02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-31
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951231022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895123102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895123102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-31
- Monat1895-12
- Jahr1895
-
-
-
9368
-
9369
-
9370
-
9371
-
9372
-
9373
-
9374
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
«ezugs Preis I» ver Hauptrxpedittou oder den im Stadt. und den Vororten errichteten Aus- gabestellrn abgeholt: vierteljährlich X 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins -aus »tzrch die P-st b,zogen stir Deutschl-n» »nd Oesterreich: vierteljährlich X Direct» tägliche Kreuzbandirndung tNH Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Nhr. dir Abrnd-Ausgabe Wochentag» um b Uhr. Ne-apM vn- Lrpt-ittnu: .Äohannesgasse 8. Die Exped^ion ist Wochentags «nunterbroche, gesfstiä von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Filiale«: » klemm'» Lurtim. (Alfred Hahn). Univrrsitätsstrabe 1, L-ni» Lösche, Aatharinenstr. 14, pari, und Königsvlatz 7. ^ «37. Abend-i gäbe. eip)igcr Mgclilalt A« er. Organ für Politik, Localgeschichie, Handelst «nd Geschäftsverkehr. Dienstag den December 1895. AnzeigeuPretS dle «gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter demRrdactionsstrich (4ge spalten) 50-H. vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Gröber« Schriften laut unserrul Preis- »erzeichnib- Tabellarischer und Ziffernsah nach höherem Darif. Grtra-Beilage« (gefalzt), nur mlt der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefstdetung ^ 60—, mit PostbefSrderuag 70.- -. ^nnahmeschluß für Zeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4l>hr. Für di« Montag.Morgeu-Ausgu5e: Sonnabend Mittag. Bel den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an dir Rr-editie» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3l. December. 2m Reichstage wird nach den Ferien bei der Berathung der Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetze und ur Strafproceßordnung die Frage, ob die Ltraf- ammern als erstinstanzliche Gerichte aus drei oder aus fünf Richtern bestehen sollen, voraussichtlich sehr lebhaft erörtert werden. Es lassen sich gegen die Herabsetzung der Zahl der Richter von 5 auf 3 gewiß mancherlei nicht ohne Weiteres zu verwerfende Gründe geltend machen, von denen der triftigste vielleicht der ist, daß der Angeklagte dadurch einen erheblichen Nachtbeil erleide, daß die früher zur Ver- urtheilung erforderliche Vierfünftel-Majorität sich jetzt in eine Zweidrittel - Majorität, beziehungsweise einfache Majorität verwandle. Diesem Nachtheile steht indessen das Rechtsmittel der Berufung gegenüber, und man wird abzuwägen haben, ob der Vortheil nicht den Nachtheil überwiegt. Jedenfalls wird dieser Grund ernsthaft zu er wägen sein; wenn aber zu seiner Verstärkung angeführt wird, vaß die Majorität gegen den Angeklagten sich auch darum N>erde leichter finden lassen, weil außer dem Vorsitzenden ja nur der Beisitzer zur Verurteilung genüge und weil sich einer der Richter um so eher werde auf die Seite des Vor sitzenden ziehen lasten, als zu Strafrichtern oft schwächere, dem Einflüsse des Vorsitzenden zugängliche Richter ge macht würden, so muß dieser Argumentation entgegen getreten werden. Zunächst überwiegcn doch die mittleren und kleineren Landgerichte, die über eine so geringe Anzahl von Richtern verfügen, daß die Mitglieder der Straf kammern zugleich Mitglieder einer (Zivilkammer sind; hier entfällt also die Möglichkeit, die Richter je nach größerer oder geringerer Befähigung nur den (Zivilkammern oder nur den Strafkammern zuzuweisen. Bei größeren Land gerichten mag eS allerdings vielleicht hie und da zutreffen, daß die Strafkammern zum Theil aus Richtern mit geringeren juristischen Qualitäten zusammengesetzt werden. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß diese Richter dem Ein flüsse des Vorsitzenden mehr unterworfen, also charakter schwächer sein müßten, als befähigtere Richter. Gerade weil in Strafsachen viel seltener schwierige juristische Fragen für das Urtheil von Bedeutung sind, als das einfache Ergebniß der Zeugenvernehmungen, wird auch der weniger begabte Äkcht«r t-iLter zu einer bestimmte» eigene» Auffassung kommen können, als in Civ1lproce,ien. Und wer oft an den Berathungen eines Nichtercollegiums theilge- nommen hat, der weiß, mit welcher Zähigkeit ein Richter seine Auffassung festzuhalten pflegt, dem Vorsitzenden gegenüber nicht minder, als dem (Zollegen. Man mag unserem Richierstande nachsagen, daß er manchma vor lauter theoreiischcn Spitzfindigkeiten zu Erkenntnissen kommt, die dem schlichten Verstände znwiderlaufen, aber daß unsere Richter sich in ihrem Votum durch die Rücksicht auf den Vorsitzenden — „der über sie zu berichten habe" — be irren ließen, ist eine ungerechtfertigte Beschuldigung. Es spricht aber auch bei der Erörterung des Problems, ob drei oder fünf Richter in der ersten Instanz zu entscheiden haben solle», die finanzielle Frage ein gewichtiges Wort mit. Die Ein führung der Berufung wird, wenn nicht durch die Verminde rung der Zahl der erstinstanzlichen Richter ein Ausgleich eschaffen wird, eine erhebliche Belastung des Iustizetatö edeuten. Denn es wird von diesem Rechtsmittel in umfang reichster Weise Gebrauch gemacht werden, so daß eine be deutende Zahl von Oberlandesgerichtsraths- und ScnatS- präsidentenstellen — also von Richtern mit einem Gehalt von 8000—9000 ^ — wird neu geschaffen werden müssen. Die Gerichtskosten werden nud eine» ganz geringen Theil dieser Mehrkosten hereinbringen, da die Mehrzahl der in Strafsachen Verurtheilten unbemittelt ist, so daß die Kosten nicht beigetrieben werden können. Dazu kommt, daß die Forderungen der Entschädigung unschuldig Verurteilter, der Vermehrung der Richterstellen für (Zivilsachen, um den schleppenden Gang der (Zivilprocesse zu beschleunigen, und der Verminderung der Gefängnißarbeit eine weitere Vermebrung der Ausgaben beziehungsweise Verringerung der Einnahmen des IustizsiScus bedeuten. Daß also die Iustizbrbörde ein Gewicht darauf legt, durch eine Verringerung der i» erster Slrasinstanz beschäftigte» Richter für die ikr zugemutketen Mehrausgaben einigermaßen einen Ersatz zu finden, wird man ihr nicht verargen können. Wenn man die richterlicben Kräfte, die von ihrer erstinstanzlichen Straftbätigkeit befreit würde», den (Zivilkammern znsührte, könnte sich sofort eine erhebliche Beschleunigung der Civilproceste durchführen lassen. Die „Nationalliberalc Correspondenz" schreibt heute: „Eine Reihe von Blättern giebt der Ansicht Ausdruck, die Ergreifung des Freiherr« von Hammerstctn werde politische Enthüllungen nach sich ziehen. Diese An nahme scheint jedoch unbegründet. In dem Proceß, dem der Verhaftete cntgegensieht, wird es nicht nothwendig sein, seine politische Tbatigkeit i» den Kreis der Erhebungen und Verhandlungen zu ziehen. Nur insofern könnte cs dabei zu Feststellungen von politischem Interesse kommen, als durch ge wisse Zeitbestimmungen die Frage nach der Mitwissenschaft von Mitgliedern der (Zonservativen an den Straftbaten beantwortet werden würbe. ES steht jedoch zu erwarten, daß man sich auf conservativer Seite das Peinliche der Lage nicht dadurch erhöhen wird, daß man vom Gerichte feststellen läßt, was, vorher freiwillig erklärt, vielleicht für Einzelne unangenehm wäre, die Partei aber ans jedem Zusammenhänge mit dem häßlichen Gerichtsfalle lösen würde. Daß das Letztere nicht durch geschichtliche Dar stellungen erreicht wird, wie deren eine jüngst in der „Schlesischen Zeitung" gegeben worden ist, dürste nunmehr auch den (Zonservativen klar geworden sein. Die Erzählung deS Hergangs in dem Breslauer Blatte beruhte ans Unkenntniß wichtiger Thatsachen, vor Allem des Umstandes, daß dem Herrn von Hammerstein vor Neujahr 1895 seine Stellung als Ncdactenr der „Krcnzzeitnng" gekündigt worden ist. Für diesen Schritt muß das (Zuratorinm deS reifes triftige Grittide gehabt haben, die, wie das spätere Debatten der konservativen Partei im Reichstag und im preußischen Land tage zeigte, unmöglich politischer Natur gewesen sein können. Wenn die Qesscntlichkcit jetzt, bevor die Gerichts verhandlung darüber Aufschluß giebt, mit jenen Gründen bekannt gemacht würde, so wäre damit der conservativen Partei und dom politischen Leben der nächsten Zukunft überhaupt ein Dienst erwiesen. Allzu große Ueberwinvnng, so sollte man meinen, könnte eine Aufklärung die berufenen Persönlichkeiten nicht kosten, da schon im Januar 1895 ein hervorragendes konservatives Fractionsmitglieb aus der Mehrzahl der heute Herrn von Hammerstcin zur Last ge legten Handlungen kein Geheimniß gemacht hat." Hoffentlich w»rd diese Auslastung von den Conservativen als bas be trachtet und gewürdigt, was sie ist: als freundlicher Rath, ressen Befolgung im eigensten Interesse der conservativen Partei liegt. .. Gleich in der ersten Sitzung des böhmischen Landtags hat es bekanntlich einen Auftritt gegeben. Die Iungtschechen demonstrirten gegen den Statthalter Grafen Thun, indem sie, als er zu einer Bezrüßungsansptache daS Wort nahm, den Gaal verließen und erst wieder zurückkebrten, als er geendet hatte. Diese Kundgebung hängt mit der an- gebabnten Ausgleichsstimmung zusammen. Ministerpräsident Graf Badeni strebt, wie man weiß, eine Verständigung zwischen Deutschen und Iungtschechen an. Die Iungtschechen sind nicht mehr abgeneigt, auf diese Absichten einzugehen, aber sie verlangen vor allem die Verabschiedung deS ihnen und ihren Wählern überaus verhaßten Grafen Thun. Graf Badeni scheint aber ans Rück sickt ans den einflußreichen böhmischen Großgrundbesitz nicht geneigt zu sein, aus eigenem Antrieb den Grafen Tbun fallen zu lassen. Die Iungtschechen behaupten nun, sobald Graf Thun seine Entlassung gebe und darauf bestehe, werde sie gewiß angenommen werden. Daß sich Graf Tbun nicht freiwillig znrückzieht, wird ihm von den Iungtschechen sehr verübelt, und dieser Stimmung entsprang jene Kund gebung. Für die weitere Entwicklung der Dinge in Böhmen ist der von den Deutschen eingedrückte Antrag auf Errichtung nationaler Wahlcuricn im Landtage von hoher Be deutung. Der Antrag bezweckt, wie hier recapitulirt sei, den Deutschen eine Vertretung im Landesauöschuß und in den Landcsanstalten zu sichern. Angeblich soll daS auch einen Punct des Programms bilden, womit Graf Badeni den nationalen Frieden in Böhmen Herstellen will. Und als Gabe für die Tschechen soll die Einführung der inneren tschechischen Amtssprache in de» tschechischen Bezirken Böhmens in Aussicht ge»ommen sein. Die Verhandlungen im Prager Landtag werden sich diesmal jedenfalls sehr interessant gestalten (erst gestern kam es ja wieder zu deftigen Ausfällen gegen den Statthalter) und ihr AuSgaUg dürfte nicht blos auf die Stellung des Grafen Thun zurückwirken. Die Socialistenpartei Belgiens erhebt immer kühner ihr Haupt. Im Brüsseler socialislischen VolkShause hat (wie schon kurz erwähnt wurde) ani zweiten Weibnachlsfesltage der Cvngres; der sociatistifchen Lehrer und Lehrerinnen Belgiens getagt und oacy langen Verhandlungen folgende Beschlüsse gefaßt : 1) Die Gemeinderäthe sollen amtlich Schul- schänkcn errichten, damit jedes arme Kind täglich eine voll ständige Mahlzeit erkält und im Anfänge des Winters Kleidungs stücke. Die Kosten sind für jeden Schüler auf 75 Frcs. ab geschätzt. 2) Die socialistische Idee muß durch das Bild verbreitet werden, insbesondere durch Anfertigung von Heften mit Stichen und einem die humanitäre Moral feiernden Texte. 3) Schaffung einer WiderstandScasse, um die Mitglieder der Lehrerschaft,'die wegen ihrer politischen Meinungen heimgesuckt werden, zu unterstützen. Die Casse, zu der jeder Lehrer monatlich 0,50 Fr. beizustcnern hat, tritt am 1. Januar 1896 ins Leben. 4) Der socialistische Lehrerverband er richtet in allen Bezirken ihm unterstehende Abtheilungen. Die Socialistenpartei sucht somit, wie in der Armee, so auch in der Schule festen Fuß zu fasten. Nicht minder bemerkenswerth sind die für die s o c i a l i st i s ch c n Gemeinderäthe von der Parteileitung aufge stellten Grundsätze: In denjenigen Gemeinderäthe», in denen die Socialisten die Mehrheit haben, werden nur „die tüchtigsten und entscklvstensten Socialisten" zu Stadträthen ernannt. Zu Verwaltern der städtischen Armenpflege werden in allen ihren Ausschüssen nur „streit bare" Socialisten ernannt. Ein Fachausschuß zur Prüfung der Steuerfragen wird eingesetzt. In denjenigen Gemcinde- räthen, in denen die Socialisten vertreten sind, haben die selben in folgende StadtanSschüste einzutreten: Polizei, Schule, Armenpflege und öffentliche Arbeiten. In allen Genieiilderäthen soll die Abschaffung des die Treue gegen den König fordernden Eides beantragt werden. Rechnet man dazu noch den jetzt von dem Gcneralrathe der socialistische» Arbeiterpartei gefaßten Beschluß, bei den bevorstehenden Kam merwahlen überall um die Deputirtensitze zu kämpfen, so kann man sich von der Rührigkeit der Socialisten Belgiens einen Begriff machen. So senden, wie der „Boss. Ztg." ge meldet wird, da diesmal in Flandern keine Wahlen statt- finken, die Genter Socialisten für die Dauer der Wahl- canipaane 400 vlämische socialistische Redner und Agitatoren nach Brüssel, um für die Wahl der Brüsseler Socialisten zu wirken. Bei diesem Tempo des socialdemokratischen Vorwärts schreitend in Belgien kann der Entscheidungskampf zwischen ultrareactionärcr »nd ultraradiealer Weltanschauung um die Alleinherrschaft nicht lange mehr aus sich warten lassen. In der Türkei ist die Lage noch unverändert. Nur hat sich das Bild des Kampfes um Zeit UN durch die letzten Nachrichten dahin geklärt, daß die Belagerungstruppen einen Tbeit der Stakt cernirt und die Caserne tbatsächlich ein genommen haben. Es wird uns darüber aus Konstanlinopet vom 30. December gemeldet: Nachdem die auf einem Berge stehende Caserne von dominiren- den Höhen aus bombardirt worden war und die Aufständischen sich zurückgezogen hatten, erfolgte seitens der Türken die Besetzung der Caserne. Tie unterhalb des Casernenberges terrassenförmig angelegte Stadt bietet zahlreiche günstige Berthesdignngs- abschnitte, deren Einnahme schwierig ist und schwere Kämpse erfordern dürste. Gerüchtweise verlautet, daß die Aufstellung der Geschütze bei der Caserne durchgesührt ist, wodurch die abschnitts weise Einnahme der Stadt erleichtert werde. Den Aufständischen stehen die nördlichen Rückzugswege nach GoekjuN und Atbistan offen. Der Oberstcommandirende des BclagerungSheereS Mustafa Pascha ließ den Sultan um Ordres bitten, worauf dieser, so wird berichtet, gestern einen Iradö erlassen bat, nach welchem eine Schlacht zu vermeiden sei, wenn die Uebergabe ohne eine solche möglich sei. Da die letzte Proklamation Mustafa Paschas „bedingungslose" Uebergabe verlangt, werden zweifellos vieEingeschlossenen esanfsAenßerste ankommen lassen wolle», da sie auf Pardon nach der Capitulativn nicht hoffe». — lieber die Lage in.Shrien bringt der „Figaro" einen ausres »den Brief vou einkm Franzosen, der seit zwanzig Jaoren im Lande wohnt. Dieser Gewährsmann erzählt geradezu grauenbasle Dinge, die sich in BahaS, einem christlichen Flecken, vier Weg stunden von Alexandrette, sowie in Medjel es Scheins, einem großen, wohlhabenden Dorf von etwa 2000 Einwohner», ge legen ans einer Alpenmatte an der Strecke von Banias nach Damaskus,neuerdings zugetragen haben. Am erstgenannten One hatten die christlichen Bewohner mehreren Angriffen der a»s- gestandenen mohammedanische» Bevölkerung einiger Nachbar- dörfer mannhaft und erfolgreich Widerstand geleistet. Dann erschienen türkische Truppen aus dem Schauplätze, nahmen die vollständige Entwaffnung d»r Christen vor und sahen hierauf unthätig dem schrecklichen Gemetzel zu, das die Mohammedaner unter den nunmehr ganz Wehrlosen an- richteten. Sämmtliche Weiber wurden in der rohesten und bestialischsten Weise, die zu schildern unmöglich ist, miß handelt und dann kingemordet. Der Verfasser der Zuschrift erklärt, an sämmtlichen genannten Orten die verstümmelten Leichen selbst gesehen zu haben. In Medjet cS Scheins hätten nach seiner Angabe die türkischen Truppen, die hauptsächlich aus Kurden bestanden, die drusische Bevöi kernng eingeschlossen und bis auf den letzte» Mann hin- FeiiNlet»«» Der Geiger. 16j Original-Roman von Emmy Rosst. Nachdruck verböte». (Schluß.) „Willst Dil nicht eine andere Gesellschafterin nehmen Vater", frug Herbert ihn bald darauf, „ich möchte Dich bitten, daß wir eine distinguirte ältere Dame ganz in das HauS .nehmen, um Myra's willen sowohl als Deinetwillen — eine Repräsentantin unseres HauseS. Du weißt, ich erfülle meines süßen WeibeS Bitte, ihre Ettern nach Berlin herzubitten, die damit häufigeren Besuche in unserem Hause verlangen eine vermehrte Kraft — darf ich Schritte hierzu tbun?" Alles, waS einen Zug frischer Geselligkeit brachte, war dem alten Herr jetzt Recht. Er opponirte nicht, als Myra's Schwester mit ihrem Gatten ihn besuchten, er sagte zwar „lieber Relau", doch wußte er genau, daß eS Lila'S Sohn sei. Und brachte Aurel seine Geige mit »nd spielte dem Verein samten seine kunstvollendcten Weisen vor, so bracb noch ein mal des alten MäcenS Begeisterung hervor, „siehst Du, Gold man-, bester hat eS der Kaiser nicht!" — Die neue Hausdame trat bald ihr Amt an. Sie erwies sich als feine Musikkennerin, als geschmackvolle Vorleserin, als daS Princip alles Schönen, Edle», Guten. Sie nannte sich Frau von Hartleben. — Sonst war eS de« alten CominrrzienratbS Gewohnheit, jedem neuen Be kannten leise mit den Händen die Conturen deS Gesichts nachzuziehen; aber als Fran von Hartteben, die man, wie Jeden, auf diese Eigenthümlichkrit vorbereitet, ihm vorgestellt wurde, sah er sie nur mit den lichtlosen Augen an und be rührte sie nicht. Später allerdings faßte er ihre Hand, strich mit dem Zeigefinger darüber hin und lachte dann so recht heimlich nnv stillvergnügt vor sich hin. Als Herbert ihn fragte, ob ihm die neue Hausdame gefalle, nickte er zu frieden: „Sehr gut, sehr gut, — eine liebenswürdige, gebildete Frau." Er gewöhnte sich bald so sehr an dieselbe, daß sie ihm ihre ganze Zeit widmen mußte. Mochte noch eine zweite Gesellschafterin in« HauS komnie», diese wollte er für sich. — ^ie mußte seine Spazierfahrten tbeilen, att ihrem Arm be suchte er wieder Theater und Concerte, er sprach wieder von Gesellschaften, wie er sie früher gegeben — er war beiter, gesprächig, liebenswürdig wie nie im Leben! Diese Frau und er verstanden sich, wie selten sich zwei Menschen verstehen. Tage, Wochen, Monde des Glücks verstrichen. Dann brach ein Tag der Sorge und Freude herein — am Abend hielt Myra einen prächtigen Jungen im Arm. Der erste Enkel! Der alte Großpapa nahm ihn in die Arme. „Herbert, der wird seiner schönen Mutter gleichen." Er sah, waS Keiner sonst sah! DaS Wort ging in Erfüllung, ein bildschöner Knabe wurde eS. Die Glückeöfülle mehrte sich, als Myra'ö Eltern eintrafen — prachtvolle Menschen, — so frisch, als hätten sie bisher im Paradies gelebt. Eines Abends, als Relau nach einer längeren Kunstreise wieder im Hause des blinden Greises seine Zanbergcige er tönen ließ, sagte Ludwig HermeS plötzlich zu der neben ihm sitzenden Frau von Hartlcben: „Ist er noch so schön, der Geigerkönig? Seine Mutter war die schönste Frau, die ich je gesehen!" Frau von Hartlebett wurde verwirrt, sie vermochte nicht zu antworte» und sprach von etwas Anderem. AIS Relan sich an diesem Abend verabschiedete, sagte der Commerzien- rath: Dank, lieber Relau — und grüßen Sie Ihre Mutter von mir —" Da erst atbmete Frau von Hartleben erleichtert aüf. Zweiundzwanzigstes Capitel. „Fast zwei Jahre sind vergangen, seitdem ich vom alten Herrn Commerzienrath einen Auftrag gehabt." Herr Stern las daS duftende Billet, welches Myra ihm geschrieben: „Am zweiten nächsten Monats wird unser lieber Vater, Herr Commerzienrath L. HermeS, sünsundsiebzig Jahre alt! E« ist sein Wunsch, daß zur Feier dieses Tage«, welcher zu gleicher Zeit das fünfzigjährige Besteben der Firma rinschließt, am Abend eine große musikalische Soir6e stattfindet, wie Sie, geehrter Herr Stern, dieselbe so gut und so oft für ihn arranairt haben. Herr L. Hermes bittet Sie um Ihren aller- baldigsten Besuch. Myra Hermes." Diesen Brief hatte der Diener gebracht, während die Equipage mit den beiden Frauen der Brüder Herme« vor dem Hause hielt. „Cs ist wirklich seltsam" äußerte Frau Olga soeten z Myra, „dem Papa entgeht nicht«, tzr sieht mit feinen blind' > Augen schärfer als wir mit unseren sehenden. — Unld' darr'! glaube ich auch, daß er die Komödie mit Frau von Hart teben längst durchschaut hat, daß er ganz genau weiß, es ist seine einstige Gattin, Lila! Ich habe so meine Anzeichen dafür —" „Mein Mann glaubt es auch — verlangt aber, so lange Papa nicht« wisst« will, daß Niemand eS wagt, ihm davon zu sprechen. Das ist sein Recht! Er hat seine Frau damals doch wohl tiefer geliebt, als sie angenommen, sie hat durch ihre Unvorsichtigkeit, wie sie von ihm ging, schweren Aerger, vielleicht auch Kummer über ihn gebracht — ein Man», der nie klagt, daß er erblindet ist und sein hartes Schicksal mit Ergebung trägt, zeigt auch keinen Gram über eine treulose Frau. — Doch glaube ich, er ist wahrhaft glücklich, daß sie sich ihm zur Gefährtin gesellt. — Und welch ein Opfer für die reiche verwöhnte Frau, sie opfert ihre Bequemlichkeit, sie widmet sich ihm, als wäre sie thatsäcklich die bezahlte Dienerin, welche zufrieden ist, in einöilt reichen Hause Unter schlupf gefunden zu haben — daS ist groß von ihr — daS ist erhaben!" Olga fand einen Einwand. „Du weißt, Myra, daß ich die schone, gütige Frau längst liebte und mehr als da«, au- betete, ehe sie meine Schwiegermutter wurde. Dennoch so zufrieden, so still und glücklich habe ich sie selbst an ihren besten Tagen nicht gesehen als hier im Hause ihres ersten Gatten. Sie hatte zu viel Zeit für sich, über den zu früh verlorene» geliebten Mann zu grübeln — mit einem Wort, sie hatte keine, auch nicht die geringste Pflicht. So ohne jeden LebenSballast steuerte ihr Schiff planlos auf der treibenden SchicksalSslutb. Mil dem Entschluß, durch licbe- vosie Pflege deS erblindete» Gatten zu vüßen, daß auch sic einst gegen ihn gefehlt, kam neues Leben, ja neues Gli' :> Herz. Sie dient sich mehr noch als ihm, so im u v Kinder, von Allen geliebt, der Rath, die T'et in Al - ' , yra war noch immer die weiße Marzipan- p- ' i ihr reizender Knabe schon die ersten Geh- e. Mutter sein ist ein ebenso tiefes Glück wie in. . e Pstickt, beide« verlangt volle Hingabe. afzte — ihrer Ehe war dies Glück nicht bc- ie Wat ja so üntridlich glücklich mit dein lirbenö- . Latten, dennoch fehlte ihr der Kindersegen zur ' U, d z. Und auch Anrel'S Ehe war kinderlos. Tressi : damit mehr als zufrieden. „Wir haben gar keine ^eit für schreiende, weinende Baby'S", erklärte sie aiif Olga'« ' age, wenn man a»S Liebe heiralhet, braucht man in den ersten zehn Jahren kein andetes Glück. Außerdem — wir sind Künstler!" Herr Stern fand sich noch an demselben Tag bei seinem „lieben alten MäcenaS" ritt. Er hatte ihn seit der Erblindung nicht wiedergeseben und war doch ein wenig gerührt, als er die große Veränderung gewahrte, die mit diesem einst so eiseiihasten Mann vorgegangen. DaS erloschene Licht halte alle schroffen Formen verweichlicht — er hictl sich noch straff, doch nur beim Sitzen, er sprach milder, er befahl nicht nur, er fragte auch — sogar über Famitieu-Ereigniffe und ihrem ou ckit. „Was hat man denn in Berlin gesagt, alter Freund, daß ich ganz freiwillig meinem Bruno die Erlaubnis; gegeben, ein Mädchen aus kleinem Beamtenstand zu beirathen?" „Man hat eS großartig gefunden, Herr Commcrzienralb." „Großartig, hm — na, ich will Ihnen mal beichten — eS Kat mich Uebcrwindung gekostet, aber das Mädel war so brav — nichts nachsagen, will es Iknen mal erzählen - sehen Sie, ich war zuerst, als ich erblindete, ganz gernltia, die Dunkelheit that mir so wohl nach den gräßlicken Schmerzen der Entzündung — Augenschmerzrn, lieber Stein — dagegen sind Zahnschmerzen noa- ein Genuß! — Als nun aber die Erinnerung an die Schmerzen verblaßte — da kam eine furchtbare Zeit. Herbert zwar und seine Frau thatcn ihr Möglichstes, nun, er hat ja das Gesäiäst zu leiten und sie kränkelte bald Bruno blieb doch der Beste — der Junge hat rin Herz wie rin Weib. Damals schon merkte ich, daß ihm was fehle, schob es aber auf Rechnung der Mutter und mein Unglück. Zuweilen knitterte er mit einem Stückchen Papier, ich glaube, er Kal cS sogar geküßt, so daß ich ihn lachend fragte, ob es ein Liebesbrief sei." „Nein — ein LotterielooS!" „Und daS knutschst Du so verliebt? * „Nun — man rngagirte mir einen jungen Künstler als Vorleser. Denken Sie sich — der laö mit Pathos — ZeitungS- tragövien mit Pathos, Curse mit PatboS, Annoncen mit Pathos, — am dritten Tage fühlte ich eine gelinde Art Raserei. Ich glaube, am vierten hätte ich ihn zerrissen, wenn er wieder in meine Nähe gekommen. Gott sei Dant, er kam nicht. Statt dessen eine kleine Puppenfee — ja so. Sie wundern sich — ich sehe die Größe au dem Schall — fühle jede Contur so sicher wie mit den Augen — die laS, als wcnit sie plauderte. Nun kan» eine schöne Zeit, Olga war so lieb, so aufmerksam, so vernünftig. Eines Tage-
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- No fulltext in gridpage mode.
- Show single page
- Rotate Left Rotate Right Reset Rotation
- Zoom In Zoom Out Fullscreen Mode