02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-25
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970325027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897032502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897032502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-25
- Monat1897-03
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Daß bei dieser der Kampf um die Schiffe noch einmal ausgenommen werden wird, ist zweifellos, ob gleich als feststehend angenommen werden kan», daß alle Versuche, einen ausreichenden Theil des Cenlrums von dem GroS der Partei abzusprengen und wenigstens für die Bewilligung des einen der beiden abgelehnten Kreuzer zu gewinnen, fruchtlos bleiben werden. Was dann geschehen wird, ist noch fraglich. Der „Nationai-Liberaien Corr." zufolge ist das Entlassungsgesnch des Admirals Hollmann noch nicht zurückgezogen» sondern liegt noch immer im Civilcabinet. Man kann nur wünschen, daß cs abgelehnt und nicht erneuerl wird; denn ein Personalwechsel im SlaatSsecretariat des Reichsmarineamts konnte die Aus sichten auf ein günstiges Ergebniß der nächstjährigen Berathnng des Marinc-Elats gar leicht verschlechtern. Bleibt Admiral Hollmann auf seinem Posten, so erledigen sich die über weitere Folgen der Abstriche am Marine-Etat verbreiteten Gerüchte von selbst, und das ist unter den gegenwärtigen Verhält nissen das Wünschenswertheste. Die hauptsächlichste Aufgabe des Admirals Holtmann wird es dann sein, so bald als möglich einen wirklichen Flottenbauplan ausznarbeiten, für ihn die Zustimmung zunächst des Reichskanzlers und dann dcS Buntesralhs zu erlangen und ihn dann schleunigst der OeffentUchlett zu übergeben. Der „Niederschrift", die er der Budgetcommission vorlegte, fehlt der Charakter eines wirklichen und feslgegrünveten Planes und deshalb hat er wehr Verwirrung ungerichtet, als genützt. Wir slimnien den „Alldeutschen Blättern" vollkommen bei, wenn sie schreiben: „Einen rechtsverbindlichen Flottenba ii plan haben wir mit der Niederschrift nicht, wie aus den Erklärungen des Herrn Reich-kauzlcrS in der Bndgetcoinnnssion vom 8. Maiz yervorgehr. Da« ist im höchsten Grade zu bedauern. Dell» gerade einen solchen in seinen oberen und unteren Abqrenzunaen se»s>chende!>, -Lvm K.rler, t>rm a»e'.-,I>al>,..i uno oom Bundesraty ge nehmigten Flottenbauplan brauchen wir, um sesistellen zu können, welche Pläne die Regierung verfolgt und auf welche etwa noch writrrgehende Pläne sie sur eine bestimmte absehbare Zeit ve» zichtet. Ein solcher Plan brauchte nicht in allen seinen Theilen von dem Reichstag bewilligt zu werden, wie dies ;a bei der Dcnkschrlsl vom Jahre 1873 auch nicht förmlich der Fall gewesen ist. Vor- lheühaster wäre eS freilich, wenn der Reichstag sich Lurch einen bestimmten Beschluß aus einen Zeitraum vo» 3 bis 5 Jahren sesllegen würde, enva in der Form für die Bewilligung vo» Koste» für die Entwürfe der erst in den Jahren 1838, 1833, 1300 und 1301 zu beginnende» Schijssbauten. Dann tonnte der Schiffsbau die für ihn >o nölhige Stetigkeit gewinnen. Wir erblicken in der sogenannten „Niederschrift" des Staalssecretairs Holtmann einen Forlichritt gegen den bisherigen Zustand, der darüber Zweiset ließ, ob die Leitung der Marine überhaupt sich über das klar sei, was sie in den nächsten b Jahren anzuslrrbcn gedenke, oder ob sie sich mit ihren Plänen nur in den Schleier des Dienstgeheimnisses hülle. Auch halten wir den Vergleich von 1837 mit 1873 für ungemein lehrreich. Ausschlaggebend ist dieser Vergleich aber nicht. Es kommt auch 1837 nicht daraus an, was man 1873 gewollt hat, sondern daraus, wa« wir heute, und mehr noch, waS wir künftig brauchen. Dafür muß eine Grundlage aus einem andern Wege gewonnen werden, als aus dem des Vergleiches mit einer um ein Viertestahrhundert zurückliegende» Vergangenheit." Die Handwtrkcrvorlage des BnndcSratbS widerstrebt, indem sie eine gewerbepolitische Mainlinie construirt, offenbar kein Geiste der Reichsverfassung und wird deshalb in dieser Form von uns niemals gebilligt werden. Unsere Verwahrung nochmals zn begründen, sehen wir indessen keinen Grund; denn erhebliche praktische Bedeutung wird dieses Product partei politischer und gouvernemenlaler Unselbstständigkeit nicht ge winnen. Der Verlauf der merkwürdigen Gesetzgebungsangelcgen- heit ist aber trotzdem hochinteressant, er zeigt, wohin es führt, wenn bürgerliche Parteien Dinge verspreche», deren Undurchführ- barkeit sie wohl erkannt haben. Wer bis vor Kurzem in Zweifel zog, ob die Mehrheit des Handwerks für Zwangs innung und Befähigungsnachweis eingenommen sei, und wer gar sich darauf berief, daß nur ein Zehntel der Hand werker ihre Ueberzeugung vom Segen des Zunftwesens bekundet habe, der war sicher, von Conservativen und Klerikalen als ein Feind des Mittelstandes, als ein Knecht des Großcapitalismus dem Hasse des „Handwerks" preis gegeben zu werdcn. Vor weniger als zwei Jahren büßte ein nationalliberaler Candidat in einer Nachwahl sein lange besessenes Neichstagsmaildat einzig und allein des halb ein, weil er in dem — noch dazu unbegründeten — Verdachte stand, einen Zeitungsartikel geschrieben oder veranlaßt zu haben, in dein Zweifel an einer allgemeinen Zwangsinnuiigsbegeisterung im deutschen Handwerk geäußert waren. Und was ist heute in der „Germania" zu lesen? „Man hat nicht so ganz mit Unrecht gesagt, daß sich nur ein Zehntel der Handwerker der modernen (!) Handwerkerbewegung angeschlossen habe." Aber noch mehr. Früher hieß es: der Zwang ist principiell nothwelidig» er wird das mangelnde Interesse am Stande hervorzaubern. Und jetzt schreibt dieselbe „Germania", cs sei im Princip richtig, was die Bundeörathsvorlage wolle: „Mögen die Hand werker selbst reden, ob sie die Zwangsinnung wollen oder nicht." Und das klerikale Blatt folgt hierin den Spuren des Herrn Jakobskötter, des Erben der Biebl und Möller in der Führung des Kampfes für Zwangsinnüng und Be- säbigungnachweiö, der bekanntlich im „Reicksbvlen" erklärt: „Durch diese Fassung (des Entwurfs), welche den Hand werkern di? Jn?:ak!v- überträgt, ist es am ehesten möglich, eine Probe auf das Exempel der allgemeinen Zwangs- innungsfrcudlgkeit zu machen." Also auf einmal ein Exempel, was bisher unter ärgsten Verunglimpfungen Anders meinender als ewige Wahrheit mit Stentorstimme aus dem Tempel der Gewißheit herausgeschrien worden ist. Herr Jakobskötter fügt hinzu, es würden durch die Uebcrtragilng der Initiative auf die Handwerker „alle unnöthigen Experimente vermieden, welche sonst von innungsfreundlichen Behörden auch an solchen Orten gemacht werden könnten, wo absolut kein Boden für Jiiliungen, am wenigsten für Zwaugsinnungen, vor handen ist. „Mit anderen Worten: der bisherige Zünftler rühmt den Schutz, den die Vorlage den Handwerkern gegen innungsfreundliche Regierungen gewährt. Ob es solche Negierungen überhaupt giebt? Wir wissen es nicht, aber wir sind sicher, daß dieser Ausspruch des conservativen Schneidermeisters unserer sächsischen Regierung sehr — interessant sein wird. Freilich steht Herr Jakodskötter in seiner Partei noch allein. Die „Cons. Corr." hat eben erst wieder das Handwerkslied von der alten Walze abgespielt, und eS ist recht komisch, daß der Handwerker JakobSkökter im Lichte der Auffassung der von Großgrundbesitzern diclirten „Cons. Corr." als „Manchestermann", „Schreier" und „Freihändler" dastebt — in einer Handwerksfrage! Vielleicht wird er nächstens als verkappter Anhänger des „SchutzverbandeS" vorgeführt. Wahrscheinlich aber ist, daß die Con servativen ihm folgen und seiner Mahnung entsprechend die von der „Cons. Cor." als unannehmbar bezeichnte Bundes- rathsvorlage annebmen. Allerdings bedürfen sie, wenn der viel jährigen Liebe Müh — „Handwerker-Fang" hat sie die „Ger mania" genannt — nicht umsonst sein sott, der Zustimmung der „Zünftler" zn einem bejahenden Votum. Die aber sucht gerade Herr Jakobskötter wie auch das klerikale Organ zu erwirken. Beide rathen zur Hinnahme des Erreichbaren und Herr Jakobskötter geht noch weiter, er schildert den Besähiguiigsiiachweiö als einen Sckaumkloß, den die ihn verlangenden Handwerker irrthümlich als ein Nahrungs mittel ansähcn. Wir sind neugierig, wie die „Zünftler" schließlich resolvircn werden. Zeit zum Ueberlegen haben sie genug, denn vor dem Frühjahr 1898 wird die entscheidende Abstimmung über die Hancwerksvrganisation keinesfalls stattfindcn. Dieser späte Termin macht aber ein etwaiges Beharren der Zuiistsreunde auf ihren vom Centrum und den Conservativen so lange genährten Wünschen diesen Parteien sehr gefährlich, kenn die Wahlen folgen bald hinterher. Wir deuteten gestern an, daß der neuen Wendung, welche die kretisch-griechische Krise infolge der ver dächtigen Haltung Englands genommen. Rußland mit Maßnahmen entsprechen werde, welche die Bereitschaft für alle Fälle bedeuten. Ein Londoner Blatt halte von der Mobilmachung der englische» Flotte im Juni ge sprochen, sofort folgt die Meldung, die russische Frei willigenflotte habe Befehl erhalten, sich in dem Konstan- linopel zunächst liegenden Hafen des Schwarzen Meeres zu conceiitriren, und die Armcecorps in Bcssaradicn seien nach Odessa dirigirt. Des Weiteren geht uns heute folgende fallende Nachricht zu: * London, 25. März. (Telegramm.) Einer Meldung des „Standard" auS Konstantiiiopet zufolge telegraphirte der Vali von Erzerum am Sonnobeiid an die türkische Regierung: Zwei Divisionen der russischen Armee in der Provinz Kars hätten die kürkische Grenze besetzt. Ter russische Generalconsul habe erklärt, die Truppen hätten de» Auftrag, die russische Grenze gegen die Einschleppung der Pest zu schützen. Ter Vali fügte Hinz», er erachte die Erklärung für ungenügend und erbittet den Beseht zu Gegenmaßrcgeln. Wir wissen nicht, ob diese Maßregeln, wenn sie ge troffen sind, die Antwort auf die englische Ftottenbemonstration in den Spalten der „Daily Mail" sein sollen, jeden falls zeigen sie, immer ihre Wirklichkeit vorausgesetzt, daß man in Petersburg der englischen Diplomatie nicht über den Weg traut und daß man Englands perfider, aus den Besitz Kretas oder doch der wichtigsten Plätze der Insel hinstrebeuder Hinrertreppenpolilik gegenüber vor der Drohung mit einem Handstreich auf türkische Grenzprovinzen und Konstantinopel selbst nicht zurückschreckt. Auffallend ist dabei, daß diese Atarmnachrichten in englischen Blättern auftauchen. Man kann ihnen deshalb nicht ohne Weiteres Glauben beimessen, um so weniger, als die Londoner Presse sich in jüngster Zeit bestrebt zeigt, die veränderte Haltung Englands mit einer angeblichen russischen Perfidie zu er klären, die darin bestehen soll, daß Rußland, sei eS durch ein geheimes Abkommen mit dem Sultan, sei es durch sonst einen hinterlistigen Coup, Vortheile für sich herauS- zuscklagen suche, die England nicht gleichgiltig lassen könnten. Wir warten daher die Bestätigung obiger Nachrichten ab, ehe wir weitere Combinatiouen daran knüpfen. Außer Acht lasten darf man sie auf keinen Fall, da sie möglicher Weise im Zusammenhang stehen mit der plötzlichen Erkrankung Lord Salisbury's, seiner ebenso plötzlichen Genesung und seiner nicht minder plötzlichen Abreise nach der Riviera, wo er sich nach officiöser Darstellung von den Folgen eines Jnfluenzaanfalles zu erholen gedenkt. Geschähe diese Fahrt nach dem sonnigen Süden in einer- politisch wolkenlosen Zeit, so würde es Niemand sonderbar finden, daß der englische Premierminister nach einem zwei tägigen Schnupfen nach Nizza in die ReconvaleScenz geht. Das kann ein Lord Salisbury sich ja leisten, wenn man auch meinen sollte, er könnte aus der langen Reise sich einen bösen Rück fall zuziehen. Allein die Flucht des Premiers aus der Oeffent- lichkcit erfolgt in einem Augenblick, der die orientalische Frage an einem sehr kritischen Puncte angelangt zeigt. Nun combinir» man folgendermaßen: Der Lord wurde gerade krank, als vor einigen Tagen der englische Minister rath zusammentrat, der den Beschluß faßte, daß England nicht an der Blockade Griechenlands theil- nehmen werde; er ging, als es klar geworden, daß die philhcllcniscbe Strömung im englischen Cabinet, die keine Demütbigung König Georg's will, die Oberhand ge wonnen hatte; er ging, um nicht als Premierminister zurück- znkehren. Wir können natürlich von hier aus diese Com- dination auf ihre Richtigkeit nicht prüfen. Thatsache aber ist, daß die letzten ihrem Wortlaut nach fast durchweg correcten Erklärungen Salisbury's, die Eng land noch völlig an der Seite der übrigen Mächte zeigten, nicht in Einklang zn bringen sind mit der augen- hlicktichen Haltung der englischen Diplomatie, die wieder ihrerseits Len Auffassungen einiger Griechenland freundlicher englischer Minister, namentlich GoschenS, entspricht, aus welcher diese von Anfang an kein Hehl gemacht haben. Ob auS diesen! wirren Durcheinander sich doch zuletzt noch siegstrahlenden Auges der Fried« er hebe» wird, oder ob die schäumenden Wogen des Krieges scheußliches Ungethüni gebären werden, wer ver möchte es zu sagen! Unseres Erachtens dürfte der Verlauf der neuesten Phase ver Krise wieder der sein, daß England vorder drohenden Faust Rußlands zurückweicht, nachdem es wenigstens etwas erzielt hat: Die Errichtung einer neutralen Zone an der thessalischen Grenze, welche den Ausbruch des für Griechenland aller Voraussicht nach unglücklich verlausenden türkisch-griechischen Krieges verhüten soll. Gegen dieses Zugestänvniß will England dann an der Blockade des Hafens von Volo theiliiehmen, falls Griechenland sich weigert, den englischen Vorschlag zu acceptiren. Die letzte Rede Cnrzon's deutet sckon darauf hin, daß England wieder ein- zulcnken sucht. Dann aber dürfte auch Salisbury sein Portefeuille behalten. Auch daS wäre freilich nur eine weitere Verschleppung der Krise; denn erklärt, wie eS wahr scheinlich ist, Griechenland sich damit einverstanden, seine Truppen hinter die Grenzlinie der neutralen Zone zurück- zuziehen, so erübrigt sich das englische Versprechen, Volo mit ^u blockiren, I d. h. Griechenland Len Seeweg nach Thessalien fast ganz abzuschneiden und über die Blockade anderer Häfen, namentlich des PiräuS ist man noch sehr weil von einer Verständigung entfernt. England hätte also wieder einmal Zeit gewonnen, und der Bersumpfungsproceß, FeuNletsir» Immer vernünftig. 1) Novelle von August Nicmann (Dresden.) Nachdruck verboten. Man kann ganz angenehm leben, wenn man nur ver nünftig ist, sagte sich Theodor. Er setzte sich in den Lehnstuhl und betrachtete wohlgefällig seine neue Wohnung, die er soeben bübsch ordentlich ein gerichtet hatte. Ein liebevoller Blick haftete aus einem Schränkchen, dessen Schubladen mit einer Mineraliensamm lung angefüllt waren. „Es mag Kameraden geben, die mich verlachen würden", — so fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. „Aber mir ge nügt die Einfachheit. Je weniger Bedürfniß wir haben, desto mehr ähneln wir den Göttern. Ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer, deren MiethpreiS mich nickt drückt, sind bester, als großartige SalonS, die mich zum Hungern nötbigen, wie ich daS fo bei einigen Bekannten wahrgenommen habe. Und waS ist der Ebrgeiz? Er ist wie das Seewasser: man wird immer durstiger davon. Ick lobe mir die Freiheit, die ist daS höchste Gut. Hole der Henker alle Bücklinge vor Vorgesetzten! Civil sitzk bequemer als da« zweifarbige Tuck. DaS edelste Ziel aller Verständigen ist die Unabhängigkeit. Nur muß man zu leben verstehen. Aber ich sage mir, daß e« doch gar nickt so schwer ist, glücklich zu sein. Man muß nur alle Thorbeiten vermeiden. Und da« kann man doch! DaS Glück liegt durchaus in der Vernunft- Und ist e« denn nur so schwer, vernünftig zu sein? Ich dächte doch nicht. Man muß nur bei Allem, wa« man anfängt, da« Ende bedenken. Ich werde nickt viel trinken, sondern mäßig sein, damit ich gesund bleibe. DaS Spiel werde ich gänzlich meiden, denn wie oft habe ich gefeben, daß Leute sich von der Leiden schaft Hinreißen ließen! Nein, ick werde dem Teufel nickt den kleinen Finger bieten. Vor Allem aber werde ich mich vor den Weibern hüten, denn die« Geschleckt birgt die größte Gefahr in fick. Ich brauche mir nur immer, wenn ick ein schöne« Gesicht sehe, vorzustrllen, daß alle Schönheit mit der Zeit vergeht, und daß auch die reizendste Gestalt am Ende in Staub und Moder zerfällt. Ueberhaupt muß man in die Tiefe gehen, um da« Vernünftige zu finden, man muß die blendende Oberfläche zu durchdring«» wissen." Theodor stand auf. „Ich werde noch einen Spaziergang machen und vorS Thor geben. Es ist ein schöner Nachmittag, und im Osten sind Ouarzformationen." Er nahm seinen Stock, dessen Griff einen Hammer bildete, sah jedock, daß seine Hände beim Aufhängen von Bildern staubig geworden wären, und klingelte, weil eS an Wasch wasser fehlte. Das Dienstmädchen trat ein, und ihm fiel aus, daß es mit der Schürze an den Augen wischte. „Was ist Ihnen, Minna?" fragte er. „Es ist nichts, Herr Hauptmann." sagte Minna und nahm die Schürze von den geröthrten Augen. „Weshalb weinen Sie?" Das Mädchen antwortete nicht. „Sie weinen, Minna. WaS ist Ihnen geschehen? Haben Sie einen Verlust gehabt?" Sein freundlicher Ton schien da« Mädchen zu trösten. Sie sah ihn an, und Theodor bemerkte, daß sie sanfte, unschuldige blaue Augen hatte, die im Schmerze etwas Rührendes ausdrückten. „Erzählen Sie mir," sagte er. Sie erzählte mit stockender Stimme, daß die Frau Räthin sie ausgezankt hätte und überbaupt sehr viel zankte. Jetzt handelte e« sich um eine Wasserflasche, die Minna zerbrocken haben sollte, während die Flasche schon einen Sprung gehabt hatte, der durch die Frau Räthin selbst verursacht worden war. „Weinen Sie nicht, Minna," sagte er mit einer Stimme, die er künstlich hart machte, denn Franenthränen hatten noch immer sein Herz bewegt. „Ich werde die dumme Flasche bezahlen." „O, Herr Hanptmann!" sagte da« Mädchen, indem e« errölbete, „deshalb habe ich da« nicht gesagt!" Theodor dachte, er wäre unzart gewesen. „Trösten Sie sich nur," sagte er, und indem er da« Mädchen ansab, überkan, ihn eine Bewegung, deren er nicht Herr werden konnte. „Trösten Sir sich nur," wiederholte er, und bevor er noch recht wußte, wa« er that, hatte er Minna auf ihren rothen Mund geküßt. Sie senkte schamhaft den Kopf, er aber nahm eilig Hut und Stock und ging zur Thür hinaus. „Eigentlich wollte ich mich gar nicht mehr um Frauenzimmer bekümmern," sagte sich Theodor, indem er au« dem Hause trat, und im selben Augenblick prallt« er mit einem Officirr zusammen, den er nicht bemerkt batte, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Jeder dachte, der Andere hätte ihn gestoßen, keiner bat um Entschuldigung; da erkannten sie sich jedoch, und überrascht rief Theodor: „Herr von Truder!" Der Officier in Uniform aber in gleicher Ueberraschung: „Was Tausend, Sie» Herr von Miltenberg?" Beide hatten sich vor Jahren bei demselben Commando in Berlin getroffen, und sie schätzten sich gegenseitig, doch sprach der Hauptmann von Truder sein Befremden darüber auS, daß Miltenberg den Abschied genommen hätte. „Sehen Sie", erklärte ihm Theodor, während sie durch die Anlagen sckritten, „ich besitze ein kleines Vermögen, und wenn ich meine Pension zu den Zinsen rechne, kann ick bescheiden leben. Wie die Dinge jetzt liegen, muß ich als activer Officier jeden Tag gewärtigig sein, einen Fußtritt zu bekommen. DaS paßt mir nicht. Ich habe wenig Neigung, andere Leute zu hudeln, bleibe selbst aber auch gern ungebudelt." „Ein kleines Vermögen ist viel Werth", sagte Hauptmann von Truder, „und ich glaube auch, daß Mancher e« so machen würde wie Sie", wenn er nur die Mittel hätte. Indessen sollte ich denken, daß Sie noch zu jung wären, um schon unbeschäftigt nnd ganz der Muße hingegeben zu leben. Wie alt sind Sie? „Sie sind, wenn ich nicht irre, in demselben Alter, fünfunddreißig." „Wie? Glauben Sie, man könnte zu jung sein, um der Vernunft zu folgen?" „Der Vernunft kann man immer folgen. Es fragt sich nur, wa« vernünftig ist." „Ich meine, vernünftig ist e«, sich daS Leben so angenehm wie möglich zu machen, und ich denke auch, daß man voll kommen glücklich werden kann, wenn man nur vollkommen vernünftig ist." „Ganz gewiß. Aber eS ist ebenso unmöglich» vollkommen vernünftig, wie vollkommen schön zu werden." ..Verehrtester Herr Kamerad, daS bestreite ich durchaus. Meine Schönheit hängt nicht von mir ab, sondern ist eine Gabe der Natur. Aber meine Vernunft kann ich entwickeln. Ich kann auS eigener Erfahrung und au« guten Büchern lernen. ES ist besser, seine Seele zu weiden, als äußerlichen Dingen nachzujagrn. WaS habe ich von gutem Avancement? Es ist immer noch ein Höherer über mir. WaS bade ich von vornehmer Gesellschaft oder einer reichen Frau? Da« sind nur Fesseln, und die Annehmlichkeiten werden von den Unannehmlichkeiten ausgewogen. Nein, ich habe mein Stecken pferd: ich klopfe Steine. Auch habe ich mir eine kleine Bibliothek gesammelt. Kein schönere« Gefühl als das, thun zu können, waS man will. Aber wie kommen Sie denn hier her? Sie stehen doch nicht hier in Garnison?" „Ich bin eben erst angekommen. Ich will meinen Vetter Hugo besuchen, Hugo von Neitewitz. Sie kennen ihn ja. Der arme Kerl ist von seinem Pferde getreten worden und ich will sehen, wie eS ihm geht." „Neitewitz? Der gute, kleine Reitewitz? DaS thut mir leid." „Es ist beim Rennen vorgestern geschehen. Ter Gaul ist beim Sprung über die Hecke gestürzt, Hugo liegt daneben, der Gaul springt wieder auf und tritt dabei gegen Hugo's Oberschenkel. ES soll eine arge Quetschung sein." „Ich weiß nicht, ob das mit dem Rennen nicht neuerdings übertrieben wird. Ebenso mit den Distanzritten. Was ist denn das, wenn da ein Reiter als Erster am Ziel ankomnil und schleppt seinen Gaul am Zügel hinter sich her, während ein Kerl mit dem Prügel hinlenauf haut, damit daS arme Vieh noch ein paar Minuten lang, ehe eS krepirt, in Be wegung bleibt?" „Na ja, es kommen Uebertreibunaen vor, aber im All gemeinen stärkt der Sport den echten Rcitergeist. Sind Ei den» nicht bei dem Nennen gewesen, wo Reitewitz das Malheur gehabt hat?" „Ich? Verehrtrster Herr Kamerad, ich befolge den Grundsatz, mich von der sogenannten guten Gesellschaft und allen ihren Belustigungen fern zu halten. Sie lachen? Wenn Sie Nachdenken, werden Sie mir recht geben. Dem vernünftigen Leben widerstrebt nicht« so sehr, wie das Laster in jeder Forin. Unter Laster verstehe ich alle Gewohnheiten und Handlungen, die der körperlichen und geistigen Gesundheit schaden. Nun wohl, diese Laster babeii in der guten Gesellschaft ihre eigentliche Brut stätte und sind dort ganz nothwendig. Ohne Lügen, Heucheln, Nachtschwärmen, Trinken, Spielen und Courmachereien, ohne Eitelkeit, Hoffabrt und Zustimmung zu allen möglichen albernen Vorurtheilen kann kein Mensch dort eine Rolle spielen. Ja. ick möchte behaupten, daß das Laster in ver güten Gesellschaft die beste Empfehlung ist. Da« ist aber unvernünftig und deshalb will ich diese Gesellschaft voll ständig meiden." Der Kamerad lachte noch immer. „Recht haben Sie", sagte er, „aber man kann dock nickt so sein. Hier wohnt mein Vetter. Kommen Sie mit hinauf? Der arme Kerl wird sich freuen."
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