02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970424026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897042402
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897042402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-24
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Reclamen unter demRedactioaSftrich (4g» spalten) SO/H, vor den Familiennachrichle» <6 gespalten) 40-4 Größere Schriften laut unserem Preis« »rrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Vcilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen-AuSgabe, ohne Postbefördernn^ 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. ?2orge n«Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditts» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. April. Daß der bevorstehende Aufenthalt Kaiser Wilhelm'» U. auf seinen lothringischen Besitzungen nicht verfehlen werde, bei unseren franzöfischen Nachbarn ein gewisses Unbehagen hervorzurusen, das konnte Zeder Voraussagen, der die der Eifersucht nahe verwandte Einpfuiblichkeit der großen Nation in diesem Puncle nur einigermaßen kennt. Es war auch vorauszusehen, daß man jenseits der Vogesen sehr baid der Reise einen Zweck unterschieben würde, der geeignet wäre, sie ihres harmlosen Charakters zu entkleiden und dem heiligen Feuer des Nevanche-Cultus neue Nahrung zuzuführen. Aber es muß doch etwas überraschen, daß der „Avenir Militaire" seinen Landsleuten über die wirklichen Absichten des deutschen Kaisers bei seinem Aufent halte in Urville das Folgende zu „entbüllen" sich erdreistet: „Der deutsche Kaiser beabsichtigt im nächsten Monat sich nach Metz zu begeben. Ais Anlaß zu dieser Reise muß die Einweihung eines protestantischen Spitals in Curzel herhaiten. Inder Thal handelt es sich um etwas ganz Anderes. Zunächst will sich der Kaiser von der Verfassung des XVI. Corps, welches er sein „I. Oorps ä'invasiou" nennt, überzeugen, dann aber will er gemeinschaftlich mit dem General v. Haejeler die Mittel und Wege studiren. welche es ermöglichen sollen, im Kriegsfälle schon wenige Stunden nach, womöglich noch vor der Kriegserklärung in Nancy zu sein. Wir wissen es aus absolut zuverlässiger Quelle, daß im August 1894 eine officielle Persönlichkeit, einer der so wichtigen Streckenchefs der Linie Pagny-Nancy, eigens nach Paris gereist ist, um die Minister des Kriegs und der öffentlichen Arbeiten auf die unabweisliche Thalsache aufmerkiam zu machen, daß die Strecke Pagny-Nancy dringend eines Schutzes gegen einen Handstreich be darf. Es wurde an der Linie selbst und nordwärts der Bahnhöfe von Pagny-Pont L Mousson die Anlage von gewissen Schutzarbeiten empfohlen, über deren Natur wir uns aus nahelienden Gründen Schweigen allserlegen müssen, aber — die Ohren beider Miniuer waren taub. Am 9. Mai wird der deutsche Kaiser in Metz einrreffen, di» Kaiserin bleibt in Urville. Dann wird Wilhelm II. Revuen und Manöver abhalten und die Pläne studiren. Für jeden Tag ist ein Erkundigungsritt ins Vorgetände von Metz „„gesetzt. Diese Erkundigungen dehnen sich bis hart an die französische Grenze aus. Der Kaiser wird hierbei von den Generalstabsosficieren des XVI. Corps und solchen des Großen Generalslabs begleitet sein, welche er von Berlin mitbringt. Ter Oberhosslallmeister, welcher kürzlich in Metz war, har Ordre gegeben, aus der Wiese vor dem Schlöffe von Urville einen Stall auszuichlagen, welcher den »0 Pferden für das Generalslabsgefolge deS Kaisers Unterkunft gewahrt." Tie „Mgem. Ztg ", die auf dieses Musterstück französischer Verhetzung aufmerksam macht, glaubt sich mit der Annahme trösten zu dürfen, daß der französische Kriegminister auf diesen Appell nicht mehr hören werbe, als auf den patriotischen Streckenchef dcS Jahres 1894, der heute wieder aus seiner Versenkung auftaucht. Nach unserer Ansicht würde der fran zösische Kriegsmiiiister seine Pflicht nicht erfüllen, wenn er auch dem „Avenir Militaire" gegenüber lediglich den Tauben spielte. Es könnte die Betheiligung Deutschlands an der Pariser Weltausstellung und den Verlauf dieses „Friedens- congresseS" recht ungünstig beeinflussen, wenn leviglich die deutsche amtliche und nichtamtliche Presse den Behauptungen des „Avenir Militaire" entgegenträte. Von einem franzö sischen Minister kann man allerdings weder fordern, noch erwarten, daß er das Blatt in aller Form der Entenzucht zeihen werde, aber jedenfalls wird sich eine Form finden lassen, die dem Hetzblatte das Concept verdirbt. Findet Herr Billol und finden seine College» diese Form nicht, so Tonnabend den 24. April 1897. wird man zu der Annahme berechtigt sein, daß man sich keine sonderliche Mühe gegeben habe, sie zn finden. Auf dem Wcltpostcongrctz, der am 5. Mai «»Washington stattfindet und auf welchem Deutschland durch den Direktor im Reichsposkamt Fritsch vertreten sein wird, liegt ein von dem Großberzvzthum Luxemburg gestellter Antrag vor, eine Weltbrief marke einzusübren. „In Folge der hierbei in Betracht kommenden finanziellen Fragen" wird der Antrag, wie das officielle „Brüst. Journ." sich ausdrückt, zu eingehenden Erörterungen Anlaß geben. Wir glauben,daß er abgelrbnt wird. Wenn bei irgend einer Gelegenbeit, so gilt jür den vorliegenden Fall, daß zwar Gedanken leicht bei einander wohnen, „doch hart im Raum stoßen sich die Sachen". Die Wellpostmarke bat zur Voraussetzung, was bisher der Politik für unabsehbare Zeit als ein unerreichtes Ideal vorsckwebk: die Einheitlichkeit des MünzsystemS für alle Cultursiaaten und zwar nicht nur in der Währung, sondern auch im Münzfuß und den RechnungSeinheilen. Wäre unter den jetzigen Verhältnissen eine einheitliche Weltpostmarke da, so wäre in demselben Augenblick mil dem Postwertzeichen auch ein Geldwertbzeichen geschaffen, bas das oben an gegebene Ideal erfüllen, aber in Rücksicht auf die wider strebenden Währungsunkerschicde zu großen Unzulräglichkeileu führen müßte. Die bisherigen „nationalen" Wellpostmarken weichen, abgesehen von den Verschiedenheiten in der Währung, vor Allem auch dadurch noch von einander ab, daß sie an ver schiedene, einander im Werth nur annähernd nahestehende Münz einheiten nolbgedrungen sich anlebnen. Diese Differenzen würden zunächst zu Spekulationen Anlaß geben. Dazu kämen dann die Schwankungen der Valuta selbst. Somit würde ein einheitliches Welrpostzeichen in allerkürzester Zeit gerade zum Nachiheil der Länder mit geordneten Währungsverbält- nissen in einem solchen Umfang sich speculativ verwerlben lassen, daß der ganze, mehr ideale Nutzen der Weltbriesmarke diese Schädigung auch nicht annähernd auszugieichen ver möchte. Das waren ungefähr die Gründe, aus denen seiner Zeit der Weitpostcongreß in Wien auf eine überzeugende Rebe des verstorbenen SlaalSsecretairs vr. v. Stephan hin die Einführung rer Weilpostbriefmarke abgelehnt bat. Und da die Verhältnisse, welche zur Ablehnung nölbigten, dieselben geblieben sind, so wird auch der bevorstehende Congreß nur dieselbe Entschließung fassen können. Was zu vermutben war, ist eingetroffen: die englische Flotte, die so geheimnißvoll nach Südafrika designirt worden war, ist rn der Dclagoa-Bat eingetroffen. Wenn cS wahr ist, waS gemeldet wird, baß die portugiesischen Blätter ihrer Freude darüber Ausdruck geben, weil dadurch einem Handstreiche Deutschlands oder des Transvaals auf daS Hinterland der Bai vorgebeugt würde, so muß man sagen, daß das Lamm dem Wolfe entgegenhüpft, der es fressen will. Der Gedanke, daß Deutschland oder die südafrikanische Republik sich der Delagoa-Bai bemächtigen will, ist ebenso widersinnig, wir der Gedanke, daß England diese Absicht bat, naheliegend ist. Wenn die portugiesischen Blätter die Thatsachen in ihr Gegen- theil verkehren, so müssen sie entweder vollständig falsch unter richtet sein, oder im Solde der englischen Interessen stehen. Glücklicherweise werden die Interessen Portugals, allerdings nicht darum, weil es portugiesische Interessen sind, von anderer Seite, als von Portugal selbst, sorgfältig wabrgenommen. Sowohl Deutschland, wie Frankreich, wie auch Rußland — dafür sprechen Artikel de- französischen „Journal de» DsbatS" nid der russischen „Nowoze Wrenija" - schenken den Vor rängen an der Delagoa-Bai ihre volle Aufmerksamkeit. El vissen daß die Besitznahme der Delagoa-Bai nur rer erste Schritt zur Annexion von Transvaal ein würde. Mit der Ankunft der englischen Flotte in der Telaaoa-Bai treffen noch andere Thalsache» zusammen, rie den Verdacht gegen die Absichten der Engländer^ zu iäbren geeignet sind. Zunächst muß die angekündigte Absicht, 'urch Einführung der allgemeinen Dienstpflicht im Capland. rurch Bildung eines CorpS von 1 l 000 Mann und durch Vermehrung der regulären dritischen Streilkräfte der Cap- wlonie die Wehrkraft der Colonie zu er höhe n, befremden. Ta die Eingeborenen gegenwärtig sich rubig verhalten, so kann die Vermehrung der Webrkrafl nurgegendieBoerengerick- iel sei». Zweitens bringen die „Times" wieder einen Artikel, der ren Präsidenten Krüger in England noch verhaßter machen soll, n dem sie meldet, daß Krüger die an ihn gerichtete Bitre. nn Jubiläumstage der Königin von England zwei der Jo- wnneöburger Rädelsführer freiznlassen, schroff abgelehnt habe. Tabei ist für die Stimmung der englischen Kreiie in der Lapcolonie bezeichnend, daß Cccil Rhedes bei seiner Bemerkung, saß er seine Ziele ans friedliche Weise erreichen wolle, um bei sei, Leuten in Pretoria keine Aufregung zn veranlassen, stürmische Heiterkeit crniete. Ausfallend ist auck, daß, wie gemeldet, der Premierminister der Capcolonie Sprigg, sich söllig aus den Standpunkt Cbambcrlain's und seiner Agenten fkkodes und Jameson stellte, als er im Capparlament erklärte, venn es zum Krieg komme, so sei daS die Schuld der Süd afrikanischen Republik, welche sich hartnäckig weigerte, den be rechtigten Beschwerden der Mehrheit des Volkes abzubelfen. Lekanutlich handelt es sich nur um die Wünsche der englischen Partei, und diese gehen dabin, auf dem Wege der Gesetz- zebung die Boeren zu majorisiren. In Italien dauern die enthusiastischen Ovationen für König Humbert noch fort und gestalten sich zu imposanten Kundgebungen für das Königthnm. Die Unter suchung gegen den Attentäter Acciarilo schreitet rasch vorwärts, die Verbandlung wird wahrscheinlich im Juni stattfinden. Die inzwischen erfolgten Verhaftungen eines Arbeitsgenossen und der Geliebten Acciarito's lassen die officiös verbreitete Angabe, er habe, wie fest gestellt sei, keine Complicen, als keineswegs stichhaltig erscheinen. Ans anarchistische Provenienz des Mordgesellen scheint der Umstand hinzudeuten, daß, wie uns aus Rom ge meldet wird, der Dolch Acciarito's im Griff ein Kreuz mit dem Buchstaben „a" in Relief trägt, waS bei den Anarchisten „Tod" bedeuten soll. Dem „Fanfnlla" zufolge waren diese Zeichen dieselben, wie diejenigen, welche der Dolch trug, dessen sich Caserio bei der Ermordung deS Präsidenten Carnot bediente. Bekanntlich wurde schon einmal ein Mordanschlag auf de» König verübt und zwar unmittelbar nach seinem Regierungs antritt im Jahre 1878. Seil seiner Thronbesteigung ist Humbert ein leuchtendes Beispiel treuer Pflichterfüllung. Er bat mehr als einmal, bei Epidemien und Erdbeben katastrophen, gezeigt, daß er auch sein Leben in die Schanze zu schlagen weiß, wenn er seinem Volke dienen kann. Wo ein Notbstand herrschte, gab er nicht nur so reichlich, wie es seine beschränkten Mittel eigentlich kaum gestatteten, sondern er erschien auch selbst, um zu trösten und zu helfen. Bei der Verheirathung des Kron prinzen verzichtete er auf einen Theil der Civilliste und verbat sich alle größeren Aufwendungen bei der HochzeitS- seftlichkeit mit Rücksicht auf die ungünstige Finanzlage dcS 91. Jahrgang. Landes. Er ist ein wahrer Vater des Vaterlandes, und dock hat auch ibn die Mörderband sich zum Ziel genommen! Zn erwägen ist dabei, daß bas italienische Königshaus über den größten Theil Italiens doch erst seit 37 bezw. 3l bezw. 27 Jahren herrscht. Die Liebe zum Herrscherhause ist deshalb nicht etwas so gegebenes, wie in Ländern, in Venen bas Herrscherhaus seit äahrbunderlen mit der Geschichte und dem Geschicke des Volkes untrennbar verknüpft ist. So haben die republikanischen und socialistischen Hetzer bei der Bevölkerung leichtes Spiel, besonders, da die wirtschaftliche Depression in Italien noch lange nicht überwunden ist. Dazu kommt, daß das italienische Königtum in dem katholischen Klerus einen stillen, aber hartnäckigen Gegner hat. Die Gegnerschaft der katholischen Partei wird, so fürchten wir, in späterer Zeit fick noch in voller Schärfe und in all ihrer Ge fährlichkeit zeigen. Einstweilen muß — und daS Atten tat ist eine Mahnung dazu — das Fortschreiten des Republikanismus und der Socialdemokratie bekämpft werden. Am besten wird dem Republikanismus dadurch begegnet werken, daß das Ministerium damit ausbört, mil dem repu blikanischen Frankreich, dem Vorbilde der italienischen Re publikaner, zu kokeltiren; dem Socialismus aber muß mil den schon lange angekündigten socialen Reformen der Boden abgegraben werden. Sind erst ernstbaftere Reformen in An griff genommen, dann wird man daran gehen können, die zügellose Freiheit in Schrift und Wort durch Maßnahmen und Gesetze zu begrenzen. Man kann beute nicht mehr auf eine rasche Beendigung des griechisch-türkischen Krieges rechnen; denn die Griechen sowohl, wie die Türken scheinen einer Entscheidungsschlacht bei Larissa so lange wie möglich ausweichen zu wollen, die Griechen, weil sie hoffen, die Entscheidung werde anderswo fallen, die Türken, weil sie genölhigt sind, ihre Kräfte zu theilen. Man meldet unS: * London, 23. April. Den „Times" wird aus Larissa von gestern lelegraphirt: Die Türken setzten am Donnerstag ihren Vormarsch aus Larissa fort. Die Griechen gehen einem all gemeinen Kampfe aus dem Wege. Von dem vorrückenden linken Flügel der türkischen Armee wird Kanonendonner vernommen. In der Richtung von Turnavo herrscht völlige Ruhe, nachdem die Türken diese Stadt genommen und besetzt haben. Große Verstärkungen treffen noch immer beim türkischen Heere ein, und der Ausgang des Krieges steht außer Zweifel. Nach dieser Meldung hätten die Türken sich also doch in Turnavo zu behaupten, respective es wieder zu nehmen ver mocht und setzten ihren Vormarsch nach Larissa fort. Dieser gebt aber offenbar nur sehr langsam und sehr vorsichtig von Statten. Nescbat Pascha lehnt eS, wie schon mitgetheilt wurde, ab, den Befehl zur Erstürmung der griechischen Stellung zu geben, in der Meinung, daß ein schritt weises Verrücken der türkischen Truppen genügen werde, um die Stellung der Griechen unhaltbar zu machen. Unter diesen Umständen erachte er es für seine Pflicht, seine Truppen nicht den Verlusten auSzusetzen, welche ein Sturmangriff unausbleiblich mit sich bringen würde. In Wahrheit dürfte die Verzögerung deS Angriffs auf Larissa dadurch zu erklären sein, daß die Türke» noch immer in der rechten Flanke bei Damassi und im Rücken bei Nezero mit griechischen Abtheilungen zu thun haben, die sie mit wechselndem Glücke bekämpfen. Heute scheinen wieder die Griechen bei Damassi im Vortheil zu sein, und auch im Norden werden sie wieder unbequem, FrrsrHeton. Sneewittchen. 19) Roman von A. I. Mordtmamr. Nachdruck verdeim. Bon dem französische» Schiffe „Le Glaneur" retten sich die Drei auf die „Dona Loisa". Aber auch dieser spanische Schvvner wird während einer SturmeSnacht verlassen. Juanita, daS allein auf dem Schiffe zurückgebliebene Kind, wird wundersamer Weise durch die „Antje Gesine" gerettet. Auch Deffouvre entkommt — wie? das ist vorläufig eine offene Frage — und kehrt in seines Bruders Haus zurück, aber mit zerrüttetem Verstände; er ist durch daS Schuld bewußtsein und durch die ausgestandenen Schrecknisse irrsinnig geworben. In dasselbe Haus kommt auch Williams. Was auf den ersten Blick einem wunderbaren Zufall gleicht, ist im Grunde ein ganz nahe liegendes und beinahe unvermeidliches Zu. sammentreffen. Williams stand ja in fortwährender Ver bindung mit den JnsurrectionsbankierS, und rS ist an zunehmen. daß auch die Bekanntschaft zwischen Frantzoi» und Juanita nicht lediglich eine zufällige gewesen, sondern durch die alte Verbindung der Dessouvre» mit den spanischen Revolntionairen, deren emer doch Williams war, auf irgend eine Weise vermittelt worden ist. Genug, eS fügt sich so, daß der beleidigte Gatte mit dem Verführer seines WeibeS unter einem Dache weilt, ohne davon eine Ahnung zn haben. Nur wir draußen Stehenden, die in den Besitz der Kenntniß aller Thatsachen gelangt sind, können als Wissende die selt same Schickung bewundern und unS mit einiger Besorgniß fragen, ob die- Alle- noch gut enden wird. Es kann mir selbstverständlich nicht einfallen, Ihren eigenen Entschließungen vorzugreifen oder Ihnen einen Rath aufzudrängen, aber Sie werden eS hoffentlich meiner dank baren Freundschaft für Sie und meiner warmen Anthril- nahme am Wohlergehen Ihrer Pflegetochter zu Gute halten, wenn ich der Ansicht Ausdruck gebe, daß es vor der Hand ratbsam sein wird, Fräulein Juanita von all diesen traurigen Dingen nichts wissen zu lassen." „Natürlich nicht!" brummte Gerard. „Ich müßte ein Ausbund der allergrößten Narrheit und Rohheit sein, wenn ich dem Kindt davon erzählen wollte. Aber ich will zehn tausendmal gerädert und verbrannt werden, wenn ich weiß, wie das enden soll. Die Komödie mit William» kann doch nickt in alle Ewigkeit fortgespielt werden!" Gerard hätte sich gern mit seiner Braut über die schwierige Angelegenheit besprochen; aber ein unbestimmte» Gefühl hielt ihn zurück, sie in die geheime Geschichte der Eltern Juanita'» einzuweihen. So vertagte er die Ent scheidung und wartete von Tag zu Tag, von Woche zu Woche mit Zittern und Zagen auf Briefe von William», die dessen bevorstehende Ankunft in Hamburg ankündigten. Aber sie kamen nicht; eS sollten lange Monate verstreichen, ebe Gerard wieder etwa« von William» und Deffoudre zu hören bekam. 12. Capitel. Zarnow hatte, während sich daheim die Dinge ent wickelten, die dem LiebeStraum seiner Jugend ein so uner wartete» Ende bereiten sollten, sein Amt in Brasilien an- grtreten. Der zähen Thatkraft seiner Natur war es gelungen, im Kampfe seiner Indolenz einr«Tbrile» und mit der Streit sucht eine» anderen TbeileS seiner Landsleute, sowie mit der feindseligen Gehässigkeit der einheimischen Behörden, da» Schulwesen der deutschen Colonisten einigermaßen ein heitlich zu organistrrn. Er war kein Freund beschaulicher Ruhe, und da» thätige, aufreibende Leben, da» er zu führen hatte, würde ihm zuaesagt, ja seinem Ideal mehr al» jede» andere entsprochen haben, wenn nicht ein Umstand gewesen wäre, der ihm die Freude an seiner neuen Beschäftigung gründlich vergällte. Seitdem er in Rio gelandet war, hatte er rin einrige» Mal einen Brief von Cäcilie erhalten, und dieser eine Brief, so zärtlich und hingebend er auch im Allgemeinen lautete, batte doch durch einige unbestimmte Wendungen von Aussicht»- losigkrit der Zukunft, Nothwendigkeit der Entsagung und ähnlichen Redensarten, die in vollstem Gegensatz zu seiner hoffnung-freudigen Stimmung standen, Unbehagen und Miß vergnügen in ihm erweckt. In seiner Antwort hatte er dieser Verstimmung Au-druck gegeben und versucht, in be redten Worten die Geliebte ru seinen riarnen optimistischen Anschauungen zu bekehren. Auf diesen Brief war er ohne Antwort geblieben. Er ersann alle möglichen Ursache», um für die verlängerte Unterbrechung de» Briefwechsel» eine Erklärung zu finden; nachdem aber der Termin für da» Ein treffen der Antwort verstrichen war und darüber hinaus drei der in vierzehntägigen Zwischenräumen regelmäßig einlaufen- den europäischen Posten noch immer kein Lebenszeichen von Cäcilie gebracht hatten, schrieb er, zum ersten Male nach seiner Abreise, an ihren Bruder und bestürmte ibn um Auf klärung über da» unbegreifliche Sckweigen Cäciliens, da jede, auch die schlimmste Nachricht besser sei als die tödtende Ungewißheit. Bevor jedoch eine Antwort auf daS Schreiben einlicf, ward ihm von anderer Seite die ersehnte Aufklärung in ungeahnter Weise zu Theil. Die nächste Post brachte ihm einen Brief mit ungelenker weiblicher Handschrift auS Berge dorf. Er betrachtete nachdenklich die Adresse; diese sorgsam gezogenen großen Buchstaben kamen ihm doch so bekannt vor — wo hatte er sie nur gesehen? Es wollte ihm nickt ein- fallen, er öffnete den Brief, blickte hastig nach der Unter schrift und mußte nun selbst über seine Gcdächtnißschwäcke lachen — ja, e» war Juanita Mitena, die ihm doch schon einmal geschrieben batte, deren Handschrift er doch auS so manchem von ihm corriairten deutschen Aufsatz oder franzö sischen tüSms kennen mußte! Wie war kenn das Kind nach Bergedorf, dem 2 Meilen von Hamburg entfernten stillen Hauptorte der fruchtbaren Vierlande, gekommen? Kopfschüttelnd begann er den Brief zu lesen, aber schon nach den ersten Zeilen ließ er ihn fallen und starrte wie geistesabwesend vor sich hin. War eS möglich! Es konnte nicht sein! Und doch — eö mußte sein — das erklärt ja Alles! Da» heißt . . . c» war ja eigentlich unerklärlich, un möglich, — aber ander» konnte e» nicht sein — Plötzlich lachte Zarnow laut auf, nahm seinen Strob- hut herab und lief hinan». Verwundert blickten ibm die Nachbarn nach, wie er in dir Regrnflutben eines beginnenden Unwetter- hinrineilte. Mit stürmenden Schritten wanderte er ziello» im Freien umher, unbekümmert um bas Krachen und Toben, und erst, als die Beine ihm den Dienst zu ver sagen drohten, mäßigt« er seine Eile. Der biedert Theophilu» Müller, seines Zeichens ein Stellmacher», der am äußersten Ende der Colonie Blumenau wohnte, wo die bebaute Rodung der Ortschaft an Wildniß und Urwald grenzte, sab mit unbeschreiblichem Erstaune», wie mitten durch den strömenden Wassergiß eine» furcht baren, tropischen Gewitter» ibr allverehrter Schulinspector so langsamen Schrittes vorbriging, als mache er einen be- haglichen Spaziergang. - Maries rief er seiner Frau zu. „Da schau den vr. Zarnow! Was fehlt denn dem? Gewiß Sonnenstich! O der arme Herr!" ein „Ja — waS schaust Du dann!" rief sie dagegen. „Da mack' und hole ihn herein!" Und TbeophiluS stürzte barhaupt hinaus, packte den Or. Zarnow am Arm und schleppte den nicht Widerstreben den in seine Bebaiisling binein. Zarnow ließ Alles mit sich machen, was die braven Leute wollten. Er mußte alle seine Kleider wechseln und sich dann entschließe», eine Mixtur von Arrac und Wasser, so heiß, daß ihm die Augen überliefen, hinuiiterzuschlucke». „Wie fühlen Sie sich jetzt?" fragte die alte Frau besorgt. Zarnow schloß die Augen und sank in seinen Stuhl zurück Bis jetzt batte er sich willenlos dem rasenden Schmerze, der in ihm tobte, überlassen; aber nun bot er seine ganze geistige Energie auf, um sich nicht, wie eS sein Vater nannte, „nnterkriegcn" zu lassen. Als er die Auge» wieder öffnete, war der kurze, aber mit wüthender Kraft geführte Kampf zu Ende. „Sie dürstn es mir nickt übel nehmen, daß ich so daher gelaufen kam wie ein Irrsinniger", sagte er. Der Klang seiner Stimme kam ihm selbst fremd vor. „Ich habe von zu Hause eine schlimme Botschaft erhalten — eine— eine Todes nachricht — von einer mir sebr lieben Person — wirklich — einer mir sehr nahestehenden Person." Es flimmerte ihm ein wenig vor den Augen — er fuhr sich mit der Hand darüber, dann war auch dies letzte Zeichen von Schwäche überwunden. „O Sie armer, armer Mensch!" rief Frau Müller. Mit mütterlichem Gefühl nahm sie die Rechte des jungen Mannes zwischen ihre dürren Hände und streichelte und drückte sie, als wäre er ibr Sohn. Ah, sie wußte, waß eS beißt: eine Todesnachricht! Jene Briefe, die Einem das Gefühl erregen, man werde das Weinen nicht mehr verlernen — sie kannte sie! Aber sie wußte auch, daß man daS Weinen doch verlernt und nur der dumpfe, unermeßliche Schmerz zurückbleibt, der noch schlimmer wäre — wenn er nicht auch einmal aufhörte. Ihr Mann mußte den vr. Zarnow in dessen Wohnung znrückbegleiten, und er konnte nachher seiner Frau berichte», daß der Herr Doctor unterwegs ganz vernünftig gesprochen bade. „Das Schlimmste wäre wohl vorbei", meinten die braven alten Lenke. Zarnow ließ Licht anzünden und suchte den Brief von Juanita, der noch da lag, wo er ihn hatte fallen lassen.
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