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Das Schiff
- Bandzählung
- 1930
- Erscheinungsdatum
- 1930
- Sprache
- German
- Signatur
- Z. 4. 6055-27.1930
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-193000009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19300000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19300000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Bemerkung
- Ohne Heft 2
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 8, August
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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vom Strom übriggeblieben war. Unter kernigen Flüchen ruderten die Matrosen zur Stadt. Der Revolutionsausschuß erklärte die restlose Mobilisierung und die Beschlagnahme aller Hacken und Schaufeln. An die Einberufung der Kosaken traute sich der Revolutionsausschuß jedoch auch jetzt nicht heran. In großer Unordnung gingen Abteilungen ans Flußufer ab, um den Kanal zu graben und den Dampfer dadurch flott zu machen. Der Regen stäubte, der graue Himmel hing so tief herab, als wölbe er sich nicht über dem hellen, leuchtenden Turkestan, sondern als wälzte er sich über trüben russischen Sümpfen, ln der Druckerei war es kalt,die Schrift klebte zusammen, denn es war nichts vorhanden, um sie abzmvaschen, weder Terpentin noch Petroleum. Die Farbe war eingetrocknet, die Walzen rollten über den Satz, ohne daß etwas haftenblieb. Die Arbeiter waren mit ausmarschiert, den Kanal zu graben, nur Iwan Semjonytsch und Mischka waren zurückgeblieben. Nach wie vor schritt Iwan Semjonytsch rüstig zwischen den Setz kasten auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt, hustete und grämte sich, daß niemand da war, dem er die schönen Geschichten, die ihm durch den Kopf gingen, erzählen konnte. Mischka hatte sich, um nicht zum Schippen gehen zu müssen, einen Nagel in den Fuß eingetreten, hinkte, war tücksch und schnitt schmale Papierstreifen, mit denen er kreuzweise die Fenster beklebte: beim voraussichtlichen Bombardement würden sie dann nicht platzen. Fwan Semjonytsch ging unentwegt auf und ab. Maschenka, die ihm die Kartoffeln zum Mittagessen bringen sollte, blieb recht lange aus. Er sah durch die Fenster und meinte, daß sie schon längst gewaschen werden müßten, vor Dreck wären sie undurchsichtig. Mischka bleckte die Zähne: was man bei dem Regen noch waschen sollte — außerdem sei das Vormittagsarbeit. Mit einemmal schmiß er die ganzen Papierstreifen zu Boden und zeterte los. Der üppige Vorrat an Schimpfwörtern, den er in den Jahren der großen Revolutionen und Kriege angesammelt hatte, wälzte sich von seinen Lippen. Er rieb sich den Mund, die Hand war lang und feucht. Der Alte blickte unbekümmert seitwärts durch die Fenster, die vor seinen Augen verschwammen. Er wartete auf seine Tochter. Da schrie ihm Mischka die Wahrheit über die Tochter ins Gesicht und begriff dabei selbst: wenn der Alte in seiner Blindheit über haupt noch verwundbar war, so würde er es jetzt einem Mischka bestimmt nicht zeigen. Genau so war’s. Er sagte, daß Mischka die Tochter verleumde, das Mädchen sei treu und anständig. Woher Mischka allein seine Weisheit habe, wo doch die ganze Stadt so etwas wissen müßte. Der Alte sprach sogar mit erhobener, fröhlicher Stimme. Mischka schickte sich eben an, ihm eine besonders schwere Beleidigung in die Ohren zu schreien, als in der Tür der Druckerei der Kriegskommissar Tulumbajew erschien. Tulumbajew, ein buckliger, energischer Mann, mit einem Über schwang an Redefreudigkeit begabt, bat noch in der Tür ums Wort. Mischka nahm seine Bitte als Ironie auf und verzog sich beleidigt hinter die Maschine. Der Kriegskommissar hielt ein sauber beschriebenes Blatt Papier in der Hand. Er erklärte, den erhaltenen Nachrichten zufolge griffen die Baßmatschen und die atamanische Horde unter dem Kommando des Generals Kaschimirow die Stadt von der Wüstenseite an. In zwei Stun den müßten sie die Schützengräben erreichen. Der Kriegskom missar rufe der Buchdruckerschaft zu: In euren Händen liegt das Schicksal der Stadt! In den Kosakenklub sei eine Versammlung einberufen worden; doch die Kosaken kämen nicht, wenn nicht sofort in der ganzen Stadt Aufrufe mit einem Telegramm aus der Hauptstadt angeklebt würden, wonach Kosaken und Turk menen in ihren Rechten auf Wiesenland und Heumahd gleich zustellen seien. (Ein solches Telegramm war nicht eingetroffen, der Kriegskommissar hatte es erfunden!) Nun könne man aber die Arbeiter vom Ufer nicht mehr zurückholen. Man hätte auch niemanden hinzuschicken — es gelte jetzt nicht zu reden, son dern zu handeln! Die Kosaken fürchteten eine Falle, sie fürch teten, daß man sie mitten aus der Versammlung heraus verhafte. Tulumbajew sah aufseine Uhr, er hatte fünf Minuten gesprochen, und das schien ihm ausreichend. Er überreichte dem Alten das Manuskript des Aufrufs. »Wann kann man die gedruckten Exemplare abholen ?« fragte er. Und der Alte erwiderte: »In dreiviertel Stunden.« Der Kriegskommissar drückte ihm die Hand, berührte flüchtig den Mützenrand und verließ mit zur Schau getragener militäri scher Strammheit die Druckerei. Der Sprühregen stäubte noch immer gegen die Fenster, es war still, doch in der Stadt begann bereits der Unfug: man wußte nicht, wohin mit den Maschinen gewehren, sollte man sie vor dem Gebäude des Vollzugsaus schusses aufstellen oder hinaus in die Schützengräben bringen. Quer über die Straßen wurde Stacheldraht gespannt. Die bucklige Maschenka lag bei einem Soldaten auf der Wachtstube, unweit vom »Städtischen Museum der Geographischen Gesellschaft«. Aus dem Museum wurde eine altertümliche Kanone geschleppt. Ein Gedanke kam Maschenka. Sie schlug vor, die Kanone mit den überflüssigen alten Buchstaben zu laden, die seit der Revo lution aus dem russischen Alphabet gestrichen worden waren. Wie hatte derVater diesen bleiernenÜberbleibseln nachgetrauert, er brauchte solche Schnörkel im Leben. Niemand verstand, was Maschenka wollte, man lud die Kanone mit Nägeln. Die Straßen bedeckten sich mit Glasscherben, hingeworfene Stühle ersetzten naiven Gemütern die Barrikaden, vor denen eine Reiterattacke scheuen sollte. Iwan Semjonytsch stand da, das Manuskript in der Hand. Vor sich sah er eine feste, graue Leinwand mit ebenmäßigen Linien darauf. Der Hals schmerzte ihm, er wußte nicht woher, in den Schläfen stach es so scharf, daßerdenKopf kaum wenden konnte. Mischka, durch seinen übelriechenden Atem bemerkbar, zappelte vor ihm hin und her und stampfte boshaft — sein Gekreisch war ihm wohl selbst schon fürchterlich — mit den Absätzen. Er erklärte, daß er gar keine Lust habe, sich wegen so eines alten Gauners, der sich als Setzer aufspiele, ohne setzen zu können, wegen eines lumpigen Bettlers, erschießen zu lassen. Jetzt büße er dafür, daß man ihn nicht rechtzeitig das Setzen habe erlernen lassen. Fauchend vor Bosheit packte er Iwan Semjonytsch am Arm, der so lang und unsäglich schwer herunterhing. Mischka führte den Alten zum Setzkasten, lief auf die andere Seite hin über, stützte sich mit den Ellenbogen auf den farbebeschmierten Rand und heulte wieder los: »Erschießen wird man mich, umbringen wird man mich deinet wegen, altes Aas! Die eigenen Leute erschießen mich! Willst du endlich setzen!« Das Papier knisterte trocken, die Zeilen erstarrten und ver schwammen. Plötzlich erinnerte sich Iwan Semjonytsch, daß Fischsuppe vom Barsch sein Lieblingsgericht war, oder in Salz wasser gekochte Kartoffeln, und daß er früher weiße Semmeln so gern gegessen hatte. Er erinnerte sich, daß seine verstorbene Frau kurz vor ihrem Tode ihn traurig angesehen und gesagt hatte: »Du bist ganz wie eine Bremse, Iwan Semjonytsch, fliegst wie ein Vogel und brummst wie ein Ochs.« Dabei waren ihr die Tränen aus den Augen gekullert. Iwan Semjonytsch hatte sich damals über die Tränen gewundert, er hatte es sich so erklärt, daß die Alte ungern starb, daß sie vom Leben nicht scheiden wollte. Jetzt, wo er das Manuskript in den Händen hielt, dessen Zeilen er nicht entziffern konnte, begriff er, wie er sich selbst viele Jahre hindurch betrog und die anderen ihn aus Mitleid mit betrogen. Er begriff viele Gespräche, er begriff, warum immer so wenig zu setzen war, und warum die Setzer jedesmal sagten, daß nichts mehr zu tun sei, und daß er, Iwan Semjonytsch, ruhig Feierabend machen und gehen könne. Iwan Semjonytsch ging dann, spazierte in der Stadt umher und dachte: das nenn’ ich mir ein angenehmes und würdiges Greisenalter. Und noch eines begriff er: was das für ein klägliches und dreckiges Leben war, wenn man ihn, so einen alten Schwätzer und Prahl hans, weiß Gott wozu, in der Druckerei behielt, seine Arbeit verrichtete, ihn durchfütterte und seine Tochter dazu . . . Und jetzt soll seinetwegen, seiner Unfähigkeit wegen ... In diesem Augenblick erinnerte er sich an seine Tochter, erinnerteer sich, wie oft sie nach Fusel roch . .. sein Herz — wie war es müde, zerschunden . . . Mischka brüllte noch immer: »Setz! Setz!« Seine Schimpfwörter waren unerschöpflich. Iwan Semjonytsch rüttelte verzweifelt am Setzkasten: der dritte von oben mußte es sein. Das ganze Schrankgestell wackelte. Er 247
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