02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-29
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970429028
- PURL
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-29
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Wer aber glauben würde, nun Kerrsche endlich Ucbereinstimmnng unter den Zwangsinnungsfreunden, der würde sehr irren. Ganz abgesehen davon, daß das Fernbleiben der Vertreter des Allgemeinen deutschen Handwerkerbundes (mit dem Sitze in München) die Katholicität des allgemeinen „Handwerkertags", auch nur so weit die „zünftlerisch" gerichteten Handwerker in Frage kommen, in fragwürdigem Lichte zeigt, auch die „Einstimmigkeit" der Anwesenden gewährt keine Bürg schaft für die künftige Einigkeit, sie war eine „gemachte". Die geheime Eonfercnz, die dem Handwerkcrtage voranging, fand einen Beschluß des „Eentralansschnsses der vereinigten Innnngsvcrbände Deutschlands in Berlin" vor, welcher die „unbedingte Zwangsinnnng" forderte. Die Borconfcrenz bat sich dem nicht anzcschlossen, sie verlangte zwar eine Organisation in Zwangsinnungen und zwar — unter Erklärungen gegen die „ Mainlinie" — eine ein heitliche für das gesammte deutsche Handwerk einschließlich fabrikmäßiger Be.riebe, sie wollte aber, wo die Errichtung von ZwaiigSinnungen zur Zeit nicht durchzusührcn ist, die Befugnisse der freien Innungen derart vermehren, daß die Nichtinnungsmitglieder erheblich an Reckten verlören. Bor Allen« das Recht der Lehrlingshaltung, das, wie daö Recht, den Meistertitel zu führen, vom Befähigungsnachweis abhängig gemacht wird. Diese Resolution, welche, wie man siebt, die „Maiulinie" in Wahr heit auch nicht ansschließt, ist die vom Handwerkertag ein hellig angenommene. Sie ist höchst radikal, wenn man die Bundesrathsvorlage mit ihr vergleicht, sie muß aber drei in den letzten Wochen unter den „Zünftlern" bervorgetretene Richtungen unbefriedigt lassen. Zunächst die Münchener, der sich Herr JacobSkvtter angeschlossen bat nnd welche „äußersten Falles" die Blliidesrathsfassung annehmen will. Dann die organisirten Handwerker, die wie die Kölner nnd die Hannoveraner und der Ostdeutsche Hand- wcrlerverdand in Breslan sich mit den« Bundesrathsentwurse nur für den Fall der Annahme des Antrags Gamp (Ueber- tragnng der Iniliativc von den Handwerkern auf die Be hörden) einverstanden erklärten. Schließlich Diejenigen, die ans dem Boden des Berlepsch'schen Entwurfs beharren, also, wie schon erwähnt, der Ecntralausschuß der vereinigten Jiinungsverbäude, sowie u. A. der Breslauer Innungsausschilß. Diese Wünsche werden bestehen bleiben auch nach dem Berliner „Eompromiß", der zu den drei Gruppen nur noch eine vierte gesellt hat. Alls den öffentlichen Berhandlungei« des HandwerkerlageS ging es klar hervor, daß eine ernstliche Einigung nicht erzielt ist. Herr Jacobskötter sprach direct gegen die vorgeschlagcne Re soluiion; da sie einstimmig angenommen wurde, so «vird er sich wobl vor der Abstimmung entfernt haben. Sein kon servativer Parteigenosse Fetisch, der nach einer unwider sprochen gebliebenen Aeußerung des Herrn Euler auf der Eonfercnz bei Herrn von Boetticher sich im entgegengesetzten Sinne ausgelassen, erklärte diesmal, das Heil nur in der allgemeinen Einrichtung der obliga torischen Zwangsinnnng finden zu können, acccptirte dann aber allerdings doch die Resolution. Dasselbe that denn auch der grimmige Zunftlöwe Möller aus Dortmund, aber nickt ohne vorher eine seiner, wie nicht geleugnet werden kann, eindrucksvollen Reden gehalten zu haben, in denen die leiseste Abweichung von der Forderung der Zwangsinnung, sowie des Befähigungsnachweises für die Ausübung des Handwerkes als Berrath erscheint. Ein Handwerker seines Schlages wäre nicht zufrieden, auch wenn der Reichs tag durchsetzte, was er in der Resolution milverlangt. An Letzteres ist nun nicht zu denken, und Herr Euler bat sich, obwohl er von allen Rednern die stärksten Ausdrücke gegen die ZwangsinnungSgegner gebrauchte, auch wieder eine ganze Reihe von Hinlerlhüren offen gelassen. Er redete auch bei dieser Gelegenheit so, daß sogar ein der Zwangsbewegung und ihren Führern sehr geneigter Wirtlffchaftspolitiker der „Tägl. Rundsch."bei Wendungen bes Ecntrnmömannes den Eindruck ge wann, es gäbe auch im Handwerk „Jesuiten in der kurzen Robe". Anders der Neichstagsabgeordnete Biel haben, der als Rechtsanwalt ans dem Handwerkcrtage keinen Zutritt batte, aber gehört wurde. Er übernakm förmlich die Erbschaft der Eonservativen und des Ccnlrmns in der Propagirnng der ertremstenForderungen und der Erregung von Abneigung gegen jede Berständignng. „Die Regierung muß Alles bewilligen, also verlangt Alles" — darin gipfelte seine „Belehrung". Der Alleinbesitz der schärfsten Ägitationsmittel wird den Antisemiten aber sicher nicht unbestritten verbleiben. Das Eentrum und wohl auch ein Tbeil der Eonservativen werden, mögen sie sich jetzt entschließen, wie sie wollen, wieder in das scrupellose Berheiße» znrücksallen. Zu nächst aber besteht die Neigung zu einer Berständignng mit der Regierung. Die „Kreuzztg." sagt zwar, obne den Antrag Gamp seien die Eonservativen nicht für die Borlage zu haben, aber das wird sich geben. Nnd die „Germania" sagt nicht einmal das, sondern räch ohne Borbehalt zun« Zulangen. Lorbeeren winken dem Freisinn, dem barten wie dein weichen, nicht mehr, sondern höchstens noch Beiträge zu den WahlfoiidS. also Nicht der a«nym der Herren Pachnicke und Nickert sein, sondern deren Aussichten auf Zuwendungen von bestimmter Seite, was Herrn Eugen Richter nicht schlafen läßt und ihn treibt, hinter jenen von «km so verhaßten Leuten einherzubinken und auch seinerseits die Nationalliberalen, weil deren Parteigenossen in Hannover eine Wahlvereinbarnng mit dem dortigen Bunde der Landwirthe — eventuell — beabsichtigen, alizusallen. Wenn der Schutzvcrband die Temporatien sperrt, so wird die auf intensive Agitation angewiesene, weil grundsätzliche, freisinnige „BolkSpartei" ihre Eandidatcn nicht einmal mehr mit Anstand durchfallen sehen können. Diese Perspective erklärt es uns vollauf, warum Herr Richter heute in einein langathmizen Artikel die „Liberalen" gegen die National- liberalen hetzt. Es giebt allerdings ernste Politiker, welche meinen, der volksparteiliche Führer suche systematisch die gemäßigt-liberale ländliche Bevölkerung mit den Nationalliberalen zu verfeinden, nm diese, da er selbst bei den nächsten Wahlen so gut wie nichts zu verlieren, ge schweige denn etwas zu gewinnen hat, dem vstelbischen Eoiiservatismus in die Arme zu treiben. Bon der bei liberalen Landwirthen unausbleiblichen Reaktion gegen die ,.Kreuz;eitungS"-und Plötz-Politik erwarte, so wird gesagt, Herr Richter den Uebertritt der Enttäuschten ins radikale Lager. Aus diesem Grunde vermeide auch der Freisinn ängstlich, die Besonnenheit anzuerkennen, die außerhalb des Ostens und unter der bäuerlichen Bevölkerung selbst dort die Landwirthe mehr und mehr von dem hetzerischen Geschäftsagrariertbnm scheidet. So, wie gesagt, gescheute Leute. Wir unsererseits vermögen nicht zu glanben, daß der von der Hand in den Mund-Politiker Richter Fähigkeit und Neigung besitze, eine Entwickelung zu fördern, und wir sind, wie gesagt, über zeugt, daß er mit seiner neuesten Kundgebiing lediglich mir der Freisinnigen Bereinigung um ein paar hundert politisch einflußlose, aber pecuniäre „potente" Seelen ringt. Unter diesem Gesichtswinket verlohnt es sich auch nicht, sich mit der Ergießung der „Freist Ztg." cingcbender zu befassen. Verzeichnet sei nur, daß Herr Richter, der Bundesgenosse des Eenlrums, der Socialdemokratie und der Welfen, in dem nationalen Bestreben, dieLandwirthe nicht derDemazogie anheim fallen zu lassen, „nicht die Spur eines höheren politischen Ge- sichtSpllnctes" zn erkennen vermag. Und ein Zweites ver dient Erwähnung: Herr Richter ist nickt so plump wie die Pachnicke und Nickert, um die Nationalliberalen direct des Antisemitismus zu beschuldigen. Er weist aber doch in einer Aufzählung von Beispielen angeblich principicnloser nationalliberalcr Wablpolitik aus Hessen und speciell Gießen hin. Das ist sehr thöricht. Denn gerade in Gießen ist im vorigen Jahre ein ehemaliger freisinniger Abgeordneter als antisemitischer Eandidat ausgetreten und gewählt worden, und kein anderer. Die „ Mitl Heilungen des Vereins zur Abwehr deS Antisemitismus" sind es gewesen, welche damals bitter darüber geklagt haben, daß der Freisinn die Mäkler in Hellen Haufen in das antisemitische Lager führe. Das genügt wohl. Nirgends wird die große internationale Bedeutung der Petersburger Kaisertoastc, wie der Zusammenkunft der beiden Monarchen an der Newa, ans welche wir gestern binwiesen, verkannt. Namentlich die russische Presse ist beflissen, die erfolgte Annäherung zwischen Rußland und Oesterreich- Ungarn inS Licht zu stellen. Dies erklärt sich sehr einfach ^ daraus, daß Rußlands Interessen in dem Lontin«nt»l«n Wettbewerb mit England — denn um diesen handelt eS sich in der Hauptsache — am stärksten engagirt sind. Rußland ist es in erster Linie, das Bundes genossen braucht, von Rußland geht daher auch das Ent gegenkommen ans. Der Toast, den der Zar, nach Frankreich reisend, in Wien auf Kaiser Franz Josef ausbrachte, war kühl und reservirt, sein vorgestriger Trinkspruch voll Wärme und Sympathie. Es ist eben seit dem August vorigen Jahres Manches anders geworden: heute ist Oesterreich die von Rußland umworbene Macht. Wir geben zunächst die uns telegraphisch übermittelten Aeußerungen der Petersburger maßgebenden Blätter: * Die „Nowoje Wremjra" schreibt: „Mit merkwürdiger Einmüthigkeit erkennen alle Wiener und Pester Regierung^ organe wie Oppositio.rsblälter an, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen die am meisten im Orient interessirten Mächte Rußland und Oesterreich-Ungarn sind, sowie daß die An Wesenheit des Kaisers Franz Josef und der ihm erwiesene warme Empfang Zeichen der Harmonie beider Staaten sind. Die „Nowoje Wremja" ist erfreut ob solcher Anerkennung seitens der öfter- reich-ungarischen Presse. Das Blatt hält eine gemein same Action beider Mächte für möglich und wünschens- werth, aber unter der Bedingung der vollen Gegenseitigkeit. Der Augenblick sei sehr günstig, da die Niederlage Griechenlands gezeigt habe, daß das Kriegsglück auf Seite der Türkei bleibt. Eine Intervention der Mächte sei unumgänglich; sie könne nur dann nützlich sein, wenn keine der Mächte zur Aus übung eines Sondereinflusses übergehe. Es sei sehr wohl möglich, daß Griechenland sich zu England wende, was England für seine Interessen benützen könne. Das beste Mittel, um dies zu verhindern, bleibe die Eintracht zwischen Rußland und Oesterreich-Ungarn. Ties Mittel werde die Einmüthigkeit aller Contincntalmächte garantiren; es werde denenglischenPlänenein unüberwindliches Hinderniß schaffen, sowie den Krieg zwischen Griechenland und der Türkei localisiren." Der „Swjet" sagt: Wir begrüßen in der Person des Kaisers von Oesterreich den Gast unseres Herrschers. Beide Monarchen stehen auf der Wacht des europäischen Friedens und beglücken die ihnen anvertrauten Völker unter seinem wohlthütigen Schutze. — Die „Deutsche Petersburger Zeitung" meint: Gerade in dem Umstande, daß Frankreich und Deutschland, so zu sagen, unsichtbar mit dabei sind, wenn Rußland und Oesterreich-Ungarn sich in der Person ihrer Herrscher die Hand reichen und Wort und Blick tauschen, liegt die eminente Bedeutung des kaiserlichen Besuches. Dadurch ist die Machtsülle, die für den Frieden einsteht, so groß und so beruhigend, daß selbst etwaige böse und hinterlistige Absichten einer Macht, die nicht zu den Bündniß-Systemen Europas gehört, uns die Freude nicht stören soll. —Die „Petcrsburgskija Wjedo- mosti", das Blatt des Fürsten Uchtomsky, schreibt: Ter Besuch des Kaisers von Oesterreich ist mehr als ein Höslich- keitsact. Im gegenwärtigen Augenblicke ist er ein gutes Zeichen; er kennzeichnet die Bereitwilligkeit, den Bereich des Unglücks zu localisiren und der Balkanhalbinsel Ruhe zu geben. Aber ganz müßig sind die Auslegungen Derer die in dem gegenwärtigen Besuche ein Vorzeichen der Eintheilung Europas in zwei Lager sehen wollen und der Wiener Reise des deutschen Kaisers die Bedeutung der Bildung eines Dreikaiser- bundrs beilegen. Neue politische Combinationen sind durchaus unnöthig, da eine andere Organisation besteht unter dem Namen „das geeinigte festländische Europa", in welcher die französisch-russische Combination bezüglich der Einigkeit in den Friedenszielen glücklich mit dem Dreibund übereinstimmt. Die Einigkeit in den Fricdenszielen ist aber ungenügend, die Einig keit in den realen Zielen ist dabei unumgänglich und wird die beste Garantie des Friedens sein. Der gegen wärtige Meinungsaustausch wird Len Weg einer solchen Annäherung der beiden Allianzen öffnen. Rußland will nichts für sich, sondern nur die Stärkung des Friedens, ist aber auf Alles einzugehen bereit, was böse Aspirationen hemmen kann. In diesem Sinne ist für das festländische Europa das Bewußtsein der Einhelligkeit unumgänglich. Wir hoffen, der gegen wärtige Besuch werde die Hauptsache bringen, daß nämlich der Grundsatz aufgestellt werde: ..In noeessnrüg unitas''; das klebrige kommt von selbst. Unverkennbar tritt in diesen Aeußerungen die Spitze gegen England, namentlich in der orientalischen Frage und speciell in der aktuellen griechisch-türkischen Angelegenheit, hervor. Wie wir schon gestern andeuteten, rechnet Rußland auch auf den Beistand Deutschlands. Nun haben wir ja keine unmittelbaren, namentlich keine brennenden politischen Interessen im Orient. Gleichwohl kann es, da wir unseren oft- und südwestafrikanischeii Besitzstand, sowie unsere Handels interessen in Südafrika, vor Allem in Transvaal durch Englands Ländergier und commercielle Prätensionen bedroht Feurlletoir Sneewittchen. 23s Roman von A. I. Mordtmann. N>Ei»ck vevbotkn. So kam eS, daß er nicht in den ersten Booten mit den übrigen Passagieren, sondern erst in dem dritten und letzten daö Schiff verließ und mit dessen übrigen Insassen auf die Klippe geschleudert wurde. Jürgen räumte dem Kranken obne Weiteres seine einfache Lagerstätte ein und schlief während dieser Zeit ans einer übrigens nickt viel härteren Pritsche. Da er eine kleine tragbare Apotheke bei sich batte, so war auch für einfache Medikamente gegen das Fieber gesorgt, und, Alles in Allem, Zarnow so gut aufgehoben, daß er eS in Earavellos nicht hätte besser baden können. Nack einigen Tagen konnte Zarnow TagS über schon daö Bett verlassen und einige Stunden auf der Galerie oder, bei ruhigem Wetter, unten auf der Klippe selbst zu- bringen. Jürgen leistete ihm mitunter Gesellschaft, wenn die Anwesenheit eines so finstern und wortkargen Menschen Gesellschaft genannt werden kann. Zarnow fühlte jedoch, daß der Mann trotz seines abstoßenden Wesens ihm freundlich gesinnt War, und da er selbst sich auch nicht zum Sprechen aufgelegt fühlte, so kamen die beiden ungleichartigen Gefährten ganz vortrefflich mit einander auö. Dazu kam, daß dies einsame Leben auf dem wogen umbralldeteil Eiland für Zarnow's gegenwärtige GemülbS stiinninng einen unbeschreiblichen Reiz hatte, und zur Heilung seines tief verwundeten und schwer kranken Innern nicht minder kräftig beitrug wie die reine, dunstfreie Seeluft zur Stärkung seines von dem erschlaffenden brasilianischen Küsten klima angegriffenen Körpers. Die eintönige Musik deS Wellenschlages wirkte einschläfernd auf Leib und Seele, und der Ausblick auf die unendliche Meeressläcke, ob sie nun leise athmend und im Sonnenscheine flimmernd dalag, oder ob die Schatten sturmgetriebencr Wolken über die unruhig wogenden Finthen dahin glitten, batte etwas ungemein Beruhigendes, dem er sich willenlos und beinahe freudig bingab. Er kam sich vor wie das aus dem Olymp geschleuderte Kind Vulkan, daS in den Grotten der Thetis, von dem sanft- murmelndem OkeanoS umbraust, alle Sorgen und Drang sal« vrraeffen durfte. Wenn die Sonne im Westen versank und bei rasch herein brechender Dunkelheit die ersten Sterne im Osten aufflammten, begleitete Zarnow seinen Gastfreund in die Laterne des Leuchtthurms und sah ihm zu, wie er die Argand'schen Lampen entzündete, deren durch große Hohlspiegel zusammengesaßte Strahlen einen weithin sichtbaren Lichtkegel über das Meer entsandten. Zuweilen, namentlich in windigen Nächten, wachte er dort oben bei ihm und freute sich an dem unheimlichen Concert, welches Luft und Wasser in düsterer Großartigkeit aufführten. Er begriff, daß die fürchterliche Vereinsamung dieses Daseins für gewisse Eharaktere wie geschaffen sei. Und dann beschäftigte ihn die Frage: war sein Gast freund, der Leuchtthurmwärter, ein solcher Charakter? Unbemerkt von Jürgen studirte er ihn, ohne jedoch zu einem befriedigenden Ergebniß zu gelangen. Der Mann war von unzerstörbarer Ruhe und ebenso unzerstörbarem Ernste. Nie erhellte ein Lächeln seine Züge, aber eS kam auch nie ein Fluch über seine Lippen. Ihm fehlte der Humor, der den deutschen Seemann sonst nie verläßt, und seine nicht unfreund lichen, aber stets kurzen Antworten auf Zarnow's Fragen ließen erkennen, daß das Bedürfniß der Unterhaltung für ,hn nicht vorhanden sei. Er selbst redete seinen Gast nur dann an, wenn eS sich überhaupt nicht umgehen ließ. So war denn Zarnow ungemein überrascht, als an einem Nachmittage, während sie Beide, im Schatten deS Leuchtthurms sitzend, auf das kaum bewegte Meer hinaus- btickten, Jürgen plötzlich das Wort nahm, um eine außer halb ihrer alltäglichen Gewohnheiten stehende Frage an ihn zu richten. „Haben Sie schon einmal gehört, Herr Doctor, daß auf den Inseln hier an der brasilianischen Küste Schätze von den alten Flibustiern vergraben liegen sollen?" So lautete die sonderbare Frage, in der Zarnow eine Andeutung über die Beweggründe, die Jürgen nach dieser öden Felseninsel hingezogen haben mochten, zu finden glaubte. „Ich habe so etwas schon einmal gehört", antwortete er, „aber wenn ich Ihnen ehrlich meine Ansicht sagen soll, so halte ich alle derartigen Erzählungen für Fabeln und Unsinn." „Na ja, daS mag wohl meistentheils der Fall sein", gab Jürgen zu. „Aber eine Insel weiß ich, wo wirklich ein Schatz vergraben ist". „So — und wo ist die?" Jürgen deutet« schweigend mit der Hand abwärts. „Hier!" ries Zarnow mit ungläubigem Gesicht. „Hier ist ja kaum eine Stelle, wo man graben könnte!" „Nicht viel, aber doch genug, um Gold und Edelsteine im Wcrthe von einigen hunderttausend Tbalern zu verbergen. Dafür reicht der sandige Fleck in der Mitte schon aus." „Da haben Sie wohl schon einmal nachgesehen?" „Nein", entgegnete Jürgen, und was bei andern Leuten eine Verzerrung der Gesichtszüge gewesen sein würde, bei ibm aber ein Lächeln bedeuten mochte, zog über daS Antlitz des alten Seebären. „Aber Sie sind auf die Insel gekommen, um danach zu suchen?" „Auch nicht. Aber daß ein Schatz da ist. Diamanten und Gold und etwas Silber, weiß ich ganz gewiß." „DaS muß eine fixe Idee von dem verrückten Menschen sein", dachte Zarnow. „Und er liegt auf seinem Golde wie der Lindwurm Fasner — wenigstens in seiner Einbildung." „Sehen Sie, Herr Doctor", fuhr Jürgen fort, als jener schwieg. „Sie glauben gewiß, daß es bei mir im Kopfe nicht ganz richtig ist. Aber ich will Ihnen eine Wette Vor schlägen, so hoch, wie Sie wollen, erstens, daß Sie nicht mehr so denken werde», wenn ich Ihnen die Geschichte von dem Schatze erzähle, und zweitens, daß wir, wenn wir zu graben anfangen, in zehn Minuten daS Gold und die Diamanten finden." „Nein, nein, wetten wollen wir nicht!" wehrte Zarnow lachend ab. „Ich bin so ein Pechvogel, daß ich jede Wette verliere. Aber eS würde mich sehr freuen, wenn Sie mir Ihre Geschichte erzählen wollten." Jürgen nickte bedächtig. „Ja, Sie sollen sie Horen", sagte er. „Aber Sie muffen mir feierlich schwören, daß Sie sie Niemand weiter erzählen, ohne meine Erlaubniß." „Hier haben Sie meine Hand darauf", versicherte Zarnow, dem diese Umständlichkeit etwas lächerlich vorkam. „Schön. Wenn Sie mich zu Ende gehört haben, werden Sie anders darüber denken wie jetzt. Aber Sie erlauben Wohl, daß ich mir erst eine andere Pfeife stopfe." Er stand auf, holte seinen Tabak, stopfte seine Pfeife und brachte sie in Branv. Dann begann er: „Vor langen Jahren — es ist einerlei, wie lange her, aber sehr lange ist eS schon — war einmal ein Steuermann, der Sohn eines Schullehrers in Flensburg und so fromm erzogen, daß daS damalige wüste SeemannSkeben dock, nicht alle Wurzeln des Guten in ihm au-rotten konnte. Er that nach besten Kräften seine Pflicht, schickte den Eltern von seinem Lobn und laS auch mitunter noch mal in der Bibel, kurzum, er bildete sich ein, daß er, eins ins andere gerechnet, wirklich ein rechtschaffener und braver Kerl wäre." Zarnow sah den Erzähler, der hier eine Pause machte, scharf an: so ungelenk auch der Ausdruck war, er stand doch hoch über der Art und Weise, wie ein gewöhnlicher See mann das Berichtete vorgetragen haben würde; man konnte leicht durchschauen, wer der Lehrerssohn war, von dem Jürgen erzählte. „Na, der Steuermann", so ging die Erzählung weiter, „war so lange in seiner Einbildung ein braver Mensch, bis eines Tages der Teufel ihn in eine schlimme Versuchung führte, der er nicht widerstehen konnte. Er wurde nicht nur für seine Person zum Lumpen, sondern riß auch mehrere seiner Kameraden in den Abgrund mit hinein. Und das ging so zu. DaS Schiff, auf dem sie fuhren, kam nach einer bösen Sturmnacht auf einen von der Mannschaft verlassenen Schooner und würde daran vorbeigefahren sein, wenn nicht etwas Sonderbares gewesen wäre — etwas sehr Sonder bares . . ." Und er verstummte wieder, mit den Augen ins Leere schauend, als sähe er das Bild, von dem er erzählte, vor sich. Zarnow aber hielt mit Mühe an sich: daS Gcfübl, das Einen so oft in eigentbümlicker Weise überkommt, daß man genau weiß, waS die nächste Minute bringen wird, hatte er so stark, daß er vor Aufregung erblaßte. Seine Ahnung sollte ihn nicht getäuscht haben. „Auf dem Schooner war nämlich ein Mensch zurück geblieben," erzählte Jürgen weiter, „ein kleines Mädchen, und das wurde auf dem Schiffe gesehen. Man setzte ein Boot auS und holte das Kind herüber. Der Steuermann und einige Matrosen brachten dies fertig; aber sie thaten noch mehr. Sie entdeckten, daß in der Cajüte des Schooner« an baarem Gelbe in schönen blanken Goldstücken und an kostbaren Diamanten so viel vorhanden war, um sie alle, wenn sie eS behielten, zu reichen Leuten zu macken. DaS flüsterte der Teufel dem Steuermann «in, und zu seinem Unglück ergab sich sehr rasch eine Gelegenheit, dieser Einflüsterung zu folgen. Der Sckooner war seedicht, und der Capitain deS andern Schiffes entschloß fick, ihn mit eigenen Mannschaften zu besetzen, um den Bergelohn zu verdienen. So geschah eS. Der Steuermann ging mit denselben Leuten an Bord des
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