niederdeutschen Hauses, seiner äußeren und inneren Einrichtung zu geben. Vorträge des Herrn Professor v. Lutdaodt im Vereins- Hause sür innere Mission. VI Vor einer, wenn wir nicht irren, beständig im Zunehmen begriffenen Zuhörerschaft fährt Herr Pro fessor Luthardt fort, an den Freiiags Abenden die modernen Weltanschauungen darzustellcn. Am ver gangenen Freitag wandte er sich der zweiten Welt anschauung zu, dem Pantheismus, den er kürzer als den Rationalismus, nämlich im Ganzen in drei Vorträgen, zu entwickeln gedenkt, was durch dic Natur des Gegenstandes bedingt ist, da der Pan theismus mehr aristokratischer Art ist, einen kleineren Kreis von Anhängern hat und ein engeres Gebiet von Fragen umfaßt. Für dieses Mal wurde er ini All gemeinen seinem Wesen nach in anregender Weise besprochen und kritisirt. Der Rationalismus hatte zu einer Flachheit des Denkens und Auflösung aller wahren Bildung und aller objektiven Mächte geführt, so daß die Gesellschaft mit dem größten Verderben bedroht war. Längst schon waren tiefere Geister jener Denkweise innerlich feind. Auf dem Gebiete der Theologie finden wir in den zwanziger und dreißiger Jahren lebhaften Kampf, weil die Ueberzcugung mit größerer Stärke vertreten ward, es gebe eine Offenbarung: auf dem Gebiete dcs allgemeineren Geisteslebens Hallen vor Allem Goethe und Hegel dazu beigetragen, in den höheren Schichten unseres Volkes den Rationalismus zu beseitigen. Beide sind Vertreter des Pantheismus, welcher einer seits die Folge des Rationalismus ist, insofern er Gott, den jener ganz äußerlich neben die Welt hatte stellen wollen, als die absolute, Alles durchdringende Macht in die Welt hereinzuziehen sich gedrungen fühlte, und andererseits der Gegensatz dazu. Denn der Rationalismus hatte in seiner abstracten Weise den Einzelnen losgelöst von den geschichtlichen Mächten, vom Ganzen und Allgemeinen. Der Pan theismus dagegen ging den umgekehrten Weg: das Ganze ist ihm das Erste, es ist vordem Einzelnen, das Einzelne nur durch das Ganze: Es ist in der That oberflächlich, vom Einzelnen ausgehend za mei nen, die Gesammtheit sei nur die Summe des Ein »einen, der Staat llie Summe der Bürger, die Kirche oie Summe ihrer einzelnen Altäre Ter Einzelne ist nichts ohne das Ganze: wir sind Bürger durch den Staat, Glieder der Kirche durch die Kirche; dic Ge sammtheit, das Allgemeine war vor uns da, bestimmt und bedingt uns. Welches ist nun aber nach dem Pantheismus das über dem Einzelnen stehende höchste Allgemeine ' Tie Vernunft des Einzelnen, wie der Rationalismus meinte, sicherlich nicht, sondern die absolute allgemeine, olljcctive Vernunft, d. i. Gott, nickt der Gott der Theologen und der Christen, viel mehr das allgemeine Sein in allem Seienden, das allgemeine Lellen. die allgemeine Seele, dic allent halben gegenwärtig ist, der unendliche Geist, in dem Alles lebt und webt, jener geheimnißvollc Hinter grund von Allem, das Alles verbindende Band, die unendliche Vernunft, dic in Allem denkt, was denkt. Wir können ihm nickt entfliehen: seine Er scheinnng ist die Welt; es ist dic Wahrheit, die Allem zu Grunde liegt. Wir müssen gestehen, daß diese Anschauung, in Allem Gott zu sehe», hockpoctisch ist, von mächtigem Eindruck, befriedigend für Gemüth und Gedanken. Sie lag der Naturphilosophie Schclling's zu Grunde: sie begeisterte Goethe in seinen Forschungen, sie führte uns über die philiströse Geschichtsbetrachtung des Rationalismus hinaus zu einer idealeren Auffassung von Natur und Kunst und Geschickte, indem sie dic Einheit alles natürlichen Seins und Lebens, die Höhere Logik der Tinge glauben, beachten und nach Möglichkeit studiren lehrte. An diese Anerkennung der Wahrheit im Pantheis mus muß sich jedoch alsbald dic Kritik schließen. Wir sind allerdings in hohem Grade abhängig von den Mächten außer uns, von dem Zusammen hang der Dinge, von unsrer angebornen Natur und unsren früheren Tkaten; wie wir nicht unsre eignen Schöpfer sind, so machen wir auch nickt die Weltgeschichte: auch die Helden der Geschichte sind viel mehr abhängig vom Strom der Geschichte, als sie ihn bestimmen. Es sitzt eine höhere Macht am Webstuhl der Geschickte. Aher das ist nur die eine Seite der Wahrheit. Auf der andern Seite giebt es ein Gebiet der Selbstbestimmung, in das keine höhere Macht eingreist; es giebt Verantwortlich keit, cs giebt Schuld; wir sind nicht blos Thcile der Welt, sondern sittliche Persönlichkeiten, von Gott selbst mit der Bestimmung zu ibm angelegt, damit wir nickt blos von der Welt seien. So giebt es Nothwendigkcit und doch andrerseits Freiheit, sittlicher Art. Ob wir das in unserem Denken vereinigen können, darauf kommt cs nicht an; Menschen werden das wunder same Gewebe von Abhängigkeit und Freiheit nie ent wirren können; aber so lange Verantwortlichkeit und Sckuld Tbatsacben unsres inneren Lebens sind, werden sie Zeugnis; davon ablegen, daß der Pantheismus in seiner Einseitigkeit irrt, indem er die Persönlichkeit des Menschen verkennt. Damit bängt der zweite Irrthum zusammen: auch Gottes Persönlichkeit wird verkannt. In allen menschlichen Verhältnissen entscheidet das Persönliche: Tic Stellung des Herzens, das Vertrauen, Glaube und Liebe. Zu dem unversönlichen Allgemeinen können wir keine solche Stellung einnehmen, nicht Ich und Du ibm gegenüber sagen. Man zieht Gott nickt in die Welt hinein, wenn man an ihn als allmäch tigen Schöpfer und Erhalter derselben glaubt; dagegen denkt man zu gering von ihm, wenn man die von ihm ausgehenden Wirkungen für Gott selbst hält, von dem und durch den und zu dem Alles ist, der aber nickt selbst Alles sein muß. Drittens würdigt der Pantheismus nicht dic Sünde, und das ist seine Achillesferse. Ihm ist natürlich Alles Erzeugniß göttlicher Nolhwendigkeit; auch die Sünde wird mit in Gott selbst hineingezogen. Sie ist der Schatten dcs Licktes, eine nolhwendigeDurchgangSstufe, auf die man etwa später heiter lächelnd zurücklllickt. Gegen eine,solche Auffassung muß sich jedes unbefangene Gemüth sträuben. Sünde ist der Widerspruch gegen das Gute, der Gegensatz zu Gott, nickt aber Gottes eigene That, nickt blos ein Mangel, nickt Nothwendigkcit. Wir rechnen sie uns selbst als Schuld zu, blicken auf sie zurück mit Reue und Schmerz, und wenn Spinoza die Reue für eine Tborheit erklärt, so erkennt sie da gegen jedes sittliche Bewußtsein für die sittlichste That des sündigen Menschen. Hierauf wandte sich der Vortrag zu einer Schilde rung der zwei verschiedenen Hauptformen des Pan theismus. Dic erste sagt: jenes Unendliche ist der ruhende Hintergrund aller veränderlichen Dinge, das ewig unveränderliche Sein, das nirgends wird. Das ist dic orientalische Form, durch Spinoza bei uns ein heimisch geworden, durch Goethe in seiner Weise weit verbreitet. Natur ist ihr Hauptscblagwort, nicht im Sinne Rousseau's, sondern in dem Sinne des ge- heimnibvollen allen Dingen zu Grunde Liegenden, das man nie ergründen, dem man aber still und hingebend nackgehen kann. Diese Form eignete sich für ruhige und beschauliche Naturen. Denen aber, die sich zu thätigem Eingreifen berufen fühlten, sagte die andere Forni mehr zu. Nach dieser ist das Unendliche der Strom, der Wechsel, das Werden, das nirgends ist, der Proceß. Das ist die abend ländische Form, die durch Hegel vorzugsweise einfluß reich geworden ist; Geist ist ihr Stichwort. Die erste Form ist religiös gestimmt. Dem unendlichen Sein gegenüber ziemt uns nichts als Hingabe, Gefühl der Abhängigkeit. Ta wird die Religion zum bloßen Gefühl; ihr Bekenntnis; ist Faust's: „Wer mag ihn nennen" u. s w. Die Religion ist demnach ästhetisch, nicht ethisch bestimmt; sic steht aus einer Linie mit der Musik: Kirckcubesuch ist Genuß. Wenn aber die Religion nickt Sache des Willens und Gewissens ist, hat sie keine Kraft: kein Handeln, nur Unterwerfung hringt sie hervor, und wenn ein ganzes Volk daraus angewiesen ist, muß es zu Grunde gehen. Die zweite Form ist tbatkräftig. Sie erklärt den Staat für die irdische Erscheinung dcs Absoluten und legt ihm dem zufolge die Eigenschaften des Höchsten bei, ihn für „omnipotent", für allmächtig erklärend. Das ist der althcidnischc Staatsbegriff; denn in der alten Welt war dic Religion Sache des Staates, über dem es keine höhere Instanz gab. lind doch finden wir dort den Conflict zwischen Antigone und Kreon, denselben Conflict, den die Christen durchsechten mußten im Kamps gerade mit den besten römischen Kaisern, an dem das römische Reick zu Grunde ging und der mit der Gründung christlicher Staaten in der reckten Weise dahin gelöst wurde, daß es einen Unterschied »wischen staatlichen und religiösen Mächten u»d Ge bieten gebe; jener Pantheismus aber hat ihn wieder heransbesckworen, indem er dic Kirche zum Staats institut macken will. Hieran wird sich der nächste Vortrag anscblicßen, dessen Thema ist: Der omnipotente Staat und die omnipotente Kirche. Die Armenpflege des Vereinshauses Roszstraszc ft. Mitthcilungcn aus dem 2. Jahresbericht von Direktor l'. Zinßer. Es sind zwei Jahre ernster, reich gesegneter Arbeit, die wir durch Gottes Gnade in der Armendiakonie durchlebt haben. Durch Wort und Schrift wurde wiederholt darauf hingcwiesen, wie die große Aufgabe, welche der Armenpflege in der gegenwärtigen Zeit gestellt ist, am wirksamsten durch berufsmäßige Armenpflege gelöst werden könne. Je mehr die Massenarmuth zuuimmt und dic private Armenpflege nickt mehr im Stande ist, alle Uebelstände gründlich zu erforschen und die zu versorgenden Familien fort während im Auge zu behalten, um so dringender wurde es uns nahe gelegt, durch Anstellung von Be- russ^flegern der so reichen Privatwohlthätigkeit unse rer Stadt und der öffentlichen Armenpflege helfend und fördernd zur Seite zu treten. In Folge unserer persönlichen Anregung sind uns bis heute aus allen Ständen und verschiedenen Kon fessionen nahe an 200 Familien bcigetreten, dic ihre Theiluahme der neuen Institution zuwenden, für die Armen und zum Gehalt der Armcnbclfer beitragen. Unser Armcnhelser, die also die Armenpflege als Lebensberus betreiben, sollen ihre ganze Zeit von früh bis Abends, alle ihre Kraft dem Dienst an den Armen ohne Unterschied der Confessio» widmen. Es soll ihre Aufgabe sein, den Nolhstand in seiner vollen Gestalt, in seinen Ursachen zu ergründen und die angemessensten Hülfsmittel auszusinncn und zu beschaffen, aber auch für die rechte Anwendung zu sorgen. Sie haben die Leute nach augenblicklicher Hülfeleistung zur Selbsthülfe, d. h. dazu anzulciten, wie sie der fremden Hülfe entbehren und sich mit eige ner Arbeit durchbringen können. Tic wohlthätigcn Familien sollen Gewißheit empfangen, daß ihre Ga llen an die rechten Leute kommen und der reckte Ge brauch davon gemacht wird. Dic Verwendung der selben wird beständig überwacht und geleitet. Nickt ohne festen Plan und Zusammenhang, wie vielfach geschieht, sondern nach dem Plan einer folgerechten auf Erziehung angelegten Pflege will die Armendiakonie ihr schweres Werk ausrichten. Als ersten Armenhelfer haben wir am 15. Novem ber 1877 Herrn G. Schönemann, den früheren Hausvater unserer Herberge zur Hcimatb, angestellt. Durch denselben sind im Laufe des ersten Winters über 500 arme Familien besucht worden. Die Ar- lleitskraft eines Mannes konnte nicht ausrcicken, im mer neue Anmeldungen forderten dringend die Ver mehrung der Hülfskräftc. Bereits am 1. Mai 1878 konnten wir in das wachsende Arbeitsgebiet Herrn I. Koop, den früheren Hausverwalter unseres Vereinshauses, als zweiten Armenhelfcr senden. Eine weitere Hülse haben wir durch dic Berufung einer Diakonissin m Anspruch genommen. Es traten uns nämlich in unserer Pflegcarbeit fortwährend
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