02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970215025
- PURL
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- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897021502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-15
- Monat1897-02
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Am Sonn abend war es die neueste Kraft der socialdemokratischen Fraktion, der im vorigen Sommer in Brandenburg- Westhavelland gewählte ehemalige Candidat der Theologie Pvu», der die Sache der Socialdemokratie zu führen halte. Hätte er den rechten Gegner gefunden, so würde die Debatte doch wenigstens einen Nutzen gehabt haben. Er stellte nämlich die Socialdemokratie als die ungerecht angegriffene, verfolgte Partei hin. Beweis dafür die Strenge, mit welcher man das Eindringen der socialdemokratischen Anschauungen und Bestrebungen in die Armee zu verhindern sucht, ja Leute, die sich offen als Anarchisten bezeichnen, mit Strafen belegt. Was den letzteren Fall anlangt, so konnte der preußische KriegSm inister gleich feslstellen, daß der Mann, welchen Herr Pens dabei im Auge batte, keineswegs, indem er sich als Anarchisten bezeichnte, einen harmlosen Scherz beabsichtigt, sondern daß er sich eines recht groben Radaues schuldig gemacht hatte, wofür er mit der entsprechenden Strafe belegt worden war. Aber so ist es ja immer mit den von den Socialdemokraten vorgebrachten „Tbatsachen"; bei Licht besehen, nehmen sie sich immer ganz anders aus. DaS wies auch Generalauditeur Ittenbach an einer Anzahl von Fällen nach, welche die Abgg. Bebel und v. Bollmar am Freitag auf Grund ihrer Zeilungslectüre in die Erörterung gezogen hatten. WaS aber die Stellung der Militairbehörven zur Socialdemokratie anlangt, so be streitet natürlich Niemand, daß die socialdemokratische Anschauungsweise überall, wo sie sich in der Armee bemerklich macht, auf das Entschiedenste bekämpft wird, und daS ist es, wogegen zu Protest!«» die socialdemokratischen Neichstags- abgeordneten ein Recht zu haben glauben. Herr Bebel hatte am Freitag erklärt, seine Partei denke gar nicht an eine Casernrnagitation, und Herr PöuS versicherte am Sonnabend, caß seine socialdemokratische Gesinnung ihn niemals abgehalten habe, seine dienstlichen Pflichten als Soldat vollauf zu er füllen. Gerade diese Erklärungen wären der Punct ge wesen, an dem die Gegner hätten einsetzen und dem Redner batten klar machen können, wie unberechtigt seine Borwürfe waren. Folgten die ihre Dienstpflicht erfüllenden „Genossen" dem Beispiele des Herrn P8us unv enthielten sie sich nach der Mahnung des Herrn Bebel der Casernenagitation, so würden sie über harte Behandlung sich ebenso wenig zu beklagen haben, wie Herr P8us. Dieser hätte also seine Beschwerden an die „Genossen" im Heere richten sollen, die auch als Soldaten die Socialdemokraten herauskehren und deshalb mit ihren dienstlichen Pflichten in Collision gerathen. Daß im Heere DiSciplin herrschen muß, wenn es seinen Zweck erfüllen soll, daS leuchtet doch gerade den socialistischen Führern, die sich sogar herausnehmen, Arbeiter, die nickt streiken wollen und dadurch den Beweis liefern, daß sie nicht zu dem eingeschworenen Heerhaufen der Socialdemokratie gehören, durch das beliebt« Mittel des BoycottS zu diScipliniren, voll kommen ein. Protestiren sie nun selbst gegen die Casernen- agitation und beweisen sie durch selbstgerühmtes Beispiel, daß man trotz socialdemokratischer Gesinnung als Soldatseine dienst lichen Pflichten erfüllen kann, ohne sich übler Behandlung aus- zuseyen, so beweisen sie zugleich, daß ihre Klagen und Be schwerden über einen planmäßig gegen die dienenden Social demokraten geübten Terrorismus nur dem Zwecke der Ver hetzung dienen sotten. Den Herren daS vorzurücken, machte allerdings der Abg. Frhr. v. Stumm einen Anlauf, deu aber seltsamer Weise der Herr Präsi de n t aufzuhalten für nölbig hielt. Bessere Einsicht zeigte er, als er dem Abg. vi. H a s s e .die Gelegenheit nicht absckmitt, an den ungeschliffenen Aus lassungen des englischen Staatssecretairs des Kriegs über die angeblich im deutschen Heere herrschende „Sklaverei" zu zeigen, welche Anschauungen über unser Militairwesen durch die systematischen Entstellungen und Verleumdungen von Seiten der Socialdemokratie im Auslande hervorgerufen werden. DaS Ergebniß der Beratbungen der Fiiiauzministcr der Einzclstaaten über die Abgrenzung der Finanzen der selben nach dem Reiche hin liegt in einem Gesetz entwürfe vor, der die Ausschrift trägt: „Verwendung über schüssiger Reichseinnabmen aus dem Etatsjahre 1897/98 zur Schuldentilgung." Die bisherige Regelung zwischen den Finanzen des Reiches und der Eiuzelstaaten durch die Franckenstein'sche Klausel war schon complicirt genug. Noch complicirter ist sie durch die auf Anregung des Centrumsabgeordneten Lieber für das laufende Etatsjahr 1896/97 angenommene Subklausel zur Franckenstein'schen Klausel geworden. Der neue Gesetzentwurf setzt auf diese beiden Klauseln für daS bevorstehende EtalSjahr noch eine dritte und macht dadurch die Uebersicht über die Abgrenzung von Reichs- und einzelstaatlichen Finanzen vollends unübersichtlich. Nach der Franckenstein'schen Klausel fallen die Mehrbeträge aus den Zöllen und der Tabakssteuer über 120 Millionen Mark den Einzel» staateu zu. Dafür decken diese den Bedarf de» Reiche» durch Matricularumlagen. Praktisch wurde dies bisher bei der Jahresabrechnung so gehandhabt, daß man 120 Millionen Mark von den Zöllen vorweg nahm, von den darüber hinauS- gebenden Erträge» die Matricularumlagen rechnungsmäßig subtrahirte und das, WaS übrig blieb, nach der Kopfzahl der Einwohner an die Bundesstaaten vertbeilte. Mit der Ab rechnung für das laufende ElatSjahr 1896—97, welche im Jab« 1898 erst erfolgt, wird aber bereits anders verfahren; für diese gilt die in einem Sondergesrtz im verflossenen Winter formulirte Klausel, welche besagt: Der Ueberschuß fließt nur zur Hälfte den Einzelslaaten zu, die andere Hälfte bleibt dem Reicke und wird zur Schuldentilgung verwandt. Wenn Anleihecredite offen stehen, werden sie auf diese verrechnet. Diese Klausel gilt aber zum Unterschiede von der Francken stein'schen Klausel nicht dauernd, sondern al» Specialgesetz nur für daS laufende ElatSjahr. Für daS nächste EtatSjadr 1897/98 würbe also wieder die Franckenstein'sche Klausel als Haupt regel gelten; eS würden bei der Abrechnung, die im Iah« 1899 erfolgt, die Eiuzelstaaten die rechnungsmäßigen Ueber- schüsse über die etat-mäßigen Ueberweisungen wieder unver kürzt erhalten. Das Centrum hat aber bereits angekündigt, daß für daS ElatSjahr 18S7/S8 wieder die Lieber'sche Klausel Feuilleton» In der Irre. 11f Novelle von M. v. O«rtzen. , Nachdruck verboten. „Ich dachte, Du interessirst Dick nur für Ducker", sagte Resa langsam. „Ich Lachte, Du hättest immer nur gelesen — „Nur für Bücher? Es hat Monate in meinem Leben gegeben, wo ich kein Buch berührte — aus den einsamen Schneefeldern der winterlichen Alpen bin ich umherzestreist und habe Luft und Freiheit getrunken — denn, Resa, ich bin ein freier Mensch — von Kindheit an habe ich Alles ab- geschüttrlt, was Zwang war — und wo ich einen solchen wabrzunebmen glaubte, da kam auch schon der Conflict — ich bin deshalb ein selbstständiger Gelehrter geworden. Aus Rang, Titeln rc. have ich mir nie etwa« gemacht — nur aus der Freiheit! Ich liebe die Bauern mit ihrem Trotz uud ihrer Härte — ich war selber schon ein halber Biuerl Ich verstehe da« Volk — und verstehe die wilde, unverfälschte Natur. Und darum zog ich auf den einsamsten Strecken aller Herren Länder einher — dort habe ich gefunden, was ich suchte. Und nun fürchtest Du Dich vor mir? Du hast gemeint, einen zahmen Gelehrten zu lie—- zu achten, und entdeckst in mir einen Mann, in dessen Seele e« fortwährend gährt, der die Kraft in sich fühlt, «ine Welt aus ihren Fugen zu heben — und warum sage ich daS Alle«? Weil wir allein sind — weil Du mich kennen sollst . . ." Resa batte den Kopf an «inen Baumstammfgelehnt und ihr Auge hing an den Lippen de« Redenden. Um sie her rauscht« der Wald sanft »nd gleichmäßig und tief — als Camill schwieg, stockte ihr Alben» momentan. Sie sah ihn wie einen Hünen vor sich stehen — auch «r hatte einen Frühling aekaunt, aber nicht den dir Blumen, der Vögel und d»S Duste«, sondern drn der brausenden Stürm«. Und er wollt« di« Aufgabe de« Leben« mit ihr lösen! „Fürchtest Du Dich?" fragt« er noch einmal milder. „Nein", sagte st« mit einem eiarnthümlichen Lächeln. „Ich dachte an ein Buch, da« ich einmal gelesen — Fritjof Nansen « Fahrten und Wanderungen durch Grönland — damals ver zehrte mich ein« innere Schwül« und ich verzweifelte an aller Frische und Gesundheit der Welt — in jenem Buche fand ich daS Verlorene wieder, mir wurde so wohl, so wohl, wenn ich in« Geiste durch einsame Unendlichkeiten strich — damals dachte ich: Wäre e« dir vergönnt, nur einmal einem s lchen Manne zu begegnen — einem solchen wahren Mann —" „Und nun?" fragte Camill stockend. „Und nun — denke ich, bin ich ihm begegnet", flüsterte Resa. Sie erschrak ihrer eigenen Worte. Ihr Herz klopfte über wältigend laut. Und zum ersten Male lernte sie jetzt fühlen, daß sie mit ihm allein war. Doch er rührte sich nicht. Er stand noch immer in gleicher Entfernung von ihr, unbewegt und stolz. »Es ist Zeit, daß wir in'S HauS gehen", sprach er nach geraumer Weile. „Ein feuchter Dunst steigt aus dem Boden. Komm!" In Resa'S Brust kochte eine sonderbare Gluth. DaS Wort, da» sie ihm vorher gesagt, hatte sich fast mit Schmerzen ihren Lippen entrungen — und er batte eS hingenommen wie etwas Unbedeutendes oder NalürlicheS. Sie traten in den großen Eßsaal, der meistens halb dunkel war. Resa stammelte eine Entschuldigung — Eamill schwieg. „O, Du warst mit Camill auSgrgangen!" sagte Frau v. Willow mit unverkennbarer Befriedigung. „Wie Julian und May — die gingen den ganzen Tag ihre eigenen Wege — übrigens hat May mir geschrieben, daß sie mit Julian drei Urlaubstage hier zu verleben gedenkt, um die glückliche Brautzeit noch einmal auflrben zu lassen, wie sie sich auS- drückt. Sie komme» morgen —" „DaS ist nickt möglich", sagte Resa hart. Sie ballte die kleine Hand. Aller Augen richteten sich auf sie. Am schärfsten jedoch diejenigen ihres Verlobten. „Und bitte, warum sollte da« nicht möglich sein?" fragte Frau v. Willow gereizt. „Ich glaube nicht, daß Julian jetzt hierher kommen wird." „Du vergißt, daß Burg Horst seine zweite Heimath ist. Wer oder wa« könnte ihn daraus vertreiben?" „Du hast recht", sagte Resa tonlos. „Hier ist auch er zu Hause — wie ich. Aber ich dachte —" „WaS?' Diesmal war «S Camill'« Stimme, die beinahe schneidend durch de« Saal klang. . Daß er nicht mehr kommen würde, bi« —" „Bis Du verheirathet bist?' warf Frau v. Willow dazwischen. „Ich weiß nicht, WaS ich dachte; mir ist so wirr!" sagte Resa. „Die Sommerluft ist schuld daran." „Darf ich Dir Wasser von der Quelle bolen?" sprach Camill kurz. Sie nahm e« dankenv an, aber sie begleitete ihn bis zum Schloßbrunnen und sah, wie er da» Gla« unter den Sprudel hielt. „Julian kommt", dachte sie mit finsterem Grimm. Wie durste er es wagen! Die „glückliche Brautzeit neu aufleben lassen?" E« war Hohn! Camill reichte ihr daS GlaS. Sie bemerkte e« nickt. Sie sah nur Julian und May unter den IaSminen sitzen und angewandt werden soll, wozu wieder ein Specialgesetz noth- wendig wäre. Diesem Wunsche entspricht auch in seinem ersten Paragraphen der vorstehende Gesetzentwurf, indem er sagt, daß auch bei der Jahresrechnung für 1897/98 — die im Jahre 1899 erfolgt — die Hälfte der Ueberschüsse der Zölle über die Matricularumlagen zur Verminderung der Neichssckuld dem Reiche verbleiben soll. Nun kommt aber in dem vorliegenden Gesetzentwurf eine neue Klausel dazu, und diese besagt: Wirb der Etat für 1899/1900 aufgestellt und ergiebt sich, daß die etatsmäßigen Einnahmen aus Zöllen und der Tabaksteuer geringer sind, als die elatSmäßigen Matricularumlagen, daß also im Voranschlag die Einzelslaaten nicht nur nichts erhalten, sondern noch an daS Reich herauözablen müssen, dann soll Folgendes geschehen: es wird im Etat der von den Einzel staaten geforderte Mehrbetrag gedeckt, erstens durch den Betrag, der nach der dann feststehenden Jahresabrechnung für 1897/98 den Bundesstaaten zufließen soll. Reicht dieser Be trag nickt aus, dann muffen im außerordentlichen Etat für 1899/1900 Reichsmittel bereilgestellt werden, nötbigenfalls bis zur Höbe der zweiten Hälfte der Ueber schüsse von 1897/98, die nach tz 1 dem Reiche zur Schulden tilgung bleiben sollten. In anderen Worten: die Schulden tilgung aus den Mebrerträgen des Finanzjahres 1897/98 wird im Jahre 1899 dann erst definitiv, wenn nickt von den einzelstaatlichen LandeScassen über die Ueberweisungen hinaus Zuschüsse zur Deckung des Bedarfs im ordentlichen Reichsetat gefordert werden müssen. Werden im Etat solche Zuschüsse erforderlich, so wird die bereits erfolgte Schuldentilgung wieder rückgängig gemacht, indem das Mehr nicht in den ordentlichen, also durch Matricular- umlagen zu deckenden Etat, sondern in den außerordentlichen Etat übernommen, also aus Anleiheconto gesetzt wird. Man wird nicht bestreiten können, daß dieser Gedanke, so schwer man ihm auch in dem Labyrinth der Finanz- beziehungen zwischen Reich und Einzelstaaten nachgeben kann, folgerichtig sei. Noch mehr aber beweist er die Noth- wendigkeit, zwischen dem Reich und den Einzelstaaten eine klare Abgrenzung zu schaffen, die Jedermann verstehen kann und die nicht von den wechselnden Launen des Parlaments bei jährlicher Wiederkehr des Gesetzes abhängig ist. Nach den Aeußerungen in klerikalen Kreisen und in der „Freisinnigen Ztg." ist es übrigens wenig wahrscheinlich, daß die jetzige ReichstagSmehrbeit diesen Gesetzentwurf annimmt. Sie will eben keine reinliche Scheidung zwischen Staats- und Reichsfinanzen, sie will die Willkür, vom Reich aus die Eiuzelstaaten finanziell zu beeinflussen, nicht aus der Hand geben, und darum soll bei der Lieber'schen Klausel stehen geblieben und auf diesem Wege nicht weiter geschritten werden, weil die letzte Consequenz eines Fortschreitend eben keine andere sein kann, als endlich zwischen Reichs- und Staats finanzen eine Klarheit zu schaffen. Der Stand der Dinge, wie er durch den Ausbruch der kretensischen Revolution geschaffen, hat sich insofern ver ändert, al« die Pforte jetzt Vorbereitungen zu größeren Truppen transporten nach der Insel trifft, ein Beginnen, an welchem die Mächte sie nicht bindern und nicht bindern können, weil der Sultan, dem, nominell wenigstens, immer noch die Souverainität über Kreta zusteht, daS Recht, ja die Pflicht hat, den Ausstand zu unterdrücken und Ruhe zu schaffen. Die zetzt auf Kreta sich küssen . . . und nun blickte sie empor in Camill'« Gesicht, fast neugierig forschend. Ein einziges Mal hatte er sie auf die Stirn geküßt — daS war Alles. Ja, so hatte sie es sich einst geträumt und ewünscht. Er war ernst — ein ganzer Mann. Und er eirathete sie, wie sie ihn — auS Achtung. „. . . Willst Du kein Wasser?" „Doch — gieb her!" Sie nabm ihm den Becker au- der Hand und trank in hastigen Zügen. „Ist Dir nun wohler?" „Danke. Mir war nicht unwohl." Von May's und Julian'S Besuch wurde kein Wort mehr gesprochen, bi« zum nächsten Abende — als ein Peitschenknall unten am Berge ihre Ankunft meldete. ES war eine Sommernacht ohne Mondschein. Unter den Bäumen war es zum Ersticken heiß. Auf der Terrasse brannte« zwei Windlickter — kein Blatt regte sich. Frau v. Willow besichtigte noch das Gastzimmer, an- Furcht, man habe vergessen, Kerzen in die Leuchter zu stecken und Wasser in die Krüge zu füllen, und der alte Herr schlief seit einer Stunde. Seine Jahre gestatteten ihm nicht, länger al- bi« zehn Uhr aufzubleiben. So geschah eS, daß nur Resa und Camill an den Wagen traten, die Reisenden zu begrüßen. „Herr v. Adalhart! Sie hier!" rief May. „Ich kam auf eine Woche, die heute verflossen — werde jedoch nun einige Tage länger bleiben", sagte er schroff» indem er ihr den Arm bot. „Oh! DaS ist liebenswürdig! Und wie vergnügt wollen wir sein . . . nicht wabr, Julian?" Julian und Resa folgte«. Keiner antwortete. , „Sie müssen nämlich wissen, lieber Vetter, daß r« mich eine ungeheure Mühe gekostet hat, meinen gestrengen Herrn zu dieser Reise zu bewegen — der ewige Dienst und so weiter! Aber die Berichte der Tante über Euer Glück weckten all' die Erinnerungen —" „In der Thal", sagte Camill artig. „Entsinnst Du Dich, Resa, wie Du außer Dir warst, wenn Du unS allein überraschtest? Und wie Du eS nicht leiden konntest, wenn wir. . ." „O ja", unterbrach Resa sie. Aber r« lag keine Heiter keit in ihrer Stimme. „Dort bat Julian damals Dir unseren Roman erzählt", May seufzte ein wenig. Sie traten auS dem Bereich der Windlickter. Immer noch regt« sich kein Lüftchen. „Wollen wir nicht da« Austauschen froher ReminiScenzen für spater aufsparen, bis wir die Tante begrüßt?" fragte Julian. ES war daS erste, was er sagte. Er sah nickt nach recht« und nickt nach links, wo die Freunde seiner Kindheit, stationirten türkischen Truppe» sind nicht stark genug, um den Insurgenten auf die Dauer die Spitze zu bieten, sie besincen sich in Kanea sowohl wie in Haleppa, die von den Christen beschossen werden, in der Defensive und werden bei den be vorstehenden blutigen Zusammenstößen den Kürzeren ziehen. Sie wurden beim Ausbruch der jüngsten Unruhen deshalb nicht vermehrt, weil die Botschafter den Sultan davon zn überzeugen verstanden batten, daß die Ankunft militairischen SuccurscS nur geeignet sei, die Lage zu verschärfen. Sofort aber nach dem Bekannlwerden der Absicht der griechischen Regierung ließen die Botschafter der Türkei freieHand, und nur dem Glauben des Sultans, die Mächte würden für ihn handeln, sowie deni Umstand, daß die Casien am Goldnen Horn gähnende Leere zeigen, ist es zuzuschreiben, daß nicht bereits türkische Kriegs schiffe in den kretensischen Gewässern erschienen sind. Nun aber rückt der Augenblick ihre- Eintreffens und die Even- tualität, daß die unter dem Prinzen Georg nun vollständig vor Kanea angelangte griechische Flottille die Landung türkischer Truppen zu verhindern sucht, in bedenkliche Nähe. Daß dies der nächste Zweck der Anwesenheit der griechischen Torpedoboote ist, darüber hat die Athener Regierung die Mächte nicht in Zweifel gelassen, und in dieser Absicht hat dieselbe sich auch trotz der energischen Abmahnung der Cabinette nicht irre machen lasten. Sie setzt ihre KriezSrüstung mir großer Eile unter dem enthusiastischen Jubel der Bevölkerung fort, beruft die Reserven, zum Abgang theils nach Kreta, theils nach der makedonischen Grenze ein, bestellt Maulthiere und Pferde in Ungarn und hat beträchtliche Munitions sendungen auS Havre unterwegs. So könnte die Prognose für die Heilung des grieckisch-kretensischen Nationalitäten- fieberS höchst ungünstig und die Weltlage äußerst kritisch erscheinen, wenn nicht auch heute wieder Nachrichten vor lägen, welche mit aller Bestimmtheit die vollkommene Einigkeit der sechs Großmächte — England ein geschloffen — betonen. So erhalten wir aus Berlin aus vorzüglich insormirter Quelle über die Auffassung der Lage in dortigen diplomatischen Kreisen folgendes Privattelegramm: L. Berlin, 15. Februar. Die letzten Nachrichten au- Kreta zeigen noch keine Verminderung der dort herrschenden Spannung an. Immerhin dauert ln den politischen Kreisen die kühle und ruhige Auffassung der Gesammtlage fort, und e» scheint sogar, daß der sichtlich ernstere Charakter der zuletzt ein getretenen Ereignisse nicht ohne fördernden Einfluß geblieben ist. Ja der Thal soll in den letzten Tagen auch hier eine gleich mäßige Beurtheilung der brennenden Fragen durch die ver- schiedenen in Betracht kommenden auswärtigen Mächte sich noch viel entschiedener kundgegeben haben als bisher, und es darf festgestellt werden, daß angesichts der vermehrten Gefahr für den allgemeinen Frieden der Wunsch der Mächte, den Frieden aufrecht zu erhalten, in unzweideutiger Weise zum Ausdruck gekommen ist. Sonach darf auch ferner einer friedlichen Ord nung der entstand enenSchwierigke/itenentgrgrngesehrn werden Jedenfalls würde Griechenland sich getäuscht haben, wenn es mit der Uneinigkeit der Machte in der treten- fischen Angelegenheit gerechnet haben sollte. Man trifft Wohl das Richtige, wenn man annimmt, daß eS England ist, dem erst der furchtbare Ernst der Lage den vorbebaltslosen Anschluß an die Willenskundgebung der die Linden und Eichen ihre Riesenschatten warfen, er sah nicht die HauSthür, durch die der warme Lichtschein quoll, und nicht die alte Ringmauer, wo daS Strauchwerk ihm so oft als Lager gedient, er sab nur den Boden vor sich, er hätte jedes Strinchen zählen können. Inzwischen umarmte im Hausflur Frau v. Willow ihre Nichte. Und dann küßte Julian ihre Hand, alle- wie früher. Julian hätte sich nicht gewundert, wenn Resa plötzlich mil langen Zöpfen und kurzen Kleidern vor ihm gestanden und wenn er selvst in der ersten Uniform ihr seinen ersten Rosen strauß gebracht hätte. „Du kennst ja Dein altes Zimmer", rief Frau v. Willow ihm zu. „Ich habe eS für Euch hergerichtet. DaS Abendbrot wartet, beute wird nicht mehr geschwärmt. ES ist schon spät!" „Komm!" sagte Julian gebieterisch zu May. Dock diese, in flatterndem Neiseschleier, machte nickt Miene, zu gehorchen. „Hier ist da- Bogenfenster, Julian, weißt Du, daS Bogen fenster mit dem heiligen Abendgold." „Ich sehe kein heiliges Abendgold", tzrach er, „es ist ver glüht!" Sein Blick bohrte sich in Resa'S heiße, trockene Augen. Er ahnte nickt, wer ihn fest und unverwandt betrachtete, wer in seinem mageren Gesicht laS mit erschreckender Deut lichkeit — „Resa", sagte Camill. Er öffnete die Saaltbür für sie, obne ein Wort binzuzusügen. Sie sah ihn an und verließ Julian, die Thürflüael schloffen sich hinter ihr. Lachend huschte May die Treppe hinan, schweigend folgte Julian. Ja, das war sein altes Zimmer. Die Fenster waren offen, da« Lickt flackerte. Und aus seinem Fenster sah Julian die weite Welt, die Ruhe der Berge, den Schlaf de« Alls, das ruhevolle Leuchten der Sterne. Jab« zogen an Julian vorüber, lächelnde und traurige, aber alle waren sie begleitet von dem Dufte frischer Walt blüthen — bis auf eine«, das ihm einst da« herrlichste gedünkl. Dies barg den Dorn seine« Leben«. Er wandte sich jäh um, zu May, die ihren Koffer aus- packte. „Warum hast Du mich gezwungen, hierher zn geben?" rief er zwischen drn Zähnen. ,.Wa« treibst Du mich hin und ber —" „Du kannst sonderbar fragen", sprach May, sich aus- richtend. „Begreifst Du nicht, weshalb e« mich nach Burg Horst zog?" Er schwieg. „Ich will Dir'S sagen", fubr sie fort. Sie erhob sick völlig nnd strich die Haare aus dem Gefickt. „Deshalb, weil Tn in E. dermaßen verstaub: und in den Sumpf de« All»
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