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Das Schiff
- Bandzählung
- 1926
- Erscheinungsdatum
- 1926
- Sprache
- German
- Signatur
- Z. 4. 6055-23.1926
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192600005
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19260000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19260000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 1, Januar
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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turmes von der unGchtbaren Felfenküfte geifter- haft auf. Es war, als brenne ein weißes flammen des Auge und fchicke fein Licht gleißend in die Nacht, um die rechte Straße durch das aufge wühlte Meer zu zeigen. »Nun will ich euch erzählen, warum mir das Zuchthaus prophezeit wurde,« begann plötzlich der junge Bildhauer Jonas. »Es ift auch fo eine Gefchichte wie die deine, Kamerad, Gnnlos, ab- geriffen und fchmutzig, eine Gefchichte, die wie ein verdammter Schatten das ganze Leben neben einem geht und die Urfache für hundert Begeben heiten ift oder wird und Gift in Geh trägt. Meine größte Sehnfucht als Kind war, einmal nicht mehr in Lumpen und geflickten Kleidern umherzulaufen. Ich malte mir aus, wie herrlich das fein müffe, eines Morgens aufzuftehen, auch innerlich ein neuer Menfch, mit einem Lied oder einer Traumerinnerung zu erwachen — es gibt folche Morgen, in denen Geh die Welt unend lich verklärt — alfo aufzuftehen und mit fpitzen Fingern die alten Kleider ins Feuer zu werfen, Gngend dabei, weil eine unbekannte Melodie im Herzen Gngt... Dann ziehft du neue Kleider an. Das Hemd duftet nach Sonne und Wind. Die Schuhe knarren und riechen nach jungen Pfer den. Die Strümpfe fchmeicheln Geh zärtlich um die Füße. Der Anzug macht dich nachdenklich und feierlich, fo fchön ift er. Und immer noch geht dir die Honigmelodie durchs Herz... Hundert mal, taufendmal habe ich mir das ausgedadit, wenn ich im letzten Traume lag und der Tag Gdi entfchleierte. Aber ich bekam nie neue Kleider. Einmal fchickte eine ferne Tante getragne Klei der, die für ihre Kinder zu fehl echt, für uns jedoch noch zu fchön waren. Für mich lag ein Anzug bei, der erfte und fehmerziiehfte meines Lebens. Ich weiß noch, wie ftolz idi an diefemTage zur Schule ging! Der Lehrer—es muß ein verfluchtes Gefetz fein, daß für die Launen eines Lehrers immer ein Kind zu büßen hat — der Lehrer ver höhnte mich. Warum? Weil ich nicht mehr in Lumpen kam. Weil ich einen Anzug hatte. .Jonas, habt ihr geerbt? 4 ,Nein,‘ fagte ich, denn damals las ich fchön in den Arbeiterzeitungen. ,Nein, Herr Lehrer, wir haben nicht geerbt. Aber enterbt Gnd wir. 1 ,Wiefo enterbt? 4 fragte er und machte ein ver dutztes GeGcht. Er wußte ganz gut, was idi meinte. Und weil er’s wußte, blieb ich ftumm. ,Nun, willft du endlich antworten? 4 drohte er. ,Weil war arm Gnd, 4 fagte ich tapfer. ,Und die Armen Gnd die Enterbten auf der Welt. 4 « Jonas fchwieg und fah in das weiße Licht des Leuchtturms. Jetzt noch fehe idi manchmal, wenn ich an jene Nacht denke, fein bleiches, kühles GeGcht. Sehe ihn über und über im blen denden Licht jenes Sdieinwerfers. »Nun?« fragte Scheffel. »Nun, was weiter?« »Das ift alles. Der Lehrer prophezeite mir dar auf das Zuchthaus, weil ich ihm angeblich fo frech geantwortet hatte.« »An der Riviera habe ich alte Männer gefehen«, fpann Scheffel ein neues Gefpräch, »alte Männer, die achtzig und neunzig Jahre alt waren. Mein Vater ftarb vierzigjährig an der Schwindfucht. Vierzehn Jahre alt war ich, als der Vater ftarb. Noch nie hatte ich einen Toten gefehen. Wenn in den alten Märchen und Sagen die Helden ftarben, die Ritter, die Prinzen, die Könige und Kail'er, da hüllten Ge Geh in purpurne Gewän der und verfammelten ihre Knechte und Mägde, fegneten oder verfluditen. Engel ftanden zu ihren Füßen und Gott wartete ihrer in feiner Herrlich keit. Wenn Ge auf dem Schlachtfeld Gelen, ka men die Walküren und trugen Ge in das ewige Licht. Mit Balfam wurden ihre Wunden ge- wafchen. Sie ftanden auf, wandelten und waren unfterblich. Mein Vater ftarb auf dem Bett der armen Leute. Keiner kam, der ihm diente und feine Schmerzen linderte. Ruhelos lag er da, den Tod vor Augen. Uns hatte er fortgefchickt. Einfam wollte er fter- ben, wie ein Tier, das Geh in die dunklen Wälder verkriecht und das Ende heranraufchen hört. Ehe er nun ftarb, blühte er noch einmal auf. Er ging im Zimmer umher, die eingefallene Bruft mit neuem Mut gefüllt. Die Flamme des Lebens brannte mächtig in ihm. Auch fchwärmte er vom Frühling, der ihn ganz gefund machen würde. Von feiner Wanderfchaft erzählte er uns, von feinen Fahrten in das barbarisch fchöne Ruß land hinein, von fterniiberfäten Nächten in der ukrainifchen Steppe, wo das Gras mannshoch wächft und der Duft der wilden Blumen in Ichwe- ren Wolken über die Erde weht. Als aber der Herbft mit den erften Regenfchauern einfetzte, da legte Geh der kranke Mann auf fein hartes Lager und löfchte aus. In der erften Herbftnacht ftarb er. Auch ich bin einmal im Traume geftorben und habe jetzt keine Angft mehr vor dem Tod. Eng und warm faßen wir am rundenTifch in unferm Zimmer, waren verföhnlich und ohne Angft. Im Nebenzimmer fpielte ein Klavier. Die MuGk tropfte in unfre Herzen. Die Lampe war gelöfcht. Nur eine Kerze brannte. An die Fenfter trom melte der Regen. Sturm heulte. Wir hörten ihn
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