02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-02-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950228020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895022802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895022802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-02
- Tag1895-02-28
- Monat1895-02
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Die Beratkmng der Anträge auf Verbot der jüdische« Eta«mderu«, deziehunaSweise auf Ausweisung aus ländischer Juden, die sich in Deutschland dauernd nieder gelassen haben, obne ein selbstständige- Gewerbe zu betreiben, ist gestern itn Reichstage nicht zu Ende gegangen. Es wird nirgend- bezweifelt, daß nächsten Mittwoch beide Anträge abgelebnt werden. Abgesehen von der Frage ihrer völkerrechtlichen Zulässigkeit und der Möglichkeit von Repressalien, die sich durchaus nicht nur gegen im AuSlande wohnende Reichsangehörige jüdischen Be kenntnisses richten könnten, wird die Abneigung, ein con- fessionelleS Ausnahmegesetz zu schaffen, sich vorherrschend erweisen. Richtig ist, was gestern gesagt wurde und von unS immer betont worden ,ft, daß ein auf Menschen- epport angewiesenes Land, wie daS deutsche Reich, eine stärkere Einwanderung nichtbesitzender und tech nischer Fertigkeiten mangelnder Elemente nicht ver trägt. Um diese hintanzuhalten, bedarf es jedoch nicht einer Gesetzgebung, sondern nur der Ausübung des zur Zeit im „freien" Amerika eifrig gebandhabten Rechtes, mißliebige Fremde nicht im Lande zu lassen oder sie auszuweisen, wenn sie sich eingeschmuggelt haben. Der Zuzug russischer Juden ist denn auch in Preußen ans administrativem Wege unter sagt, nur bleibt es zweifelhaft, ob die Grenzbehördcn alle erforderliche Wachsamkeit walten lassen. Aus den im „Leipziger Tageblatt" dieser Tage im Auszug mit- getheilten Berichten der Auswanderung- - Commiffare geht bervor, daß trotz der ans sanitairen Erwägungen an der Ostgrenze verhängten Sperre russische Juden sich durch das Reich nach belgischen und holländischen Häfen zu schleichen wußten. Man hat denn auch die Sperre für den Durchzug aufgehoben und an ihre Stelle eine strenge Controle der über Deutschland nach überseeischen Ländern Auswandernden gesetzt. DaS ist zweifellos praktisch, aber der Umstand, daß russische Juden trotz besonderer, auf die Eholera in Rußland znrückruführender Maßregeln ins Reich kamen, läßt den Schluß zu, daß unter normalen Verhältnissen die Behörden daS nicht gewünschte Element noch weniger sorgfältig an der Grenze beobachten. Das aber wäre im allgemeinen Interesse und im besonderen der Deutschen zu beklagen, da Hirse Einwanderer die langsam, aber doch sicher sich vollziehende Arbeit der Nationalisirung der eingeborenen Juden zu einer Danaidenarbeit machen würden. Die Juden, welche die Ein wanderung von Glaubensgenossen aus Polen begünstigen, sind bei diesem Werke natürlich nicht betheiligt, weder actio noch passiv. Und ihnen könnte ihr thörichteS Thun verleidet werden durch eine gesetzliche Bestimmung, die kein Ausnahme gesetz zu sein braucht und dahin ginge, daß dir Beihilfe zur Uebertretuna der Paß- und anderer, den Grenzübergang be treffenden Vorschriften unter strenge Strafe gestellt würde. Heute beginnt im Reichstage die zweite Lesung des Vkartne- VtatS. Hoffentlich meldet der Parlamentsbericht heute nicht wieder, wie fast täglich, daß die Debatte vor „sehr schwach" besuchtem Hause sich abspinnt, denn es handelt sich bei dieser Berathuna um die für die Entwickelung der deutschen Geschicke folgenschwere Entscheidung über die Kreuzer. In der Budgetcommission sind die hierauf bezüglichen Forderungen der Marineverwaltnng am Sonnabend bewilligt worden. Mit Recht wird aber in der Münchener „Allgemeinen Zeitung" daran erinnert, daß eS im vorigen Jahre das Plenum des Reichstags war, welches zwei Schiffe ablehnte, deren Bewilligung die Dudgetcommission befürwortet hatte. Der damalige Beschluß war in erster Linie ein Product der UeberrumpelungSkunst de-Abg. Richter. Dieser wußte ganz genau, daß an dem Tage, an welchem er auf Abstimmung drang, eine nicht bedeutende, aber immerhin ausreichende Anzahl von Conservativrn zur Jagd abwesend war. An geblich hatte dann noch eine Rede de- CultuSministers ver stimmend auf das Eentrum gewirkt, so daß dieses den Panzerkreuzer ablehnte. Da die Abstimmung über die Kreuzer wahrscheinlich bald berbeigeführt werben dürfte, er scheint es nöthig, mit aller Entschiedenheit auf die Abgeord neten dahin zu wirken, daß sie ihre beschämende unwürdige Interesselosigkeit wenigsten« bei der zweiten Lesung des Marine-Etats aufgeben und in möglichst starker Zahl dazu beitragen, einen Beschluß herbeizuführen, dessen Nichtzustande kommen einen nicht wieder gut zu machenden Schaden für unser nationales Leben bedeuten würde. Einem Beschlüsse der Kammer entsprechend, hat die französische Regierung einen Ausschuß von sechzig Mit gliedern — Parlamentariern und Berwaltungsmännern — eingesetzt, um die Reform der Verwaltung im Sinne einer Decentralisation zu prüfen und Vorschläge zu machen. Bisher herrschte daS Princip der Eentralisation, bei dem einer der schlimmsten socialistischen Grundsätze, der nämlich, daß Alles und Jedes der Eontrole des Staates unterliegen soll und daß selbst über die internsten Angelegenheiten der entferntesten Gemeinde in letzter Instanz in den Bureaus der Ministerien entschieden werden muß, zu einer den Gang der Berwaltungsmaschine in unglaublicher Weise lähmenden Anwendung gelangt. ES ist geradezu lächerlich, welch eine Unmenge unnützer Scherereien und Schreibereien der gering fügigsten Sache wegen bei dieser Methode entstehen muß. Aus dem Orte X oder A geht die amtliche Corre- spondenz zunächst nach dem Hauptorte deS Arrondisse ments, dann nach dem des Departements und endlich nach Paris, um schließlich in umgekehrter Richtung ben eiden Weg zurückzulegen. Und eine solche Reise wiederholt ich manchmal zwei- oder dreimal. Die Consequenz dieser Um- tände ist, daß, wenn Jemand auf ein Gesuch oder eine Be- chwerde in absehbarer Zeit Antwort zu haben wünscht, er sich nicht an die zuständige Behörde wendet, sondern direct an einen Deputirten oder Senator seine« Departements. Dieser macht seinen Einfluß bei dem betreffenden Minister geltend, welcher meist alle Ursache Hat, sich den Volksvertreter geneigt zu erhalten, und so wird dann mit größter Schnelligkeit — allerdings unter Umgehung der Beamten, die eigentlich über die Sache hätten entscheiden oder doch wenigstens berichten sollen — erreicht, was sonst vielleicht jahrelang gedauert hätte. Dadurch wird die ganze Macht in die Hände der Abgeordneten ge legt, von deren gutem Willen das Wohl und Wehe deö Kreises, welchen sie vertreten, in Wahrheit abhängt. Jetzt endlich will man die so oft geplante Reform dadurch zur Ausführung bringen, daß man die Machtvollkommenheit der einzelnen höheren Beamten vermehrt, den localen Behörden, wie General- und Municipalräthen einen größeren Antheil an der Verwaltung einräuml und endlich neue administrative Organe schafft, die zwischen dem Departement und dem Arrondissement einer- und der Gemeinde andererseits vermitteln sollen. Auf eine wirklich durchgreifende Aenderung ist indessen auch jetzt nicht zu hoffen. Die einzige Folge der geplanten Maßnahmen dürfte die Schaffung neuer administrativer Organe, also eine- noch größeren Beamten- brere« sein, ein Vorgehen, durch da- die Regierung sich weitere Freunde zu gewinnen vermöchte. Im Urbriarn hat man in den gouvernementalen Kreisen daS größte Interesse daran, Alles beim Alteu zu belasten, d. h. ausreichende Mittel Ausweg aus diesen Schwierigkeiten Wird gewiß nicht Y z finden sein. . Am 29. s-nuar h»n- b-kanntticb d" Na ü-r,li°N"d,m^ A«zeige«-Prerr die 6 gespaltene Petitzeile SV Psg. Reklamen unter dem Rebactionrstrich l4g» spalten) 50-4- vor den F«ntUrn„achrichle» <6 gespalten) 40-4 Größer- Schnsten laut unserem PreA- Verjeichniß. Tabellarischer nn» Ziffer nj«tz »ach höherem Tarif. Extra-Vellage« (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe. ohne Postbeförvekung SO.—, Mit Postbesorderuag 70.—. ÄkmahAkeschluß für Anzeige,: Lbeab-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Marge »'Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh ",S Uhr. Bei den Filiale« und Annahmestellen je ei« halbe Stunde früher. A»ret>e» sind stets an die Uxpeditie« zu richten. Druck »nd Bering von C. Pokz in Leipzig Bo/ Allem sind Sie sehr schlecht insonnirt über die Richtung denen Sie mit Ihrer Rede entgegentreten wollt.m ^n ke.ner Bersammlung der Srmstwos hat man )- eine Stimme gegen die Selbstherrschaft vernehmen können, und keines der Eemstwo-A - glieder hat diese Frage so aufgefaßt, wie sie ausgefayt baden. Tie am meisten fortgeschrittenen SemstwoS haben nur gebeten, daß der Zar sich mit dem Volke vereinigen möge, daß er endlich einmal ihre Stimme erhöre, daß d>e -,enentllch. keil an Stell, der Geh„mthuerei und das Gesetz an Stelle der Beamtenwillkür trete. Es handelte sich mit emem Wort darum, die bureaukratisch-hösische Mauer, welche den Zaren vom russischen Volke trennt, endlich einmal zu stürzen. ... . Ihre unzutreffenden Aeußerungen sind nicht nur die Folge eines redaktionellen Fehlers, nein, sie sind d,e Verkörperung eines ganzen Systems. Die Gesellschaft wird vollständig begreifen, daß am 17.(29). Januar aus Ihrem Munde nicht ,ene ideelle Selbst herrschaft gesprochen hat, als deren Träger S,e sich betrachten, sondern die eifersüchtig über ihre Allmächtigkeit wachende Bureau, kratie. Diese Bureaukrati». anaefangen vom Ministerrath bis hinab zum letzten Landgeudarin, haßt die geringste Ausdehnung der öffeutliL en Thättgkeit. selbst wenn sie sich a«f den Boden der be- stehenden Staatsordnung stellt. . . . Wenn die Selbstherrschaft sich mit dtr Buteaukratie sowohl in Worten wie auch m skaten identisicirt, wenn sie nur unter vollständigem Ausschluß der öffent lichen Thätigkeit, unter der unaufhörlichen Verlängerung des zeit, welligen Belagerungszustandes sich erhalten kann, dann ist ihre Sache verloren. . . . Und jene thätigen Kräfte, die sich nicht begnügen wollen mit einem schweren, langsamen Kampfe voller Concessionen aus dem Boden der heutigen Staatsordnung, wo sollen die hin?... Nach der schroffen, zurückweisenden Antwort, die Sie der Gesell, schast auf ihre bescheidensten und gesetzlichen Wünsche gaben, soll diese die rührigsten und begabtesten ihrer Kinder, die immer vor- wärtS streben, vertheidigen, vor dem Untergang schützen und au dem gesetzlichen Wege zurückhalten?" Der „Brief" ist hektographirt und findet in Rußland reißenden Absatz. Ob derselbe thatsäcblich auf Tolstoi, den bekannten Romandichter, Tbeosopben, urchristlichen Socialen und Großgrundbesitzer, zurückzuführen ist, muß vorerst noch dahingestellt bleiben; wahrscheinlich ist es nicht, da Tolstoi in ähnlicher Weise bisher an der Politik sich nicht be- theiligt hat. — Don Euba kommen Mittbeilungen, wonach zur Unter drückung des Brigant rn Unwesens und der revolutio nären Bewegung, in deren Dienst die Briganten zweifellos stehen, strenge Maßregeln angeordnet wurden, die auch von 8S. Jahrgang. Erfolg zu sein scheinen. Die Nachrichten treffen mit An nahme der lange geplante» Verwaltungsreform aus Luba durch die spanischen CorteS zusammen. Aus Madrid wird mit Bezug auf diese Reform Folgendes berichtet: Noch vor kaum 10 Jahren sahen die Verfechter der Cubanischen administrativen Autonomie alle ihre Pläne und Projekte an dem unerbittlichen Widerstande alter Porurtheile und ungesunder Interessen scheitern. Canovas del Castillo hatte zwar bereit- im Jahre 1981, gelegentlich eines gewissen, den Cortes unterbreiteten und die Antillen einer so zu sagen ökonomischen Diktatur unterwerfenden Projektes, den Einwohnern dieser Inseln einige Versprechen für eine entferntere Zukunft gemacht. Aber erst 1886 fand der damalige Minister der Colonien, Gamazo, den Muth, dir Lubafrage in ihrem wahren Lickte hinzustellen und den Cortes zu erklären, daß eine Reform un entbehrlich sei, wolle man nicht sortfahrrn, weitere Millionen zur Unterdrückung immer niehr drohender Aufstände auf Cuba nutzlos zu verschleudern. Gamazo schied bald aus dem Ministerium aus; mit ihm wurden auch die Reorganisationspläne aufgegeben, während die Er bitterung unter der Bevölkerung Cubas immer größer ward und nur durch die scharfen militairischen Maßregeln am Ausbruche verhindert werden konnte. Sechs Jahre später, im Jahre 1892, unterbreitete der Minister Maura den Kammern ein Project, welches aus den Inseln Cuba und Puerto Rico eine vollständig organisirte und nach englischem Muster unabhängige Verwaltung einsühren sollte. Sein Plan wurde von der Opposition auf das Heftigste bekämpft und Maura mußte auch bald nach Gamazo aus dem Ministerium aus. scheiden. Seine Bemühungen waren indcß nicht fruchtlos ge blieben. Eine seinem Vorschläge günstige Stimmung Halle sich nach und nach gebildet; ein großer Theil der Presse stellte sich aus seine Seite, und bald gelangte man in Regierungskreisen, ja sogar in den Reihen der heftigsten Gegner der kubanischen Homerule zur Einsicht, daß jeder weitere Widerstand unpolitisch und jedes Aufjchiebrn den Interessen des Landes schaden würde. Die Rückkehr Maura's vor einigen Monaten in das Ministerium bezeichnete auch die Wieder aufnahme seiner Projekte, und so wurde von den Cortes schließlich das Gesetz votirt, dessen Hauptpuncte folgende sind: Schaffung eines Obersten Rathes der Colonie, dessen Mit glieder zur Hälfte durch allgemeines Stimmrecht, zur Halste von der Krone erwählt werden und dem die Feststellung des jährlichen Budgets der Colonie zustcht. Gleichzeitig hat der Oberste Rath die Oberaufsicht über den Post- und Telegraphendienst und die öffent lichen Arbeiten, sowie über alle Auswanderung, Colonisation, Handel, Industrie und Ackerbau betreffenden Maßnahmen. Die Provinzialdeputationen der verschiedenen Distrikte erhalten ebenfalls eine Vergrößerung ihrer administrativen Befugnisse. Ein Werk der Gerechtigkeit und des Fortschrittes ist somit zu Ende geführt. Spanien verdankt dasselbe größten- theils der Initiative Maura's und Gamazo's. Wie wert dieses Self-Government die gebraten Hoffnungen verwirklicht, kann freilich nur die Zukunft lehren. Jedenfalls mahnt der neuerdings ausgebrochene Ausstand, mit der thatsächlicheu Ein führung der Verfassung nicht länger zu zögern. Deutsches Reich. ^ Berlin, 27. Februar. Im Wahlkreise Eschwege- Wihcnhausen-Schmalkalden wird morgen für den früheren antisemitischen Vertreter Leuß die Ersatzwahl voll zogen. Soweit die Stimmungen der Wählerschaft zuverlässig beobachtet sind, läßt sich erwarten, daß die relative Mehrheit wieder aus Seiten der Mittelpartcicn sieben wird. Es wird sogar die Hoffnung ausgesprochen, daß diese relative Mehrheit eine höhere sein wird, als mit -1258 Stimmen im Jahre 1893. Sowohl die Antisemiten, wiedieFreisinnigen rechnen selbst mit einem mehr oder minder großen Stimmenverlust. Bei den Antisemiten erklärt sich dies schon aus den Er fahrungen, welche die Wählerschaft mit dem ersten Pflege befohlenen des Herrn Liebermann von Sonnenberg machen mußte. Die begreifliche Zurückhaltung gegenüber seinem neuesten Schützling ging in tiefes Mißtrauen über, FerNH-toir. Lin Lecher Lethe. 13) Roman von R. Teilet. Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) Er stellte die Frage in anscheinend gleichgiltigem Tone, aber seine Augen sahen mich durchdringend dabei an. Ich wußte, was er meinte, und da ich seiner Warnung entsprechend gehandelt batte, antwortete ich ihm: „Gewiß, ich bade Ihren Rath bi« jetzt streng befolgt. Aber ist Miß Stuart nicht jetzt wokl genug, daß man »S wagen darf, offen mit ihr zu sprechen?" „Ich kann Sie nicht dringend genug davor warnen", sagte er. „Wären Sie Arzt, so würden Sie die Gefahr selber erkennen. Da Sie keiner sind, niüssen Sie sich schon meiner Ansicht fügen." Seine strenge, befehlerische Art ärgerte mich und ich versetzte: „Gesunder Menschenverstand darf ebenfalls seine Ansichten äußern." Jetzt erst bemerkte er, daß er mich geärgert hatte. Er lachte und sagte in vollständig verändertem Tone: „Mit dem gesunden Menschenverstände sind wir in Deutsch land fertig; den betrachten wir als vrn fruchtbaren Vater de- JrrthumS. Was ist denn der gesunde Menschenverstand auch, wenn Sie ihn betrachten? Die Klugheit und Belesen heit de- Durchschnittsmenschen. Es ist die Charakteristik der Heit, daß jeder Mensch da« Recht zu haben glaubt, eine «gen« gesunde Meinung zu haben. Aber außer seinem eigenen Specialfache bat meiner Ansicht nach jeder — selbst der klügst» — Mensch nur rin völlig wrrtvlosrS Urtheil. Oniciue In 8nu ni-tv vreckomlum — und in nicht« Anderem. Daher müssen Sie so freundlich sein, sich meinem Dictum über Miß Stuart zu fügen, wenn auch Ihr gesunder Menschen verstand anderer Meinung ist, und", setzte er scherzend hinzu, „Sie tbun eS auch sicher. Sie sind zu gut, um Miß Stuart neuen Gefahren anSgeseyt zu wünschen". WaS blieb mir ander- übrig, als mich seinem Wunsche zu füaen? „WaS halten Sie von ihrem Gedächtnisse?" fragte ich den Doctor. „Sie hat mir erzählt, daß ihr frühere- Leben ihr vollständig entschwunden ist. Wird dieser Zustand wohl an- halten?" „Ich kann nichts mit Gewißheit behaupten, aber ich glaube bestimmt, daß sie ihr Gedächtniß über kurz oder lang wieder erlangen wird, so wie sie ihre frühere Gesundheit wieder erlangt. Schon jetzt scheint eS mir, daß das Dunkel nicht mebr so vollständig ist, als eS noch vor Kurzem war. Sagte sie Ihnen nicht, sie sähe zuweilen Dinge schimmern, die ver schwinden, ehe sie im Stand« s«i, sie zu greifen?" „DaS hat sie mir allerdings gesagt, aber ich weiß nicht, ob man darauf eine Hoffnung für die Zukunft bauen kann." „Sicherlich. E« liefert uns den Beweis, daß bas Gedächtniß nicht mehr total schläft, daß es sich zu regen beginnt, wenn auch jetzt nur in schwacher, unwirksamer Weise. Alles ist schon ein Fortschritt im Vergleich« zu absolutem Stocken." Diese Ansicht aus dem Munde eines so bedeutenden ManneS zu hören, freute mich nicht gering, da ich ängstlich darauf wartete, Ethelren'S frühere Geschichte kennen zu lernen. Wie dieselbe auch gewesen sein mochte, Ethelren würde mir immer gleich lbeurr bleiben, aber da- hinderte mich nicht, den sehnlichen Wunsch zu hegen, mehr darüber zu erfahren. Im Gegentheil, es machte mich nur noch gespannter darauf. Ich hatte die Ethelren der Gegenwart in mein Herz geschloffen und wünschte, auch die Ethelren der Vergangenheit lieben zu können. Als ich eines Tages darüber nachdachte, was mir Ethelren von dem zuweilen von ihr auftauchenden flüchtigen Schimmer der Lergangenbrit gesagt batte, kam mir plötzlich die Idee, ob es nicht von Nutzen sein könnte, Ethelren Zeichenstunde zu geben. Ersten« konnte ich sie aus diese Weise öfter sehen, waS schon an und für sich eine große Freude für mich war. Zweiten« aber versprach ich mir auch andererseits viel davon. Wenn ihre Erinnerung an vergangene Ereignisse jetzt ein blaffe« momentanes Auftauchen von Bildern war, konnte da« Pflegen ihrer künstlerischen Eigenschaften sie vielleicht in den Stand setzen, die Erinnerungen zu greifen und zu erklären. Mir schien diese Theorie sehr vernünftig, besonder« wenn Ethelren künstlerisch veranlagt war, was ich mit Bestimmt heit glaubte. Der Blick ihrer Augen, der breite Zwischen raum der Augenbrauen, den man fast in dem Gesichte jede» Künstler« bemerkt, gaben mir diese Ueberzrugung. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich keine Zeit verlor, ein« so angenehme Idee in- Werk zu setzen. Bei meinem nächsten Besuche in Nr. 37 theilte ich sie Ethelren mit, die sich sehr einverstanden damit erklärte und nur die Besorgnitz aussprach, mir zu große Mühe zu verursachen. Ich beruhigte sie über diesen Punct und gab ihr die Versicherung, daß mir nichts o großes Vergnügen machen könnte, als ihr Unterricht zu zeben. Da mischte sich die Baronin hinein. Ihrer Ansicht nach sei die Idee nicht so durchaus annehmbar, wie Ethelren meine. Sie fürchtete, Ethelren könne sich zu sehr dabei aus regen. Als wir darüber lächelten, setzte Therese hinzu, sie halte Zeichnen für zu ermüdend für eine Reconvalescentin. „O, ich bin jetzt ganz gesund", sagte Ethelren. „Auch muß der Farbengeruch in Betracht gezogen werden", meinte die Baronin. „Wir wollen ja einstweilen nur zeichnen", erwiderte ich. „Und späterhin können wir uns, wenn Sie es wünschen, aus Wasserfarben beschränken." So hatten wir stets eine Erwiderung auf alle Ein wendungen der Baronin und Therese'S, bis endlich die Letztere behauptete, wir müßten durchaus vr. Falck um seine Meinung fragen. Darein fügte Ethelren sich. „Nicht etwa, daß ich an eine verneinende Antwort von seiner Seite glaube", sagte sie, „sondern weil ich es, so lange er mich behandelt, höflich finde, erst seinen Rath einzuholen. Er war so gut gegen mich, daß ich ihn nicht gern verletzen mochte. Ich War meiner Sache über Vr. Falck « Entscheidung nicht so sicher und konnte eine spöttische Bemerkung nicht unterdrücken. „Vielleicht findet er, daß seine deutschen Stunden Ihnen genügen, Miß Stuart." „O, da« glaube ich nicht", versetzte sie unschuldig. Ich sollte zum Doctor gehen, um seine Meinung zu Horen. Natürlich wollten die Baronin oder Therese mir diese Anfrage gern abnebmen, aber ich zog e« vor, die Sache allein mit ihm abzumachrn. Am selben Tage noch suchte ich ,hn auf, und da ,ch ,hn antraf, fragte ich ihn in aller Form ^ Meinung. Ich bemerkte sofort, daß der ganze Plan sich nicht seine« Beifalls erfreute. " ' sagtet/*"" '^ich°den,zu viel Beschäftigungen vorzunehmen", k^'^.^ü^daS Zeichnen soll nur eine leichte Zerstreuung -» wi- Antwortete ,ch. „Es greift da« Gehirn nicht an Wie geistige« «tubmm." ^ s.»/.'meine deutschen Stunden", ver- er eiwas heftig. „Nun, Deutsch ist keine leichte Sprache." „Ich gebe mir Mühe, sie leicht zu machen." „Dieselbe Mühe würde ich mir beim Zeichenunterricht geben." Ich glaube, wenn eS in seiner Macht gewesen wäre, sich dem Plane zu widersehen, so hätte er es sicherlich gethan. Aber angesichts der deutschen Stunden, die er selber ertbeiltc, konnte er gegen meine Zeichenstunden keinen logischen Grund Vorbringen, und sagte schließlich: „Ich sehe, Sie haben eS sich einmal vorgenannten, un? es ist daher nutzlos. Ihnen davon abzureden." ES war eine widerstrebende, grollende Zustimmung, keine offene bereitwillige Erlaubnis;, die wir von ihm erhielten, aber das war mir gleich. Er konnte sich den Stunden nicht widersetzen, das genügte mir. „Und wie geht's mit der Wissenschaft", fragte ich. „Haben Sie wieder neue Entdeckungen gemacht?" „Ja", antwortete er kurz. „Dann gratulire ich Ihnen dazu. Darf ich fragen, worin^sie bestehen?" „Sie haben kein Interesse dafür und aus diesem Grunde keines für mich." „Keines für Sie!" wiederholte ich und sah ihn er staunt an. Er schien meinen Blick nicht ertragen zu können, denn er wandte sich ab und machte sich an einem vor ihm stehenden Apparate zu scbaffen. „Ich will Sie nicht länger aushalten", sagte er. Ich reichte ihm die Hand und empfahl mich. So zerstreut hatte ich ihn noch nie gesehen wie heute. Am folgenden Tage begann der Unterricht. Da die Baronin cinsah, daß ,hr fernerer Widerstand nutzlos sei, batte sie ziemlich freundlich ihre Einwilligung dazu gegeben. Aber sie trug Sorge, daß die Stunden nie unter vier Augen gegeben wurden. DaS that sie natürlich des Anstandes wegen, aus keinem anderen Grunde. Aber selbst unter diesen Bedingungen war der Unterricht mir eine Quelle großer Freude. Es war entzückend, in Etbelren's Nähe zu sitzen, ihr Haar zuweilen meine Wange streifen zu sühlen, ihre kleine Hand zu fassen und sie über das Papier zu führen. Die Hand war jetzt rund und rosig, und r« kam mir vor, als entzöge sie sich mir nicht, wenn ich sie einen Moment ergriffen batte. Die Baronin oder Therese konnten in unserem Verhält nisse zu einander nicht da- Geringste finden, da« ibren Tadel verdient hätte. Ich war immer „Mr. Lindley" für sie, sie
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