01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970615019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-15
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29S DK Morgeu-Lu-gab« erfcheint um '/,? Uhr. die Abe»d-Au«gabe Wochentag» um b Uhr. Ne-aciion und Erve-Mon: Johanne«,afir 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Übend« 7 Uhr. Filiale«: vtto Klemm'« Tortini. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 8 (Pauliuum), Laut« Lösche, Aatharinenstr. 14, Part, und Aönigsvlatz 7. Dezugs-PrelS A» brr Hauptex-edition oder den im Stadt, bewirk und den Bororten errichteten Au«- gabrstellen abgeholt: vierteljährlich ^l 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich 6.—. Direkte tägliche Krruzbandlendung in- Ausland: monatlich 7^0. Morgen-Ausgabe. WeiMger TüMM Anzeiger. Ämtsölatl des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Dienstag den 15. Juni 1897. Anzeigen-Prei- dle 6gespaltme Petitzeile L0 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4ge- spalten) bO»z, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Iinnahmeschlnß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. A. Jahrgang. Die Neugestaltung unserer Nniversttätsgebau-e. Unsere altehrwürdige Hochschule — IlniversitLS littorarum I.ip8isusi8 — begeht heute daS Weihefest ihres nach langer Bau zeit nun vollendeten neuen HeimS, und wenn sich dieser Act unter den Augen ihre« ksetor waguiLesutMiwr» und el6msnti88iinus, Sr. Majestät deS König» Albert, vollzieht, so liegt hierin wieder ein Beweis des nimmer rastenden hohen Interesses, welches die Fürsten und Könige unseres geliebten SachsenlandeS der Lima water, dem fast ein halbe» Jahrtausend alten Horte deutscher Wissenschaft, immerdar entgegengebracht haben. Ein erhöbt»- Festgepräge erhält diese Weihefestlichkeit durch die Anwesenheit Ihrer Majestät der Königin und der Prinzen de- königlichen Hause-. Mit Wehmuth mag vielleicht mancher Freund unseres Leipzig sich heut« der alten liebgewordenen Baulichkeiten, Gänge und Höfe erinnern, welche Jahrhunderte lang die Hörsäle unserer Universität beherbergt haben und die zum Theil noch die ursprüngliche Gestalt jenes Pauliner-Klosters erkennen ließen, das seit dem Jahre 1543 der Universität Unterkunft geboten hatte. Sicher entspringt eine solche Wehmuth nur historischem Interesse; ein Anblick der jetzt vollendeten prächtigen Bauten wird sie schnell verscheuchen. Wenn irgendwo das Wort angebracht erscheint, so ist eS wohl hier: „DaS Alte stürzt, es ändert sich die Zeit und neues Leben blüht aus den Ruinen." Am 2. December 1409 wurde im Nefectorium der Chor herrn zu St. Thomas im Beisein deS Markgrafen Friedrich deS Streitbaren und seines Bruders Wilhelm die Universität Leipzig gegründet, nachdem in Folge von Streitigkeiten zwischen den böhmischen und den sächsischen, baverischen und polnischen Landsmannschaften zu Prag etwa 2000 Angehörige diese alte deutsche Hochschule verlassen hatten und nach Leipzig, dem ehemaligen Lipzk, gezogen waren. Als Eigenthum erhielt die Universität von ihren fürstlichen Stiftern ein größeres Grund stück auf der Ritterstraße (Wohl daS Rothe Colleg) und ein Grundstück hinterm Schloß (daS Petrinum). Im Jahre 1441 ging das erstere Grundstück an die philosophische Facultät über, welche 145K darauf das sog. Fürstencollrg errichtete; die Wiege der Universität ist demnach auf dem Territorium zwischen Ritter- und Goethestraße zu suchen, das noch im Besitze der Universität ist. DaS zwischen 1229 und 1240 gegründete und dem Apostel Paulus gewidmete Pauler- oder Pauliner- Kloster ist auf der Stelle errichtet worden, wo Markgraf Dietrich eine der drei Zwingburgen in Lipzk hatte erbauen lassen. ES wurde 1543 aufgehoben und durch Kurfürst Moritz der Universität überwiesen. Von den alten Kloster anlagen sind augenblicklich wohl nur noch die Umfassungs mauern der Kirche erhalten, deren Bau etwa im Jahre 1231 begonnen hat. Bis zum Beginn des jetzigen Um- bez. Neubaues bestand noch ein größerer Theil der ehe maligen Klostergebäude, darunter die Kreuzgänge, der Capitel- saal, da» Bräuhaus und die Bibliothek mit dem Sommer speisehaus im Erdgeschoß. An Stelle deS jetzigen Borneri- anumS befanden sich ehedem die Schneiderei, die Schusterei und andere Wirthschaft«- und Handwerksräume der Mönche. An der UniversitätSstraße stand früher das ThorhauS mit dem Pferdestall, dem Malzhau», die Bade- und Barbierstube, der Bäckerstube mit Backofen und KornhauS; auf der Südseite schloß den Klosterhof da- steinerne HauS mit den Carcern der Mönche ab. DaS hieran anstoßende BeguinenbanS diente den Laienschwestern, welche die Besorgung der Wäsche, die Krankenpflege und sonstige Hilfeleistungen zu verrichten hatten, als Wohnung. An die Kirche selbst schloß sich entlang dem alten Stadtgraben der Zwinger an, der zur Der- tbeidigung deS Klosters diente und in feinen Grundvesten wahrscheinlich noch von der 1224 geschleiften Zwingburg Dietrich'S herrührte. Die oberen Geschosse aller der zum Hauptcomplex gehörigen Gebäude enthielten die Wohn- und Schlafgemächer der Mönche; in den mit schönen gothischen Wölbungen abgeschlossenen Räumen nach dem Kloster hofe zu war auch der vom ersten Rector Kaspar Börner auS dem Kloster übernommene Grundstock der nachmals rasch und schön erblühenden Universitätsbibliothek unter gebracht. Die Stadt Leipzig besaß zu jener Zeit schon eine Ziegelei vor dem Rannischcn Thore, in welcher „gläserne", d. h. glasirte, Ziegel angefertigt wurden. Diese waren in einer schon hochentwickelten Technik hergestellt und fanden u. A. an dem erwähnten Zwingergebäude (alias SchlafhauS) Verwendung, dessen Wanvfläche mit einem Netzwerk aus grünglasirten Ziegeln überzogen war, welches in einem Rankenwerk den in vortrefflicher künstlerischer und technischer Durchbildung auSgeführten Christuskopf abwechselnd mit einer Füllung von bunten Rosetten zeigte. Mit der Zeit und dem Wachstbum der Universität wurden die alten Räume zu eng und klein, so daß das erwähnte Zwingergrdäude im Jahre 1830 abgebrochen werken mußte. An seiner Stelle wurde als ein Landesdenkmal für König Friedrich August den Gerechten das Augusteum errichtet. Zweifellos rührt der Entwurf zu diesem Bauwerk von Schinkel her, doch ließ sich bisher nicht feststellen, in wie weit dieser große Baumeister auch bei der Ausführung betbeiligt war. Vielleicht, daß er Zeichnungen zu der Fatzave und der Aula geliefert hatte, an welch ersterer das Portal mit seinen Pilastern und Gliederungen, wir auch das Giebelfeld an die Periode Schinkel'S erinnerten, in der die besten Werke dieses Meisters entstanden, während andere Details und vorzüg lich das Gebäude-Innere mit Schinkel'scher Raumgestaltung und Durchbildung wenig gemein hatten. Tatsächlich war der Raths- und llniversitäts-Baudirector Geutebrück am Bau hervorragend betheiliat gewesen. Hervorragend schön und von einer den Wandel der Anschauungen über Schönheit in der Kunst siegreich überdauernden künstlerischen Conccption und Durchführung war die große Giebelfüllung von Meister Rietschel, welche» die vier Facultäten in köstlichen Figuren gruppen darstellt, in deren Mitte die Begeisterung, eine herr liche ideale Figur, die Schwingen regt, um deu Menschen hinauf zu führen in höhere Sphären. Aengstlich wurden diese Ueberlieferungen, diese Giebel füllung und das schöne Schinkel'sche Portal vom Architekten des Um- und Neubaues gewahrt; erstere erstand neu in Sandstein und schmückt wie ehemals den Giebel, die Stirn der Universität; das andere hat einen Ehrenplatz neben dem Augusteum erhalten. Die alten in Backstein ausgesührten Klosterbauten waren jedenfalls ziemlich prunk- und schmucklos; waS aber doch irgendwie reicher «»«gestaltet ober bemalt war, fiel dem NeinlichkeitS- und RenovationSbedürfniß des Rectors Börner zum Opfer, der Alle», was bemalt, gemeiselt oder sonstwie durch Kunst veredelt war, mit Kalk „schön weiß" übertünchen ließ. Hierunter hatten ja auch die Ge mälde im Kreuzgangr zu leiden, die nach einer Auffindung und Nestaurirung in den sechziger Jahren die Passanten des Kreuzganges erfreuten, leider aber sich nickt lange hielten, da Las von Luft und Licht wenig umspielte Mauerwerk destruirt und vermorscht und von Grundfeuchie so durchzogen war, daß weder Putz, noch Farbe daran hafteten. Das stetige Anwachsen der immer gepflegten Bibliothek legte schon lange Zeit die Erweiterung der dafür zur Ver fügung stehenden Räume dringend nahe. Die hohen gothischen Wölbungen auf den steinernen Säulen des Bibliotbekgebäudes ließen eine sachgemäße Erweiterung und einen Ausbau nicht zu, und so mußte man sich trotz schwerwiegender Bedenken gegen die Vernichtung liebgewordener Zeugen längst ver schwundener Zeiten entschließen, die alten Klosterrejte zur Er- süllung unabweisbarer Bedürfnisse preiszugeben und ein neues Gebäude für die Bibliothek zu errickten. Wohl stieß die Wahl deS Platzes für die neue Universitäts-Bibliothek im Südwestcn der Stadt, abgetrennt vom alten Universitäts anwesen, auf Befremden und Anfeindungen, und man muß zugebcn, daß Diejenigen Recht batten, welche das neue Ge bäude lieber in unmittelbarer Nähe der Universität, z. B. auf dem Platz, wo die 1. Bürgerschule stehl, zu sehen wünschten, und wir können uns denken, daß dort auf der alten Moritzbastei ein Gebäude in Noßbach'scher Formen- gebung ein trefflicher Schmuck der Stadt geworden wäre — doch auch an jetziger Stelle erfüllt die „Albertina" ihren hohen Zweck der Universität gegenüber und erfreut als bau- künstlerisch hoch bedeutsames Werk immer von Neuem. Nachdem die Bibliothcksckätze im Jahre 1891 in das neue Daheim übergcfübrt worden waren, konnte man der Frage eines umfassenden Neu- und Umbaues nahe treten, und dem Rectorale Karl Binding's siel die inhaltsvolle Aufgabe zu. eine Metamorphose der Universität zu veranlassen und in schneller Folge alle Stadien der Vorbereitung durchlaufen zu lassen. Nach unglaublich kurzer Zeit steht unsere ulma water beute vor ihrem neuen schönen und in jeder Richtung gelungenen Heim! Indem wir unserer ehrwürdigen und hochansehnlichen Hochschule zur Vollendung ihres neuen DomicilS und zu dessen Weibefeste treugemeinte und innige Segenswünsche der Leipzigei Bürgerschaft darbringen, hoffen wir, daß dieses mit reifer Ueberlegung und hohem Wissen, viel Arbeit und Mühe errichtete große Werk Jahrhunderte überdauern, daß eS noch nach abermaligem 500jährigen Abschluß hoher GeisieSlhätigkeit innerhalb seiner Manern wohl steinernen, aber beredten Mundes von der Kraft und dem Ansehen der Wissenschaft und Kunst in unserem Sachsen land und in unserem lieben Leipzig erzählen — daß aber dieses Bauwerk auch dann noch Zeugniß geben und die Erinnerung wach.halten möge an seinen hochverdienten Erbauer unseren bedeutenden Leipziger Architekten, den Baurath Arwed Roßbach. Wenden wir unS dem neuen Bauwerk eingehender zu, so glauben wir zuerst etwas berichten zu sollen von dem, worauf es bei dem Entwürfe zu diesem eigenartigen Neubau be sonders ankam und welche Erfordernisse bei Aufstellung des Bauprogramms zu Tage getreten sind. Als hauptsächlichste« Lehrmittel sind für fast alle auf den Universitäten vertretenen Wissenschaften die Vorträge und Vorlesungen anzusehen; eS nehmen daher die Hörsäle im Bauprogramm einer Universität die erste Stellung ein und bilden bei allen UniversitätSgebäuden den Grundstock. Namentlich ist vicS bei Collegienhäusern der Fall, in denen sich früher das ganze akademische Leben abspielte, die daher noch jetzt mit Vorliebe als die eigentlichen Universitäts gebäude bezeichnet werden, während sie in der Thal vor wiegend den Zwecken der humanistischen Fächer dienen. Neben den Vorträgen nehmen die praktischen Hebungen der Studirenden, die sogen. Praktika, unter Anleitung der Professoren in neuerer Zeit immer größere Bedeutung an; während früher solche Seminarien nur für die medicinischen und naturwissenschaftlichen Fächer bestanden, werden neuer dings derartige Institute auch für die humanistischen Fächer als eine unentbehrliche Ergänzung der Universität angesehen. Für den gegenwärtigen Umbau kamen hauptsächlich die Be dürfnisse der humanistischen Fächer in Frage, weil natur wissenschaftliche und medicinische Institute bereits in aus reichendem Maße errichtet worden waren. Nur für die Kunst- nnd Alterthumöwissenschaft waren hier weite Räume für ihre Sammlungen mit zu errichten, ebenso waren ausreichende Räumlichkeiten zu beschaffen für das Rcctorat, die Quäslur nebst Cassen, das kgl. Rentamt, Dienstwohnungen von Unterbeamten rc., während Convict und Fechtsaal nach der Ritterslraße verlegt werden konnten. Ein Erfrischungsraum für die Studirenden war ebenso nothwendig wie ein „fideles Gefängniß", das Carcer, mit dessen Beseitigung im alten Hause manche interessante Neminiscenz geschwunden ist. In dem Neubau waren 28 Hörsäle mit 3280 ordent lichen Sitzplätzen einzurichten; für jeden Sitzplatz sollte m den kleineren Auditorien 0,8 gm, in den größeren 0,6 bis 0,8 gm Grundfläche aufgewendet werden. Bei der Gesammtdisposition war mit festen, nicht zu verwischenden und für die Raumgestaltung grundlegenden Factoren zu rechnen: 1) mit dem alten aus Pietät thunlichst zu erhaltenden Augusteum, 2) mit der Nachbarschast der Kirche, 3) mit der Erhaltung des Bornerianums, 4) mit der Nutzbarmachung der Parterreräume des Paulinums an der UniversitätSstraße durch Anlage lucrativer Geschästslocale und endlich 5) mit der Erhaltung des Zuganges zur Universität vom AugustuSplatz und von der Universilätsstraße. Zu diesen Bedingungen trat naturgemäß die Schwierig keit, die Universität durch die großen Umwandlungen nicht allzusehr zu stören. Der kräftigen Unterstützung deS Vor standes des königl. Universitäts-Rentamtes, Herrn Com- missionsrathS Gebhardt, ist eü zu danken, daß die Universität zur Hauptsache die Räume des allen Trier'schen Institutes bezieden konnte, wo natürlich Docenten wie Hörern nicht die Bequemlichkeiten geboten werden konnten, die ihnen nun bereitet worden sind. Mit Freude wurde sogar die Eröff nung jedes neuen HörsaaleS begrüßt, und mancher erschwerte Zugang und manche Unsertigkeit gern in Kauf genommen; sah man doch immer mehr das Neue in schöner und dabei auch zweckmäßiger Form sich gestalten, konnte man ja die so lange ersehnten und entbehrten weiträumigen Auditorien be ziehen, wenn auch die festliche Weihe des gesummten An wesens noch nicht möglich war. ES würde an Raum mangeln, wollten wir beschreiben, wie der Baumeister AUeS zu ordnen und zu fügen wußte, damit dieser Bau entstand zum.Lobe der Kunst, zur Ehre der Wissenschaft, zur Freude Derer, die in ihm zu lehren berufen sind, wie Derer, welche das Glück haben, an einer solchen Stätte der Wissenschaft zu lernen. Die Einrichtung nach der neuen Planung ist schon wiederholt geschildert worden. Den neuen Universitäls- oder Paulinerhof umgeben neben dem älteren Bornrrianum das Gefälschte Autographen. Don lkrnst Ruediger (Weimar). Nachdruck verbotkn. Kürzlich durchlief di« Tagesblätter die Nachricht von einer im größten Maßstabe betriebenen Fälschung von Luther-Autographen. Mit Recht hat sie nicht nur in wissen schaftlichen, sondern auch in weiteren Kreisen bedeutende« Aufsehen erregt. Bekanntlich ging die Fälschung und der Vertrieb der angeblichen Lutherhandschriften von einem gewissen KyrieleiS in Berlin auS, der die Vvrsetzblätter alter Bibeln aus der Zeit Luther'« mit Gesangbuchvrrsrn, Bibel stellen und Widmungen Luther'» versah, während seine Frau mit den ans diese Weife hergestrllten „Lutberbibeln", Rund fahrten nach Lübeck, Bremen, Leipzig, Hannover, München, Wien und anderen Städten unternahm, wo sie die Fälschungen an Autographensammler und Bücherfreunde für tbeurr« Geld absetzte. Gewiegte Kenner haben sich soweit täuschen lassen, die Echtheit der Autographen zu beglaubigen. Dieser Fall siebt nicht vereinzelt da, ähnliche Fälschungen sind vielmehr schon wiederholt unternommen und nachgewiesen werden, Vie ein allseitige« Jnteress« wachriefen. Wie die Handschrift Luther'«, so ist auch diejenige Schiller'« fabrik mäßig zum Gegenstand der Fälscherkunst gemacht worden. Bis zum Jahre 1850 Warrn handschriftlich« Auszeichnungen Schiller'« ziemlich selten und standen daher auch doch im Preise. Erst von dieser Zeit an änderte sich das Verbältniß, so daß jetzt auf die frühere Ebb, eine wahre Hochsiuth von Schiller-Autographen folgte. Nicht nur Ver ehrer de« Dichter« und Autoaraphensammler, sondern auch Bibliotheken, wie die königlich« Bibliothek in Berlin, konnten einen reichen Schatz von handschriftlichen Auf zeichnungen Schiller'« erwerben. Unter den Käufern solcher Autographen befand sich auch der Buchhändler Baer in Frankfurt a. M., der ab«r über die Echtheit seiner Er werbungen in Zweifel gerieth und daher den Professor Dielitz in Berlin um ein Gutachten ersucht«. Dieser gab feine Ansicht d-tzin ab, daß die Autographen gefälscht seien. E« stellte sich bald heraus, daß der autoaraphische Massen artikel von Weimar au« in die Welt gesandt wurde, und zwar waren e« hier die HofrLthin Riemer und der Bibliotheks diener Große, die die Angebote erließen. Die Hosrätbin hatte außer an Privatpersonen allein an dir Königliche Bibliothek in Berlin 179 Seiten derartiger Handschriften ür den Preis von 80 FriedrickSdor im September 1852 verkauft. Diese Sammlung enthielt unter Anderem „DaS ?ird von der Glocke", „Hero und Leander", „Die Ideale", „Der Graf von Habsburg" und verschiedene Scenen auS den „Räubern", au« „FieSco", „Wallenstein", „Maria Stuart" und „Wilhelm Tell". Noch zahlreichere Abnehmer batte der Bibliotheksdiener Große gefunden. Er hat beispielsweise an den Großherzog von Weimar für mehr al« 100 Thlr., an Professor Griepenkrrl in Braunschweig für 60 Thlr. und an di« Tochter Schiller'-, die Freifrau von Gleichen-Rußwurm, für 1419 Thlr. Autographen verkauftl Sowohl dir Hofrathin, als der BibliothekSdiener waren nur Mittelspersonen. Als den Lieferanten der Handschriften nannten sie den Architekten und Geometer von Gerstenbergk in Weimar und stellten auch sofort gegen diesen Strafantrag wegen Betruges. E» wurden nun zur Prüfung der Auto graphen drei Sektionen von Sachverständigen gebildet. Den Sachverständigen lagen zur Begutachtung 415 Nummern vor, die so ziemlich Schiller'« sammtliche Werke umfaßten. Au» dem Gutachten, da« die Sektionen abgaben, seien nur die wesentlichsten Puncte hervorgehoben. Zunächst erschienen di« verwendeten Papiersorten so verschieden, als ob sie auS allen Ecken und Enden zusammeagelesrn wären. Einige davon waren allerding« in der zweiten Hälfte de» vorigen Jahrhundert« in der thüringischen Gegend gebräuchlich gewesen. Dageyen stand der vierte Theil der Handschriften auf einem Papier von so hohem Alter, daß es schon vor Schiller'« Geburt längst nicht mehr im Gebrauch gewesen sein konnte. ES konnte außerdem nachgewirsln werden, daß die Papiere theilweise künstlich behandelt waren, um ihnen den Anschein eine» höheren Alter» zu verschaffen. Sie waren graugelblich gefärbt, al« ob sie durch Kaffee wasser gezogen wären, und mit Flecken bespritzt, die von Eisenvitriol und von Lakritzensaft herrübrten. Ein zweiter Punct bezog sich auf die Handschrift. Au« der Schrift aller der angeblichen Autographen klang nämlich vielfach der sächsische Schreibdurtu« «ine« eingelernten Kanzlisten hindurch, de, bi« zu den dreißiger Jahren diese« Jahrhundert« in Thüringen üblich war und die Eigrntdümlichkeit batte, daß er, im Gegensatz zu der im Südwesten gebräuchlichen Schrift, von der Schiller nie abwich, die Grundstriche weiter nach recht« hrrunterzog. Außerdem ließen sich noch andere bedenk- licht versehe» de« Fälscher« darthun. Der Angeklagte von Gerstenbergk bestritt nachdrücklich die Fälschung und behauptete, die Handschriften von Weimarer Personen erworben zu haben, die aber bei der Eröffnung der Untersuchung bereit« sämmtlich verstorben waren. Indessen alle» Leugnen half ihm nichts; er wurde zu einem Jahr StrafarbeitShauS verurtheilt. Eine« gewissen komischen Beigeschmacks entbehrt eine Autographenfälschung nicht, die im Jahre 1868 in Frankreich spielte. In diesem Jahre erhob Michel CbaSlcS, ein Mathe matiker von europäischem Rui, den Anspruch, den Beweis führen zu wollen, daß das Gesetz über die Anziehungskraft nicht von dem Engländer Newton, sondern von dem Franzosen Blaise Pascal entdeckt worden sei. Er legte zu diesem Zweck der Akademie der Wissenschaften in Paris einen Briefwechsel zwischen Newton und Pascal aus dem Jahre 1654 vor, au« dem hervorgehen sollte, daß der Letztere dem Ersteren seine Ansichten über die in Betracht kommenden Naturerscheinungen schriftlich mitgetheilt habe. Diese Eröffnung rief nicht nur in England, sondern auch in Paris lebhaften Widerspruch hervor, und man bezweifelte verschiedentlich die Echtheit der vorgelegten Schriftstücke. Man wies auf den Unterschied der Schriftzüge in den von Cba«leS vorgezeigten Briefen PaScal'S und einem in der Nativnalbibliotbek aufbewabrten Manuskript PaScal'S bin, und Prosper Faugsre machte darauf aufmerksam, daß in einem der angeblichen Briefe PaScal'S au- dem Jahre 1652 die Rede von einer Tasse Kaffee sei, während der Kaffee erst 1669, sieben Jahre nach dem Tode Pascal'«, am französischen Hofe eingefübrt wurde. Allein CbaSleS verfocht mannhaft die Echtheit seiner Briefe, und eine Reibe namhafter Gelehrter, darunter Adolf Thier», der spätere Präsident der Republik, traten auf seine Seite. ChaSleS weigerte sich lange Zeit, dir Quelle» auS der er die Dokumente bezogen batte, anzugeben; aber endlich gab er doch dem Andrängen seiner Freunde nach und nannte als Lieferanten einen gewissen Vrain-LucaS, der al- täglicher Besucher der Pariser Nationalbibliothek bekannt war. E« wurde jetzt eine Commission ernannt, der ChaSleS seine sämmtlichen Autographen zur Prüfung auSlieferte. Ihre Zahl belief sich auf rund 27 000 Stück! Die Enthüllungen dieser Commission förderten wahrhaft Unglaubliche« zu Tage. Von den ganren angeblichen Autographen waren kaum hundert echt! Unter den Fälschungen befanden sich Briefe de« auferstandenen LazaruS an PrtruS, des VerratberS JudaS an die heilige Magdalena, von PontiuS PilatuS an den Kaiser Tiber,u«, von AlkibiadeS an PerikleS, von Kleopatra an Cato, Pompeju« und Cäsar, welch Letzterem die Ab senderin die Mittheilung machte, daß ihr Sohn Cäsarion demnächst nach Marseille kommen würde, weil dort die Lust so gesund sei!!! Und alle diese Briefe von J-raeliten, Griechen, Römern waren — in altfranzösischer Sprache ge schrieben! Man kann sich vorstellen, welch rin schallende« Gelächter sich erhob, als diese Schreiben in der Verhandlung deS gegen Vrain-Lucas eingeleiteten Processi« verlesen wurden. Vrain-Lucas hatte Bibliotbeksbeamter werden wollen, konnte aber dieses Ziel wegen ungenügender Borbildung nicht erreichen. Dem Mathematiker Michel ChaSleS gegen über hatte er vorgegeben, die Schriftstücke in einer Dach kammer gefunden zu haben, wo die Papiere des 1791 aus gewanderten Grasen Boisjourdain untergebracht worden seien. Die Sammlung deS Grafen aber rühre zum größten Theil aus dem von Ludwig XVI. angelegten Archiv her. Vrain-Lucas batte von ChaSleS gegen 140 000 Francs er halten. Er räumte die Fälschungen vor Gericht ein und wurde zu zwei Jahren Gefängniß verurtheilt. Weniger Glück hatte mit seinen Fälschungen der Armenier Schapira. Er tauchte zurrst in Deutschland auf und bot hier fünfzehn schmale Lederstreifen, die scheinbar uralt waren und vorgeblich bei einer rinbalsamirten Leiche vorgefunden sein sollten, zum Verkauf an. Mit Alkohol abgerieben, ließen sie einen mit der Rohrfeder geschriebenen Text sehen, dessen höchst alterthümlichr Zeichen auf eine Zeit von wenigstens neunhundert Jahren vor unserer Zeitrechnung zurückvcuteten. In Deutschland witterte man Unratb, und Schapira ging deshalb nach England, wo sein Fund, für den er eine Million Pfund Sterling verlangte, gewaltiges Aufsehen erregte. Ein Hebraist von Rus unternahm die Entzifferung und entdeckte bald ein Bruchstück deS zweiten Buche« Mose« mit sehr merk würdigen Texiadweichungen. Nun schickte daS französische Ministerium den Qrientalisten Clrrmont-Ganneau nach London, und dieser wie« nach, daß erstens die Israeliten und Phö nizier ihre Tobten nicht einbalsamirten; daß zweitens das Leder in dem feuchten Boden Palästinas in der langen Zeit viel mehr angegriffen sein mußte; daß dritten« da« Leder von höchsten« zwei- bi« dreihundert Jahre alten mosaischen Tborarollen herrührr, deren Text der Fälscher in das moabitisch« Alphabet der Stele de« König« Mesa umgeschrieben hab». In der Tbat wurde aus Grund diese« scharfen Gegen beweise« die Fälschung al«bald offenbar. Unwillkürlich wirst sich bei der Betrachtung derartiger Fälschungen di« Frag, auf, wie e» überhaupt möglich ist, Männer von erprobter Sachkenntniß, wie e« die Autographen- sammler zumeist sind, in so arger Weis« zu täuschen? Nun, di, Autographenfälscher geben auf ver einen Seite in der Regel außerordentlich raffiniert zu Werke, und auf der ! anderen Seit« spricht auch da« glühend« Bestreben der Antographenfreunde, immer neue, ungewöhnliche Handschriften zu erwerben, die mitunter an Manie grenzende Sammellieb« j mit. Lieb« aber macht bekanntlich — blind.
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