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Das Schiff
- Bandzählung
- 1926
- Erscheinungsdatum
- 1926
- Sprache
- German
- Signatur
- Z. 4. 6055-23.1926
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192600005
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19260000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19260000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 2, Februar
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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als bräche fie hinter ihm zufammen, und blieb erft vor dem Laden flehen, hinter dem die Puppe ihn mit ihren gläfernen Blicken lockte. Ausihrem Lächeln bildete er Geh lauter Worte, die Ge vor Gdi hinflüfterte. Er fah Ge lange an, bis feine Augen brannten. Jeder Tag kreifte neu um diefe heimliche Be gegnung, die er vor Eltern und Freunden forg- fältig verbarg. Tauchte fein Freund Erich plötz lich auf dem Schulwege auf, fo zog er ihn mit verflellter mürrifcher Haft felber von dem Laden fort. In ihm frohlockte es, daß ihm ja die Erfehnte niemals entlaufen konnte,daß Ge immer an der- felben Straßenecke hinter einer gläfernen Tür auf ihn wartete, mit dem Züngeln ihrer roten Locken, mit den immer geöffneten Lippen, den immer fchlaflofen hellen Augen. Eines Tages wideriland er nicht länger. Er trat in den Laden ein. »I laarfdineiden«, fagte er dem Frifeur und fetzte Geh mit einer herrenhaften Gelle im Stuhl zu- redit. Die gemifditen Gerüche der Parfüme maditen den Raum zu einemTreibhaus.Kämme und blitzende Spangen lagen umher. Eine Dame in Schleier und Hut kniflerte didrt an Richard vorüber. Unruhig fah er Geh um. Aber er war zu fdiüchtern, Geh der Puppe zu nähern. Er be- traditete zum erflen Male ihren Rücken, der eine hochmütige Gebärde hatte. »Sie mag mich nidit«, dachte er, einen Augenblick völlig ver wirrt und niedergefchlagen. An demfelben Vormittag erfuhr Richard Lemm inderSdrule,daßfeineVerfetzungin Frage Gand. Aber auch diefe Drohung rüttelte ihn nidit aus feiner krankhaften Verzückung auf. Seine Eltern, die mit tiefer Beforgnis fein verändertes, teil- nahmlofes Wefen beobachteten, hatten alle Mittel der Strenge und Güte fchon erfchöpft. »Uns bleibt nichts übrig,« fagte Herr Lemm, der den Brief des Klaffenlehrers in feiner Fauft zerdrückte, »als dich nach außerhalb zu einem ftrengen Lehrer zu fchicken.« »Bitte nicht! Nur das nicht! Ich will mich zu- fammennehmen,« bat Richard verzweifelt. Die Anglt, Gdi von feinem Götzenbild trennen zu müffen, rührte eine wilde und verbiffene Arbeitswut in ihm auf. Aber fo fehr er Geh auch abmühte, er konnte feine Gedanken nicht mehr fammeln, die in den Schulftunden herrenlos aus- einanderfprengten. Es war an einem der letzten Schultage vor der Verfetzung, als er wieder mit gehetztem Gang die Straße hinunterlief, um ungeftört feine ge- fpenftifdie Sdiöne betrachten zu können. Aber als er vor dem Laden Hand, konnte er einen Schrei nicht unterdrücken. Die Rothaarige im Schaufenfter war verfchwunden. An ihrer Stelle grinfte mit blondem, angeklebtem Scheitel eine andre Wachspuppe ihn an. Oder war es nicht etwa dasfelbe Wefen, deren flammende Perücke nur durch einen fahlen Haarputz erfetzt worden war? Als Richard Lemm dies erkannte, flieg ein fchrecklicher Krampf von feinen Füßen bis zum Herzen auf. Das gleiche Gefleht war es, aus dem er feine erfte Leidenfchaft gezaubert hatte. Aber es war völlig verwandelt, verunftaltet zu einer bäurifch dummen Puppe mit quellenden Glasaugen. Geftorben, fchlimmer als geftorben, zerftört, eine verzerrte Leiche, blickte die ent larvte Geliebte dem Knaben hohnlächelnd in die Augen, die er Geh mit beiden Händen zuhielt. Dann ftürzte er fort. Während das Klingeln auf dem Schulhof in feinem Kopf fchrillte, floh er von der Schule zurück bis zur Eifenbahnbrücke. Als die Dampffetzen ihn umflatterten, hatte er den fchwindligen Wunfch, Geh mit der weißen Rauchwolke von der Brücke fallen zu laffen. Ein Arbeiter ging dicht an ihm vorüber. »Lehne dich nicht fo hinüber, Junge«, fagte er. Da lief er weiter, wie ein Ball an Straßenecken vorbeigefchleudert, bis er auf freiem Feld er mattet in langfamen Schritt Gel. Er fah nicht, daß er Geh auf einem leeren großen Bauplatz befand, der mit den mageren Pfählen der Bäume, feiner ftruppigen Erde und Drahtzäunen ihn wie in einem Irrgarten fefthielt. Als er durch eine Lücke entwich, lief er wieder fchneller, ftunden- lang, um den Wald zu erreichen, wo er Geh mit feinen wunden Gedanken verkroch. Erft am fpäten Abend kehrte er zu feinen töd lich geängftigten Eltern zurück. Das heftige Fie ber, das Richard für Wochen die BeGnnung raubte, fchenkte Ge ihm gleichzeitig wieder. Denn als der Knabe gefundete, war er auch von feiner krankhaften erflen Liebe genefen, hatte die Krife feiner reifenden Jahre vor der Zeit überwunden. Aber Jahre fpäter, als er längft ein Mann war, wurde eine diefer rothaarigen feelenlofenFrauen zu feinem Schickfal, eine von jenen Gefchöpfen, die mit breitem, gemaltem Lächeln und fchil- lernden Blicken, für jeden bereit, hinter den großen Schaufenftern des Lebens locken. Sie war es, die den Heilen Auffchwung feiner Er folge in einer kleinen Schlinge feftband. Auch Ge war nur eine Wadispuppe hinter der gläfer nen Sdieibe; aber er erkannte es nie, konnte Geh nicht losreißen und zerbrach daran.
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