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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.02.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-02-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950215025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895021502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895021502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-02
- Tag1895-02-15
- Monat1895-02
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D> H»» tz»»pt«rpedttio» oder de» ft» Gfttb» tetzirt «ud dm Vororten «richtete» Nu«. V-oestell», »b-eholt: vierteljährlich ^14.50, »et »vetmelia« täglich« Z» stell»»» t»« L»»»-« -Hl D»rch »t, Post bezogen fit, Deutschland »»d Oesterreich: viertel,üdrlich T.—. Direct» tägliche Krr»-b«uds»»d»»- t>» «^l«d: mmmtlich 7.LL DIe Mvrgr»<Ua»yabe erscheint täglich ^,7 Uhr. di« Lv«ud»Au»gab« Wochentag» S Uhr. Re-acNo« »«- Lrveditto«: Ä»tz»»»e«,aff« 8. VtevwedUi»» tstvoch«,»ag« »nuntttbroche» frNH 8 »l» Abend» 7 Uhr. Filiale«: vtt» ««»»'» Sortim. (Alfred Hahn), Universität-strabe 1. L-ui» Lösche. Rotharinenstr. 14» pari, und KSntgSvlatz 7. Abend-Ausgabe ttWgtrTagtblalt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- un^eschäftsverkehr. 4l«zeige«-Pre*- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamea »nt« dem Redactionssirich (4 g»« spalten) SO/4, vor den Famtliennachrichte» (-gespalten) Größer« Schriften laut unserem Preis verzeichnis- Tabellarischer und Zisfernsntz »ach höhne« Tarif- Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen.AuSqabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^ 70.—. ^mlahmeschluß fSr Anzeize»-. Ubend-Au-gab«: Bormittaa» 10 Uhr. Morgen«Au-gabe: Nachmittag» 4Uhr. Sonn» und Festtags ftüh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je «in« halbe Stunde früh«. Anzeige» sind stet- an di« GgPrditts» z» richte«. Druck und Verlag von E. Pol» ft» Leipzig ^°85. Amtliche Bekanntmachungen. Sekanntmachung. Die diesjährige ordentliche Generalversammlung der Reichsbank. anthrilSeigner (Z 18 des Statuts der Reichsbank vom 21. Mai 1875 — Reichsgesetzblatt Seite 203) wird hierdurch auf Mittwoch, den 6. März d. I., Vormittags II Uhr berufen, um den Verwaltungs bericht nebst der Bilanz und Gewinnberechnung für das Jahr 1804 zu empfangen und die für den Centralausjchuß nöthigen Wahlen oorzunehmen. (8 21 a. a. O.) Zur Theilnahme ist jeder männliche und verfügungsfahige An- theilseigner berechtigt, welcher durch eine spätestens am Tage vor der Generalversammlung im Archiv der Reichsbank, Jägerstrabe Nr. 34/36 Hierselbst, während der Geschästsstvndcn abzuhcbende Be- scheinigung nachwcist, das; und mit wie vielen Aiithcile» er in den Stammbüchern der Reichsbank als Eigner eingetragen ist. Die Versammlung findet im Reichsbankgebäude, Jägerstraße Nr. 34/36 hierselbst, statt. Berlin, den 13. Februar 1895. Ter Reichskanzler. In Bertretung: v. Boetticher. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Februar. Die nachtl,eiligen Folgen des activen und passiven Wider stands der radical-klcrikalen Reichstagsmehrheit gegen die feste Ordnung der Rcichsfinanzcn können nicht deutlicher targethan werden, als durch die viertägige Berathung des Eisen- babnetats im preußischen Abgeordnetenhause. Es verlohnt sich, die wichtigeren Puncte der Berathung nochmals zusammen- zufassen. Als die bedeutsamste Thatsache darf man cS wohl bezeichnen, daß heute wie am ersten Tage des Staatseisen hahnsystems in Preußen diese große Betriebsverwaltung gegenüber der allgemeinen Staatsverwaltung mebr oder weniger nur den Eharakter einer Hebestelle für indirecte Steuern besitzt. Der Netto-Staatsbedarf, also die Ver waltungsausgaben nach Abzug aller eigenen Einnahmen der Verwaltungen, beziffert sich auf etwa rund 500 Millionen. Dazu liefert die Eisenbahnverwaltung einen Netto-Ueberschuß von etwa rund 175 Millionen, also nicht weniger als 35 Procent; und damit muß die Staatsfinanzverwaltung sortwirthschaften, als ob daS immer sv gewesen wäre und so bleiben würde. Daß derselbe Ucberschuß vor 5 Jahren ein mal auf die Hälfte des gegenwärtigen Betrages herabgesunken war und daß er in anderen 5 Jahren — man denke nur an den Fall eines Krieges — noch viel tiefer herabsinken kann, sagt sich der gesunde Menschenverstand aller Orten. Die preußische Ainanzverwaltung darf es sich sagen, so oft sie will, sie darf aber nicht damit rechnen. Das Mittel, um den Ausgabe-Bedarf des Staates auf festere Unterlagen zu stellen, muß vom Reiche gegeben werden. Der Staat ist ohnmächtig, sich selbst zu helfen, so lange er abhängig bleibt von dem Wechsel, rich tiger gesagt von dem natürlichen Wachstbum der Ausgabe- Bedürfnisse im Reiche. Für die Gestaltung der Eisenbahn- silianzwirthschaft ist dies ebenso bedenklich, wie für die Ent wicklung des Verkehrswesens und damit alles gewerblichen Lebens in Stadt und Land. ES ist hundertfach schon darauf hingewiesen und auch jetzt im Laufe der Debatte wieder von Freitag den 15. Februar 1895. 88. Jahrganz. allen Seiten betont worden, daß die Amortisation der Eisen- babncapitalschuld in dem langsamen Tempo wie biöber nickt weitergehen darf. In diesem Etat sind es nur 26,65 Mil lionen, die zur planmäßigen Tilgung von Eisenbahn Anleihen verwendet werden — lei einer Cisenbadnsckuld von 5,52 Mil liarden! In einer Zeit, wie die gegenwärtige, in welcher die Erfindung sozusagen über Nacht den ganzen Werth des „Dampfwagens" in Frage zu stellen droht, dürfte man jeder Privalwirtbschaft mit vollem Reckte den Vorwurf un verantwortlichen Leichtsinns machen, wenn sie so gut wie gar nichts zur Abschreibung dcS Anlagekapitals verwendete. Andererseits versteht sich ganz von selbst, daß die Berkehrs politik unmöglich eine schöpferisch reformatorische werden kann, wenn ihr überall und immer wieder von der Staats finanzverwaltung das „ncm possumus" entgegentönt. Ohne Zweifel sind es zum Tbeil sehr berechtigte Wünsche, die im Laufe der Etatsberathung vvrgebracht wurden. Namentlich dürfte die Landwirtbsckast erwarten, daß ihr für den Bezug von Düngerstoffen eine Minderung ihrer Produclionskosten ermöglicht wurde. Betreffs der Personcntarife ist eine Reform wohl ebenso erforderlich, aber gerade weil sie nur noch als Reform im großen Stile gedacht werden kann und deshalb ein unabsehbares finanzielles Risico in sich birgt, muß bier die StaatSfinanzverwaltnng am entschiedensten widerstreben. So sehr oaS Bedürfnis allseits, in gewissem Umfang auch vom Regierungstische aus, anerkannt wurde, so zwingend erscheint die Notblage der Finanzen, angesichts deren die besten und berufensten Kräfte feiern müssen. Denn alle osficiellen Fractionsreden, wenigstens von Seiten der großen Parteien, stimmten sämmtlich in einer weitgehenden Anerkennung der Verdienste und Talente des Eisenbabnministers überein. Als eine besondere Genug- tbuung durfte er es entgegennehmen, daß die organischen Neuerungen im Betrieb wie in der inneren Verwaltung, die in dem vorliegenden Etat mit bewilligt werden sollten, die commiffarische und jetzt die zweite Plenarberatbnng glatt passirt haben. In der Thal dürfen sie als das Merkmal dafür gewürdigt werden, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit und mit sicher treffender Hand der gesammte Verwaltungs dienst in Ordnung gebracht ist. Bleibt nur zu wünschen, daß in demselben Geiste noch bei guter Zeit auch die verkehrs- und tarifpolitischen Neuerungen vurchgeführt werden können. Aber auch die Eisenbabufinanzen sind anerkanntermaßen insoweit in Ordnung gebracht, als eö nach Lage der Dinge möglich war. Vor Allem ist der constitutionelle Anspruch jetzt — und anscheinend durchaus — er füllt, daß alle Ausgaben zznd Einnahmen, auch seitens der Nebenverwaltungen, Werkstätten u. s. w. auf den Etat gebracht sind. Dann ist aber auch der Grund satz kaufmännischer Ordnung durchgeführt, daß ordentliche Erneuerungen und Erweiterungen aus den ordentlichen Ein nahmen bestritten werden. Für die Industrie bedeutet das in der Ncbergangszeit eine gewiß empfindliche Ein schränkung der Absatzgelegenheit. Doch muß cs auf die Dauer auch ihr nur erwünscht sein, endlich einmal zu wissen, welches Procent der ordentlichen Einnahmen wirklich hierfür ver wendet werden darf. Damit läßt sich immer noch besser rechnen, als mit den schwankenden Anleihe-Forderungen, mittelst deren im vorigen Jahrzehnt unwirthschaftlicher Weise erneuert und erweitert wurde. Auf Anordnung der Congregatio de Propaganda Fide sind (wie gemeldet) die französischen barmherzigen Schwestern aus der italienischen Colon,e C ryt Veillgen"^Anna "ersetzt durch italienische Sckwestern d-r, h-.Ugen worden. Vor einiger Zeit ^ - aesandt worden, apostolischer Prasect nach er diplomatisches Entgegen- lvoraus unt aus ein italienischen kommen der römischen Curie ge^>' der Staatsgewalt in der Colon,e ^'^nsianore nach scheint auch nach dem Hmicke, « vsir und Earini, deS Vertrauensmannes des Papstes L - Vr.ani's die versöhnlichere" Stimmung zwilchen Vatn-an ' Kub.L°>.,, bi-b-r mch. >" w»>- gehende Erwartungen in dieser Beziehung g h g dürfen. Von klerikalen Blättern Nt^enn auch bcr .S l r^ gehoben worden, daß die Verbaltnme m der ^ anders lieaen als in, Mutterlande. Immerhin semi es anck in. klebrigen nickt an Anzeichen, «us denen erhellt daß die klerikale Bevölkerung Italiens bereit 'st, d. Neuerung, insbesondere den Conseilpra,identen Crispi, bei' dem Kampfe gegen die Umsturzbechrebu^gen unterstützen. Dies zeigte sich . l°-ben , Mailand, wo die Ultraraoicalen und Soc,aldemvkrawn be de» Municipalwahlen unterlegen sind, eme Tatsache, deren Be deutung von den italienischen Blattern nnt Recht b gehoben wirb. Haben es doch gerade in Mailand Cavallott, und Genossen nickt an Beinübungen fehlen lassen, 'bren Be strebungen zum Siege zu verfiel,en. Aus d.e bevoistehei ten allgemeinen Wahlen kann aber zunächst e,n Ruckschlust noch nickt gezogen werden, da für diese nach wie vor die vom Vatica» ertbeilte Losung: oö elottori, uc. eletti nicht aus- gegeben worden ist, so daß die Klerikalen an diesen Wahl weder activ noch passiv theilnebmen. Dagegen ,,t den Kleri kalen gestattet worden, sich an den Wahlen für die Gememde- und Provinzialräthe zu betheiligen. Do nt ues. Die französischen Chauvinisten speien Feuer und Flanime, weil aus den Erklärungen vom RegierungStisch bervorging, daß der französischen Marine die Mittel zum Transport der für die Madagaskar-Expedition denöthigten zwölf Kanonenboote fehlen, und Frankreich sich dieselben bei der englischen Handels»,arme ausleihen muß. Es wurden aus diesem Anlaß Worte schärfsten Tadels gegen die französischen Verwaltungszustände laut. DaS Ministerium Ribot kann dagegen mit Erfolg ein- wenden, daß eö selber dadurch nicht getroffen werde, da diese Zustände von ihm nicht verschuldet sind. DaS hält freilich die Opposition linauck mömo nicht ab, ibre An griffe gegen das Cabinet sortzusetzen, weil eS unterlassen habe, in der Kammer diesen Mißstand zur Sprache zu bringen und lieber das Doppelte oder Dreifache der Trans portkosten für die ominösen zwölf Kanonenboote zu er legen, nur um dem französischen Nationalgefühl die Demüthigung zu ersparen, bezüglich der Madagaskar- expedition auf den guten Wille» Englands angewiesen zu sein. Ein gutes Tbeil der sittlichen Entrüstung, der aus diesem Anlaß zur Schau getragen wird, ist natürlich nur zu dem demonstrativen Zweck künstlich gemacht. Bedenk licher erscheint schon der Erfolg, den die Gegner des Be stehenden dadurch erreicht haben, daß die Regierung der Ver anstaltung einer allgemeinen Untersuchung über die Lage der Arbeiter in den Bergwerken seitens des par lamentarischen Arbeitsausschusses zustmimte. Zwar hat Herr Ribot seine bezügliche Zustimmung an gewisse formale Cautclen dn» wollen bedeuten in einem wo die Kammer, alsProduct derWahlen des souverainen Voltes, sich selbst als Verkörperung der VolkSsouverainetät fühlt und die Regierung höchstens als Bollstreckerin des Volkswillens, d. h. des Willens der Kammer, gelten läßt. Die Bergwerks arbeiter bilden in Frankreich, wie in Belgien und in Eng land, und in beschränkterem Maße auch in Mitteleuropa, eine Kerntruppe der socialen Revolution, und gerade jetzt kommen von allen Seiten Nachrichten über neue Gährungs- symptome dieser Arbeiterkategorie. Daß unter solchen Um ständen eine parlamentarische Enquöte von vornherein Gefahr läuft, ein Tummelplatz gefährlicher agitatorischer Machen schaften zu werden, ist klar. Der Kaiser von China hat an sein Volk folgende Bot schaft gerichtet: „Als Wir die Regierung übernahmen, waren Wir von dem innigsten Wunsche beseelt, innere Verwaltungsresormen vorzunehmen. Aber urplötzlich brachen die Japaner den Frieden, rissen das Uns tributpflichtige Korea los und drangen in Unser Gebiet ein. Wir entsendeten Unsere Generale mit Armeen, um die Japaner zu züchtigen. Unsere Vorfahren und die auswärtigen Mächte wisse», daß Wir die friedlichen Beziehungen zu Japan nicht stören wollten. Ebenso wenig haben Wir erwartet, Laß Unsere Generale ihrer Aufgabe nicht gewachsen und Unserer Heer ohne Tisciplin sei» würde. Denn nur dadurch ist es den Japaner» gelungen, Siege über Uns davon zu tragen und Unsere Residenz immer näher zu rücken, so daß Unsere Vorfahren in ihren Gräber» unruhig und besorgt wurden. Alles dies ist über Uns nur deshalb gekommen, weil Wir selbst unwürdig sind und unwürdige Leute nm Uns haben. Sollte aber das Schlimmste eintrrten und sollten die Japaner Unsere heiligen Altäre antasten, dann bliebe Uns nichts Anderes übrig, als mit denselben zu Grunde zu gehen. Dann erst stünde es Euch frei, die Kaiserin-Wittwe nach dem Westen zu über- führen und einen würdigen Kaiser zu wählen, der im Stande wäre. Gräber der Vorfahren zu schützen und die Uns zugefügte Schmach zu rächen." Gleichzeitig wird versichert, der Kaiser sei gegen einen Friedensschluß, und es wird berichtet, cS seien Anzeichen vorhanden, daß die Chinesen an der einzigen Stelle, wo sie noch widerstandsfähig sind, in der Mandschurei, zur Offensive übergehen wollen. Der Vicekönig Liu ist in Niutschuang mit einer großen Truppenzahl angekommen. Mit eiserner Energie führte er Zucht unter den Soldaten ein. DaS chinesische Contiugent, welches bei Aangkon steht, bereitet sich zum Angriff vor. Der König von Korea, der die Hoffnung zu haben scheint, daß er, der chinesischen Suzeränität ledig, der japanischen werde entgehen können, bat ebenfalls eine Kundgebung erlassen, die ebenso bvchmülhig, wie die deö Kaisers von China demiithig ist. Er theilt darin mit, daß er den Titel Kaiser angenommen habe und eine entsprechende neue Kleidung tragen werde. DeS Weiteren wird den Chinesen, die bisher im Lande die eigentlichen Herren waren, die Freundschaft gekündigt, und die Verträge werden außer Kraft gesetzt. Chinesen dürfen nur an vier Plätzen unter bestimmten schweren Bedingungen wohnen, alle Anderen müssen das Land verlassen. Deutsches Reich. 42. Berlin, 14. Februar. Das preußische Abgeordneten haus verhandelte eben über den Justizetat, wobei es nicht an Ausdrücken des Bedauerns über das Schwinden deS Ansehens der Justiz fehlte. Ein Fall, der heute Berlin beschäftigt, ist sehr geeignet, die Berechtigung dieser Klagen zu illustriren. Es handelt sich dabei allerdings FereHlrtoir. Ein Lecher Lethe. 8s Roman von R. Teilet. Nachdruck »nie»«. (Fortsetzung.) Der Todtengräber öffnete die Thür deS zur Todtenhalle führenden Durchganges und schritt mit der Lampe in der Hand vorwärts, während ich dicht hinter ihm folgte. Als wir vor der Thür der Halle standen, zitterte seine Hand so sehr, daß sie kaum das Schlüsselloch finden konnte. Endlich gelang es ihm. Er öffnete die Thür und blieb zögernd auf der Schwelle stehen. „Gebe der Himmel", flüsterte er, „daß es nicht meine Abberufung ist!" Er hielt die Lampe hoch, aber die Dunkelheit war jetzt je groß, daß das Lampenlicht nur im Stande war, die nächste Umgebung zu erhellen und alles Andere im Schatten blieb. „Kommen Sie", sagte ich. „An's Werk." Er schwankte mit unsicheren Schritten vorwärts. Wir traten an den ersten Sarg. Ein Blick genügte. Die über der Brust gefalteten Hände der Leiche batten sich nicht ge rührt. Wir gingen zum zweiten Sarge. Dasselbe Resultat. Der dritte Sarg enthielt die Leiche des jungen Mädchens. Tie lag da, so schön, so still als vorher. Aber der erste Blick zeigte uns Beiden, daß ihre rechte Hand sich bewegt batte und von der Brust herab zur Seite gesunken war. Dabei hatte sie ohne Zweifel die Glocke in leise Schwingung versetzt. Aber auf welche Weise hatte sich die noch immer mit der Schnur umwickelte Hand bewegt? Allem Anscheine nach war daS Mädchen noch lobt. Die Augen waren geschlossen, die Wangen ohne Farbe, der Körper lag regungslos da. Ick sah den Todtengräber fragend an. „Es ist ein Zufall, Euer Gnaden", sagte er mit einem Seufzer der Erleichterung. „Der Arm ist durch irgend einen Zufall herabgeglitten." „Aber auf welche Weise?" fragte ich. „DaS weiß der liebe Gott, aber sie ist ganz todt — das steht fest." Ich schüttelte den Kopf. Dann beugte ich mich herab und faßte leise die zur Seite gesunkene Hand. Ich stutzte, sie batte nicht die starre Kälte, die man von einer Todtenhand erwartet. „Sie lebt entschieden", sagte ich und klammerte mich eifrig an diese ersehnte Möglichkeit. Der alte Mann glaubt« es nicht. „Sie ist todt", sagte er, „sie regt sich nickst; sie athmet nicht." „Da bringen Sie mich auf einen guten Gedanken", rief ich. „Wir wollen gleich einmal sehen, ob sie athmet oder nicht." Zufällig hatte ich einen kleinen Taschenspiegel bei mir. Ich nahm ihn, putzte ihn sorgfältig und hielt ihn vor die Lippen der anscheinend Todten. In athemloser Spannung erwartete ich das Resultat. Als ich den Spiegel wieder hob, war er deutlich getrübt. Ich zeigte ihn dem Todtengräber. „Das macht die Feuchtigkeit hier", sagte er. Seine Worte waren nicht sehr ermulhigend, vermochten mich jedoch nicht zu überzeugen. Ich rieb den Spiegel noch einmal blank und behielt ihn in der Hand. Zu meiner Freude zeigte er jetzt wieder eine starke Trübung. Wieder zeigte ich ihn dem Alten. „Was sagen Sie nun", fragte ich. Er gab keine Antwort. Offenbar war er ein wenig stutzig geworden. Dann bvb er die Lampe und leuchtete auf merksam in daS todteilähnliche Gesicht vor unS. „Es ist möglich", bemerkte er endlich, „aber ich glaube es nickt." „Waö thun wir?" fragte ich. „Nichts", antwortete er. „Es ist nichts dabei zu thun." „Wollen Sie nicht einen Arzt holen?" „Dadurch würde ich mich sehr lächerlich machen, Euer Gnaden. Der Doctor würde nichts weiter sagen, alS: „DaS siebt doch jedes Kind, daß sic todt ist". Dann würde er mich auSzanken und seinen Gang von mir bezahlt haben wollen." „Schieben Sie alle Schuld auf mich und lassen Sie mich den Gang bezahlen." „Wenn Sie eS durchaus wünschen, will ich den Doctor holen, aber Sie werden sehen, daß es nutzlos ist. Er wird mich einen alten Narren nennen." „Immerhin, wenn eö ihm Spaß macht." „Sie müssen eS ja selber einsehen, mein Herr, daß daS Mädchen todt ist. Sie regt sich nicht." „Trotzdem ist es mir eine Beruhigung, daS von einem Arzte bestätigt zu hören." Der alte Stepban war offenbar anderer Ansicht, aber er fügte sich meinem Wunsche. „Ich muß selber geben", brummte er. „Wollen Sie hier bleiben, bis ich zurückkomme, oder wollen Sie in mein Zimmer gehen?" „Wie lange werden Sie fortbleiben?" „Der Docter wohnt nicht weit von hier. Ich kann in einer Viertelstunde wieder da sein." „Gut, ich werde hier bleiben. Sie darf nicht allein gelassen werden." Er wandte sich mit der Lampe in der Hand zum Geben. Aber daS war mir denn doch ein wenig zu viel. Selbst bei Beleuchtung war die Situation unheimlich genug, im Dunkeln mußte sie unerträglich sein. „Sie müssen mir die Lampe lassen", sagte ich bcfehlerisch. Er bat mich seiner Unachtsamkeit wegen um Entschuldigung und ging dann von dannen. Ich borckte auf seine sich immer mebr entfernenden Fußtritte, bis sie verhallt waren. Erst dann kam es mir zum vollen Bewußtsein, daß ich mich allein unter Todten befand. Sobald ick mir diese Thatsache klar gemacht hatte, begann meine Phantasie mächtig zu arbeiten. Die dunkle Beleuchtung, die schaurige Umgebung, die Moderluft, alles das trug dazu bei. meine Erregung zu steigern. Je jünger man ist, desto unbekannter ,,t einem der Tod. Alter und Krankheit bringen ihn uns später näher und lassen ihn unS als eine natürliche Folge des genossenen Lebens erscheinen; aber Jugend und Gesundheit kämpfen gegen ihn wie gegen einen verhaßten Feind an. Allmählich kam eine Art Schwäche überDnich; meine Augen verdunkelten sich, die Umrisse der mich umgebenden Gegenstände verschwammen ineinander. Ich versuchte mich nicht etwa, daß mein Muth nachließ, aber ein Gefühl physischer Schwäche und Uebelkeit, gegen das ich ver geben« kämpfte, überkam mich. Wohin ich auch blickte, überall glaubte ich etwas Schreckliches zu sehen. Die dicke schwere Luft war nicht mehr leblos wie bisher: sie regte und rührte sich; ich hörte leises Flüstern und Stöbnen. AuS einem Sarge in der Ferne hob sich eine Hand und drohte mir: aus einem anderen richtete ein Todter den Kopf auf, einen schrecklichen Kopf mit geschlossenen Augen und ausdruckslosen Zügen, auf die der Tod seinen entstellenden Stempel ae- drückt hatte. " ES war Einbildung — ich wußte eS. oder bemühte mich wenigstens, es mir zu sagen. Aber dadurch wurde mein Zu stand um nichts erträglicher. Endlich beschloß ich — geschehe auch, was wolle — nicht um mich zu seben, sondern fest und unverwandt ,n des inngen Mädchen-Gesicht zu blicken Als ich mich eben daran machte, diesen Vorsatz auszuführen, kam es m,r vor. als zucke e.n Lächeln über ihr Gesicht. Ich sah charfer b.n, konnte aber keine Spur davon entdecken: wieder batte mein« Phantasie mir «inen Streich gespielt Aber wie l'-bUch war das Gesicht da vor mir! Ein Gchcht. au" L KmveS und der reife Ernst de? Erfahrung .Eod mcht auSgclöscht waren. Die Hobe Ne i-'ngescdnlttene und doch charaktervolle Mund. * ^ ^ noch deutlich und ausdrucksvoll ^ 'd" Augenlider. Ich beugte mich rasch mit der Lampe m der Hand herab — die Augen waren sicher offen — krach! In meinem Eifer hatte ich mit der Lampe gegen den Sarg gestoßen und sie zerbrochen. Ich war nun völlig im Dunkeln. Während ich noch überlegte, was ich thun sollte, hörte ich aus dem Durchgänge Stimmen und Schritte erschallen. Sie kamen näher; ein Lichtschimmer drang in die Todtenhalle — der alte Stephan erschien in Begleitung eines anderen Mannes, der ohne Zweifel der Arzt war. Als der Doctor auf der Schwelle des Todtenbauses stand und die Lampe des Allen ihn mir in richtiger Rembrandt- beleuchiung zeigte, konnte ich ihn genau betrachten. Er hatte ein entschieden anziehendes Gesicht. Der Doctor war jung und vielleicht bei flüchtiger Prüfung nicht sonderlich hübsch. Aber für mich hatte das Gesicht in seiner Strenge einen eigenen Zauber. Es trug einen entschlossenen Ausdruck. Offenbar war der Doctor ein scharfblickender, kurze Entschlüsse fassender Mann. Sein Haar war dicht und lang, seine Augenbrauen bei seiner Jugend unverhältnißmäßig buschig, unter ihnen blickten ein paar durchdringende Augen vor; der Mund, den ein langer blonder Bart umgab — nicht verbarg — war energisch und verlieh dem Gesichte da- Gepräge unbeug samer Festigkeit. Es war ein nicht nur anziehendes, sondern auch gutes Gesicht, das der Doctor besaß. Und trotzdem lag auf ihm ein Ausdruck geistiger Ueberhebung und Anmaßung, der den günstigen Eindruck, den cs eigentlich machte, zum Theil wieder aufhob. Unwillkürlich sagte ich mir: „Der Mann da sieht aus, als faßte er rasch eine Ansicht und gäbe st« schwer wieder auf. In neun Fällen unter zehn mag seine Ansicht richtig sein, aber wenn er im zehnten Falle Unrecht hat, wirb er eS nickt eingestehen. Seine Festigkeit ist sicher von unschätzbarem Werthe — ob sie aber nicht zuweilen auch verhängnißvoll werden kann?" Er schritt hinter dem Todtengräber her und grüßte mich steif und förmlich. Ich bemerkte ein halb spöttisches, halb ungläubiges Lächeln auf seinen Lippen. ^ „Wie?" rief er, „ganz allein im Dunkeln im Hause des 4.odes? Sic müssen gute Nerven haben, mein Herr!" „Der Todtengräber ließ mir seine Lampe" antwortete ich, „aber ich hatte das Unglück, sie zu zerbrechen." „Und die» ist also die Person, die Ihrer Ansicht nach leben soll?" sagte der Doctor mit demselben Lächeln, trat an den Sarg, nahm die Lampe de» Todtengräber» und leuchtete in das Gesicht de- jungen Mädchens. „Ei", rief er, halb erfreut, halb ärgerlich, „da- ist ja das lunge Mädchen, dessen Tod ich gestern selber bescheinigt habe. Sie war meine Patientin, mein Herr." Diese Thatsache schien feiner Meinung nach zu genügen, um irden Zweifel zu beseitigen.
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