01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970507010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897050701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897050701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-07
- Monat1897-05
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BezugS.PreiS 1» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^t4.ü0, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierreliahrlich ti.—. Dirrctr täglich» llkrru-bandieaduag in» Ausland: monatlich 7.s0. Di» Motgen-AuSgabr erscheint «M '/«? Uh«, dir Abeud-AuSgabe Wochentags um L Uhr, Ledattion und Lrvedition: 3-hanne-gaff« 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geüsfaet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Dtt« Klemm'- Eortiin. (Alfred Hahn), Umversitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Aatharinenstr. 14, park, und königSplatz /. Morgen-Ausgabe. MpMrr T aS M M Anzeiger. HmlsVlaLt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Ratijes und Notizei-Nmtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen'PreiS die 6 gespaltene Pemzetle 20 Psg. Reklamen unter den,Redactionsstrich l4g» spalten) 5O.H, vor den Familirnnachtichtea (6 gespalten) 40^. Großer« Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Zisfernjatz nach höherem Tartj. Extra-Bcilaacii (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgab«, ohne Poslbeiörderukig 60.—, mit Postbeförderung ^4 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anjctgrn sind stets an die ErpkSitton zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 23V. Freitag den 7. Mai 1897. 91. Jahrgang. Die preußische VereinsgesehnooeUe. Im schroffsten Gegensätze zu der von der „Tagt. Rundsch." und einem anderen Blatte in die Welt gesetzten Nachricht, daß die längst erwartete Novelle zum preußischen Vereins- gesetze „endgiltig zurückgezogen" sei und dadurch Ver anlassung zum Rücktritte des Fürsten Hohenlohe gegeben habe, erfährt die „Nat.-lib. Corr." aus sicherer Quelle, daß die Einbringung der Novelle im preußischen Abgeordneten hause außer allem Zweifel stehe. Ferner wird dem genannten Organe bestätigt, daß die Novolle außer der Aufhebung des Verbotes der Verbindung politischer Vereine nur Einschränkungen der Theilnahme jugend licher Personen an Versammlungen enthält. Dieser Inhalt des Entwurfs läßt nun allerdings erwarten, daß es der conservativen Fraktion des Hauses und der Mehrheit der Frcieonservativen schwer fallen wird, ihre Zustimmung zu geben, da man auf dieser Seite einschneiden dere Verschärfungen oder vielmehr Einschränkungen des Ver- einsrechtcS zur Bekämpfung staatsgefährlicher Umtriebe als Voraussetzung der Zustimmung bezeichnet hat. Andererseits läßt sich aber auch aunehmen, daß beide Fraktionen der Ver antwortung, die sie durch eine ablehnende Haltung auf sich laden würden, sich bewußt sein und dem Fürsten Hohenlohe seine ohnehin schwere Aufgabe nicht unnöthiger Weise erschweren werben. Jedenfalls ist es ein politisch kaum hoch genug anzuschlagender Gewinn, daß die preußische Re gierung den Beweis dafür erbracht hat, wie bestimmt auf die loyale Erfüllung ihrer Zusicherungen, selbst wenn große und in mancher Hinsicht sebr wohl begreifliche Bedenken und Hindernisse in Frage stehen, auch in Zukunft gerechnet werden kann. In der That handelte cs sich in dem vorliegenden Falle um mehr, als um die Abänderung einer Bestimmung des preußischen Vereinsgesetzes, die lästig und widersinnig und auch in Rücksicht auf die modernen Verkehrsmittel wie Eisenbahnen, Telephon, Telegraphie und Post haltlos war. Wie wir schon vor der nun vorliegenden Entscheidung her vorgehoben haben, stand die Autorität der Regierung über haupt in Frage, nickt der jetzigen Regierung allein, nicht nur der leitenden Persönlichkeiten, welche sich auf die Ab änderung jener lästigen, überflüssigen Bestimmung Leö Vereins gesetzes verpflichtet hatten. Denn dieses Versprechen war gegeben worden im innern Zusammenhang mit der größten Ausgabe, welche dieser Legislaturperiode vorgelegen hat, der Begründung der bürgerlichen Rechts einheit für daS gelammte Reich. Das Versprechen war geradezu eine der Vorbedingungen für die Lösung dieser Aufgabe, auf welche nicht nur von der Regierung, sondern auch allerhöchsten Ortes der größte Werth gelegt wurde, worüber ja auch persönliche Bekundungen vorhanden sind. Aus diesem Grunde lag es auf der Hand, daß die Erfüllung der Zusage, den viel erörterten H 8 des preußischen Vereinsgesetzes zu beseitigen, unbedingt mit Vorwissen und Zustimmung der maßgebenden Stelle erfolgt sein mußte. Und darin war auch die Nothwendigkeit begründet, daß über anderweite Wünsche, die man sehr wohl begreifen kann, schließlich die Erwägung siegen mußte, wie sehr es sich hier um eine Frage handelte, die eine offene, gerade Erledigung verlangte und nicht mit Nebenbestimmungen belastet werden durfte, die sie unbedingt zum Falle hätten bringen müssen. In Vieser Hinsicht ist das Schicksal der Entschädigung un schuldig Verurteilter und der Berufung in Strafsachen, die mit der Justiznovelle gescheitert sind, und die lange Reibe von Vorlagen überhaupt, bei denen man gesetzgcbungSfrendig eine lauge Reihe von Paragraphen ersann, anstatt sich auf unabweisbare Reformen zu besckräuken, eine ernste Warnung. Für die parlamentariscke Behandlung der Vorlage kommt in Betracht, daß Artikel 29 der preußischen Verfassung ab geändert werden muß, welcher lautet: „Alle Preußen sind be rechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln." Bei einer Verfassungsänderung tritt folgendes Verfahren ein: Zunächst darf ein solcher Gesetzentwurf nicht gleichzeitig beiden Häusern des Landtags oder schon nach der erjteii Abstimmung in dem einen Hause dem andern zugehen; er darf an das andere Haus dann erst gelangen, wenn der Beschluß des einen Hauses feststeht. In jeder Kammer haben zwei Abstimmungen stattzusinden, bei denen die absolute Stimmenmehrheit genügt, zwischen denen aber ein Zeitraum von wenigstens 21 Tagen liegen muß. Daraus erhellt, daß die diesmalige Session des preußischen Abgeordnetenhauses nicht vor Pfingsten schließen, sondern in den Sommer hinein dauern wird. Wir wünschen dringend, daß diese Zeit von ^er preußi schen Regierung und den Politikern, denen das Staatswohl über dem Parleiinteresse steht und die den entsprechenden Einfluß haben, dazu ausgenutzl werde, ihren Einfluß auf das Herrenhaus geltend zu machen. Hier sind mehrere „tobte Punkte" zu überwinden, und die Schwierigkeiten sind in der Tkat dadurch nicht vermindert worden, daß in anscheinend offiziösen Organen das Herrenhaus gegen die obenerwähnte Vorlage mit allen Mitteln „scharf" gemacht worden ist. Daß im Abzeordnetenhause, wie auch die conservativen Fraktionen sich stellen mögen, der Gesetzentwurf angenom men werden wird, unterliegt Wohl keinem Zweifel. Wenn auch in einigen linksfreisinnigen Organen gegen den Ausschluß Minderjähriger ein großer Eifer entwickelt wird, als ob die Versammlungsfreiheit rin natürliches Recht sei, daS sich sozusagen bis zum Säuglingsalter erstreckte, so wird man doch wohl rrnste Bedenken tragen, deswegen die Vorlage zum Scheitern zu bringen. Das einzige Argument von Belang ist die Schwierigkeit, Minderjährige von gesetzlich berechtigten Erwachsenen bei der Abhaltung von Versammlungen zu scheiden. Wenn man aber in Betracht zieht, wie viel mehr Mühe es kostet, beispielsweise beim Personenverkehr auf der Eisenbahn die Grenze zwischen dem zu Kinderbillets berechtigten und tarifmäßig als erwachsen behandelten Alter zu wahren, und daß trotzdem diese Aufgabe befriedigend gelöst wird, so kann auch das analoge Bedenken über den Ausschluß Minderjähriger von Versammlungen nicht stichbalten. Bekanntlich ist die Aufhebung des Verbotes der Ver bindung politischer Vereine und die Einschränkung der Theil nahme jugendlicher Personen an Versammlungen eine alte Forderung deS nationalliberalenLandesvereins für das Königreich Sachsen. Bisher ist er mit dieser Forderung nicht durchgedrungen, weil angeblich an maß gebender Stelle diese Einschränkung für nicht genügend erachtet wurde, um die Folgen jener Aushebung unbedenklich erscheinen zu lassen. Beweisen nun aber die gesetzgebenden Faktoren in Preußen, daß sie auf das Verbot der Verbindung politischer Vereine verzichten zu dürfen glauben, sofern nur die Theilnahme jugendlicher Personen an Versammlungen eingeschränkt wird, jo wird voraussichtlich in naher Zukunft auch die Stunde schlagen, in der für Sachsen eine dem preußischen Muster nackgebildete Novelle zum VereinSgesctze ausgearbeitet und den Kammern vorgelegt wird. Deutsches Reich. 52 Berlin, 6.Mai. Der Neichstagsabgeordnetevr. Hahn veröffentlicht einen von Selbstüberhebung strotzenden Brief, den er an den hannoverischen Landtagsabgeordueten Schoos gerichtet hat. Herr Hahn hat kein Vertrauen zu den Nationalliberalen, er wird bei den nächsten Wahlen die sämmtlichen jetzigen nationalliberalen Reickstagsabgeordneten aus Hannover bekämpfen und wird „bessere Männer nationaler Gesinnung", wenn solche gewählt werden sollten, nicht davon abhalte», in die nationalliberale Fraktion einzu treten. Herr Hahn giebt dies Alles ohne Zweifel im Auftrage der Herren Ploctz und Nösicke bekannt, in deren Dienst der Gewaltige steht. Ob ihm die hannoverischen Landwirthe zu stimmen werden, muß sich erst Herausstellen. Vorläufig beansprucht in Bezug auf deren Stimmung ein größeres Gewicht als sein Mani fest bas, was die „Nationalt. Corrcsp. für die Provinz Hannover" schreibt, nämlich das Folgende: „Durchaus irrig wäre es, aus dem Nichtzustandekommen einer festen Vereinbarung auf einen Bruch zwischen den beiden Theilen zu schließen. Bei uns in der Provinz Hannover enthält das Vorhandensein der welsischen Partei für die national gesinnten Elemente eine besonders dringende Mahnung, nicht durch Zer splitterung und gegenseitige Verhetzung die Sache der Reichsfeinde zu fördern. Dieser nationale Gesichts punkt wird von den Nationalliberalen und, wie wir annehmen dürfen, auch vom Bunde der Landwirthe nicht verkannt, wobei das warme Eintreten der national- liberalen Partei für alle berechtigten, durchführbaren und mit dem Gemeinwoble verträglichen Wünsche der Landwirthschaft ein gutes Verhältniß zum Bunde wesentlich erleichtern muß. Bemüht man sich aber auf beiden Seiten, die Erörterung der wirtschaftlichen Differenzpuncte in den Grenzen der Sachlichkeit zu halten und über dem Trennenden daS Einigende nickt zu vergessen, so wird auch ohne daS Bestehen einer festen Vereinbarung schon viel erreicht sein." U Berlin, 6. Mai. Nach einer im Reichs-Ver- sicherungsamte angefertigten Zusammenstellung waren am Ende 1896 von dem Vermögen der 31 deutschen Ver sicherungsanstalten 30809611,81 zu gemeinnützigen Zwecken hergegeben oder zur Hergabe bereitgestellt. Von dieser Summe entfielen auf den Bau von Arbeiter wohnungen 12,1 Millionen, wovon wieder 6,8 Millionen innerhalb der Grenzen der Mündelsicherheit, 5,3 unter Ueberschreitung derselben hergegeben waren. Die Provinz Hannover überragt alle anderen Anstalten durch die Höhe der zu diesem Zwecke hergegebenen Gelder. Sie be laufen sich auf 4,4 Millionen. Ihr folgte das Königreich Württemberg mit l,8 und die Provinz Schleswig-Holstein mit 1,1 Millionen. Zxr Befriedigung des landwirtschaft lichen Creditbedürfuisfes waren 12,8 Millionen und zwar fast ausschließlich in den Grenzen der Mündelsicherheit hergegcben. Hier steht die Anstalt Sachsen-Anhalt mit 5,3 Millionen an der Spitze, eS folgt Thüringen mit 1,7 Millionen, Niederbayern mit 1,3 und Schwaben und Neuburg mit 1,2 Millionen. Für den Bau von Kranken- und Reconvalescenteuhäusern, Herbergen zur Hrimath, Volks bädern, Klcinkiuderschulcn, für Spar- und Consumvereine und andere ähnliche Wohlfahrtseinrichtungcn waren 5,9 Millionen angelegt und zwar 4,8 in städtischen und 1,1 Millionen in ländlichen Gemeinden. Hier stehl Württem berg mit 1,2 Millionen an der Spitze, die nächstfolgende Anstalt ist die des Königreichs Sachsen mit 1,1 Millionen. tz Berlin, 6. Mai. Zur JnnungSvorlage veröffent licht der Ausschuß des Verbandes deutscher Gewerbe gerichte in dem Verbandsorgan „Das Gewerbegericht" eine umfangreiche Erklärung, welche auf die Gefahren aufmerksam macht, die für die gewerbliche Rechtsprechung zu befürchten sind, wenn die gegenwärtig dem Reichstage vorliegende Ge werbeordnungs-Novelle Gesetz würde. Schon nach Erscheinen des Vor-Entwurfs hatten am 23. September v. I. die da mals in Straßburg versammelten Vorsitzenden von 60 Gewerbe gerichten in einer Resolution die Streichung der Bestim mungen verlangt, welche die Rechtsprechung in gewerblichen Streitigkeiten den Innungs-Schiedsgerichten überweisen und den Gewerbezerichten entziehen wollen. Es wurde im Ein zelnen dargethan, wie die bisherige Erfahrung den JnnungS- SchiedSgerichten, wo solche bestanden, entschieden ungünstig sei, und wie namentlich die Möglichkeit, den Vorsitzenden aus den Jnnungsmitgliedern selbst zu nehmen, diesen Gerückten in den Augen der Arbeiter den Charakter der Unparteilichkeit benehme. Jene Resolution ist zur Kenntniß des Reichs Justizamtcs gebracht worden, Hal aber keinerlei Erfolg gehabt; vielmehr biete die neue Vorlage in allem Wesentlichen dieselben Gefahren, wie die frühere. Durch die zahlreiche Errichtung von Jnuungs-Schiedsgericktcn würde die Thätizkeil der Gewerbegerichte geradezu auögehöhlt werden. Ter Ver- bandsausschuß verlangt, daß mindestens dem tz 84 des Ent wurfs, welcher die Fälle aufzählt, in denen einem Innungs statut die Genehmigung zu versagen ist, hinzugefügt würde: 4. wenn das Jnnungsslatut ei» Innungs-Schiedsgericht vorsieht für Streitigkeiten, für welche ein bestehendes Gewerbegericht zuständig ist. In erster Linie wird jedoch die grundsätzliche Streichung aller solcher Bestimmungen verlangt, welche die Thätigkeit umfassender Veranstaltungen, wie die Gewerbegerichte cs sind, zu Gunsten bloßer Innungs-Einrichtungen unterbinden würden. Hierüber heißt es in der erwähnten Kundgebung: „Die von den Gewerbegerichten erstrebte Anbahnung einer ein heitlichen Rechtsprechung auf dem von der Rechtswissenschaft so arg vernachlässigten Gebiete des gewerblichen Arbeilsvcrtrags wird durch die Zersplitterung in Gewerbegerichte und viele kleine Jnnungs- Schiedgcrichte mit geringer Spruchthäügkeit in Frage gestellt. Ta die Arbeiterbewegung sich an die Scheidung zwischen Handwerk und Großindustrie nicht kehrt, die Gewerbegerichte aber für das Hand- werk nicht mehr in Frage känien, würde ihre Autorität zum Ein treten als Einigungsamt aufs Aeußerste geschwächt, ihre schon jetzt Fcriilletsn. Wiener Frühlingszauber. Von Th. von LiSka. Nachdruck verboten. Es wird wieder sonnig in der Welt, die Mädchen er scheinen in Hellen, lachenden Kleidern, und die „JourS" nehmen ein Ende. DaS fröhliche Wien ist niemals scköner als im Frühling. Wenn man daS Leben im Winter fleißig mit Gumpoldskirchener begießt, ist es auch nicht übel, aber cs scheint einfach herrlich, wenn man die Flasche zwischen den bunten, blühenden Dekorationen entkorkt, die der Frühling auf die Scene bringt. Die noch immer fesche Wienerin er scheint niemals anmuthiger, als wenn sie sich ihr neues, luftiges, duftiges Frühjahrskleidchen zurecht gemacht hat, wenn alle Blumen Les Feldes, des Gartens und der Modistin von ihrem Hute nicken; die Veilchen in ihren Augen lachen dann froher, die Rosen auf ihren Lippen glühen dunkler. Wenn es Frühling wird, duldet eS den Wiener nicht mehr in den staubigen Mauern der Stadt. Die wunder volle Umgebung Wiens, die waldigen Höhen, die blumigen Thäler, die sonnigen Dörfer und kleinen Villenstädte, deren reicher Kranz sich prangend um die alte Kaiserstadt zieht, sind dann auch gar zu verlockend. So wandert denn an Sonn- und Festtagen die ganze Stadt mit Kind und Kegel ins Freie. Alle Localbahnzüge sind überfüllt, und was es in der Welt an Vehikeln giebt, vom schwerfälligen Omnibus bis zum flüchtigen Zweirad, ist in den Dienst dieser Frühlings wanderung gestellt. Auf einzelnen Bahnlinien, wie beispiels weise auf der Westbahn, werden an einem solchen Tage oft mehr als 200 000 Menschen befördert. Alle Auen deS weiten Wiener Waldes sind mit städtischen AuSflüglern über schwemmt. Die stadtstüchtigen Fami>>en, die selbst daS Baby mit der Saugflasche nicht zu Hause lassen, campiren zu Tausenden und Tausenden auf dem grünen Rasen. Unter Lachen und Scherzen, bei Tanz und Musik verrauscht der Tag, und daß die Stimmung nickt Nachlasse, dafür sorgen die mitgebrachten Flaschen aller Art. Keine wackere Haus frau, die nicht auch ein kaltes Huhn, Schinken und Wurst im Korbe mitgenommen hätte, denn wer den vollen Genuß der schönen Natur haben will, darf sie nicht mit leerem Magen bewundern. Natürlich hat der gute Gott auch viele wohlbestellte Sckaiikwirtbschaften in'S Grüne gestreut, und auch diese sind von Tausenden und Tausenden uberfluthet. Sie bilden daS Ziel unzähliger Ausflügler. So die „Knödl-Hütte" auf den Höhen bei Weidlinaau, die Hockrahm-Alpe, wo dir Mädchen auf kleinen Eseln reiten und in einem weiten Wasserbassin kahnfahren können, das „rothe Stadl" bei Breilenfurt, wo der beste „Millirahm - Strudel" in der ganzen gebildeten Welt bereitet wird, der „Parapluie-Berg" bei Perchtolsdorf (eine seltsame Baumsormation auf der höchsten Spitze gab dem Berg den Namen), die Hövricks- mühle in der Hinterbrühl, wo Franz Schubert einige seiner schönsten Lieder componirt und wo es sich nach der wiegenden Melodie so herrlich singen läßt: „In der Hinter brühl — da weht der Wind so still . . . ." Wer daS Bier liebt, der wandert in die Brauhäuser von Liesing und Hütteldorf. Die „Weinbeißer" ziehen nach Gumpolds kirchen, Guntramsdorf, Vöslau, Pfaffstätten und namentlich nach Grinzing und Nußdorf, wo zahlreiche „Heurige"- Schänken „ausgesteckt" haben und die Gäste in stille Lauben zwischen grünem Blätterwerk laden, allwo ein köstliches Naß geschenkt wird. Und überall giebt eS Musik und Tanz, lustige Fiakcrkutscher, naturwüchsige Talente, die ihre Kunst ohne Eigennutz und nur zur Erheiterung der Gesellschaft üben, Pfeisen, jodeln und singen,selbstverfaßte, drastischeCouplets, deren Derbheit man über dem gesunden Volkswitz vergißt, der daraus sprüht. Wer nicht zu weit ausfliegen will, strebt nach dem Kahlenberg und dem Leopoldsberg, nach Schön brunn, zur Rohrer-Hütte nach Dornbach oder zu Dommayer in Hietzing, wo alle Sträuße, Vater und Sohne, sich ihre klingenden Sporen verdient und der Walzerkönig zuerst die berückende Weise von der „schönen blauen Donau" aufgespielt: „Wiener, seid frob!... Wie so? Wie so? ..." Und dann ist ja auch noch der alte Prater da, für den der 1. Mai sozusagen Firnistag ist. DaS war in alter Zeit kein echter rechter Wiener, der bei der Ersten-Mai-Fabrt nickt dabei gewesen. Seit dem Jahre 1890, da die Arbeiter den 1. Mai als Arbeiterfeiertag proclamirt haben und ihn zuerst zu einem großen Ausmarsck in den Prater benutzten, hat der FirniStag etwas an Glanz eingebüßt, aber er bildet doch noch immer ein großes Volksfest, an dem sich alle Kreise be- theiligen. Wenn der Hof in Wien und das Wetter schön ist, so sieht man stets auch den Monarchen und alle Erz herzöge bei der Praterfahrt. Natürlich fehlen dann auch nicht die Minister, Hofwürdenträger, die fremden Diplomaten und die hohen Familien deS Adels. In drei, vier Reihen rollen die prunkvollen Caroffen aller Art durch die Haupt-Allee, welche der Volksmund „Nobel-Allee" benannt hat, da sieht man alle die schönen Gräfinnen und Fürstinnen, die man von ihren Photographien in den Schau fenstern deS Grabens kennt, die gefeierten Schauspielerinnen Wiens in ihren blendenden Bühnentoiletten mit ihren feschen „Zeugl'n", wie man in Wien ein rechte- Cbicwägelchen mit einem edlen Chicgespann nennt, die feisten Damen der Pluto- kraue, Männer d«r Politik und der Kunst, Alle», was hervor ragend ist durch Namen, Amt, Beschäftigung oder Geldsack. Daneben aus v-n Gehwegen drängen sich die vielen Tausend» aus dem Bürgerthum, stehen Kopf an Kopf, das wundervolle Schauspiel dieser Maiauffahrt zu bestaunen, das jeden Augen blick ein anderes Bild bringt und unzähligen Lippen ein neues Ah! der Verblüffung entlockt. Und über das prunkvolle Schauspiel wölben die mächtigen Kronen der alten Kastanien in der Nobelallee ein schimmerndes Laubdach, die Vögel zwitschern und das Sonnengold leiht leuchtende Farben . . . Die niederen Schichten des Volkes vergnügen sich mit Vorliebe im „Wurstelprater". Hier giebt es Hunderte von Schaubuden, Rutschbahnen, Ringelspiele, Schaukeln, Kahn fahrten in BassinS mit und ohne Wasser, Akrobaten, Seil tänzer, Riesendamen, Zwerge, Mohren, Panoramen, daneben natürlich Hunderte von Gasthäusern, Tanzsälc die Menge, wo die Schönen aus dem Volke dem fidelen 5-Kreuzer-Tanz huldigen können, so viel sie wollen, und der in Wahrheit ein „Sckieberischer" ist, wie man ihn so kunstgewandt und mit solcher Ausdauer selten tanzen sieht. Und aus allen den Hundert Kneipen tönt Musik. In den größeren Gärten spielen Militairmusikcapellen, außerdem find unzählige Privat capellen in Action, besonders die beliebten Damencapellen, Zigeuner, böhmische Musikanten, Drehorgeln rc. An manchen Punkten vermischen sich fünf Melodien in einander, hört man von ünf Seiten lachen, jauchzen, Beifall klatschen, schreien, stampfen, ingen. Hat man den ganzen Wurstelprater durchwandert, o hat man eine Fülle von Fröhlichkeit gesehen, die unvergeß- ich bleibt zufolge des Massenbildes, das sie zu Stande gebracht, überdies glaubt der verblüffte Wanderer, der allen Lärm genossen, sein Kopf sei so groß wie ein Faß, eine Empfindung, die schon ihrer Seltenheit wegen verzeichnet zu werden verdient. Seit dem Jahre 1890 hat, wie gesagt, das Praterbild vom 1. Mai eine neue Schattiruug gewonnen durch die Theil nahme der Arbeitermasicn, die zu Tausenden und in geschlossenen Colonncn in den Prater marschiren. Tagüber ändert diese Theilnahme nichts an der Gemüthlichkeit und der frohen Lebenslust, welche das Praterleben sonst an Sonn- und Festtagen zeigt. Viele der Arbeiter tragen zwar rothe Cravatten und alle die rothe Cvcarde, die Arbeitermädchen erscheinen zwar mit Vorliebe, oft in Gruppen von vierzig und fünfzig, in rothen Blousen, die Musikkapellen müssen zwar daS Arbeiterlied svielen, aber Störungen und be unruhigende Scenen gicvt eS in den Praterauen nicht. Die Krawalle zwischen Arbeitern und Polizei spielen sich gewöhnlich erst am Abend, wenn die Köpfe von den aus giebigen Wein- und Bierlibationen erhitzt sind, und auf dem Heimwege, in den Straßen Ver Stabt, av. Im Prater ist man gemüthlich, poculiren auck Arbeiter und Bürger fried lich und vergnügt beisammen. Wieviele junge Gänse und „Backhändeln" an einem ersten Mai, wo ihr Genuß, erhöht durch Gurkensalat, förmlich äs rigueur ist, ibr schuldlosc- Leben der hungrigen Menschheit opfern müssen, läßt sich gar nicht ergründen. Dabei werben die „Salamucci" form lich zerrissen. Tie „Salamucci" sind italienische Wurst und Käsehändler, die ihre Waaren in jedem Local verkaufen und deren es in jedem Garten einige giebt. Die ausge zeichnete ungarische und Veroneser Salami, der vortreffliche Emmenthaler Käse, der bei ihnen zu finden, haben sie mit Recht zu einer populären Specialität aller Prater-Restaurants gemacht. Eine weitere beliebte Figur ist der „Brod-Schani", ein kleiner Bäckerjunge, der einen großen Korb voll Luftiger BroLe um den Leib gehängt trägt. Wo der Salamucci erscheint, darf auch der Brod-Schani nicht fehlen. Bleibt man auch nur ihnen überlassen, so ist man schon wohl versorgt. Aber die wienerische Küche ist überall schmackhaft, so bescheiden auch die Gastwirthschaft sei, das schäumende Bier ist kalt, und der goldige Wein macht warm. Und zum Schluffe aller Dinge wandert man noch zu Haller, bei dem großartige Riesen-Krebse und ein Mailberger zu haben sind, der wie Oel durch die Kehle fließt. Von diesen Krebsen setzt Haller an manchen Tagen vier- bis fünftausend Stück ab . . . Doch genug vom Prater und vom 1. Mai. Die Wiener FrühlingSsonne lacht noch über ein anderes herrliches Volks fest, nämlich jenes zu Pfingsten. Tie charakteristische Farbe in Wien erhalt das Pfingstfest durch die Firmlinge. An den Pfingsttagen ist die Stadt übersäet mit weißgekleideten, blumen bekränzten kleinen Mädchen, die von ihrem „Göd", so nennt man in Wien den Pathen, zur Firmung geführt werden. Es muß natürlich im Fiaker geschehen, und am Pfingst-Sonntaz nament lich bilden alle Straßen, die zur StefanSkirche führen, förm liche Wagenburgen, die sich ungeheuerlich stauen und nur sehr langsam in Bewegung kommen können. Und alle die Wagen sind mit den lieben, kleinen Mädchen besetzt, und alle tragen sie daS Haar in Locken gebrannt, und alle halten den Blumen strauß im Händchen. Was ein rechter Göd ist, muß seinen Firmling nickt bloS reich beschenken, sondern am Nachmittag auch in den Prater fahren, ihn zur Theater-Vorstellung im Pratcr-MusenhauS oder in den Cirkus führen. Die kleinen, unsckiildsvollcn Engel bringen etwas unendlich Liebliches in die Pfiugst-Physiognomie der Stadt. Frühlingszauber — FrühlingSsonne! . . . Sie leuchtet wieder über der alten, herrlichen Kaiserstadt und die klassische Melodie ertönt: „So fahr'» ma halt nach Nußdorf h'aauS, Da gibt'» a Hetz, a G'stanz, Ta hörn' ma ferme Tanz', Da lass' ma fesche Dudler h'naus, Und gengan in der Früh Mit'» Schwamms »' Hau», mlt'u Schwamm« »' Hau-! .
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