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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970327029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897032702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897032702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-27
- Monat1897-03
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Größere «christen laut unserem PreiS- verzetchniß. Tabellarischer und Zifsernjatz nach höherem Tarif. Krtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der. Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördernm, >l KO.—, mit Postbesörderung 70.—. Äunahmeschluß für Iuzelgen: Abend-AuSgab«: Bormittag« 10 Uhr. Borgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je ein» halb» Stunde srntztr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. O 157. Sonnabend den 27. März 1897. SI. Jahrgang. Der Reichstag und die Ration. X. L. Leipzig, 27. März. Daß die Marinevorlage der Re gierungen auch in der dritten Äsung vom Reichstag ab gelehnt werden wird, scheint unausbleiblich und unabwendbar. Die Mehrheit dagegen bei der zweiten Lesung war zu groß und bestand zu sehr auS solchen Elementen, deren Hauptgeschäft eine grundsätzliche Opposition gegen die Politik des Reiches ist, als daß man auf einen Umschlag noch in der letzten Stunde hoffen könnte. DaS Centruin, der ausschlaggebende Tbeil der Mehr heit, hat erklärt, es würde um seine Stimmen in dieser Sache nickt „handeln" lassen, und auch die Freunde der Marine vorlage können einen solchen „Handel" nicht wünschen; denn abgesehen von dem hohen Preise, den daS Eentrum sich wahr scheinlich für seine Zustimmung zu den Forderungen der Negierungen ausbedingen würde, ist es unter allen Umständen ein bektagenswerther und verhängnißvoller Vorgang, wenn allgemein als dringend anerkannte Anliegen des Reiches, seiner Sicherheit und Größe nach außen oder seiner Wohlfahrt nach Innen, auf den Markt gebracht und zur Waare er niedrigt werden im Umtausch gegen einseitige Parteiinteressen. Die nationalgesinnte Presse hat, wie nicht anders zu er warten war, diesen Ausgang der Marinedebatte aufs Tiefste beklagt. Sie hat mit Recht diejenigen Parteien im Reichs tage, die daran schuld sind, der Kurzsichtigkeit und des Mangels an Patriotismus, wo nicht der Reichsfeindlichkeit, angeklagt. Sie bat daneben wohl auch die Regierungen und ihre speciellen Vertreter im Reichstage theils wegen ihres ganzen Vorgehens in dieser Angelegenheit und wegen ihres nicht genug energischen Eintretens für ihre Forderungen ge tadelt, theils aber auch zum Beharren und zu um so größerer Energie in der Durchsetzung ihrer für bas Reich unentbehr lichen Forderungen ermahnt. Was diese letztgenannten Kundgebungen betrifft, so ist daS einmal Geschehene oder Unterlassene nicht mehr zu ändern; soweit sie aber die Regierungen dazu anfeuern, diesen Schlag von Seiten der Opposition nicht ruhig hinzunehmen, so muß man freilich fragen, wie diese Mahner sich einen solchen Gegenschlag der Regierungen denken. Daß eine Auflösung des gegenwärtigen Reichstags durch die darauffolgenden Neuwahlen eine bessere Zusammensetzung der Nationalver- tretung geben würde, ist allseits für mehr als zweifelhaft, die Forderung einer Verstärkung unserer Flotte als Wahlparole für ungeeignet erklärt worden. Und doch würde ein anderer Weg — selbst um den Preis eines Wechsels der leitenden Persönlichkeiten im Reich und in Preußen — nach der Ver fassung nicht offen stehen. An einen Staatsstreich aber wird hoffentlich Niemand denken wollen. Ein Factor bat bei diesem ganzen Conflicte zwischen Re gierungen und Reichstag — in einer Sache, bei der eS sich um ein hochwichtiges Interesse des Reichs bandelte — eine merkwürdige Zurückhaltung beobachtet, ein Factor, dem es Wohl zu- und angestanden hätte, seine Stimme gleichfalls zu erbeben. Wir meinen die deutsche Nation. In früheren ähnlichen Fällen war dies nicht so. Wir erinnern uns, daß schon 1874 bei einer zweifelhaften Haltung der Reichstags mehrheit betreffs.der Regelung der Militairfrage, stärker beim sogenannten Septennat 1887, und wiederum bei der neuesten HeereSfvrberung 1893, jedes Mal mehr oder weniger laute und energische Kundgebungen der öffentlichen Meinung (in der Form von Resolutionen oder Adressen an den Reichs tag) auS den verschiedenen Theilen des Reiches erfolgten und daß diese Kundgebungen sichtlich nicht ohne Ein fluß auf den Reichstag blieben. Man kann ein noch so entschiedener Gegner des sogenannten imperativen Mandates und jeder, auch nur entfernten „Trrrorisirung" der National vertretung sein, und man wird doch anerkennen müssen, daß in Angelegenheiten, wo es sich um die Wohlfahrt und Sicherheit des Ganzen handelt, auch die Nation ein Wort mitzureden hat, — ähnlich wie beim alten deutschen Volksgericht der so genannte „Umstand", d. h. die Bezirksgemeinde, sein Urtheil abgab. Es war gewiß nur zu billigen und zeugte von einem gesunden Sinne des deutschen Volke-, daß dieses nicht, gleich dem englischen und französischen, durch eine Gefühlsregung sich hinreißen ließ, zu Gunsten der Aufständischen auf Kreta zu demonstriren und damit der eigenen Regierung Verlegenheiten zu bereiten; aber etwas Anderes ist eS, wo zweifellose, greif bare Interessen des eigenen Vaterlandes auf dem Spiele stehen. Daß dies aber bei der Frage wegen einer Macht verstärkung Deutschlands zur See der Fall ist, läßt sich wohl nicht leugnen. Wenn es sich dabei auch vielleicht nicht in erster Linie um die politische Existenz und Bedeutung des deutschen Reichs handelt, weil dafür unser starkes Landhrer immerfort der ausschlaggebende Factor sein und bleiben wird, so doch um die für die Wohlfahrt unsere« Volkes nicht minder wichtige Gestaltung unseres Welthandels und unseres Colonial- wesenS. Je mehr unser Verkehr nach dem Auslande sich ausdehnt und dadurch den Mitdewerb und Neid anderer Nationen herauSsordert, um so mehr bedarf derselbe des Schutzes — nicht blos des diplomatischen, sondern des nackvrückiichcren durch Kriegsschiffe und Kanonen — in allen, auch den ferusten Welt- lheiien. Woher aber diesen Schutz nehmen, wenn eS dem Reiche an rasch segelnden Kreuzern fehlt und eine starre Mehrheit des Reichstages den Bau solcher verweigert? Hier stehen Interessen auf dem Spiele, bei denen nicht bloS der deutsche Großkausmann und Großindustrielle, sondern auch die Stickerei im sächsischen Vogtlande, der Handweber in Schlesien, ja der einfachste Arbeiter aufS.Stärkste betheiligt sind. Von gegnerischer Seite, in socialdemokratischen und ultra montanen Versammlungen, sind Mahnungen an die Reichs- opposilion, aus ihrem ablehnenden Standpuncte zu beharren, erfolgt; von Seiten der staatserhaltenden Parteien hat man AehniicheS nicht vernommen. Für den jetzt vorliegenden Fall und die gegenwärtige Reichstagssitzung dürfte so etwas freilich auch zu spät kommen; allein daß beim Wiederau,rauchen solcher und ähnlicher Fragen von nationaler Bedeutung die staatserhaltenden Parteien rechtzeitig offen und unumwunden mit ihren Wünschen und Forderungen den Regierungen und dem Reichstage gegenübertreten und die großen Anliegen der Nation geltend machen, dafür mögen die vorstehenden Betrachtungen eine vielleicht nicht ganz nutzlose Anregung geben I Politische Tagesschau. * Leipzig. 27. März. Neunmal bereits bat der Reichstag, wie der Abg. Richter in der gestrigen Sitzung hervorhob, den Antrag auf Bewährung von Diäte» angenommen und neunmal hat der Bundesrath diesem Beschlüsse die Bestätigung ver sagt. Die Gründe, die gegen die Gewährung von Diäten sprechen und die wir in letzter Zeit wiederholt hervorgehoben haben, sind heule noch eben so gewichtig, wie sie früher gewesen sind; schon deshalb ist eS nicht gerade wahrscheinlich, daß der gestern gefaßte zehnte Beschluß des Hauses ein günstigeres Geschick un BundeSrathe haben werde, als seine Vorgänger gehabt haben. UeberdieS ist der Zeitpunct dieses zehnten Beschlusses so ungünstig wie möglich gewählt. Ein Reichstag, der soeben erst trotz der eindringlichsten Mahnung des Reichs kanzlers und der ReichsstaatSsecretaire Abstriche am Marine-Etat gemacht hat, ohne sachliche Gründe bei bringenzu können, und aus Mangel an solchen auf die finan zielle Lage sich beruft, legt dem BunveSratb die Antwort auf eine erneuteDiätenforverung förmlich in den Mund.und zwar eine sehr sarkastische. Jedenfalls bat den anwesenden Bunbes- rathsvertretern auf die Ausführungen der Diätenfreunde die Antwort auf den Lippen geschwebt: „Woher soll denn, wenn die finanzielle Lage des Reiches zu schlecht ist, um den schleunigen Bau von Kreuzern, die zum Schutze des deutschen Handels ebenso unentbehrlich sind wie zur Aufrecht erhaltung unserer Machtstellung, zu gestatten, das Geld kommen, um Leute zu entschädigen, die seit der Gründung des Reiches ohne Entschädigung auskommen und deren Wünsche jedenfalls für daS Reich viel gleichgiltiger sind, als eine ihren Zwecken entsprechende Flotte?" Herr Richter hätte darauf freilich entgegnen können, die Geldfrage sei ja für die Gegner der „uferlosen Flottenpläne" inr ein Vorwand, wie auS der Bewilligung einer namhaften Summe für einen Präsidialpalast hervorgehe, aber mit einer solchen Entgegnung hätte er jedenfalls nur eine noch grellere Beleuchtung der Selbstlosigkeit und der nationalen Verdienste der Präsidialmehrheit des jetzigen Reichstags erzielt. Auf alle Fälle würde die große Mehrheit des deutschen Volkes es überaus seltsam finden, wenn dem jetzigen Reichstage gewährt werden sollte, was verdienstvolleren Vorgängern versagt worden ist. So wird also die gestrige Debatte über d,e Diätengewährung einen praktischen Erfolg schwerlich t>aben; ihr einziger Vorzug dürfte gewesen sein, daß sie sich in den knappsten Grenzen hielt. An der Hundertjahrfeier, die so glanzvoll und so glücklich unter Tbeilnahme aller Volksschichten verlief, sucht daS focialdemokratischc Centralorgan nachträglich herum zunörgeln. Alles, was bei der Hundertjahrfeier geäußert wurde, sei Byzantinismus niedrigster Art gewesen. Der „Vorwärts" macht sich lustig über die „zahllosen Ballen bedruckten Papiers, auf welchem der Festjubel sich herumtummelte und seine Gedanken ^>nd Gefühle ad- lagerte", aber er muß doch ärgerlich zugrstehen, vaß sämmt- liche Berliner Zeitungen mit einziger Ausnahme deS „Vorwärts" selbst in diesen Festjubel einstimmten, daß die außerberlinische Presse „nicht viel anders" sei als die berlinische und daß „selbst in den sogenannten demo kratischen Blättern der Byzantinismus tief ins Mark ein gedrungen" sei. Der 1. Mai soll nunmehr von der „clasien- bewußten Arbeiterschaft aller Culturländer" das „Weltsrst der Arbeit" so demonstrativ als möglich begangen werden. An einer anderen Stelle reibt sich das socialdemokratische Centralorgan an dem preußischen Iunkerthum, das wieder obenauf im Staate sei und die ^and nach dem Grundrechte des Volkes ausstrecke. Wörtlich sagt dann der „Vorwärts": „Fürchtet man sich nicht vor einem neuen Jena, daS dieses Mal freilich ein inneres Jena sein wird?" Nein, man sürcktet sich durchaus nicht. Wenn aber die socialdemokratischen Führer die Verwegenheit haben sollten, wie aus der Aeußerung des „Vorwärts" hervorzugeben scheint, auf einen großen blutigen Zusammenstoß zu rechnen und auf einen Bürgerkrieg hinzudrängen, so werden ihnen vereinigt alle diejenigen Elemente des Volkes entgegentreten, die am 22. März ihrer Treue zu Kaiser und Reich erneuten Ausdruck gaben, die nationalsocialen „Brüder" nicht ausgeschlossen. Und die socialdemokratischen Herren dürfen versichert sein, daß in dem Kampfe, den sie herauS- fordern, auch der innere Feind überwunden werden wird. Parlamentsuntersecretair Curzon sagte neulich im Unter hause, die Blockade Kretas sei eine Polizeimaßregel zur Verhütung weiterer Kämpfe auf der Insel. Wenn das ihr Zweck ist, so bat sie denselben bis jetzt nicht erreicht. Um Kanea (und auch an anderen Orten) tobt der Kampf zwischen Christen und Mohamedanern trotz des Bombardements der europäischen Schiffe angesichts der grvßmächtlichen Flotte weiter fort. Man meldet uns: * Kanea, 26. März. Der Contre-Admiral Sa Ml Pascha landete heute Nachmittag aus einem türkischen Transportschiff, zugleich wurde eine große Menge Munition und Pulver ansgejchifft. Der Kampf begann heute wieder und dauerte den ganzen Tag um die Dörfer Tzikalaria, Nevrokuro und Daxan fort. Die Griechen in dem Fort Malaxa schossen auf da» türkische Geschwader in der Suda-Bucht. Hiernach müssen die Griechen sich wieder in den Besitz des Forts Malaxa gesetzt haben, das auch nicht, wie anfangs ge meldet wurde, völlig zerstört sein kann. Sie behaupten also noch immer siegreich ihre Stellung, ohne von den fremden Schiffen weiter behelligt zu werden. Unter den Türken in Kanea herrscht große Erregung darüber, daß die Admirale am Donnerstag daS Bombardement so spät begannen, daß die 60 Mann starke Besatzung von Malaxa sich nicht mebr retten konnte, sondern bis aus einige Wenige niedrrgemacht wurde. Auch das große Blockhaus von Ceratibi oberhalb von Nevrokuro und das von Perivolia sind gestern von den Griechen genommen und in Brand gesteckt worden. Wie wenig die Aufständischen sich durch da- Bombardement haben einschüchtern lassen, sieht man auch daraus, daß sie — eine Befürchtung, die wir gestern erst auS- sprachen — bereit- aggressiv gegen die Schiffe der Mächte Vorgehen. So wird der „Köln. Ztg." aus Kanea vom gestrigen Tage gemeldet, da« österreichische Kanonen boot „Elster" sei bei Kissamo von den Auf ständischen beschossen worden, worauf die „Elster" da« Feuer an« Schnellfeuergeschüyen erwidert habe. Geradezu unglaublich aber klingt die Nachricht, die nach Sitia im Osten der Insel entsandten Franzosen hätten leine Lebens mittel, sie hältendaher mit den Grieche« Paktiren müssen, um solche zu erhalten; diese hätten Unterstützung unter der Bedingung gewährt, daß die Türken keinen Vorlheil davon haben sollten. Nothgedrungen hätten die Franzosen diese Bedingung angenommen. Die Meldung kommt von verschiedenen Seiten, so daß kaum an ihrer Richtigkeit zu zweifeln ist. Und dabei ist der Hauptzweck der Blockade, den Aufständischen die Zufuhr abzuschneiden! Unter solchen Umständen kann es noch sehr lange dauern, bis Kreta „pacificirt" ist und eS berührt daher fast komisch, wenn die Cabiactte sich den Kopf darüber zerbrechen, wer zum Generalgouverneur der Insel zu ernennen sei. Unter anderen Candidaturen wird jetzt auch diejenige des bekannten Generallieutenants von der Goltz erwogen. Deutschland, Rußland, Oesterreich-Ungarn «nd die Türkei stehen, so beißt es, dieser Candidatnr wohlwollend gegenüber und die Annahme derselben von Seiten Frankreichs und Englands soll ebenfalls nicht unwahrscheinlich sein, da von der Goltz einem Staate angehört, der keine directen Interessen un MiUelmeere hat. Wie gesagt, scheinen unS diese Erwägungen sehr verfrüht. In Privatgesprächen FariiHstoir- Immer vernünftig. S) Novelle von August Niemann (Dresden.) Nachdruck verboten. „Wahrhaftig!" sagte Theodor, „das ist wahr. Und die reichen Spießbürger sind noch froh über die Ehre." „Natürlich. DaS ist eine famose Garnison. Wie haben hier fünfnndvierzig Millionaire, und alle liegen auf dem Rücken, wenn sie deS Königs Rock sehen. Den ganzen Winter hindurch habe ich jeden Abend Champagner getrunken und Rehrücken gegessen." „Das ist monoton", sagte Theodor, „und ich bin der An sicht, daß unsere Geselligkeit überhaupt eine Barbarei ist." „Wieso?" „Die Franzosen und Italiener besuchen sich nach dem Diner und geben nur Wein oder Limonade oder Thee. Wir Deutschen wollen aber essen und trinken." ,^>eute Abend war eS ziemlich französisch und italienisch. Aber da« ist wabr: der Unterhaltung wegen geht man bei un« nicht in Gesellschaft." „Ja, und welchen Zwang legen wir uns dadurch auf! Uebrrhaupt» verehrtest» Herr Kamerad, wie schwer machen wir unS das Leben dadurch, daß wir den Körper zu viel und den Geist zu wenig pflegen!" „Dabei fällt mir ein Wort deS Pythagoras ein", be merkte ein anwesender Privatdocent der Philosophie. „Er sagte von den Syrakusanern, sie bauten sich Häuser, als ob sie ewig leben könnten, und äßen und tränken, als ob sie morgen sterben wollten." „PytbagoraS ist da« nicht gewesen", entgegnete Theodor, „und eS ist auch nicht von den Syrakusanern gesagt worden." „DaS möchte ich doch behaupten. Ich pflege nicht falsch zu citiren." „Dieses Mal haben Sie eS doch gethan. Plato hat eS von den Sybaritrn gesagt." „Sie sind im Irrthum, Herr Hauptmann!" „Ich erinnere mich genau, Herr Doctor!" „Ihr Gedächtniß betrügt Sie. Ich kann eS Ihnen im Kuno Fischer zeigen." „DaS glaube ich nicht. Außerdem ist mir Kuno Fischer keine Autorität." „Was? Keine Autorität? Kuno Fischer, auS dem wir Alle schöpfen, den Jeder studirt, um sein Examen in der Philosophie zu machen?" „Mag sein. Aber eS wäre richtiger, die Philosophen selbst zu studiren, als einen Registrator der Philosophie." „Wie? Die Philosophen selbst? Und woher sollen wir die Zeit dazu nehmen? Und wer soll denn Leute wie Kant und Hegel und endlich gar die alten Griechen verstehen?" „Sie dürfen nicht Alle nach sich selbst beurtheilen, mein vereürtester Herr Doctor", sagte Theodor. Der Privatdocent sprang auf. „Das ist beleidigend", rief er. „Ich bin Lieutenant der Reserve." „Wenn die Wahrheit Sie beleidigt, liegt die Schuld an Ihnen." Der Privatdocent war kreidebleich und wurde nun wieder blutroth. Tie Officiere suchten zu vermitteln, und es fanden sich auf jeder Seite zwei Freunde, die ihre Unterstützung als Zeugen zusagten und in der That so werktbätig einscbrMen, daß das Duell schon am folgenden Morgen ausgesochten werden konnte. Theodor erhielt einen Schuß inS Bein, wurde auf dem Kampfplatz verbunden und dann nach Hause geschafft, wo Minna ihn in Pflege nahm. . * * „Mein Herr Hauptmann", sagte der Stabsarzt, der ihn behandelte, zu dem Verwundeten, „Sie haben gar kein Fieber. Wir glücklich ist doch unsere Generalion, daß sie sich zu einer Zeit dnelliren kann, wo die antiseptische Behandlung erfunden worden ist!" Ehe Theodor noch seiner freudigen Zustimmung Ausdruck geben konnte, trat ein Soldat ein, der ihm einen Rosenstrauß und ein Brieschen überbrachte, daS mit Vergißmeinnicht auf dem Umschläge verziert war. Comtesic Bertha schrieb ihm in der freundlichsten Weise, daß sie den größten Antheil an seinem Ergehen nehme. „Wie ist mir denn?" fragte sich Theodor. „Mir schwebt eS so vor, als hätte ich der Comtesse gestern allerhand schöne Dinge gesagt. Aber ich bin des Kuckucks, wenn ich noch weiß, was ich mit ihr gesprochen habe. Der Henker hole das Trinken auf den Liebcsmahlen." Da ließ sich der Rector der Universität bei ihm melden. „Herr Hauptmann" sagte er mit dünner, dürrer Stimme in methodischen Absätzen, „eine höchst eigenlbümliche Ver- anlasiung hat, wie mir berichtet worden ist, zu dem Zwei kampf geführt, der zwischen Ihnen und einem jüngeren College« von mir entschieden hat. Sie haben die Ehre der neueren Philosophie gegenüber meinem College» vertheidigt. Wie ich höre, haben Sie sich in Ihrer Polemik aus mein Werk über die griechischen Philosophen gestützt. Meine Frau beauftragt mich, Erkundigungen nach Ihrem Befinden einzu ziehen." „Besten Dank, Herr Geheimrath". sagte Theodor, „übrigens sind sowohl Doclor Meier als ich gestern Abend betrunken gewesen und haben bewiesen, daß wir nicht das Mindeste von Philosophie verstehen, weil wir sonst sicherlich weder zu viel getrunken, noch unS duellirt haben würden." „Aeb äh", machte der Rector. „Mir scheint, Sie über tragen mors Loeratieo die philosophische Essenz auf da» praktische Leben." „Da- möchte ich Wohl", sagte Theodor seufzend. „Ich habe immer vernünftig leben wollen, dabei tanmele ich aber von einer Narrheit in die andere." „Es wird so schlimm nicht werden", sagte der Stabsarzt. „Bei der antiseptischen Behandlung sind Sie in acht Tagen wieder auf den Beinen." „Das Trinken, äh, äh", sagte der Rector, „ist, wie schon auS dem Zeugniß der alten römischen Historiographen hervor- geht, die ältrste, vornehmste und nationalste Sitte der Germanen, und wenn auf irgend Etwas, so hat der Deutsche daS Recht auf Betrunkenheit. Rechte werden nicht allein verliehen, sondern auch erworben, insbesondere durch tausend jährige Tradition, wie im Gegensatz zu dem durch Ausübung erworbenen Rechte andererseits auch Rechte dadurch verloren gehen können, daß man sie nicht ausübt, ein Fall, der rück sichtlich des Trinkens in Deutschland niemals eingetreten ist, noch auch jemals, so Gott will, eintreten wird. Oder wie käme es sonst, meine Herren, daß die Trunkenheit in allen Fällen, sei e- nun Sachbeschädigung oder Körperverletzung, oder Widerstand gegen die Staatsgewalt, oder was eS sonst auch sein möge, vor allen Gerichten als Grund zur Straf milderung gilt? Wie denn auch unter allen Erzeugnissen der deutschen Poesie die Trinklieder am bekanntesten und be liebtesten, die Dichter selbst, die zum Trinken ermuthigen und die Trunkenbeit zu preisen verstehen, gleich wie man willige Länfer durch Zuruf noch zum Laufen anspornt, die populärsten sind. Nein, wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann. Deshalb, Herr Hauprmann, brauchen Sir Ihr Benebmcn nicht als Narrheit zu kennzeichnen. Im Gegentheil, ich möchte daran erinnern, daß schon den alten Germanen dir Verrücktheit, also ein Zustand, der der Trunken heit ähnlich ist, für heilig, die Nüchternheit jedoch nur wenig galt. Woher es denn auch gekommen ist, daß allmählich Gambrinus zum Nationalgott der Deutschen geworden ist. Ihm werden die meisten und schönsten Tempel errichtet, ihm werden die größten Summen geopfert, und unaufhörlich sind seine Altäre mit gefüllten Opferschalen besetzt." Der junge Graf Montbar trat ein und drückte Theodor die Hand. „Gerade heute Morgen", sagte er, „habe ick noch von einem zweiten Duell gehört. Der Schloßhauptinann von Rädern, mit einer Cousine von mir verheirathet, hat einen Schuß durch die Lunge erhalten." „Tödtlich?" „Hoffentlich nicht. Anonyme Briefe, die man ihm zuschob, sind die Veranlassung zum Duell gewesen. Die Geschichte spielt schon lange, unv meine Cousine bat graue Haare Darüber bekommen. Ich lege meine Hand für Rädern ins Feuer, und den einen der Verleumder hat er vor drei Wochen schon niedergesckoffen. Reicher Mann, glücklicher Gatte, liebens würdiger, charmanter Gesellschafter, scheußlich! Hosstelle natürlich zum Teufel." „Wenn er ein reicher Mann ist. war es unvernünftig von ihm, eine Hosstelle anzunchmen. DaS ist gut für Streber und Intriganlen." Der junge Graf sab Theodor verwundert an. Tkeodor aber fühlte einen Stich im Bei» und sagte verlegen: „ES ist doch sonderbar, daß wir so gut wissen, was wir tkun sollten, während wir -S fast niemals thun." „Mir geht eS nicht so", sagte der Graf. „Ich thue immer, waS ich mir vorgesetzt habe." „Ob ich Ihnen dazu Glück wünschen soll, weiß ich noch nicht." „Wenn Sie Wünsche haben, stehe ick zu Diensten. Meine Mutter will Ihnen Fruchtsaft zu Limonade schicken. Woher bekommen Sie Ihr Essen?" „DaS Mädchen kocht mir Wassersuppe. Ich danke schön." „Wenn Sie einen Bursche» haben wollen, der Ihnen Essen^auS dem Casino holt, so will ich einen schicken." „Sehr gütig, besten Dank! Aber ich werde mich vor läufig auf meine Minna stützen." In diesem Augenblicke kam Minna mit einem damvsenden Teller herein, und der Graf entfernte sich mit dem Wunsche guter Besserung. Minna rückte di« Kiffen so, daß der Verwundete aufrecht sitzen konnte, und machte ihm daS Löffeln seiner Supp« s»
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