02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-11
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970611022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-11
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ES ist wohl erklärlich, daß das Scheitern der Novelle gerade dem Centrum fatal ist, das die Hauptverantwortung für diesen AuSgang trägt. DaS Centrum war eS, das über die Compromißbeschlüsse der Commission in der zweiten und dritten Lesung weit hinauSging, ob gleich die Vertreter deS Bundesrathcs wiederholt die von dem Plenum beliebten Abänderungen für unannehmbar erklärten. Freilich scheint es nach den Darstellungen der „Germania", als ob das Centrum in dieser Erklärung eine leere Drohung erblickt hätte; denn der parlamentarische Mit arbeiter des Blattes behauptet, man sei höchst überrascht ge wesen, als die Regierung Ernst gemacht habe, da sie in der Commission wiederholt Bestimmungen, die ursprünglich als unannehmbar bezeichnet worden seien, schließlich doch acceptirt habe. In dieser Auffassung liegt gerade keine Schmeichelei für dieVertreter deSBundcsrathS, diedarin eine Mahnung sehen sollten, in Zukunft mit dem Worte „unannehmbar" sparsamer zu sein, dann aber auch an dem, was sie einmal für unannehmbar erklärt haben, festzuhalten. Das Parlament wird kann wenigstens wissen, woran eS ist, und unliebsame lieber» raschungen, durch die wichtige Gesetze scheitern, vermeiden können. In dem Bewußtsein nun, die Regierung zur Preis- gebung der Vorlage genöthigt zu haben, und in der Be fürchtung, für diese Handlungsweise in den Wählerkreisen wenig Verständniß zu finden, hat man versucht, ein neues Compromiß zu schaffen. Und um so mehr hat man sich zu diesem Versuche getrieben gefühlt, je sicherer man darauf rechnen konnte, daß die Negierung in absehbarer Zeit einen neuen Entwurf nicht vorlegen würde. Ist es doch bekannt, daß eine Anzahl der verbündeten Negierungen Gegner der Berufung sind und deshalb mit dem Scheitern der Vorlage ganz zufrieden waren. DaS Compromiß soll nun die Anhänger des Fünfmännercollegiums im Parlamente dadurch für sich gewinnen, daß die Strafkammern bei der Aburthei- lung von Verbrechen mit Ausnahme der Nückfallsdelicte mit fünf Richtern besetzt sein sollen; und die Negierung denkt man zu gewinnen, indem man zur Aburtheilung von Ver gehen mit drei Richtern sich begnügen will. Die Negierung könnte dieses Compromiß deshalb wohl acceptiren, weil aller dings die Vergehen und die Nückfallsdelicte den größten Theil der erstinstanzlichen Tbätigkeit der Strafkammern bilden, so daß die Dreimännerkammer tharsächlich die Regel bilden würde. Darauf, daß die Scheidung eine rein mechanische und juristisch zweckwidrige sein würde, haben wir schon hingewiescn. Dieser Thatsache werden sich wohl auch die Abgeordneten nicht ver schließen, aber der Wunsch, etwas zu Stande zu bringen,dürfte die entgegenstebenden Bedenken beseitigen. Die „Germania" hält es sür möglich, daß mit Hilfe dieses CompromisseS die Strasproccßliovelle noch in dieser Session zur Verabschiedung gelangt, weil die dritte Berathung nur 2—3 Tage zu dauern brauchte. Das Blatt übersieht dabei aber wohl, daß noch eine ganze Anzahl anderer Differenzpuncte zwischen Regierung und Neichötagsmajorität bei der Strafprocetznovelle vorhanden ist und daß die Regierung gerade aus der Nachgiebigkeit deS Parlaments in dem wichtigsten Puncte den Muth gewinnen würde, auch bei den anderen Disferenzpunctcn an ihrer Auf fassung mit aller Entschiedenheit festzuhalten. Der Reichstag würde also, wenn er überhaupt die Vorlage noch zu Stande bringen wollte, auch noch in anderen Puncten der Negierungs- ausfassung sich anbcquemen müssen. Die RcichütagSersatzwahlcii in Königsberg und Wiesbaden haben unerfreuliche Ueberraschunaen gekrackt. In Königsberg, wo man sick infolge der Abneigung der Conservativen, für den nationalliberalen Gegner der preußischen Vereiusgesetznovelle einzutreten, auf eine Stich wahl zwischen dem freisinnigen und dem socialdemo- kratiscken Bewerber gefaßt gemacht hatte, ist der letztere, Rechtsanwalt Haase, sofort gewählt worden. Er hat 11917 Stimmen auf sich vereinigt, währeno der freisinnige Candidat Papendieck nur 5008, der nationalliberale vr. Krause 4049 und der Antisemit Störmer 2100 Stimmen erhielten. Wie viel zu diesem Resultate die seit mehr als einem Jahre inKönigsberg herrschenden localen Streitig keiten bcigetragen haben, wird man nur dort mit einiger Sickerheil ermessen können. Jedenfalls aber ist man zu der Annahme berechtigt, daß die einem „Nucke nach links" günstige allgemeine Verstimmung das Wahlresultat ganz wesent lich beeinflußt und dem socialdcmokratischen Candidalen sofort beim ersten Wahlgange auch solche linksliberale Stimmen zugeführt hat, die ihm unter anderen Verhältnissen erst bei der Stichwahl zugefallen sein würben. Von einem solchen Rucke nach links zeugte auch das Wiesbadener Wabl- ergebniß, obgleich der socialdemokratische Candidat nur 5165, also 1187 Stimmen weniger erhalten hat, als im Jahre 1893 sein Genosse erhielt. Dieser Rückgang der socialdemokratischen Stimmen ist aber wohl weniger auf einen Abfall von Partei- genossen, als darauf zurückznsühren, daß vr. Quarck als früherer Redacteur eines bürgerlichen Blatte« manchem Genossen nicht genehm war und in der Partei überhaupt wenig beliebt ist. Charakteristisch ist dagegen der Rückgang der Stimmen, die dem gemäßigt-liberalen Candidalen zu gefallen sind. Im Jahre 1893 war der zur freisinnigen Vereinigung gehörende, inzwischen verstorbene Abg. Köpp mit Hilfe der Nationalliberalen und der Conservativen gewählt worden, diesmal hat der nationalliberale Candidat Bartling — die freisinnige Vereinigung hatte gar keinen Candidalen aufgestellt — von 20 159 abgegebenen Stimmen nur 3072 er halten, während der Candidat der freisinnigen Volks partei Wintermeyer 6576 Stimmen erhalten hat und deshalb mit dem klerikalen Freiherrn v. Fugger, auf den 5355 Stimmen fielen, in die Stickwahl kommt. Jedenfalls haben für Wintermeyer die Anhänger der frei sinnigen Vereinigung trotz der zwischen ihnen und den An hängern Eugen Richters herrschenden Animosität zum größeren Theile gestimmt. Ein anderer Theil mag sich der Abstimmung enthalten haben, wie denn überhaupt die Wahl betheiligung eine sehr geringe war. Nuno 3600 Wähler weniger alS im Jahre 1893 sind zur Wahlurne gegangen; mehr als ein Drittel der Wähler ist zu Hause geblieben. Die große Mehrzahl von diesen Wählern gehört sicherlich nicht zu den extremen Parteien. Es sind „Nörgler", die sich zwar zur Wahl eines Socialdemokraten oder eines Parteigenossen Eugen Nichter's nicht entschließen konnten, aber auch für den ziemlich weit rechlS stehenden Bartling nicht stimmen mochten. Auch unter den abgegebenen Stimmen befinden sich solche von Männern, die im Jahre 1893 weniger oppositionell gesinnt oder richtig gestimmt waren, denn trotz des Rückganges der socialdcmo kratischen Stimmen haben die drei Pateien der Opposition — freisinnige Vollspartei, Centrnm und Socialocmvkratie — rund 17 100 Stimmen erhalten gegen rund 16 200 Stimmen im Jahre 1893. Das ist zwar nur ein Ueber- sckuß von rund 900 Stimmen, fällt aber bei der Be- urthcilung der Strömung im Volke schwer iuö Gewicht. Was das endgiltige Resultat anlangt, so ist eS kaum zweifel haft, daß als Sieger aus der Stichwahl der Candidat der freisinnigen Volk-Partei hervorgeht, da dem CentrumS- caiididalen weder von den Nationalliberalen noch von den Socialdcmokraten Stimmen zufallen werden. Nimmt man hinzu, daß der Volksparteiler bereits einen Vorsprung von 1200 Stimmen in der ersten Wahl errungen hat, so darf Herr Richter zu seinen! Erfolge in Torgau einen neuen in Aussicht nehmen, der den Lenkern des neuesten Curses zu ernsten Betrachtungen Anlaß geben wird. Ueber den Fortschritt der in Paris zwischen deutschen und französischen Bevollmächtigten stattfindenden Verhand lungen über die Togosrngc bat noch wenig verlautet, man scheint über die ersten Präliminarien noch nickt hinaus gekommen zu sein, doch wird nach der „Colonialen Corre- spondenz", wie es auch bei Kamerun der Fall war, eine Verständigung erwartet. Die französischen Zeitungen batten schon früher stark betont, daß sie sich mit Deutschland leicht auseinander setzen könnten, aber stellen sich dabei auf einen Standpunct, welcher eine Verständigung nickt gerade leicht macht. So schreibt die „Rsvuv krav^aiscr cko l'^ti'anger ot clez Oolouies": „Die Aufgabe der Commission wird ziemlich schwer sein im Hinblick auf die Ansprüche der deutschen Colonialjreunde, welche sich bis nach Gandu erstrecken und auf das ganze Gebiet zwischen Togo und dem Niger. Wenn mau die Deutschen sich aus dem rechten Ufer des Niger festsetzen ließe, würde Frankreich Las seit mehreren Jahren verfolgte Ziel, den Sudan mit Dahomey zu ver einigen, aufgeben. Es ist durchaus uothwendlg, daß Frankreich die absolute Herrin der Verbindungslinie bleibt, welche heute von Posten besetzt ist und sich durch Gurma von Carnotville nach Wagadogho erstreckt. Wenn man daraus verzichtet, würde Dahomey in eine Sackgasse endigen, anstatt daß es eine» Sammel punkt für alle Produkte des östlichen Nigerbogens bildet. ES ist dies für die französischen Besitzungen eine Lebensfrage, welche keine weitere Diskussion zulüßt. Für Deutschland kommt im Gegen- theil die Frage erst in zweiter Linie und beschränkt sich aus einen mehr oder minder großen Besitz an Territorium. Die Deutschen haben in der That keinen Sudan; sie haben dort weder politische noch Handelsinteressen und in Folge dessen nichts zu beschützen, während es bei uns ganz anders ist." Es kommt dann die neuerdings bei den Franzosen sehr beliebte Ausführung, wonach Frankreich «in größeres Anrecht auf das Hinterland haben sollte, weil es in dem Dahomey- kriege große Geldsummen geopfert und viele Expeditionen ausgesandt habe. „Aber wenn die französischen Delegirten", so fährt der Artikel fort, „sich in der Frage der Verbindung des Sudan und Dahomey unerbittlich zeigen, sowohl wegen der bestehenden Rechte wie wegen der thatfächlichen Besitzergreifung, können sie sich hinsichtlich der Puncte, welche sür Frankreich weniger wichtig sind, nachgiebiger zeigen, wie z. B. in der Gegend von Bafilo, und Len Deutschen einige Eoncessionen machen, um ihre Eigenliebe zu befriedigen. Es ist Lies nicht allein möglich, sondern Wünschenswerth." Es liegt auf der Hand, daß das Naisonnement, welches sich auf die Bedeutung deS Hinterlandes für den Handel von Dahomey bezieht, mit vollem Recht auch auf Togo an zuwenden ist. Denn die Handelsbewegung des Innern würde durch die französische Besitzergreifung von Gurma, Pamma u. s. w. ebenfalls vollkommen lahm gelegt und Togo zu dem Range einer kleinen Küstencolonie heruntergedrückt. Wenn bisher nur TentschlanS und Belgien Einspruch gegen die differentielle Behandlung erhoben haben, welche die mit England im MeistbegünstiaungSverlrage stehenden Länder jetzt durch Kanada erfahren, so beruht dies darauf, daß die Verträge der anderen Länder einen etwas anderen Wortlaut haben, als der deutsche und belgische. So heißt es in dem Vertrage Englands mit Oesterreick-Ungarn, daß die österreichisch-ungarischen Waaren bei der Einfuhr in britische Colonien keinen höheren Zöllen unterliegen sollen als die Erzeugnisse eines ankeren Landes. Dieser Vertrag schließt also an sich eine Vorzugsbehandlung Englands durch Canada nickt aus. Erst wenn Deutschland oder Belgien (also ein anderes Land) gleich England günstigere Zölle bei der Ein fuhr nach Canava eingeräumt erhalten würden, läge ein Vertragsbruch gegen Oesterreich-Ungarn vor. Ebenso stebt eS mit Frankreich und einer Anzahl anderer Staaten. Oester- reick-Ungarn, Frankreich und die anderen betheiligten Staaten wollen daher erst die Wirkung des deutschen und belgischen Einspruchs abwarten. Inzwischen haben übrigens verschiedene Mächte bereits ihre Consuln in Canada angewiesen, bei dem Inkrafttreten der neuen canadischen Zollbeftimmungen genau alle Fälle aufzuzeichnen, in denen Waaren auS ihren Ländern ungünstiger behandelt werden als englische. DaS Lrientproblcm setzt den Bemühungen der europäisch«» Diplomatie, ihm beizukommen, das volle Gewickt der vis iuertille entgegen, welche dem Abendländer, sobald er mit der inohamebanischen Welt in Berührung kommt, auf Schritt und Tritt ausstößt. Man kann nicht sagen, daß die Pforte den Wünschen und Vorschlägen Europas mit strikter Ab lehnung begegnete; dazu ist man am Goldenen Horn zu klug und hat cs überdies nicht nöthig, den in der Sache selbst liegenden ungeheuren Schwierigkeiten aus Eigenem noch formale Hindernisse hinzuzufügen. Aber es genügt schon, die Einzelheiten des groszmächtlichen VerniiltelungsprogramuiS in irgend einer Formel zusammen- znfasscn, und es zeigt sich alsbald, daß nicht einmal unter den Mächten selbst Einmülhigkeit bezüglich deS Modus ihrer Durchführung herrscht. DaS politische Problem ist vielleicht noch nicht so schwer zu lösen als das psychologische. Die siegreiche Türkei ist in den Jahrbüchern der orientalischen Frage ein vollständiges novnm, eS fehlt mithin den Diplomaten an einem Präcedenzsall, wie sie sich dieser gegenüber zu verhallen haben. So lange sich das Oömanenthum seiner Kraft, über die es, wie der Verlauf des griechischen Feldzuges darthut, immer noch verfügt, nicht klar bewußt war, zeigten sich die Konstantinopeler Staatsmänner gelegent lichen Wünsche», Mahnungen und selbst Sommationen LeS Abendlandes gegenüber von einer Fügsamkeit, wie sie den Regungen des Fatalismus und der Resignation entsprechen mochte. Zu einer siegreichen Türkei darf man aber nicht in der gleichen Tonart sprechen, schon nicht mit Rück sicht auf die hochgradige Erregung, welche heutigen Tages durch die gesammle islamitische Welt geht, und deren weiteres Anschwellen leicht eine Situation schaffen könnte, die besser nicht heraufbeschworen wird. Also sehr schwerwiegende Erwägungen sprechen dafür, die Türkei im gegenwärtigen Augenblick zu keinerlei Zugeständnissen zu drängen, welche Oel in das Feuer der einmal erwachten Leidenschaften deS Mohamedanerthumö gießen könnten, sondern den Dingen Zeit zu gönnen. Unter diesem Gesichtspunkte ist die Schwer- Fenrlleton» Zwei Frauen. L5f Roman von F. Martou-Erawford. Nachdruck verboten. Greif sah seinen Bruder an, als ob er ihn nicht ganz versiebe. „Ohne Dich", antwortete «r, „wäre ich gestorben, lange ehe Hilda kam. Weißt Du übrigen-, daß ich noch kein Wort über die Heirath mit Hilda und ihrer Mutter ge sprochen habe?" „DaS ist auch nicht nöthig. Du brauchst nur den Hoch zeitstag zu bestimmen." „Noch nicht", erwiderte Greif, „eS ist zu früh." „Ist eS jemals zu früh, glücklich zu sein?" „Zuweilen, aber ich werde morgen nach Wildenberg fahren, um darüber zu sprechen." „In diesem Falle wirst Du in drei Monaten ver- heiratbet sein." „Nicht so bald, daS Trauerjahr muß erst vorüber sein." „Ich denke, Du wirst im August verheirathet sein." „Ich glaube nicht." „Wir werden sehen." „Willst Du mich morgen bealeitrn, Rex?" „ES ist besser, Du fährst allein. Du wirst meiner nicht bedürfen, die Angelegenheit zu ordnen." „Aber es macht den Damen Vergnügen, Dich zu sehen", wendete Greif ein. „Bedauert Deine Cousine meine Abwesenheit, wenn sie mit Dir auf der Sonnenseite de- Walde» spazieren geht?" „Woher weißt Du, daß wir dort spazieren gingen?" lachte Greif. „Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Ihr uni diese Zeit de- Jahre- im Schatten lustwandeln werdet. Wolltest Du sagen, daß Fräulein v. Wildenberg bei solchen Gelegenheiten meine Abwesenheit bedauert?" „Hilda erkundigt sich immer, weshalb Du nicht kommst. Aber weshalb nennst Du meine Cousine nicht einfach Hilda? Ist sie nicht auch Deine Cousine?" „Sie würde auf dies« Verwandtschaft nicht besonders stolz sein, und ich zieh« vor, sie ihr nicht auszudrängen. Sie würde »ich auch nicht gern Vetter Horst nennen." „Hilda hat mindestens so viel Ursache, stolz auf die Ver wandtschaft mit Dir zu sein, wie darauf, mich zum Gatten zu nehmen", sagte Greif stehen bleibend und Rex inS Gefickt sehend. „Was immer Du in dieser Angelegenheit von Dir sagst, ist ebenso gut auf mich anzuwenden." Rex schwieg, aber er dachte an die Wahrheit, die in Greif's Worten lag und die dem Armen selbst unbekannt war und immer bleiben mußte. Auch hatte er ihm nicht alle Gründe genannt, die ihn abhielten, nach Wildenberg zu gehen. Hilda's Gegenwart berührte ihn immer unangenehm. Was er fühlte, wenn er in ihrer Nähe war, glick beinahe einer nnüberwindlicken Abneigung, die ihm selbst ganz un erklärlich war. Ihr Blick verdroß ibn, jede ihrer Bewegungen reizte seinen Zorn und der Ton ihrer Stimme verletzte sein Ohr. Selbst ihre Anmuth mißfiel ihm und er wünschte, ihr Wesen wäre plump und langsam, nicht schnell und sicher. Immer hatten ihm die Frauen Abneigung eingeflößt, aber keine in der eigenthümlichen Weise wie Hilda. Er vermuthrte, diese» Gefühl sei an dem Tage, al» sie durch ihr Erscheinen Greif dem Tode abgerungen hatte, einer lächerlichen Eifersucht entsprungen. Der unbehagliche Zu stand, in den er durch seine ungrrechtfertiate Abneigung ge- rathrn war, machte ihn wieder einmal unrufrieden nut seinem Leben, und wäre er über Greif'» Zukunft beruhigt gewesen, würde er fortgegangen und erst nach langen Jahren wieder gekehrt sein, bi« da-, wa« ihm so unangenehm, in seinem Äemüth vollkommen verwischt sein würde. Die Vorsicht verlangte jedoch, daß er blieb, bi- Alle» geordnet und Greif und Hilda verheirathet waren. Er durfte Greifenstein nicht verlassen, denn er konnte Greif noch von Nutzen sein. Rex fürchtete noch immer, daß unter den von Greif'- Vater binterlassenen Papieren ein Schriftstück de» verstorbenen Freiherrn zum Vorschein kommen könnte, in dem er seinem Sohne enthüllte, wa- Rex' selbst schonungslos offenbart worden war. Bei einem oberflächlichen Durchsuchen war nicht- entdeckt worden, aber Rex sagte sich, daß ein Mensck in solchem Augenblick da-, wa» er geschrieben hatte, wobl an einem solchen Ort verborgen haben mochte, wo er seine wichtigsten Papiere aufbewahrte. Er war entschlossen, sich an der Durchsicht der Papiere derart zu betheiiigen, daß jede» verdächtige Blatt zuerst durch seine Hände geben mußte und sich jedes Papiere», daS wie ein Brief an Greis au-sah, zu bemächtigen und eS uneröffnet zu vernichten. Nach dem, was er über den alten Baron gehört batte, glaubte er ihn säbig, seinem Sohne unumwunden die Wahr heit zu sagen und ihn aufzufordern, seinen Namen auszu geben und sich seines ganzen Vermögens zu Gunsten der Wildenbergs zu entäußern. Der alte Greifenstein war ein strenger Mann mit unbeugsamen, ihm von den Vätern überlieferten Ehrbegriffen gewesen, der, wie Rex überzeugt war, nicht zugegeben hätte, daß Greif sich unwissentlich eine- Betruges schuldig mache. Rex war eS unbegreiflich, daß Greifenstein gestorben sein sollte, ohne einige Worte für seinen Sohn zurückzulassen, und wenn er ihm gesckriebcn hatte, so war kein Zweifel über den Inhalt deS Brieses möglich. Rex that deshalb Alles, was in seinen Kräften stand, die Heirath zu beschleunigen und den bösen Tag hinauSzuschieben, an dem die Papiere durchsucht werden mußten. Die Lebensweise der Bruder gestaltete sich ein wenig un regelmäßig durch die beständigen Besuche Greif'- in Wilden berg und die gelegentliche Ankunft der Baronin und Hilda's. Die Baronin fand eS ihrer Würde nicht ganz angemessen, ihre Tochter nach Greifenstein zu bringen, aber sie sah sich ganz außer Stande, sich HildcrS entschiedenem Willen zu widersetzen. So lange Greif noch in der Genesung begriffen war, sah die Baronin nichts Unschickliches darin, fick persön lich nach dem Befinden deS jungen ManncS zu erkundigen, um so mehr, als er, um ihr diese Nachfrage zu erleichtern, ein Paar Pferde zu ihrer Verfügung gestellt hatte. Jetzt, da er wieder vollkommen gesund war, fühlte sie, daß eS trotz der Verwandtschaft nicht ganz dem Herkommen entsprach, mit ihrer Tochter einen unverheiratheten Mann zu besuche», aber sie war nicht di« Frau, einer Frage der Etikette zu ge- statten, Hilda's Glück im Wege zu stehen. E« war noch ein Element der Ungewißheit in der Lage, die ihr einige Besorgniß verursachte. Seit jener Genesung hatte Greif noch mit keinem Wort der Heirath erwähnt, obgleich sich ihm die Gelegenheit dazu schon oft geboten. Der einzige Punct, auf den sich der Eindruck stützte, daß er feinen Sinn geändert batte, war sein offenes und freimüthigeS Wesen und sein Wunsch, so viel wie möglich mit Hilda zu sammen zu sein. Die Baronin war klug genua, sich zu sagen, daß die peinliche Erinnerung an seine letzte Unterredung in Wildenberg ihn verhinderte, auf den Gegenstand zurück- zukommen, und daß ein natürliches Gefühl der Scham ibn bei dem Gedanken bescblich, da» zurückzunehmen, wa- er sich emst so unendliche Mühe gegeben hatte seftzustellen. Sie versprach sick, die Unterhaltung auf die Heirathsangclegenheit zu lenken, sobald es sich irgend thun ließ. Von allen Betheiligten war Hilda diejenige, deren Charakter sich seit den Ereignissen des letzten Winters am meisten ver ändert hatte. Es schien, als ob sie nie zuvor begriffen hätte, was sie war, noch waS sie zu vollbringen im Stande war. Von dem Tage, an dem Greif in Wilkenberg feine Weigerung auSgesprccken, sie rn hciralbcn, batte sie sick plötzlich von einem einfachen Mädchen zu einer starken, selbstbewußten und alle, die in ihren Kreis traten, unbedingt beherrschenden Frau entwickelt. Nachdem Greif sie an jenen« Tage so plötzlich verlassen, hatte sie sich dennoch so sicher ge fühlt, ihn zu heirathen, als stände sie schon vor dem Altar mit ihm. Als sie erfahren, daß er krank war, beseelte sie die Ueberzengung, daß er schnell genesen werde, und als sie ibn sterbend gefunden, hatte sie gewußt, daß sie sein Leben retten könne. Sie hatte eine Zuversicht gewonnen, die nichts zu erschüttern vermochte und gleichzeitig eine moralische Energie, die Niemand zuvor in ihr vermuthet haben würde. Die Baronin gefiel sich in der Vorstellung, daß sie noch immer jeder Regung in Hilda's Seele eine bestimmte Richtung zu geben vermöge, aber sic konnte nickt umhin, auf den starken, zielbewußten Willen ihrer Tochter stolz zu sein, denn Hilda glich ihrem Vater, einem Mann, der mit dem sanftesten Ge- müth die kühnste Entschlossenheit und Thatkraft verbunden hatte. Greif führte seine Absicht, nach Wildenberg zu fahren, einen Tag nach seiner Unterredung mit Rex au». Er fühlte, daß eS unmöglich war, seinen Widerruf noch länger HinauS zuschieben. Hilda und er verstanden einander ohne Worte, aber von der Baronin konnte er nicht erwarten, ohne eine förmliche Erklärung, auf die sie ein Recht hatte, verstanden zu werten. Vor feiner Erkrankung hatte Greif bis zum letzten Augenblick die Heirath abgclehnt, die Baronin durfte deshalb nickt nur beanspruchen, von seinen Lippen zu hören, daß er seinen Entschluß geändert habe, sondern auch um ihre Einwilligung «rsuckt zu werden. Greif wußte nickt recht, wie er daS anfangen sollte. So dankbar er jetzt Hilda und ihrer Mutter für ihre Bereitwilligkeit war, sich seiner Selbst aufopferung zu widersetzen, hatte er doch nur gethan, was das Gebot der Ehre von ihm forderte. Noch eine andere Frage war zu entsckeiden, die die bevorstehende Unterredung nicht leichter erscheinen ließ. Die Veranlassung zu der ganzen Schwierigkeit war noch nicht beseitigt, und obgleich Greif es über sich gewonnen hatte.
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