02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970107026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897010702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897010702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-07
- Monat1897-01
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Größere Schriften laut unserem Prem- verzeichniß. Tabellarischer «ad tzisiernsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60-, mit Postbesörderung »l 70.-. Annahmeschlvß für Anzeigen: Abend »Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. borgen»Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« sruher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 7. Januar 1897. Sl. Jahrgang. 1l. Politische Tagesscharr. * Leipzig. 7. Januar. Die seltsamer Weise zuerst in der „Köln. Ztg." und der „Köln. Volkszeitung" abgedruckle, vom Kaiser als König von Preußen gegen die Zweikämpfe in der Armee erlassene EabinetSordre, der eine gleichlautende de« Priarregenten von Bayern bereits gefolgt ist und gleich« der Könige von Sachsen und von Württemberg folgen werden, wirb von dem größten Theile der deutschen Press« mit Freuden begrüßt. Mehr hatten nur wenige Blätter er wartet, und diese wenigen scheinen die Tragweite der EabinetSordre etwa« zu unterschätzen. Um einen richtigen Schluß auf ihre voraussichtliche Wirkung ziehen zu können, muß man die Einrichtung, eie jetzt ui Wirksamkeit treten soll, mit der bisherigen vergleichen. Wie schon der Reichskanzler bei seiner Erklärung am 17. No vember andeutete, war beabsichtigt, jede unausgeglichen bleibende Privalstreitigkeit und Beleidigung unter Officieren vor den Ehrenrath zu bringen und seinem Votum eine unbedingte Verbindlichkeit für beide Theile bci- zulegen. Nach den bisherigen Bestimmungen, welche auf die EabinetSordre vom 2. Mai 1874 zurückgehen, hatte verEhrcn- rath in solchen Fällen eine lediglich fakultative Stellung. Der Ehrenrath sollte denjenigen Officieren, welche sich in Ehrensachen an ihn wenden, nur mit kameradschaftlichem Rath zur Seile stehen. Der Officier, welcher mit einem andern in eine die Ehre berührende Privatzwistigkeit geräth, war nur verpflichtet, seinem Ehrenrath und zwar spätestens, wen» er eine Herausforderung zum Zweikamps erließ oder erhielt, hiervon Anzeige zu machen. Die Thäligkeit des Ebren- ralhes beschränkte sich dann darauf, dem Eomiiiandeur Meldung zu erstatten und da, wo die SlandeSsitte cS „zuläßt", einen Sühneversuch zu machen. Nur einen Sühneversuch; eine Befugniß, diesem Versuch Nachdruck zu verleihen, stand ihm nicht zu. Für den weiteren Verlauf hatte er nur dahin zu wirken, daß die Bedingungen des Zweikampfes zur Schwere des Falles in keinem Mißverhältniß stünden und daß beim Zweikampf die Stanvessitte gewahrt werde. Hinfort soll der Ehrenrath grundsätzlich Mitwirken. Es ist feiner seiner Mitwirkung ausdrücklich als Ziel gesetzt, einen gütlichen Aus gleich herbeizuführen. Sofort muß ihm Anzeige erstattet werben, und mit der Anzeige steht auch so lange der Ehren handel still, bis der Ehrenrath unterLeilung des Eonimantcurs schriftlich oder mündlich den Fall aufgeklärt und dann schrift lich entweder einen Ausgleichsvorschlag ausgestellt oder den Fall an das Ehrengericht verwiesen oder drittens bestimmt hat, daß die Ehre der Betheiligten nicht berührt ist und so weder zu einem Ausgleichsvorschlaa noch zu einem ehrengericht lichen Verfahren Anlaß vorliegt. Ter Be>chluß deS Ehrenralhs bedarf, um inKraft zu treten,derBestäligungdesEommandeurs, der auch zu Abänderungen befugt ist. Den Beldelliglen steht es nun frei, Berufung einzulegen, und über diese trifft dann, nach gutachtlicher Aeußerung der Vorgesetzten, der Kaiser selbst die Entscheidung. Nun ist noch die Mög lichkeit offen, daß der Ausgleichsvorschlag de« Ehrengerichts nicht ausgeführt wird: in diesem Falle bat wie bei der Ver weisung an das Ehrengericht sofort der Evniinande»r das ehrengerichtliche Verfahren «inzuleiten, lieber jeden Officier, der unter Umgehung dieser Bestimmungen eine Herausforderung zum Zweikampf ergehen läßt oder anliimmt, ist sofort an den Kaiser zu be richten. Man wird zugcden muffen, baß durch diese Be stimmungen zum Mindesten alle Zweikämpfe in der Armee beseitigt werden, drren Anlässe geringfügiger Natur stnd. Dadurch aber, daß von jedem schweren strittigen Fall der Kaiser, falls der Ehrenrath umgangen wirb oder versagt, unterrichtet werden muß und das Ehrengericht die Ent scheidung erhält, gelangt erst folgender entscheidende -Latz ter EabinetSordre von 1574 voll zur Geltung: Auf ehreiigerichk- lichem Wege soll wegen Zweikampfes nur dann gegen Officiere cingeschritten werden, wenn bei dem Anlaß gegen die Standesehre gefehlt ist. Dies muß, so lanici der kaiserliche Wille weiier, insbesondere in dem immer hin möglichen Falle geschehen, wenn ein Officier >n frevel hafter Weise einem Kameraden ohne jede Veranlassung eine schwere Beleidigung zugefügt haben sollte. „Denn einen Officier, welcher im Stande ist, die Ehre eines Kameraden in frevelhafter Weise zu verletzen, werde ich ebensowenig in Me in cm Heere dulde», wie einen Officier, welcher seine Ehre nicht zu wahren weiß!" Dadurch wird vor den Zweikampf die Entscheidung gesetzt, ob im Hinblick auf die Ursache der Streitigkeit die Velheiliglcn auch noch verdienen, Officiere zu bleiben. Vor Allem aber wird die Einwirkung, die »ach der EabinetSordre der Kaiser selbst sich Vorbehalt, wohllbucnd wirken. Dadurch wird das Verhalten des OfsicierS unmittelbar vor da» Auge LeS obersten Kriegsherrn gerückt, und hierin vor Allem liegt, einmal zugestandeii, baß eingewurzelte StandeSvoruriöeile nicht von beule auf morgen befestigt werden konncn, vor Allem die Gewähr, daß auf das ösfeulliche RcchlSbewußlscin endlich »ist der Behandlung der Zweikämpfe die Rücksicht genommen wird, auf die es unter allen Umständen Anspruch hak. Es ist weiter in Betracht zu ziehen, daß die meisten und be sonders anstößig empfundenen Duelle nickt innerhalb des activen OfsiciercorpS stattfinden. Im Gegentbeil, >m Heere ist ein fortgesetzter Rückgang der Zweikämpfe feftgestellt. Sie haben sich gehäuft und zu besonders unerguicklicher Erörterung und berechtigter Beschwerde Anlaß gegeben, namentlich wo Heere«- und Bürgerinleressen sich begegnen, im Kreise der Reserveosficiere bei Weitem »»ehr noch, als in der Berührung zwischen activen Officieren und dem „Eivil". Was zunächst das Verhalte» des ReserveosficierS betrifft, so gilt für ihn hinfort dasselbe, wie für den Officier; er bat weder einen andern Reserveofficier, noch eine» Bürgerlichen zu fordern, ehe .er dein Ehrenrath die Streitfrage unterbreilct hat. Damit sind, wenn der Ehrenrath nicht gegen den in der Ordre sich offensichtlich bekundenden kaiserlichen Willen verstoßen will, vorab alle jene Fälle unmöglich, als deren Typus folgender zu traurigem Ruhm gelangt ist: daß der Richter, der in Ausübung seines Amles dem Angeklagten oder dem Zeugen einen Vorhalt macht, von diesem, der Reserveofficier ist, gefordert und als „.Kamerad" diesem Rechtsbruch sich zu unterwerfen genölbigt wird. Für die Zu» kunfl wird der Ehrenrath in der Lage sein, dem Herausforderer klar zu machen, daß er nicht berechtigt ist, in Ausübung seiner bürgerlichen Pflichten sich auf seine Eigenschaft als Mitglied des OfsiciercorpS zurückzuziehen, am allerwenigsten unter Um ständen, die in analogen Fällen in der Armee ein Duell auS- schlirßen. Denn eS ist dem Officier verboten, auS amtlichen Vorgängen den Anlaß zum Zweikampf derzuleiten. Damit wird bei den Rrserveosstcieren eine Selbstzucht begründet, wie sie der Officier im täglichen Umgang im OfsiciercorpS erfährt, und der Anfang damit gemacht, daß in Streitfällen rein bürger lichen EharaklerS überhaupt nicht mehr der „Reserve- officier" vorgeschoben wird. Und damit ist nicht nur den bürgerlichen Interessen gedient, sondern auch denen der Armee, der es nickt immer angenehm fein kann, auch für das Verhallen des ReserveosficierS im bürgerlichen Lebe» ver antwortlich gemacht zu werden. Mil der Einführung der Ehrengerichte für Streitfälle zwischen Officiere» und Eivil- per so ne» ist der Punct berührt, wo die Weiterbildung der durch die Eabinelsordre in Bewegung gebrachten, enkgilligen Regelung der Duellfrage einzusetzen bat. In dieser Be ziehung schlichen sich mehrere Blätter gleich uns der Anregung des Pros Or. Binding in der denlscken „Iuristen-Z'g." an: Vielleicht könnte man den Schritt wage», diese Behörden auch als „gewillkürte Ehrengerichte" sprechen zu lasten bei Eousticle» zwischen Officieren und Nichlofficieren, wenn letztere sich freiwillig ihnen unlersteUen, einerlei, ob dabei der Bürger die Rolle des Klägers oder des Beklagten übernehmen will. Das Ziel wäre die Bildung von gcniischien Ehren gerichten, die sich aus Bürgern und Officieren zusaiiimen- feyen, um neben der Befestigung des Duells auch ein festeres Vcrtraueiiöverhälttiiß zwischen den einzelnen Ständen herbei- z»sühreii. Es liegt aber außerhalb der Eompetenz des Kaisers, die Bildung solcher Ebrengerichle anzuorbnen. Hier wird die Gesetzgebung eingrcisen müssen, der es auch Vorbehalten ist. den weiteren Anregungen Bindinz's bclreffö einer Revision der Bestimmungen über die Bestra fung von Duellanten, Beleidigern und Verleumdern Folge zu geben. Tie von der „Frei). Ztg." abgegebene Erklärung, daß nicht nur die freisinnige, sondern auch die süddeutsche Volkspartei zur Bewilligung einer Artillcricvo» läge bereit sei, wenn eine solche durch das Vorgehen Frankreichs noth- weudig werde, eröffnet die erfreuliche Aussicht, daß die bürgerlichen Parteien des Reichstags volle Einmülhigkeit in dieser für unsre nationale Wehrkraft so wichtigen Frage be kunden werden. Wir bezweifeln nicht, daß dir Franzosen von dieser Einmüthigkeit Noliz nehmen werden, und wir hoffen es um so mehr, als eben wieder der „Figaro" positive Meldungen über Mauover in einem so großen Rahmen ge macht hat, wie er in Deutschland niemals in Anioendung kommt. Wenn sich die Franzosen an dein Anblick von vier kriegsstarken Armeecorps im Lager von Ebalvns berausche» wollen, so wird die deutsche Einmütbigkeit in der ArtiUerie- frage etwas Wasser in ihren Wein gießen. Andererseits wächst freilich mit der Gewißbeil der Annahme einer Arlillerie- vorlage die Wahrscheinlichkeit, daß der Reichstag große Sparsamkeit auf dem Gebiete des Marine Etats walten läßt. Schreibt doch di: Parteicorrespondenz des ausschlag gebenden Eentrums: „Daß unjere Flotte mehr und mehr ausgebaut werden muffe, erkennt auch das Ecntruin an. Möarn die jetzigen Forderungen mit uferlose» Plänen nichts gemein haben, so entsprechen sie doch auch nicht entfernt den bescheidenen Plänen, welche die Morine- veiwaltung im vorigen Frühjahr im Reichstag entwickelt hat. Wir müssen uns nach unseren Mitteln richten, an den neuen Forde rungen wird unter allen Umständen gestrichen werden, und wenn eine Artkllerievorlage von 200 Millionen Mark in Aussicht steht, so muß erst recht gestrichen werden." Die Gegner einer falschen Sparsamkeit auf diesem Ge biete werden daber alle Kräfte aufbieten müssen, um nach zuweisen, daß Ausgaben für Marinezwecke zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar productiv genannt werden müssen. Zwei Vorkommnisse der letzien Zeit bestätigen diese Austastung. Wie dir „Times" melden, wirb das griechische Budget infolge der neu angekündigten Forderungen für Heereszwecke ein total verändertes Gesicht erhalten. Das arme Griechenland kann die erforderlichen Mittel unmöglich ohne eine neue Anleihe aufbringen, und wie ein Berliner Blatt durchaus mit Recht be st, ichtet, wird diese Anleihe nur durch dieHinterziehungvon Pfand objecten für die früheren Anleihen ermöglicht weiden können. An diesen Anleihen sind deutsche Gläubiger mit mehreren hundert Millionen Francs bctbeiligt, und sie werken in ihre» ohnehin gefährdeten Interessen auf das Schwerste geschädigt. Die Handlungsweise der griechischen Regierung würde natürlich eine durchaus rechtswidrige sein. Eine Privatperson würde wegen der Hinterziehung von Pfand- objeclen strafrechtlich zu verfolgen sein; einem Staate gegenüber kann die Strafjustiz keine Anwendung finden. Statt des Staatsanwalts muß hier die diplomatische n»d, w.nn diese »ichlS hilft, die militairische Action einlrclen. Daß sich Griechenland aus papiernen Protesten wenig macht, ist bekannt genug, eine Demonstration einer greßstaarlichen Flotte würde eS aber gefügiger machen. Sollte es zu einer rechtswidrigen Schädigung der deutschen Gläubiger des griechischen Staates kommen, so würde eine solche Dcmonslratioii gewiß allseitig gebilligt werden. Aber würden die dazu erforderlichen Kriegsschiffe zur Verfügung stehe»? Auf diese Frage giebt der schon erwähnte Bericht der Hamburger Handelskammer — dies ist daS zweite Ereigniß, von dein wir oben sprachen — eine verneinende Antwort. Tic Handelskammer beklagt cS, daß wiederholt wegen des Mangels an Schiffen in Fällen, wo das deutsche Ansehen sowohl wie der deutsche Handel in Frage kamen, Maßregeln eine Verzögerung erfahren hätten, durch die leicht ihr Zweck batte vereitelt werden können. Die Handels kammer tritt schließlich mit aller Schärfe für eine Vermehrung der deutschen Kriegsflotte im Interesse deS deutschen Handels ein. Man wird einerseils den Hamburger Handelsherren, die den Kaufniannssiand als den vornehmsten betrachten, eine besondere Vorliebe für das blaue Tuch nicht vorwerfen können und man wird andererseits ihnen als den Leitern des Handels der größten deuischen Handelsstadt Zutrauen müssen, daß sie am allerbeste» wissen, waS im Interesse deS deutschen Handels liegt. Als kluge Kausleute werben sie gewiß keinen Pfennig für unproductive Zwecke ausgeben wollen, aber der weile Blick, den ihre großartigen Unter nehmungen ihnen verliehen haben, zeigt sich eben darin, daß sie auch Ausgaben zu machen gewillt sind, deren Probuctivität nur eine mittelbare ist. Zu der „Ausweisung" der drei Söhne de» Fabri kanten Paul Schlnmberger aus dem Elsaß schreibt die „Straßburger Eorrespondenz" in Ergänzung unserer Mit- theiluiigen zur Sache: „Die von französiichr» Blättern gebrachte und auch in deutfch? Zeitungen übergegangene Nachricht von der Ausweisung der drei Söhne des Fabrikanten Paul Schlumberger in Geöweiler beruht aus einer groben Entstellung der Thatsachen. Tie drei jetzt in Paris wohnende» jungen Leute, welche in den Jahren 1894. IdOü und 1896 uiiinittetbar vor dem Eintritt in das wehrpsiichtige Alter ihre Entlaijung anS der Reichsangehörigkeit genommen habe», bedürfen nach der Verordnung vom 21. September 1891 über die Beschränkung des PaßzwangeS als Einigranten eines visirten Passes oder einer besonderen Ertaubniß, wenn sie Aufenthalt kn Elsaß-Lothringen nehmen wolle». Als der Kreis- dlrector au« einem ihm am 28. Deceinber zugeaaugenen AuSzug des ortspolizeilichen Meldereginers entnahm, baß die beiden älteren Söhne (rin dritter war üderhauvt nicht angemeldet) am 24. December ohne Auienthalserlaubniß in Gebweiler eiugetrossea seien, machte er in einem Schreibe» vom gleichen Tage den Vater daraus auf- merkiam, daß seine Söhne, falls sie nicht im Besitze eines visirten Passes seien, das Land zu verlassen hätten. Er erhielt darauf die Mittheiiung, daß der zweite Sohn abgernst sei, der 41 Fe«iHetsn. Die Kirdorfs. Roman von Hermann Helberg. Nachdruck »erbot«». Ich Will ferner auf meinem Zimmer beten und mir von Gott Fassung erbitten. Halte aus, Ole, es soll Dein Schade nickt sein, und sag' mir an, wenn's zu Ende geht. Dann komme ich. So sprechend, ergriff sie einen der kleinen Leuchter, zog eine Scknur, durch die sie der Jungfer ihr Kommen anreigte, und schritt durch da» Vorzimmer und durch den erhellten Eorridor der großen Halle zu. Auch sie war erleuchtet. Bedeckte Wandleuchterflammen warfen ihr Lickt auf den kleinen, zur Nachtwache hier befohlenen, fest eiogeschlummerten Haivucken. Bereit» seit einer Stunde hockte Graf Rudolf von Rixdorf voll Unruhe in seinem nach dem GutSbof gelegenen Zimmer im Flugsander Herrenbau». Der Zeiger der alten Flur- Standuhr mit dem goldenen Mond, den gezackte» Sternen und dem blauen HimmelSrand wie» schon auf elf, und noch immer tauchten die schwarzen Köpfe der Steinhorster Herr- schastSpferde in der Einfahrt zum GutSthorbau« nicht auf. Zuletzt stieß er mit scharfem Ruck den stämmigen Sessel zurück, also, daß ein langhingestrecktes weiße» Bärenfell ver schoben ward und er beim Erheben darüber stolperte. Mit ungeduldiger Fußbewegung gab er dem Fell die alte Laar und wandte sich dann, sein reichmöblirte», dichtverhängtes Wohn- geniack verlassend, über den mit vielen weiß angestrichrneu Thürrn versehenen und allerlei LandschaftSaemälde in sanfte» Malereien über ihrem Gesimse tragenden Flur zu. Hier öffnete er zur Rechten eine Treppenthür, stieg in einen altmodisch möblirten Eorridor hinauf, und wiederum von dort höher in ein kleines thurmartigeS Erkerzimmer» von dem man eine Ueberficht über die ganze Landschaft bi» nach Steinhorst und darüber hinaus zu gewinnen vermochte. Bor ihm lag der sauber gehaltene Flugsander Hof mit den rothen Wirtschaftsgebäuden, den Ställen und Scheunen, daneben der Gemüsegarten und ein kleiner Park, und hinter ihnen die Felder und die von kleinen Bächen durchzogenen Wiesen von Flugsande. Ueberall, wohin man blickte» breitete sich Rixdorfer Eigen« tkum au», und weit drüben erst in weiter Ferne, da, wo die Ostsee ihre salzigen Wogen gegen den Strand spülte, fanden sich die Grenzen des Gebiete«, in dem Flugsande, ein großes sogenannte» Vorwerk, eingebettet war. Al» Rudolf nicht sah, wa» er erhoffte, stampfte er mit dem Fuß unv murmelte ungeduldig Worte, auch griff die Linke, wie immer, wenn ihn etwas stark bewegte, in den rothen Bart. Endlich verloren sich seine Gedanken für eine Weile. Sein Auge richtete sich auf eine Idylle zur Linken und blieb hier haften. Drüben neben dem Park lag in einer von sanften Höben umgebenen kleinen Thalwiese, hart am Landweg und Gehölz, ein reizendes, langgebauteS Hau» mit weißen Wänden, blitzenden, von Epbeu umrankten, mit Blumen besetzten Fenstern, das der über da- Steinhorster Gebiet bestellte alte Oberförster Witt mit seiner Tochter Martba bewohnte. Martha Witt war in der ganzen Umgegend und in Eutin wegen ihrer Schönheit, ihre« geraden Wesen» und ihrer Klug heit bekannt. Wenn Rudolf von Rixdorf'« Gedanken einmal ruhten, ein weichere» Gefühl ihn beschlich, dann zog'» ibn in» Fvrsterbau«, dann wandert« er mit einem eichenbeschlagenen Feldstock in der Hand hinab, und ließ sich bei Witt'« plaudernd nieder. Rudolf von Rixdorf sah oft mit heißem Neid auf diese, von der Rixdorfschea Familie abhängigen und doch so stolzen Personen, auf den kernigen, auf seine Ehre haltenven und von Pflichtgefühl getragenen Mann und da» reizende Mädchen, va» so fest ,m Innern war und doch noch so holdselig er« röthen konnte. Bisweilen durchleuchtete ihn blitzartig die Erkenntniß, wie nichtig er eigentlich geartet sei, daß er für nicht» andere« Sinn habe al« für Gelage, Jagd, trotziges Herrschen und Raffen nach Geld und Gut. Dann regten sich mit heißem Begehren die Gedanken, e» Denen gleichzuthun, und ein andermal, Die zu vernichten, die e« wagten, glücklich zu sein, wo er, der Mächtige, Begüterte, sein fröhliches Kinderherz schon verloren hatte seit seiner Knabenzeit. Heute wogten beide Empfindungen durcheinander, und al» er nun eben zufällig Martha aus dem Hauke hcraustreten und den Weg über die stille Thalwiese nach dem Gute ein- scklagen sah, al» er bemerkte, wie sich ihr Auge regte bei dem Anblick der durch da- Gewitter abgeklärten und von dem goldenen Hrrbstsonnenlicht durchflutheten Natur, al» auch in seiner Brust dieser frische Odem reinigend und klärend einzog, da schien ihm nicblS begrhrenswerther, al- diese» schöne Kind zu seinem Eizeottmm zu machen. Martha Witt liebte er, soweit seine biSber liebeleert Brust ein solche» Gefühl zu bergen im Stande war. Isabella von Todtleben reizte seine Sinne und ihr Besitz fachte seine Habsucht an. Von solchen Empfindungen beberrscht, war Graf Rixdorf eben im Begriff, das Erkergemacb zu verlassen, als plötzlich Pferdegewieber an sein Ohr schlug. Rasch wandte er den Blick und sah zu seiner Befriedigung, daß es vaS schwarze Steinhorster Gespann war, das berangeflogen kam. Ein Steinhorster Lakai in eiergelber Livrs und ziegel- rothen Aufschlägen saß neben dem ebenso costümirten Kutscher auf dem Bock und in dem Gefährt befand sich, eS unterlag keinem Zweifel, seine Schwester, die Gräfin Ulrike von Tvdt- lebe». Fast stürmisch stieg Rudolf von Rixdorf die Treppen hinab, gab feinem Diener Pieck, einem buckeligen, kahlköpfigen Kerl mit falschen, listigen Augen, liefdevoten Manieren, Auf trag wegen eine« rasch zu servirenden Frühstücks, und trat vor da» langgestreckte, zweistöckige, mit einem Srittnthurm flankirte Haus, um Ulrike zu bewillkommnen. „Na, endlich" — stieß er berauS, nachdem da» lästige Dienervolk sie verlassen, auch Ulrike sich ihrer schweren Um hüllung entledigt und mit stark erschöpfter Miene in einem der hohen weichgepolsterten Scidenseffel batte nieverglriten lassen. Sie aber sagte ohne Uebergang: „Ich nahm unsere- Vater« Uebelbefinden als Vorwand, um zu Dir zu eilen. Jede Minute kann er sterben. Axel wollte mich nickt forllafsen. Es sollte «in reitender Bote gesandt werden. Ich aber bestand — auf die G'fahr, Befremdung zu wecken, auf meinem Willen. Ich gab vor, daß Du nur dann kommen würdest, wenn ich Dich dazu animirte. Du seiest solchen GemülbSaffairen abgeneigt. Dein Nichterscheinen aber würde allzu viel Geräusch auswirbeln im Schloß, im Dorf und in der Umgegend." „Na ja, na ja, na ja! Sehr gut grthan. Ich will auch hinüber, nachdem wir un« durch ein Frühstück gestärkt haben. Aber nun zur Hauptsache! Wir ist'»? Wa« bringst Du? Gutes oder Schleckles? Ich kann- nicht erwarten, zu hören, waS Du in der Nacht ausgerichtet hast! Fandest Du da« Testament?" „Ja, ich fand eS, las und legte eS wieder an seinen Platz. Der Widerschein einer ungeheuren Spannung malte fick in deS Mannes Zügen wieder. Hoffnung, Halbbefriediguug unv Ungeduld, daß sie nicht rascher sprach und berichtete, er füllten sein Innere». „So bat er nnS also noch bedacht, unser Vater?" ergänzte er, ihre Worte nach seinen Hoffnungen deutend. Ulrike schüttelte den Kopf. „Nein" — sagte sie kalt und weidete sich an seiner grenzenlosen Enttäuschung. „Sieinborst fällt den Erben de» Erstgeborenen zu, lebt unser Bruder noch, ihm selbst. E» soll ein Proclam erlassen werden." „Ab" — bauchte Rudolf von Rixdorf und riß den Mund auf. Er glich einen, Wolf, dessen heißhungerigem Gebiß die Beute entgangen. „Und wa» erhält Axel?" bauchte er. „Für ibn setzte unser Vater dasselbe Capital aus, das wir erhielten. Er empfängt 300 000 Species in Silber. Auch Isabella ist mit ISO000 Specie» bedacht und erb! das Herrenhaus in Eutin —" „Und wer soll Steinhorft inzwischen verwalten und die Einnahmen nutzen?" „Unser Bruder Axel, dem auch der Besitz zufällt, wenn erwiesen, daß unser ältester verschollener Bruder mit Tote abgeaangen und Erben nicht vorhanden sind." „Und Dir, mir — nichts — garnichtS? Und Tu nahmst nickt da« elende Machwerk, rissest es wie einen Fetzen in Stücke und warfst «S in den Kamin?" raste Rudolf von Rixdorf. „Weshalb verfuhrst Du nicht nach Abrede? Wes halb nahmst Du eS nicht an Dick? Pactirtest Du etwa mir dem Erbschleicher Axel? Ah! Ulrike! hüte Dich!" „Da mein« Tochter so reich bedacht war, verspürte ick keine Neigung zu solchem gefährlichen Schritt. Auch sagte ick mir» daß, wenn unser Bruder doch noch kommen werde, er, oder sr,ne Erben, auch ohne Testament, ihm, dem Erst geborenen, Steinborst gesetzlich zufällt. Wir haben nur das Recht auf eine Secuucko gonitur, und sie ist uu» geworden. Selbst Axel erhält ja nicht mehr —" „Wird er nicht alleiniger Besitzer von Steinborst, wenn unser Bruder ohne Erde» starb? Wird er nicht Verwalter und Nutznießer, so lange die Brut sich nicht meldet? Was schwätzest Du denn in den Tag!" „Eben weil da« so ist", fiel die Frau mit eiserner Ruhe dem Tobenden in die Rede, „handelte ich um so mehr, wie
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