Nr. 43. Leipzig, Mittwoch den 20. Februar 1935. IV2. Jahrgang. „Kitt größtem Anteil kabe ick dieses Kuck durctigelelen... von 8ette ru 8ette stärker gefesselt durck das scklicitte wakre Viesen der 8ckreiberin..urteilt -^gnes kliegel über die großer Schreibtisch steht in der Mitte. Zwei große Schränke und einige Stühle vollenden die Einrichtung. Nur die vergitterten Fenster stören das sonst Kasernen- artige dieses Raumes. Niemand ist drinnen. Ich setze mich auf einen Stuhl. Ein traumhafter Zustand überkommt mich. Wozu bin ich hier in später Nachtstunde? Ver worrene Gedanken ziehen mir durch den Kopf. „Ich bin im »Herzen der Sowjetunion'!" sage ich mir. „Ich werde vielleicht gleich Schüsse hören! Vielleicht wird in diesem Augenblick jemand in meiner nächsten Umgebung erschossen!" Dann stehe ich auf und versuche, wach zu werden. Die überspannten Nerven gehorchen mir nicht. Doch ich werde nach und nach so gleichgültig ruhig, als ob ich außerhalb des Lebens stünde. Und in diesem Zustande denke ich, dem das Zimmer jetzt betretenden Manne entgegenschauend: der Tod ist nicht so schrecklich wie das Leben hier? Fürchte dich nicht, Natascha! Was immer dir auch geschehen mag, bleibe tapfer! Ein Mann mit stechenden schwarzen Augen, glatt rasier tem, bleichem Gesicht, in der Uniform der Politischen Po lizei legt beide Ellenbogen auf den Tisch und blickt in ein vor ihm liegendes bedrucktes Vlatt Papier. „Sind Sie Natalja Sergeewna Gorjanowa?" — „Ja!" — „Ihre frühere Klassenzugehörigkeit?" — „Adlig." — „Sie waren als Ingenieur im Werk tätig?" — „Ja!" — „Sie hatten großen privaten Verkehr mit den Ausländern?" — „Ja!" — „Ich möchte mit Ihnen einiges besprechen!" — „Bitte!" — „Uns interessiert nicht so sehr Ihre Tätigkeit, darüber sind wir so ziemlich im Bilde. Uns interessiert, wer außer Ihnen privat mit den Ausländern verkehrte." Er liest etwas und schreibt sich etwas auf. Ich schaue ihn immer wieder an. Der Sprache nach stammt er aus dem Süden. Dem Benehmen und dem Äußeren nach ist er ein früherer kleiner Mann, der sich in die Rolle des Herr schers gefunden hat. Aber er ist ein Russe, dazu der mir vertraut vorkommende Typ des Fanatikers. Ich bezwinge ineine Aufregung und sammle ineine Gedanken. „Ich habe es immer vermieden, in privater ausländisch-russisch gemischter Gesellschaft zu sein", sage ich. — „Wieso?" — „Ja, ich bin doch nicht so dumm, um nicht zu wissen, daß Sie nachher mit Fragen kommen. Jeder bei uns weiß, wie gefährlich der Verkehr mit den Ausländern ist!" Seine offizielle Miene weicht für einen flüchtigen Augen blick einem überraschten Gesichtsausdruck. Doch schon niinmt er sich zusammen. „Machen Sie, bitte, keine Aus flüchte!" sagt er abweisend. — „Es ist keine Ausrede! Wissen Sie nicht, daß alle einfachen Bürger eine riesige Angst vor Euch haben? Ich kenne niemanden außer mir, der es wagte, privat mit den Ausländern zu verkehren." — „War um waren Sie so tapfer?" — „Wozu soll ich mich fürchten? Ich habe nichts Schlechtes getan, und wenn es mir Spaß macht, mit fremden Menschen über belanglose Dinge zu sprechen, warum soll ich es nicht tun?" — „Was sagen denn die Ausländer von unserem Leben?" — „Sie staunen, warum es in einem so reichen Lande nichts zu essen gibt!" Plötzlich befällt mich eine Wut, eine mir schon von früher her bekannte, mich hinreißende Wut. „Mit Lüge und durch List haben Sie mich hierher bestellt!" sage ich uivcl.uu6M-vclrl.N6 6n.v.n. > ociruu uuo ccil»ri6 Börsenblatt f. d. Deutschen Buchhandel. 102. Jahrgang. 96