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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-11
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951111029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-11
- Monat1895-11
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8vcs dürft». DK!« Erfahr fchwrit« «nsey» Vorfahr»» vor, »I« si« di« Integrität und Unabhängigkeit d«r Türket zum Gegen« stand ein«» europäischen Vertrages machten, und diese Gefahr ist noch nicht vorüber. Zwei Gefahren sind zu vermeiden, nämlich ersten- der Fall, daß dieser Vertrag, der da» Concrrt Europa» zu» sammrnhält, feine Kraft verliert, indem irgend eine Macht dem Vertrage entsagt und die Sache in ihrer eigenen Weise zu regeln sucht. Ich freue inich sagen zu können: Ich sehe keine Aussicht aus einen solchen AuSgangl (Stürmischer Beifall.) Ich glaube, die Mächte werden zusammrnstehr», und glaube, daß sie nie geneigter waren als setzt, zusammenzustehen und bei dem europäischen System, welche» ihre vereinte Weisheit ent» worfen hat, zu verharren. Tie weitere Gefahr ist, daß dir Rath» geber des Sultans sich rinbtlden könnten, der Druck jener Sorge sei so groß, daß kein Mißbrauch in derTürkei je srinenatür» liche Strase finden werde. Das wäre eine ernste Täuschung. Ich glaube, die Mächte sind durchaus entschlossen, in Allem, was das ottomanische Reich betrifft, zusammen zu handeln. (Beifall). Wie sie handeln werden, kann ich nicht prophezeien, — ich kenne dir Eventualitäten nicht, die entstehen können. — aber Niemand kann sagen, eS ist unmöglich, daß sie (dir Mächte) der Klagen der Leidtndrn müde würden und rin andere» Arrangement finden dürften' nämlich einen Ersatz für Dasjenige, welches die gehegten Hoffnungen nicht erfüllt hat. In dem Concert der Mächte — ein markantes Phänomen, das erfreulichste Phänomen der Gegenwart — liegt nichts, was diejenigen trösten könnte, die jene Regierung zu verewigen wünschen oder die Stimme jener zum Schweigen bringen wollen, die den Herrschern der Türkei die brennende Noth» Wendigkeit einprägen wollen, ihren Unterthanen die Segnungen einer guten Verwaltung zu geben. Während der Unterhandlungen hat Nichts größeren Eindruck auf mich gemacht, als die Neigung der Großmächte, zusammenzuwirken, und ihr tiefes Verständniß für die schrecklichen Gefahren, welche die Trennung ihrer Action herbeiführen könnte. Selbst diejenige unter ihnen, welche tm Volksgerede den Ruf der Rastlosigkeit hat, hat mit den anderen in dem Bemühen gewetteifert, diese große Schwierigkeit zu einem günstigen Ausgange zu führen und sie in einer Weise zu führen, dir ave Mächte in einer Linie halte, angeregt durch ein gemeinsame» edle» Ziel, das des Friedens der Christenheit. (Betsall.) Da» ist ein sehr erfreuliches Symptom; ich hoffe, daß e» dir Grundlage eines dauernden ActionSsystems in dieser und vielen anderen Fragen ist, und daß e» dem Zustand de» bewaffneten Frieden» rin Ende machen wird." In letzterer Hinsicht theilen wir die illusionistische Hoff' uungSseligkeit Lord Salisbury », die zweifellos nur dem stillen Eingesläntniß von Englands Vereinzelung und kriegerischer Concurrenznnfähigkeit ihren Ursprung verdankt, keineswegs, im Uebrigen aber zeichnet er die Lage im Orient so, wie sie jedem Unbefangenen sich darstellt: Keine einzelne Macht be absichtigt eine Sonderaction in der Türkei, was England freilich, wenn Rußland und Frankreich ihm nicht rechtzeitig „an dir Seite" getreten wären, nur zu gern ins Werk gesetzt haben würde, vielmehr sind sie alle einmülhig entschlossen, den Welt frieden, dessen sie sammt und sonders geraumeZeit noch bedürfen, mit allen Mitteln und auch für den Fall aufrecht zu erhalten, daß die vom Sultan versprochenen Reformen nicht auS- aesührt werden, die alte Wirtschaft, die zu so entsetzlichen Folgen geführt hat, also weitergeführt wird. Zur letzteren Falle würde — und daS erscheint uns als eine hochwichtige, auf eine weitgehende Uebereinstimmung der europäischen Mächte deutende Verlautbarung Lord Salisbnry'S — eine ge trennte oder gemeinsame bewaffnete Intervention, auf deren schwere Gefahren allgemeinen Charakters wir wiederholt binwiesen, noch nicht die ultima ratio sein, sondern die sechs BertragSmächte würden sich dann zur Einsetzung einer europäischen Vormundschaft über Herrscher und Regierung am Goldenen Horn einigen. DaS wenigstens glauben wir auS der Aeußerung Salisburv's heraus lesen zu sollen: „Zn dem Concert der Mächte liegt nichts, wa» diejenigen trösten könnte, die jene Regierung zu verewigen wünschen . . Auch in Rom sieht man wie wir schon mittheilten, keinen Anlaß zu Besorgniß wegen der Möglichkeit gefährlicher Verwickelungen, auch dort vertrant man auf daS tiefe FriedenSbedürfniß der Völker und der Negierungen und in gleicher Weise stellt man sich in Wien zu dem gefährlichen Problem. Von dort wird uns unterm 1v. November berichtet: Gras Golnchowski äußerte bei dem gestrigen Wochenempfange de» diplomatischen Corps, sebst wenn die Kräfte der Pforte zur Unterdrückung der Unruhen nicht auSreichen sollten, könne noch immer nicht ernstlich von KriegSgefah gesprochen werden, da dir Großmächte in dem Entschluß überein stimmen, den Frieden Europas aufrecht zu erhalten. Nun gilt eS zunächst abzuwarten, welche weiteren Ent schlüsse der Sultan faßt und welche Thaten er sehen läßt Zu langem Ueberlegen ist jetzt freilich keine Zeit mehr. Deutsche- Reich. O Berlin, 10. November. Der bisherige soeigldemo- kratische Reiseapostel und PredigtamtS-Candidat Theodor von Wächter plant, wie schon telegraphisch gemeldet, dir Gründung einer neuen einer „Social-ch ristlichen Part ei", die alle» Andeutungen nach eine Concurrenzpartei der Stöcker'schen christlich-socialen Partei werden durfte. Nach schweren persönlichen Verfehlungen (seiner eigenen Angabe nach) hat Wächter in den letzten Monaten die Zurückgezogen heit ausgesucht, um sich „ru läutern und zu sammeln", und er fühlt sich nun neu gestärkt und berufen, eine religiöse Ver einigung zu gründen. Zu morgen Abend hat Herr von Wächter eine Versammlung nach Krller'S Sälen in der Koppenstraße einberufen, zu der er „alle Hungernden und Frierenden, alle mit leiblicher, geistiger und sittlicher Noth Kämpfenden" einladet und ihnen gleichzeitig die unentgeltliche Verabreichung von Kaffee und Gebäck verspricht. — Dem „Vorwärts" geht da» Auftreten von Wächter'S wider den Strich, und er warnt die „Genossen", besonders die jüngeren,vor dem Besuche seiner Ver- ammlungen; sie sollen sich von seinem Treiben streng fern- -alten. Nebenbei ist der „Vorwärts" überrascht davon, daß i )err von Wächter wieder hier ist und daß er „trotz gewisser Zorkommnisse", dir bis auf Weiteres unerörtert bleiben sollen, den Muth findet, öffentlich aufzutreten. Vielleicht theilt ?err von Wächter in der morgigen Versammlung, leich den Capitainen der Heilsarmee, mit, in welchem vündenpfuhl er bisher gesteckt. Zm vorigen Zahre wurde der socialdemokratische „Renegat", als er hier und an anderen rößeren Plätzen öffentlich auftrat, von der socialdemokratischen Presse mächtig gefriert, was nicht auffallend war, da ihm doch Bebel vorher einen Empfehlungsbrief für sein Beginnen ausgestellt hatte, von Wächter war nämlich so schlau gewesen, erst mit Bebel darüber zu conferiren, ob er als Socialdemokrat ugleich Christ und Theologe bleiben könne, und Bebel batte das auf Grund des Programmsatzes „Religion ist Privat ache" unbedingt bejaht. Es scheint nun, als ob die social demokratische Partei mit diesem Programmpunct zum ersten Mal eine Schlappe erleiden soll. * Berlin, 9. November. Anläßlich deS ErinnernngStazeS deS Sieges des „Meteor" über den französischen Aviso „Bouvet" fand heute Abend zu Ehren deS Admirals Knorr im Kaiserhos ein Diner statt, an dem einige siebzig Marine' officiere theilnahmen. Admiral Knorr wurde von den Fest' theilnchmern begrüßt und von StaatSsecretair Holl mann auf den Ehrenplatz geleitet; ihm gegenübersaß Bendemann. Während der Tafel trafen zahlreiche Glückwunschtelegramme ein. Admiral Knorr toastete auf den Kaiser und schloß mit einem Hoch auf die Marine, Hollmann toastete auf Knorr. Der Kaiser sandte heute Morgen folgendes Telegramm: „Bei der Wiederkehr des Gefechtes bei Havanna erinnere Ich Mich gern deS von Ihnen als Commandant de» „Meteor" geführten siegreichen Gefechts und spreche Zhnen Meinen warmen Glückwunsch zur heutigen Wiederkehr deS in der Marine fast einzig dastehenden Gedenktages aus." (Wiederb/ * Berlin, 11. November. Es ist eine bekannte Thatsache, daß die süddeutschen Eisenbabnverwaltungen vie regsamer und entschlossener sind in der Einführung von Re formen, die dem Personenverkehr auf den Eisenbahnen zu Gute kommen als die preußischeBerwaltung, die mit dem Zuschlag in den D-Zügen und der Bahnsteigsperre Einrichtungen getroffen bat, über deren Segnungen das Publicum seine besonderen Gedanken hat. Die Einführung zehntägiger Retour billetö, wie sie in einigen Staaten Süddeutschlands seit mehreren Zähren besteht» hat sich vortrefflich bewährt; den Reisenden ist damit ein Vortheil geschaffen, die Staatscasse hat nicht darunter gelitten. Auch die Kilometer-Fahr scheinhefte scheinen günstige Erfolge in Baden, in der Pfalz rc. aufzuweisen. Jetzt hat die unterfränkische Handels kammer beschlossen, eine Agitation zur Einführung von Fahrscheinheften für 1000 icm mit ZahreSgiltigkeit nach badischem Muster auch für Bayern rinzuleiten. Daß die badischen, pfälzischen, elsaß-lothringischen Bahnen, sowie die hessische Ludwigsbahn beschlossen haben, vom 1. Januar 1896 ab gemeinsame Kilometerhefte für den Personen verkehr einzuführen, haben wir an anderer Stelle schon er wähnt Wenn Bayern und Württemberg diesem Verbände auch noch beitreten sollten, so wäre damit für die Kilometer hefte ein stattliches Verbreitungsgebiet erreicht, das eine ziltige Probe zuließe, ob, wie wir glauben, mit dieser Art BilletS ein Nutzen für die Eisenbahnen (Erleichterung der Benutzung und dadurch Steigerung der Frequenz, sowie auch Vereinfachung deS Rechnungswesens) und ein Nutzen für die Reisenden (leichte Beschaffbarkeit, Abkürzung von Formalitäten) verbunden ist. — Der Reichskanzler ist von seiner Reise nach Gra bows wieder hier eingetroffen. — AuS der Sonnabend-Sitzung deS BundeSrathS ist noch zu berichten: Den zuständigen Ausschüssen überwiesen wurden der Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Butter,Käse,Schmalz und deren Ersatzmitteln (Margarine gesetz), die Uebersicht der ReichS-AuSgaben und Ein nahmen für daS EtatSjahr 1894/95 und die Uebersicht der Ausgaben und Einnahmen der Landesverwaltung von Elsaß- Lothringen für 1894/95. Bon der Fertigstellung deS -esammt-rricht« au» den Jahresberichten der Gewerbe» lufsichtSbeamten für 1894 wurde Kenntniß genommen und Uber eine Reihe von Eingaben Beschluß gefaßt. — Die Eröffnung de« preußischen Landtage« wird für Mitte Januar in Aussicht genommen. Neben dem Etat und dem LehrerbesoldungSgesetz wird dem Zandtage zunächst ein Gesetz, betreffend die Einführung deS Anerbenrecht« für Rentengüter, sowie ein Sparcasseugesetz rugehen. Ob auch die Vorschläge über das EnteignungSverfahren dem Landtage zugehen werden, ist zweifelhaft, dagegen ist mit Sicherheit eine Creditvorlage ür Eisenbahnzwecke zu erwarten. — Nach dem definitiven Abschluffe der ReichS-AuS- aben und -Einnahmen für 1894—1895 war, wie die ^M. N. N." wissen wollen, von Bayern ein Matricularbeitrag von 49 880 925 -4k zu leisten. Bayern habe vom Reiche 50 332 892 -4k erhalten, so daß sich zu Gunsten Bayerns ein Ueberschuß von 45196? -4k ergeben habe. Die Bestätigung dieser Meldung bleibt abzuwarten. — Die „Post" schreibt: Der AuSgang der Stadt- verordnetenwahlen der dritten Claffe bestätigt die von un- vertretene Auffassung, daß die früher vielfach erfolgreiche conservative Bewegung Berlins, seit sie sich von allen Beziehungen zu den Mittelparteien loSgesagt hat, zu nahezu gänzlicher Kraft- und Machtlosigkeit herabgesunken ist. Selbst der Antisemitismus hat ihr nur geringe Zugkraft zu verschaffen vermocht. Die Bürger- Parte, hat keinen Sitz errungen; sie steht nur in einem öezirke zur engeren Wahl mit den Linksliberalen und würde hier anscheinend nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn eine Cooperation mit den Socialdemokraten stattfände. DaS ist der Natur der Sache nach aber völlig ausgeschlossen. — Der Verband der deutschen Berufsgenossen schaften hat sich in seiner vorgestrigen Sitzung mit den Boedicker'schrn Vorschlägen einverstanden erklärt, nach welchen der größte Theil der Alter»- nnd JnvaliditatS- versicherung von den BerufSgenossenschaftea übernommen werden soll. — Eduard von Simson, der erste Präsident de» Deutschen Reichstages und de- Deutschen Reichsgericht», begeht heute seinen 85. Geburtstag. Mit unS werden sich heute weite Kreise der Nation in dem Wunsche vereinigen, daß Simson'S Lebensabend noch lange ein glücklicher bleiben möge. — Der „Posener Zeitung" zufolge wird der Landrath deS Kreises Pleschen, Herr v. Roöll, der Nachfolger deS Freiherr» v. Hammerstein in der Chefredaction der „Kreuz- zeitung". — Ein Herr Paul von Roöll pflegt an patriotischen Festtagen Gedichte in der ,^kreuzztg." zu ver öffentlichen. Ob er mit dem Landrath deS Kreise« Pleschen identisch ist, wissen wir nicht. — Der Journalist Reuß hat seine Privatklage gegen den Redacteur Dierl vom „Vorwärts", wie das genannte Blatt mittheilt, kurz vor dem Gerichtstermin zurück gezogen. Reuß war vom „Vorwärts" als Lockspitzel be zeichnet worden. — Der Privatdocent Dr. Zastrow von der hiesigen philosophischen Facultät ist am 16. Februar 1894 wegen Beleidigung des HandelSministerS von Berlepsch zu 100 -4k Geldstrafe verurtheilt worden, weil er in einer Schrift „Social-Liberal" die Aufhebung der BerzwerkSabgabe unter Heranziebung des verwandtschaftlichen Verhältnisses des Han delsministers zu dem Bergwerksbesitzer von Tiele - Wiuckler erörtert hatte. DaS Urtheil ist am 11. Mai 1894 durch Ver Weisung der Revision «ndgiltig geworden. Jetzt berichtet die „Bossische Zeitung", daß der philosophischen Facultät ein Schreiben des Unterrichtsministeriums zugeaangen sei, daS die Einleitung eine» DiSciplinarversahrenS gegen Dr. Zastrow anregt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Mit theilung vollständig ist, ob die Anregung sich in der That ausschließlich auf ein anderthalb Jahr altes gerichtliches Urtheil gründet. Der „Nat.-Z." macht der Vorgang den Eindruck, als ob die, bekanntlich von der Regierung schon lange erwogene Frage, ob von den Privatdocenten so weit Zurückhaltung im öffentlichen Leben verlangt werden könne, wie die Professoren solche in ihrer Eigenschaft als Staat« beamte beobachten müssen, formell zur Erörterung gestellt werden sollte. — Zur Richtigstellung einer in den hiesigen Morgen blättern enthaltenen Notiz überden neuen „Socialwissen schaftlichen Verein" an der Universität wird der „Post" Folgendes mitgetheilt: Nachdem die Mitglieder der alten „Socialwissenschaftlichen Vereinigung" die an den Unterricht« minister s. Z. gerichtete Beschwerde über die vom Senat ge billigten Maßnahmen des früheren RectorS Prof. Pfleiderer zurückgezogen haben, bat sich jetzt mit Genehmigung deS RectorS aus Grund neuer Statuten der neue „Sccialwissenschastliche Verein" gebildet. Von einer Reconstruction und Genehmigung der früheren Socialwissensckastlichen Vereinigung durch den jetzigen Rector kann sonach keine Rede sein; vielmehr ist daS ihr gegenüber erlassene Verbot zu Recht bestehen geblieben Der neue Verein verfolgt den Zweck, die akademische Jugend in die wichtigsten und allgemein interessanten Gebiet« der National-Orkonomie sökvie in die übrigen Zweige der Social Wissenschaft einzuführen. — Zu den Stadtverordnetenwahlen vom Sonn abend ist noch nachzutragm, daß für socialdemokratische Candidaten im Ganzen 12 688, für liberale 11 115 und für antisemitische 2989 Stimmen abgegeben worden sind. — Da« Verfahren wegen MajestätSbeleidigung gegen den Herausgeber der „Ethischen Cultnr" Dr. Förster, auS Anlaß deS bekannten Artikels jener Zeitschrift, ist, dem Vernehmen der „Volkszeitung" nach, aufs Neue eröffnet worden. — DaS „Berliner Tageblatt" theilt mit, daß sein Bericht über die Unterredung eines seiner Freunde mit dem CultuS- minister Dr. Bosse „in einigen Punkten nicht zutreffend" ist. Ja welchen Puncten, verschweigt da» „Berl. Tagrbl." eider. — Der Gesandte in Weimar Geheime LegationSrath Ra sch bau st vom Urlaub nach Weimar zuüickgekrhrt. — Der deutsche Gesandte am niederländischen Hofe Wirkliche Geheime Rath Frhr. von den Brincken hat sich auf seinen Posten begeben. — Gegen den socialdemokratifchen Verleger eine» Couplets „Herr voo Hammerhahn und von Lieberstrin" ist vom Kriegsministerium Strafantrag gestellt worden. * Danzig, 9. November. Nach einem heute einstimmig zrsaßten Beschlüsse der Stadtverordneten und des Magistrats wurde dem Abgeordneten Rickert auS Anlaß seines funfund- zwanzigjährigen Abgeordnetenjubiläums da« Ehrenbürger- recht der Stadt Danzig verliehen. Namen» der Bürgerschaft iberreichten die Kaufmannschaft, die Gewerke und acht Verein: dem Jubilar eine gemeinschaftliche Adresse. Die politischen Zreunde de« Jubilar« au» Nord- und Süddrutfchland ließen, wie die „Danziaer Zeitung" meldet, einen Rickertfonds, der bis jetzt den Betrag von 45,000 ^tk erreicht hat, zur Ver wendung für allgemeine Zwecke nach dem freien Ermessen deS Abgeordneten Rickert überreichen. * Hamburg, 10. November. Die jetzt wieder aufgenommene Verfassung »re Vision kam 1892 auf die Tagesordnung, nachdem die Cholera die Gebrechen des hamburgischen StaatS- wesenS offen gelegt batte. Seitdem ist unausgesetzt hin und her verhandelt worden zwischen Commissionen und Deputa tionen, Bürgerschaft und Senat. AuS einer gemischten Depu tation sind Vorschläge an die Bürgerschaft gelangt. Die von der Bürgerschaft hiernach gefaßten Beschlüsse werden jetzt wiederum vom Senat in den verschiedensten Richtungen amendirt. Eine Einigung ist insofern vorhanden, als künftig daS Bürgerrecht und damit auch daS Wahlrecht für die Bürgerschaft nicht mehr abhängig sein soll von einer Stempel abgabe von 30-4k für den Bürgerbrief, sondern von der Ver steuerung eine» Einkommen« von 1200 -4k während fünf Jahren. Derjenige, der ein Einkommen von mindestens 2000 -4k besitzt, soll bei Strafe einer Verdoppelung seiner Einkommen steuer verpflichtet werden zum Erwerbe des Bürger recht». Der Senat will diese Verpflichtung erst an ein Ein kommen von 3000 ^k knüpfen. * Bremen, 9. November. Dem Direktor Dr. Scholz ist der „Weser-Ztg." zufolge von der hiesigen Krankenanstalt wegen des Streits um das Bielefelder Pflegepersonal ge kündigt worden. — Der preußische Gesandte bei den Hanse städten von Kiderlen-Wächter überreichte heute Vor mittag dem präsidirenden Bürgermeister Dr. Groening sein AbberusungSschrriben. * vraunschweig, 9. November. DaS herzogliche Staats- ministerium hat unter dem 25. Oktober d. I. an die katholischen Geistlichen im Herzogthum folgende Ver fügung erlaffen: „Im Aufträge Seiner königlichen Hoheit des Prinzen Albrecht von Preußen rc., Regenten des Herzogthums Vraunschweig, lassen wir Ihnen anliegend in einem Exemplare die Bezeichnung der biblischen Texte, welche den Predigten an dem auf den 20. No» vember d. I. fallenden Buß- und Beilage zu Grunde zu legen sind, zugehen und beauftrage Sir, solche bei den kotteSdienstlichen Versammlungen Ihrer Glaubensgenossen an dem bezeichnet«» Tage zu benutzen." Die „Germania" führt bittere Klage über diese Verfügung und fragt, wie heute trotz der anerkannten Be stimmungen deS westfälischen und Wiener Friedens und trotz der noch ganz neuen Erfahrungen deS Cultnrkampfcs so etwas noch geschehen könne! * Detmold, 10. November. Da man, der „Rh.-Westf. Z." zufolge in Sachen de« Antrag« der lippischen Regierung beim BundeSrathe, betr. die Einsetzung einesGerichtsbofeS zur Regelung der lippischen Thronfolgefrage, noch zunächst die Ansicht deS ReichS-JustizamteS hören will, wird die Angelegen heit den BundeSrath aller Wahrscheinlichkeit nach nicht früher als im December beschäftigen können. DaS Referat in der Angelegenheit wird vom königlich sächsischen Vertreter beim BundeSrathe Grafen Hohenthal erstattet werden. * Weimar, 11. November. Ueber das Befinden der Grob herzogin Sophie wird der „Schl. Z." aus Heinrichau ge- schrieben: Die Frau Großherzogin befindet sich nach ihrer schweren Erkrankung in langsamer, aber stetig fortschreitender Genesung. Ein bestimmter Termin der Abreise ist noch nicht festgesetzt. Es ist sehr fraglich, ob dieselbe noch im Lause dieses Monats erfolgen kann. Der Leibarzt der hohen Frau, Geh. Med.-Rath vr. Pfeiffer, ist tu voriger Woche abgrreist. zweifelt. So. Komm, setze Dich hier her, an den Schreib tisch. Ich gehe so auf und nieder — während Du erzählst — Du kennst ja meine alte Angewohnheit —" Er brach ab und lockerte seine militairische Binde, er er stickte fast an seinen Worten, die dem armen Jungen Zeit geben sollten, sich zu fassen und Ruhe, Ruhe! Er kannte za den nerveuberuhigenden Einfluß seiner gleichmüthigen, gelassenen Stimme auf seine Kinder. Schon als sie ganz klein waren, in Krankheiten, oder Furcht, oder kindischem Jammer, hatten sie gläubig gelauscht und beruhigt ihre Thränen getrocknet. Ja, ja, die alte ruhige Stimme, die gar keine Angst und Verzweiflung zu kennen schien! Helmuth saß ganz still und die Wogen legten sich und die qualvolle Spannung der Nerven löste sich, wie er dasaß und auf die milde Stimme horchte, als sei er noch der kleine Junge, der in Fieberangst auS seinem Bettchen springen wollte. Der Oberst ging aus und nieder, die Hände auf dem Rucken. Er fragte gar nicht« Er hielt seine Liebe, sein Mitleid, seine bange Angst, sein ganzes Entsetzen in festem Zügel. Nur einmal strich er im Vorbeigehen freundlich über Helmuth'« Haar und Wange — eine ruhige, kühle, fast ge mütbliche Berührung. „Na, alter Junge, Kopf oben! Sieh mal Deinen Alten an. Der kann sich die Geschichte nu schon denken und stellt dem Unabänderlichen seinen Man» — Hab' schon manch Einen so dastebn sehn, als sei nun Alle» auS und daS Leben keinen Pfifferling mehr Werth, und bat sich nachher vor dem alten Obersten seiner Verzagtheit geschämt." Und er ging wieder ruhig auf und nieder. Maria- Margarethe, die da» Taschentuch zwischen die Zähne geklemmt, um rhr Schluchzen zu ersticken, auf der anderen Seite der Thür lauschte, körte daS Knarren seiner Stiefel, aber von dem leisen, eintönigen Reden ihre« Bruder« konnte sie kein Wort verstehen. Helmuth erzählte. Wort für Wort, Factum für Factum, wie e» Alle« geschehen war. Er machte keinen Commentar dazu, keine Zwischenbemerkung. E« war völlig Nacht geworden im Stübchen. Hier und da leuchtete schon ein Fenster in den Hofgebäuden auf. Helmuth war zu Ende. Er saß, wie er von Anfang an gesessen, und rührte sich nicht, vornüber gebeugt, die Hände zwischen den Knieen gefaltet, und sah auf dre Erde. Seine Athemzüge tönten so schwer und tief, als läge er in bangem Traum. Der alte Soldat nickte vor sich hin. „DaS wäre nun vorüber, und waS da noch kommt, ehe Du fertig damit bist — muß ertragen werden. Nun, darüber red' ich weiter nicht — Du bist ein Mann. Sieh nicht rückwärts, mein Sohn — halt' den Kopf hoch und die Augen hell. Dein Ehrenschild rein und sieh vorwärts — mit Gott. Er verläßt keinen Deutschen. Du bist noch jung, bist begabt, trägst einen guten Namen ohne Fleck. Stütze Dich auf eigene Kraft, stell' Dich auf eigene Füße." „Ach Vater, ich fürchte —" „Nicht doch, nicht doch, mein Junge, daS Wort giebt e« nicht im Leiikon der Andor'S! Du fürchtest gar nickt«, so wenig wie Dein Vater oder Deine Schwester für solch' einen Sohn und Bruder fürchten." „Kannst Du Dir denken — oh ja. Du, Du kannst es Dir denken, wie mir zu Muthe ist. Ich bin Soldat mit jedem Tropfen Blut, ich war ein guter Soldat, ja, ich weiß es, ich hätte e« weit gebracht, ich hatte eine Zukunft, eine ehrenvolle Laufbahn sicher!" „Männer wie Du haben immer eine Zukunft, eine ehren volle Laufbahn sicher, es giebt viele Wege für einen braven, gescheiten Mann." „Aber Du selbst, Vater, hast mir vor Kurzem noch auf meine stolzen, vermessenen Reden gegen Maria-Margarethe an dieser Stelle hier geantwortet, daß wenige Menschen für mehr als eine Sorte Arbeit die ausgesprochene Begabung von Gott empfangen haben." Ja, da« hatte er gesagt, und da« meinte er noch. Er trat unrndig wieder zum Fenster und sah hinaus, und seine Seele blickte in einen Abgrund voll Sorge. „Im Allgemeinen", begann er endlich zögernd, „mag daS wohl zntreffen; eS giebt aber viele Ausnahmen. Ich kenne sehr viel Officiere, die durch ein unglückliche» Zusammentreffen widriger Umstände frühzeitig aus einer hoffnungsvollen Car- riöre geschleudert wurden und sich wieder aufrafftcn, mit festem Mutb, mit eisernem Willen Dinge lernten, die sie früher kaum dem Namen nach kannten, und mit Ausdauer und Energie allmählich ehrenvolle, geachtete Stellungen in der Gesellschaft rinnahmen." „Viele kennst Du?" fragte Helmuth bitter. „Viele oder Wenige, danach schau Dich nicht um. Du bist Du selbst, ein Mensch für sich, der berechtigt ist, zu sagen: Ich kann, wa» ich will, und ich will, was ich muß. Wenn e» sein muß, zuerst mit zusammengebiffenen Zäbnrn, die Faust auf dem Herzen, damit e« nicht muckst, den Blick auf « Ziel unverwandt — mit dem Einsatz deS ganzen Menschen, der so tüchtig und schneidig in Dir steckt, loS in ein neues Leben!" Helmuth war aufgestanden und zu dem Vatcr getreten und ihre Hände ruhten in einander. „Du sollst nicht ver gebens zu mir gesprochen haben! Wahrhaftig, wer einen solchen Vater und Freund hat, der kann von Glück sagen in jedem Unglück!" Und wieder und wieder drückten si« sich die Hände, denn zu umarmen wagten sie sich nicht, au« Furcht vor der eigenen Rührung. „So, alter Junge! Da» wäre abgethan. Nnd jetzt gehst Du etwas in die Luft. Mach' einen tüchtigen Spaziergang. Dann komme wieder. Wir haben noch viel zu besprechen." „Ja, daS will ich! So ein paar Stunden in Gotte« freier Natur — gegen Wind und Wetter — das wird gut thuu. Ich muß aber wohl erst Maria-Marzaretben —" „Keinesfalls. DaS mach' ich schon für Dich ab. Sie ist Deine liebe, theilnehmende Schwester, aber Frauenzimmer — weißt ja — mit ihren Sentimentalitäten and gut gemeinten Küssen, wenn man einen Kardätschenschuß in» Leben gekriegt hat — die können einen starken Kerl umbringen, wenn er denkt, er hält« tapfer durch!" Helmuth mußte lächeln. „Du kannst hier gleich durch, wenn Du über den Hof gehst", sagte der Oberst, eine Tapetenthür in seinem Zimmerchen öffnend, die nach dem Hinteren Flur führte. Mit raschem, straffem Schritt eilte Helmuth dahin. Er war eS gewöhnt, Eile zu haben. Ueberrascht auffahrend, sah er einen Soldaten an, der mit der Cigarre im Munde an ihm vorbei schenderte, ohne zu grüßen. Ach so — er war ja in Civil. Er war sonst fast nie in Zivil gegangen — er liebte seine Uniform so sehr! Er mäßigte seinen Gang, steckte die Hände in die Paletot laschen und schlenderte am Canal entlang. Wie so ein richtiger Bummler, der so viel Zeit hat, wie der Tag Stunden! dachte er. Nein, nein! Um Gotte- Willen nicht diese Stimmung! Kopf oben, Ziel im Ange — Ziel? Wo den»? Welche» denn? Wie soll man denn ein Ziel ,nS Auge fasten, wenn ring« um Einen dichter Nebel liegt? Gespenstig, wie warnend erhobene Hände ragten ab und zu vie kahlen Baumzweige vom Thiergarten herüber au« dem wallenden, schweren Nebel. E» regnete nicht, aber der Dunst legte sich feucht und eisig an Helmuth'« Gesicht — auf seine " eider — auf Alle« und Alle-, Noch waren die Laternen nicht angezündet, und eS war schauerlich, öde und still am Canal. Kein Mensch kam Helmuth entgegen. ES kam ihm vor, als läge ein sonderbarer Hauch von Moder und Schlamm, nasser Erde und faulenden Blättern — ein rechter Todeshauch in der Lust. Er knöpfte den Kragen am Halse zu und schlug ihn hoch. Rasch hatte er den nachlässigen Gang, mit dem er sich selbst verhöhnte, aufgegeben und sckritt fester aus. Jakoba! Er hatte einige Stunden lang ihrer kaum gedacht! Heute sollte eS die ganze Welt wissen, daß Helmuth Andor der «tolzeste, glücklichste Mann ist! Heute! Ob sie Wohl auf ihn wartet? Sicher. Sir weiß ia, daß er kommen muß, ihr zu sagen, wie „alle Welt" die Ueberraschung ausgenommen, und sie zu den Seinen führen. Auch zu ihr mußte er noch! Sv viel wie irgend möglich wollte er heut noch durchkämpsen! Vielleicht stand zu hoffen, daß sie ihn mit ernährte, vielleicht langte ihre Arbeitskraft für Zwei! Vortrefflich! Er konnte dann sitzen und ihre Romane lesen nnd sich'S bequem machen Und er lachte, während er mit den Händen daS Geländer am Canal umspannte, ia ohnmächtiger Wuth daran rüttelnd! ES kam ihm Jemand entgegen und ging langsam an ihm vorbei. Fran^oder Mann, er hatte gar nicht danach hinge sehen — nur daS Geländer hatte er loSzelaffen und sich me- chauisch wieder in Bewegung gesetzt. Und e« war ja noch rin Glück, daß sie wenigstens etwas konnte und verstand, eine Arbeit batte, die sie gut machte, die ihr zu leben gab und die sie liebte, so war doch wenigstens Einer glücklich von ihnen!! Schäm' Dich, Helmuth Andor, nicht so! Hohn und Zorn ist eine schlechte Waffe gegen daS Schicksal. Denk' an Deinen alten Vater, trägt der weniger schwer? Wahrhaftig nicht! Und er wer sein Sohn — und bei Gott, er wollte seiner würdig bleiben! Nach all seinem Vermögen wollte er Die, welche mit ihm litten, stützen und trösten — für sie, für seinen Vater, für seine Schwester, für sein Weib wollt« er nun leben I „Für Andere!" sagte er leise vor sich hin, und e« war ihm, al« ginge plötzlich ein stille«, klare« Licht in dem grauen Nebel seine- Leben« auf. Es war ihm, al- hatte sich all der grimme Schmerz auf einmal aufgelöst in stille Wehmuth. ES war ihm auf einmal, als könne er da« Ziel sehen, aus da» er nun den Hellen Blick unverwandt heften konnte. (Fortsetzung folgt.)
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