02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951024024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895102402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895102402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
- Tag1895-10-24
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Die „ L e i p z i g e r V o l k s z e i t u n g " hält es nämlich nicht für ausgeschlossen, „daß gerade erst durch die Aufpuffung des Mülhäuser Mordes durch die Leipziger nationalliberale und conservative Hetzpresse Ziegenbalg zu dem Attentat ermuntert worden ist". Die Psychologen des social- demokratischen Blattes halten cs also für möglich, wenn nicht wahrscheinlich, daß Ziegenbalg die Mordwaffe gegen den Chef unserer Polizei gerichtet habe, weil die nalionattiberaten und conservativen Leipziger Blätter den Mörder des Müthäuser Fabrikanten Schwartz an die Rockschöße der Socialdemokratie gehängt haben! Mancher wird versucht sein, diese Logik hochkomisch zu finden und sie auf gleiche Stufe mit dem „Eircuswitze" des bnmuien August zu stellen: „Da seht Jhr's! weil mich der Schulleiter auf das Gesäß geschlagen, hat der Rappe den Direktor abgeworfen." Aber die Sache hat eine sehr ernste Seite. Zeder, der die Handlung eines Andern zu erklären sucht, legt diesem unwillkürlich Beweg gründe unter, die ihn selbst, den Erklärer, wenn auch nicht zur gleichen, aber doch zu einer ähnlichen Handlung wenigstens in Gedanken gereizt haben würden. Der zur Eifersucht Neigende vermulhet, so oft er von einer Mordlhat kört, baß Untreue und Eifersucht im Spiele seien. Der Geizige denkt i» solchen Fällen stets an Beraubung und verzweifelte Abwehr des Bedrohte». Und wer leidenschaftlicher Aufwallung selbst nicht fähig ist, rieht seine Erfahrung zu Rathe und bildet sich sein erstes llrtheit nach seiner stennrniß von den Gcdankengängen der ihm bekanntesten Lebenskreise. So wird Jeder, der gezwungen ist, täglich die zum Hasse gegen die Hüter der jetzige» Staats- und Gesellschaftsordnung ansstachelnden Artikel der socialdemokratischen Blätter zu ver folgen und ihre Wirkung ans empfängliche Gemüther zu stndiren, unwillkürlich bei der Nachricht von einem An schläge gegen einen dieser Hüter zuerst an jene svciatdemo- kralische Aufstachelung als bewegende Ursache denken. Wenn nun die „Leipz. BolkSztg." bei der ersten Nachricht von dem Anschläge Ziegenbalg's auf den Gedanken gerieth, der frühere Schutzmann habe zur Mordwaffe gegen Herrn PoUzeidirector Brelschneider gegriffen, weit wir u.iv andere Blätter den Mörder des Fabrikanten Schwartz an die Rock schöße der Socialdemokralie gehängt hatten, so muß nach jenem alten Erfahrungösatze die „Leipziger Bolkszeilung" ent weder bei jener Nachricht selbst eine Regung verspürt haben, welche Gedanken erweckte, ähnlich denen, die Ziegenbalg zur Thal trieben, oder sie muß wenigstens infolge ihrer Erfahrung die (Überzeugung gehabt haben, daß in nicht seltenen Fällen Leute durch Beschuldigung der Socialdemokratie, sie dünge den Boden, aus dem Mord- thaten wachsen, auf Gedankengänge kommen, die zu mörde rischen Anschlägen auf eine» Hüter des Gesetzes und der Ordnung führen. Wir habe» cs mithin bei dem Versuche der „Leipz. Votksztg.", Ziegenbalg und seine verbrecherische Thal uns und anderen Leipziger Blättern an die Nockschöße zu hängen, nicht mit einer albernen Bosheit oder boshaften Albernheit, sondern mit einer unfreiwilligen Gefühls- und Gedankenciithüllitiig zu thun, die ein grelles Licht entweder ans die eigenen Emotionen und Jdeenver- bindungen der Leiter des Blattes, oder aber auf die Emotionen und Zveenverbindungen jener Kreise wirft, aus denen diese Leiter hauptsächlich ihre Erfahrungen sammeln. Wir wissen nunmebr, daß die Psychologen der „Leipz. BolkSztg." infolge ihrer Selbstkeinilniß oder ihrer Er fahrung cs für möglich, wenn nicht für wahrscheinlich ballen, daß ein gehörig vorbereiteter Mensch aus Preßvorwnrfen gegen die social demo kratischen Hetzapostel zur Ermordung eines PolizeidirectorS sich an getrieben fühlt. Wir werden infolge dieser höchst lehrreichen Gefühls- und Gevankeiientbülluiig den weiteren unfreiwilligen Ergüssen dieser schönen Seele mit Aufmerksam keit folgen und hoffen, daß auch Rechtsprechung und Gesetz gebung die rechte Lehre aus ihnen ziehe». Morgen werden wir wahrscheinlich wieder eine der staatS- männischen Abhandlungen der „Voss. Ztg.", in denen die Beseitigung des elsasz-lothringischc» „Tictäturparagraphen" gefordert wird, zu reproduciren haben. Der Augenblick ist günstig. Die Herren Colbus und Haas haben an einer antideutschen Kundgebung auf französischem Boden theil- genommen, der Letztere empfiehlt Liebknecht, nicht den Social demokraten — Haas ist ultramontan —, sondern den Reichs hasser Liebknecht, zu seinem Nachfolger im Reichstag, und obbemeldete „Voss. Ztg." veröffentlicht soeben folgenden Pariser Bericht: „Das „Petit Jour»." hat den deutschen Reichstagsabgeordnete» Preiß um seine Ansicht über die elsaß.lolhrinqijche Frage gebeten. I» der Antwort von Preiß heißt es: Die elsäjsische Frage ist derzeit kein Gegenstand internationaler Verhandlungen, oberflächliche Be obachter können sie deshalb leugnen. Sie besteht jedoch in den Thatjachen ebenso wohl, wie in den Geistern. Die Rechtslage ist die, daß Frankreich und Deutschland einen Vertrag ge schlossen haben, dem Elsaß und Lothringen nicht beigelreten sind, der also für uns ungiltig ist. Wir sind nicht gebunden, denn man hat uns nicht betragt. Unsere letzte öffentliche Handlung, der letzte Ausdruck unserer Gefühle und unseres Willens, ist unsere Verwahrung in Bordeaux. Nur eine gleich- werthige Handlung kan» diese Verwahrung ausheben, deshalb fordern wir ohne Unterlaß die Volksabstimmung. Die Germani- sirung macht nicht de» geringsten Fortschritt. In lOOJahren wird es ebenso sein wie heule und vor 25 Jahren. Die Elsässer fordern Achtung für ihr Recht, sie blicken nach Frankreich und glauben nicht, daß Frankreich die erhaltenen Prügel als endgiltig betrachtet, daß es seine Verluste und Demüthigungen, namentlich den Einzug in Paris, vergißt. Wäre Frankreich anders, als wir glaube», würde es sein Ansehen in der Welt verliere» und seine Rolle in der Geschichte aufgebe». Für uns ist die elsäjsische Frage eine Frage der Würde. Die allgemeine Sache der Gesittung ist ernstlich an unsere Hultung geknapst. Unsere Niederlage wuet» oeu Triumph solcher Grundsätze bedeuten: Die Macht geht vor Recht oder der Erfolg rechtfertigt Alles." Herr Preiß leugnet also die Rcchtsbeständigkeit der deutschen Verfassung und reizt einen fremden Staat zum Kriege gegen Deutschland und zur Wegnahme deutscher Gebiete auf. Und ein solcher Man» kann Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft des Reiches sein! Eine trefflichere Kritik der Mißachtung, welche die Herren Liebknecht und Genossen der Scntschcn Locialreform ent gegenbringen, läßt sich schwerlich denken, als die Initiative der dänische» Socialdemokraten behufs Schaffung einer dem Muster der deutschen Gesetzgebung nachgebildeten Unfallversicherung für Dänemark. Hier tritt wieder der große Unterschied zu Tage, welcher zwischen der deutschen Socaldemokratie und der Socialdemokralie des Aus landes besteht. Während die letztere eine starke Be tonung auf die Praktische Mitarbeit an der Verbesserung des Looses der arbeitenden Classen im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung legt, behandelt die erstere auch diese Seite der socialen Frage lediglich agitatorisch. Die Ver treter der deutschen Socialdemokratie im Reichstag und in der Presse wissen nicht genug zu spotten über das „Bischen Socialreform" und über die „Almosen", welche den In validen der Arbeit bewilligt seien. Und nun müssen es die Herren erleben, daß die „Genossen" in Dänemark einen Gesetzentwurf einbringen, der in seinen Grund- zügen und Einzelheiten fast vollständig mit dem deutschen Unfallversicherungsgesetze übereinslimmt. Die Vorschläge über die Grenze der EnlschädigungSberechtigung, die Abmessung der Entschädigung, die Ausdehnung der letzteren aus die Hinterbliebenen u. s. w. lehnen sich, wenn man stall der Rechnung in Mark die Rechnung in Kronen setzt, durch aus an die Bestimmungen des deutschen Gesetzes an. Nur der Umfang der Versicherung ist weiter gedacht, und die Organisation unterscheidet sich von der in Deutschland gellenven dadurch, daß in Deutschland ausschließlich die Unternehmer die Lasten der Unfallversicherung der Arbeiter tragen, während der Gesetzentwurf der dänischen Social- deinokraten die Aufbringung der Kosten durch die Ge- sammlheit der Steuerzahler von einer gewissen Steuergrenze an vorsiebt, so daß für die berufsgenossenschastliche Orga nisation kein Raum ist. Den „Vorwärts" mutbeu die Vor schläge der dänischen „Genossen" begreiflicher Weise „nicht gerade angenehm an". Sehr im Gegensatz zu der von seinen Gesinnungsgenossen in Deutschland bei jeder Ge legenheit bethätigten Geringschätzung der Wohlthaten unseres Unfallversicheriingsgesetzeö tadelt das socialdemokratische Eenlratorgan an dem dänischen Projekte, daß dasselbe „eng herzig" Diejenigen von der Entschädignngsberechiigung aus schließt, welche 2000 Kronen (2250 ^!) und mehr Eiiikommen haben. Tie aus anderer Leute Taschen speisende Großmnth des „Vorwärts" findet auch die in dem dänischen Gesetz entwürfe angenommene Mniimalrente für die Wittive eines unterstütznngöbercchliglen Arbeiters in Höbe von 200—250 Kronen zu gering. Die dänischen „Genossen" werden eben im Unterschiede zu den deutschen „Arbeiterverlretern" diese Minimatrenle als das zur Zeit Erreichbare und wohl auch Genügende betrachten. Gerade in solcher Berücksichtigung der prakliichcn Verhältnisse steht die deutsche Socialdemokratie weit hinter den Genossen im Anslande zurück, wo man wohl die polischcn Wahlerfolge der Llebknecht'schen Partei anstaunt, aber für die absolute Negation auf dem Gebiete der prak tischen Arbeit kein Verständniß hat. Endlich liegt das vollständige Programm des neuen österreichischen Eabinets in der Rede des Ministerpräsi denten Badeni vor, mit welcher derselbe die Verhandlungen des Reichsraths eröffnet hat. Ans Reichhaltigkeit und be sondere Klarheit kann dasselbe keinen Anspruch machen, aber darüber läßt cs keinen Zweifel, daß Graf Badeni, wie man es von ihm nicht anders erwartete, entschlossen ist, ein strammes Regiment zu führen. Der neue Leiter der cisleithanischen Negierung rechnet mit der Unter stützung aller Parteien, d. h. er will von Fall zu Fall sich eine Majorität im Neichsrathe schaffen. Wie dem Ministerpräsicenleii das ohne Anwendung der von ihm pcrhorrescirten Maxime „ckivicks et impera" gelingen kan», ist freilich nicht recht abzusehen. Die Gerechtigkeit soll der Grundsatz der neuen Regierung sein, aber wenn er allen Parteien, den Liberalen sowohl, wie den Klerikalen und Jung tschechen gerecht werden und deren Ansprüche befriedigen will, wird er die Wahlreform schwerlich zu Stande bringen können. Indessen ist das hervorragendste Moment in der Kund gebung des Grafen Badeni unstreitig die Berufung auf die Vormacht der deutschen Nationalität in dem viel gegliederten Organismus des österreichischen Staates. Die Erhaltung der traditionellen Stellung des DeutschthumS soll das Grundprincip der neuen Negierung bilden. Das ist nickt allein schön, sondern vom Standpuncte der Deutschen aus betrachtet, auch klug gesprochen, aber das Vertrauen der Tschechen auf die Staalsktugheit des Grafen Badeni ist da durch arg erschüttert. Berichte über den ersten Eindruck, Len die Rede im Abgeordnetenhause machte, sprechen denn auch bereits von dem „Murren" der Jungtschechen, die daraus gerechnet hatten, daß die Aufhebung des Ausnakmc- zustandes in Prag der Beginn einer lschechensreund- tichen Politik sei. Die jnngtschechischen Organe sage» es gerade heraus, daß die Regierung den Belagerungszustand nur deshalb aufgehoben habe, weil sie sich davon überzeugte, sie könne durch diese Maßregel die Opposition der Jnng- tsckechen doch nicht brechen. Letztere sehen denn auch in der Aushebung des Ausnahmezustandes keine Concession an das tschechische Volk, und der nun erfolgte Hinweis des Minister präsidenten auf die kulturelle Vormacht des Dentschthnms wird vollends dazu beitragen, daß nicht nur die Jung tschechen, sondern die Tschechen überhaupt dem neuen Cabinet keine sichere Stütze darbieten werden, wenn zehnmal Badeni von dem „vollen Vertrauen" gesprochen hat, welches die Negierung dem tschechischen Volke enlgegenbringen will. In diesem Cvmpliment liegt die Zumutbung an die Tschechen, so zu wollen, wie die Regierung will, d. h. ihren staats rechtlichen Begehrlichkeiten zu entsagen. Im Grunde ge nommen, hat Graf Badeni keine Partei vollständig zufrieden gestellt, obwohl er allen das Beste und den breiten Volksschichten Wahlreform und Socialreform versprach. Die Regierung will sich von keiner Partei ab hängig machen, oder wie es in der Programmrede wörtlich heißt: „Die Regierung will sich nicht führen lassen," sondern gedenkt, die Parteien zu führen. Das wird sich schwerlich durchführen lassen, denn ebenso frei wie die Regierung sind auch die Parteien und baß diese mitunter ebenso fest ent schlossen sind, sich nicht führen zu lassen, dafür giebt ein ganzer Friedhof gefallener Minister beredtes Zeugniß. Tie Parteien sieben denn auch dem neuen Ministerium noch sehr reservirt gegenüber und warten die ersten Thaten desselben ab. Wie dem „Hamb. Corr." aus Samoa geschrieben wird, sind die Zustände dort nach wie Vorrecht unbefriedigende. Die feindlichen Parteien der Eingeborenen stehen sich fort gesetzt drohend gegenüber, und nur die Anwesenheit der öeutlchen »nd englische,, Kriegsschiffe und die Bem? Hungen des deutschen und englischen Consuts haben es vermocht, daß es in der letzten Zeit nicht wiederum zu offenem Kampfe und zu Blutvergießen gekommen ist, wenn auch inzwischen die Plünderungen und Diebstähle auf den Pflanzungen ihren Fortgang nehme» und die Eingeborenen ungestraft die von den drei Großmächten feierlich festgesetzte Rechtsordnung beständig verletzen. Leider finden die auf die Erhaltung des Friedens gerichteten Bestrebungen des deutschen und englischen Vertreters in Apia bei dem dortigen amerikanischen Eonsul, einem Herrn Mulligan, keine Unterstützung. Dieser befindet sich in den Händen einer in Samoa seil Jahren be- stehendcn Cligue politischer und geschäftlicher Abenteurer, die daraus ausgehen, die Eingeborenen und das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen, um bei dieser Gelegenheit im Trüben u fischen und ihren Boitheil zu suchen. Auch der aus den amoanischen Wirren der letzten Jahre als gewerbsmäßiger Aufwiegler bekannte Amerikaner Moors soll dort wieder sein Wesen treiben und sogar in Beziehungen zu dem amtlichen amerikanischen Vertreter in Apia stehen. — Jene Wühlereien beschränken sich aber nicht nur auf die Samoa-Inseln, sondern finden bedauerlicher Weise F-urlletsir. Schwere Kämpfe. Roma« ans dem grotze» Kriege. 46s Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Am folgenden Tage marschirte der Oberlieutenant mit den Fahnenträgern und einigen Unterossicieren des 3. und 12. Regi ments nach Versailles. Am 18. Januar Vormittag fand die er hebende Feierlichkeit im prächtigen Spiegelsaal des Versailler Schlosses statt. Die Fahne» und Standarten der um Paris siebenden Truppen bildeten einen herrlichen kriegerischen Schmuck, »nd zwischen diesen Symbolen militairischer Treue standen die Deputationen der Regimenter. Preußen, Bayern, Sachsen, Würltemberger re. harrten hier, um auSzndrücken, daß das ganze deutsche Volk in ungetrübter Einmüthigkeil Preußens König zujuble, wenn er der Aufforderung von Bayerns König nachkam und sich zum Kaiser des ganzen weite» Vaterlandes, zum Schirmherr» deutschen Rechtes, zum Oberfetdberrn der einigen deutschen Heere erklärte. Tiefe Erregung batte wie alle Anwesenden, so auck Horn ergriffen, als König Wilhelm sich vor die um ihn versammelten deutschen Fürsten und ihre Vertreter stellte und die Annatzme der Kaiserkrone aussprach. In höchster Begeisterung stimmte er mit ein, als der Grvß- herzog von Baden nunmehr das erste Hoch auf „den deutschen Kaiser" ausbrachte. Dazu krachte außen der Donner der schweren Geschütze, der den Parisern durch ehernen Mund mitrutheilen schien, daß von nun an all' ihr Ringen vergebens sei, daß Frank reichs Rolle anSgespieU und an seine Stelle das neue deutsche Kaiserreich als erste Macht der Welt getreten wäre. Es waren für alle Anwesenden unvergeßliche Augenblicke. Beim HerauStrcten ans dem Schlosse meinte ein Kamerad zu Horn: „Schwere Kämpfe hat Kaiser Wilhelm durchmachen müssen, bis er zu diesem Ziele gelangt ist. Nun aber hat er cs erreicht und darf mit Befriedigung auf die Vergangenheit zurücksrben." „Ja, das ist wahr." In Gedanken setzte Horn hinzu „Auch ich kann sagen, daß ich schwere Kämpfe hinter mir habe. Ebenso darf ich mich aber jetzt der festen Hoffnung hingeben, daß auch ich zn meinem Ziel gelangen werde." Die in Versailles versammelten Deputationen der ent legeneren Regimenter blieben am 18. Januar noch in dieser Stadt, um am nächsten Tag den Rückmarsch anzutreten. Nach einem opulenten Diner im Hotel de Reservoir begab sich Horn in die prächtigen Schloßgärten, um das Spiel der weltberühmten Wasserwerke zu sehen. Er durchwandelte vorher die unteren Säle des Schlosses, die mit Leichtver wundeten oder Erkrankten belegt waren, um vielleicht einen Kameraden seines Bataillons zu finden. Mit einem Male kam ein Krankenwärter ibm nach und bat ihn im Namen eines Kranken, an ressen Bett er soeben vorbeigegangen war, wieder umzukehren und zu ihm zu kommen. „Wer ist der Verwundete?" „Kein Verwundeter, sondern ein an der Ruhr er krankt gewesener Osficier der 76er, Lieutenant Thorstraten." Auf diese Worte drehte sich Horn im Nu um, er kannte nunmehr seinen Freund und trat eilends auf ib» zu. „Du, lieber Gustav! O, wie leid ist eS mir, Dich so zu sehen." „Es macht nicht viel. In acht bis zehn Tagen meint der Stabsarzt, könnte ick wieder Dienst tlmn. Ich habe bei einige» strengen Patrouillen mich gründlich verdorben. Es war nur unmöglich, mir im Süden die nötbige Ruhe zu ^währen. Darum hat man mich hierher geschickt. UebrigenS laß Dir von Herzen gratuliren. Ick sehe ja zu meiner größten Freude, daß auch bas Eiserne Kreuz Deine Brust schmückt!" Horn dankte ihm bestens. Die beiden Freunde unterhielten sich noch lange Zeit. Schließlich schickte Thorstraten den Oberlientenant mit den Worten weg: „Sieb Dir jetzt die Wasserkünste an; später springen die Brunnen nicht mehr. Wenn Du Zeit hast, komm' heute Abend nochmals zu mir." „Selbstverständlich. Also auf Wiedersehen!" So sehr ihn auch die originellen Wasserwerke interessirten, so beobachtete sic Horn doch nicht mit voller Aufmerksamkeit. Seine Gedanken eilten immer wieder in die deutsche Heimath, zu Renale. Er verließ daher eher, als das Springen der Brunnen beendet war, de» Garten und kehrte in den Krankensaal z» Lieutenant Thorstraten zurück. Sein Freund empfing ihn mir einem vor Freude geradezu leuchtenden Ge sicht und rief ihm schon von Weitem zu: „Ludwig, da sich und lies, was mir die Feldpost soeben brachte." Damit hielt er dem Oberlientenant ein Dienstschreiben entgegen. Horn sah eS durch und erkannte die Mittheilung des 76. Regiments an den Lieutenant Thorstratcn, daß er für sein Verhalten in den Kämpfen um Orleans das Eiserne Kreuz II. Classe er kalten habe. Nun gratnlirte er seinem Freund auf das Herzlichste. Er war über diese Nachricht nicht nur für den Ausgezeichneten selbst, sondern auch in seinem eigenen Interesse hoch erstellt. „Weißt Du, Das trägt Alles dazu bei, Deinen Vater von seiner Antipathie gegen die Officiere zu heilen." „Du hast Recht. Ich will es ihm auch gleich mitthcilen. Ich fürchte nur, chie Feldpost hat jetzt infolge der Kaiser- proclamation so viel zu thun, daß sie in den nächsten Tagen nichts Privates befördert." „Ob, da kann ich Dir einen Ausweg Vorschlägen. Schreibe beute noch Deinem Vater. Ich nehme den Brief mit und übergebe ihn morgen Abend der bayerischen Feldpost. Dann gebt er schnell weiter." „DaS werde ich thun. Und Du könntest mir noch einen Gefallen erweisen." „Mit Freuden." „Schreibe Du Alles, waS mich betrifft, oder noch besser, waS uns Beide angcht, in meinem Namen meiner Schwester. Ich werde sonst nickt fertig. Willst Du?" Er blickte mit schmunzelndem Lächeln seinen Freund an. „Und ob ich will! Sie soll Alles genau erfahren." Beide nahmen hierauf von einander Abschied. Horn begab sich in sein Quartier und schrieb einen ausführliche» Brief an seine Renate. Wenn er sich auch sehr bestrebte, möglichst in der Nolle als Beauftragter seines Freundes zu bleiben, so schlich sich doch mancher Satz ein, den sein Herr beeinflußt hatte, upd am Schluß lautete die Unterschrift: „Kein Tag vergebt, an dem nicht meine Gedanken mit sehn süchtigsten Wünschen nach Hambnrg ziehen. Ihr Ludwig Horn". Noch einmal folgte eine Zeit strengeren Dienstes. Der große Ausfall der Pariser und die Schlacht beim Mont Valerien am 19. Januar hatte» gezeigt, daß die feindliche Hanptstadt noch nicht alle Hoffnungen, die Belagerung zu sprengen, aufgegeben habe. Darum wurden die Vorschriften für die Vorposten wieder verschärft, aus beiden Seile» entstand abermals ein heftiges Schießen; kurz, man hätte meinen können, die Belagerung fange von Neuem an. ES war aber doch nur das letzte Aufflackern vor dem Erlösche» des Lichtes. Schon am 23. Januar begannen Ver handlungen wegen einer schleunigen Verpflegung von Pari«. Am 26. Januar AbendS saßen General Roth und die Herren seines Stabes vergnügt im Schlöffe Valento vereint und tranken vorzüglichen Pfälzer Wein, der mit einem Transport von Liebesgaben aus dcr Heimatb angekommen war. Ebenso herrschte Ueberfluß an Cigarren, Thee u. s. w. Die Feldpost hatte die ersten Zeitungen, welche sich ein gehender mit den der Kaiserproclamation in der Heimat!, folgenden Festlichkeiten befaßten, gebracht. Ein gemutblichcs Feuer brannte im Kamin, und wer diese fröhliche Gruppe von Ofsicieren sah, konnte sich gar nicht vorstellen, daß man sich innerhalb der Scku ßweite der französischen Forts befand. Die Stimmung war eine sehr gehobene, weil man aus jenen Zeitungen, sowie aus Briefe» deutlich erkannte, daß man i» Deutschland die Entstehung deS neuen Reiches mit der gleichen hohen Begeisterung ausgenommen habe, wie bei den in Frank reich kämpfenden Truppen. Selbstverständlich bewegte sich das Gespräch um die bevorstehende (Übergabe von Paris. Man glaubte, daß cs sich nur um Tage bandeln könne, bis der Schlnßact der riesigen Belagerung dem ganzen Kriege ein Ende bereiten werde. Vor dem Schlosse vernahm man jetzt Pfervegetrab. Eine Stimme rief eine Orconnanz herbei, um die Pferde zu halten. Horn sprang an das Fenster des Saales, um zu sehen, was der späte Besuch bereute. „Es ist Lieutenant von Detter, der neue Ordonnanzofsieier des Divisionsstabcs." Der auf solche Weise angemeldete Osficier trat rin. schritt auf die ihn freundlich begrüßenden Kameraden zu und be gann: „Herr General, meine Herren, ich bringe die denkbar besten Nachrichten. Heute Nackt 12 Uhr werden die Feind seligkeiten eingestellt. Paris capitulirt. Hier ist der Befehl." „Alle Wetter, daS kommt unn doch überraschend. Lassen Sie einmal sehen!" Der General nabm den schriftlichen Befebl in Empfang und las ihn laut vor. Kein Zweifel, um Mitternacht war daS große viereinhalb Monate dauernde Drama zu Ende. „Jetzt, meine Herren, ein Glas aus das glückliche Ereigniß und dann zu den Truppen, um ihnen sofort den Befehl mit- zutbeilen." So laut wie seit Langem nickt mehr klangen die Gläser an einander, und mit einem Zug wurden sie geleert. Gleich darauf ritt Horn zu den Vorposten. Wo er hinkam, erregte seine Nachricht den höchsten Jubel. Man konnte kaum die Mitteriiachtssiunde erwarten. Gegen 10 Uhr Abends erschienen schon verschiedene Franzosen mit umgebängten Gewehren, traten obne Scheu bis an die deutschen Linien heran und baten n»n Brov oder andere Lebensmittel. Die bayerischen Soldaten gaben ihnen,
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