01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-22
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970622014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-22
- Monat1897-06
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Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um ü Uhr. Nedaction und Lrveditiou: Jahanttc»safse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrocheit geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: ktto Llemm'S Sortim. (Alfred Hahn), Universität»strabr 3 (Paulinum), Lsut» Lösche, Dathar'nenstr. 74, pari, und Vünig»pl«h 7. Morgen-Ausgabe. MpMer TaMM , Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigettPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) bO^, vor den Familiennachrichte, (6 gespalten) 40/H. Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz »ach höherem Tartj. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Druck und Verlag oon E. P olz in Lelvik-. 312. Dienstag den 22. Juni 1897. 91. Jahrgang. „Neform"-Ideen. K Hm Jahre 1893 prophezeite eine mittlerweile auS unserem politischen Leben ausgeschiedene Persönlichkeit in einem Gespräch über den Freisinn: „Ja, er ist todt, aber unter Wilhelm II. wird das Wunder gewirkt werden, ihn in» Leben zurückzurufen.* DaS Wort fand Niemandes Zu stimmung. Heute aber rechnet die „Kreuzzeitung* mit einem Anschwellen des Freisinn». Der „Zug «ach links" sei keine Erfindung. DaS Blatt führt au», wenn eine Partei, die keine Leistungen aufzuweisen habe, der nur noch „die Börsianer und die Juden" treu geblieben seien, „in letzter Zeit wieder einigen Aufschwung nehmen konnte, so ist da» nur dadurch zu erklären, daß die Regierung große Fehler beging. Da» Hinundher der Regierungspolitik, die fortdauernden Schwankungen de» StaatSschiffe» haben ibn wieder auf gerüttelt. Der Zickzackcur» nützt naturgemäß den Parteien, die von der Agitation leben und anti-autoritär sind. Es kann nicht Wunder nehmen, wie bei diesem Zustande der Freisinn wieder etwas zu Kräften kam; konnte er hier doch die Waffe schwingen, welche stets seine Stärk« war: die der Kritik". Das ist Wahrheit, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Die „Kreuzzeitung hätte hinzufügen sollen, daß auch die extrem agrarische Opposition, die ausschweifenden Forderungen des Bundes der Landwirlhe eine Reaktion hervorgerufen haben, die dem anderen Extrem, dem Manchesterthum, zu Gute kommt. DaS konservative Blatt glaubt nicht, daß diese „freisinnige Renaissance" von Dauer sein werde, da die Partei eben Nie mandem als nur einer ganz kleinen Gruppe etwas zu bieten vermöge. Wir sind dessen nicht so sicher. Wenn in einer Zeit, in der die wirthschaftlichen Kämpfe alles Andere in den Hintergrund gedrängt haben, allmählich wieder eine Partei Geltung zu erlangen beginnt, die wirthschaftlich konsequent versagt hat, so müsse« die politischen Uebelstände außer ordentlich schwer empfunden werden. Wenn sie weiter eine Entwickelung nehmen, die die rein kritische Behandlung der öffentlichen Dinge zu der begehrtesten Methode macht, dann wird die Erwartung der „Kreuzzeitung" nicht in Erfüllung gehe«. Von dem Gelingen der neuen Anläufe zur Schaffung geordneter Regierungsverhältnisse wird eS abhängen, ob der bürgerliche Radikalismus weiter erstarkt oder in sein Grab zurücksteigt. Schlagen jene Anläufe fehl, oder wird, waS noch schlimmer wäre, etwas Neues geschaffen, ohne daß die Rückkehr des alten Zustandes verhindert werden kann, dann wird, da der socialdemokratische Stimmzettel doch nicht Jedermanns Sache ist, der Freisinn ein» der beiden Sammelbecken des überall hoch angeschwollenen Pessimismus abgeben. Bei uns in Sachsen gerade nicht, aber im größeren Theile des übrigen Deutschlands. Er verräth denn auch, wie schon bemerkt, großes Unbehagen gegenüber den schwebenden Projekten, Dies wird sich aber verlieren, wenn sich Herr v. Miquel nicht solcher Freunde zu erwehren weiß, wie in der „Post" ihm einer erstanden ist, der Folgendes schreibt: „Zu den Aufgaben, welche im Reiche zweifellos in nächster Zeit zu lösen sind, gehört die Neuordnung der sinanziellen Seite der Postverwaltung. Formell liefert die Reichspostverwaltung allerdings noch einen Uebrrschuß. In Wirklichkeit aber ist davon nicht die Rede. Zunächst gehen davon ab die Zinsen der für Telegraphenzwecke gemachten Anleihen und die auS dem allgemeinen PensionSfond» zahlbaren Pensionen an Postbeamte. Vor Allem aber fällt ins Gewicht die theilS kostenfreie, theils doch zu ehr billigen Preisen erfolgende Beförderung eines großen TheileS der Postsendungen durch die Bahnen. Der Ausfall an Frachteinnahmen, welcher durch diese auf dem Reichs- postgesetz beruhende Belastung den preußischen Staatsbahnen er wächst, beziffert sich allein auf ungefähr 24 Millionen Mark im Jahr. In diesen unvergüteten oder doch nicht nach ihrem Werth vergüteten Leistungen der Eisenbahnen liegt an sich eine starke Versuchung zur Unwirthschaftlichkeit. Die Postverwaltung wird dadurch versucht, populäre Verkehrserleichterungen auch dann eintreten zu lassen, wenn in Folge davon die Verkehrseinnahmen hinter den Betriebsausgaben zurück bleiben. Man hat in dieser Hinsicht u. A. auf dasFünfzigpfennig- Packetporto hingewiesen. Ob es richtig ist, daß diese Ein- richtung finanziell nur dadurch möglich ist, daß die Postsendungen auf den Bahnen umsonst oder nahezu umsonst gefahren werden, läßt sich mit voller Sicherheit nicht beurtheilen; unwahr scheinlich aber ist es sicher reicht. Man wird aber auch ver langen können und müssen, daß die Postverwaltung nicht nur auch die nicht auf ihren Etat fallenden postalischen Ausgaben deckt, sondern auch über den Geldbetrag der Belastung der Bahnen noch einen gewissen Uebrrschuß liefert. Wie man ohne Beeinträchtigung von Berkehrsinteressen zu einer sicheren finanziellen Leistung einer Betriebsverwaltung gelangt, zeigt das Beispiel der preußischen Staatsbahnverwaltung, bei welcher der An- theil der Betriebseinnahmen, welcher von den Betriebsausgaben aufgezehrt wird, sich unter Minister Thielen von Jahr zu Jahr vermindert hat. Rücksichtslose Beseitigung jeglichen Ver kehrsluxus und Beschränkung des Personals auf das unbedingt Nothweadigr sind vor Allem die beiden Mittel zur Erreichung dieses Ziele» gewesen. Bei der Postverwaltuug dürste neben den Bauten namentlich der letztere Punkt scharf ins Auge zu fassen sein und zwar auch nach der Richtung, ob nicht vielfach da» Personal für die von ihm zu verrichtenden Dienste viel zu hoch qualificirt ist. Mit der Forderung größerer Rentabilität der Reichspostverwaltung tritt man dem hochverdienten ersten General- postmeister des Reiches so wenig zu nahe, wie Lurch die finanziellen Reformen in der preußischen Eisenbahnverwaltung dem nicht minder hochverdienten Begründer des preußischen Staalsbahnsyslems. Die überaus günstigen finanziellen Ergebnisse anderer Postverwaltungen, namentlich der britischen, mahnen dringend zur Nachfolge." Diese unzeitgemäße Betrachtung wird von den Gegnern des Herrn von Miquel auf dessen Conto geschrieben werden, von dem eS bekannt ist, daß er das finanzielle Verhällniß von Post und Eisenbahn mißbilligt. Sehr möglich ist aber, daß gar nicht dem preußischen Finanzminister, sondern einem Candidaten für das ReichSpostaml ein Liebesdienst erwiesen werden soll. ES wäre das denkbar schlechteste Debüt des in Aussicht genommenen allerneuesten CurseS, wenn er bestehende populäre VerkehrSerleichterungen aufhöbe, die Zahl der Postbeamten reducirte — dies nebenbei aus Kosten der gleichfalls populären Sonntagsruhe der Beamten — und eine Rechnung aufmachte, in der preußisch-particularistische Posten nicht fehlen würden. Es ist richtig, die preußischen Eisenbahnen befördern die Sachen der Reichspost beinahe umsonst, aber früher, zur Zeit der Privateisenbahnen, fuhren sie die preußischen Post sachen ganz umsonst. WaS die Ersparnisse im Betriebe angeht, so hat auch Herr v. Stephan nicht als Vertbuer gegolten. DaS einzige Gebiet, auf dem er sich splendid zeigte, war das Bauwesen. Es gehört aber unseres Erachtens zu den großen Verdiensten dieses Mannes, daß er auch in einer Zeil, wo die Culturaufgaben sonst litten, etwas für die Kunst und dadurch und darüber hinaus durch eine würdige Repräsentation einer Reichsanstalt außerhalb Preußens den ReichSgebanken befestigte. Jedenfalls wäre diese ganze von der „Post" plaibirte „Reform" des PostwesenS ein sehr beschwerliches Gepäckstück für „kommende" Männer. Und es würde Herrn vr. v. Miquel nicht leichter werden, wenn es ihm ein Mann trüge, der sich als aktiver Officier durch Mangel an militairischer Auszeichnung und als Abgeordneter durch eine dieser durchaus entsprechende Unbedeutendheit ausgezeichnet bat. Es ist ganz richtig, wenn man sagt, die bureaukratische Schulung biete keine Gewähr für die Ausfüllung einer Stelle wie die des StaatSsecretairs des Reichspostamts. Aber ebenso richtig ist, daß das Fehlen der Geschäft skennt- niß für sich allein noch keinen Rückschluß auf den Besitz von schöpferischen Ideen gestattet. Deutsches Reich. 2 Dresden, 2l. Juni. Unter dem Vorsitz deS Königs trat heute Vormittag das Schiedsgericht in der Lippe- schen Thronfolgefrage im Residenzscblosse zusammen. Es geschah dies gemäß Artikel 4 deS Schiedsvertrages, nachdem den Parteien vor der Fällung der Entscheidung Ge legenheit zu geben ist, ihre Ansprüche vor dem Schiedsgericht in kontradiktorischer Verhandlung zu begründen. Die heutige erste Sitzung begann Vormittags 11 Uhr. Vorher hatte der König die Vertreter und Rechtsanwälte der Parteien, und zwar den Staatsminister Wirklichen Geheimen Rath von Wernern, Ercellenz, und Justizrath vr. De iß für die fürstliche Linie Schaumburg-Lippe, Geheimen Justizrath Professor dr. Kahl und Justizratb Erythropel für die gräfliche Linie Lippe-Biesterfelv, Regierungsrath Georg Graf und Edlen Herrn zur Lippe-Biesterfeld- Weißenfeld und Rechtsanwalt vr. Kranz für die gräfliche Linie Lippe-Weißenfeld in Audienz empfangen. Nachmittags r/22—2 Ubr wurde die Sitzung unterbrochen und ein gemein sames Frühstück im Gobelinzimmer der ersten Etage eingenom men. Nach dem Frühstück fand Fortsetzung der Berathung statt. Abends ist »/,7 Ubr im Spiegelsaale des Residenz schlosse Tafel, an welcher der Köniz mit den Herren des Dienstes tbeilnehmen wird und zu der Einladungen an fol gende Herren ergangen waren: an die Staatsminister Or. Schurig und v. Metsch, an die Mitglieder des Schiedsgerichts: Präsident des Reichsgerichts Wirkt. Geh. Rath v. Oehlscklager, Excellenz, SenalSpräsidenten deS Reichsgerichts vr. Bingner und vr. Peterssen und NeichSgerichtsräthe Or. Bolze, Müller und v. Ehe, ferner an die obengenannten Vertreter und Rechtsanwälte der Parteien, sowie an den Legalionssecretair v. Nostitz-Drzewiecki. — Morgen wird das Schiedsgericht zu einer nochmaligen Sitzung zusammentreten. X. Dresden, 21. Juni. Augenblicklich macht eine von hier datirte Meldung die Runde durch die Presse, wonach in diesem Jahre im Königreich Sachsen tschechische Arbeiter und Arbeiterinnen zu vielen Hunderten be schäftigt und am Freiberger Justizgebäude die Bekannt machungen des VersicherungsamteS auch in tschechischer Sprache angeschlagen würden. Indessen werden tschechische Arbeitskräfte nicht erst seit diesem Jahre zu Hunderten in Sacksen beschäftigt, sondern schon seit Jahrzehnten arbeiten in Sachsen viele Tausende von Tschechen. Die großen Schneider meister, Schuhfabriken, theilweise auch die Tischlereien und Möbelfabriken in Dresden beschäftigen überwiegend tschechische Arbeitskräfte. Vereinzelt ist dies auch schon in Chemnitz und Leipzig der Fall. Als Dienstmädchen, Näherinnen, Putz macherinnen, Verkäuferinnen u. s. w. finden viele Taufende von Tschechinnen in Sachsen ihr Brod. Die österreichischen Kellner der Wiener CafsS in Sachsen sind etwa zu einem Dritttheil Tschechen, die sich aber nickt als solche, sondern als „Weaner" geriren. Man braucht nur im Dresdener Adreßbuch die Buchstaben C, W, Z u. s. w. aufzuschlagen, um dort viele Hunderte rein tschechischer Namen zu finden. Ja auf gewissen Seiten des Dresdener Adreßbuches findet man fast ausschließlich tschechische und nur ganz vereinzelt deutsche Namen. Ein be kannter Dresdener Schneidermeister, der über 40 Gesellen beschäftigt, hat unter diesen Gesellen nur fünf Deutsche. Als ihm einmal der Vorwurf gemacht wurde, daß er so wenig deutschen Arbeitern, dafür aber fremden Brod gäbe, antwortete er: „Die Tschechen sind billiger und fleißiger!" Uebrigens studiren auch am Dresdener Polytechnikum, an der Tharandter Forstakademie, an der Freiberger Bergakademie in Mittweida n. s.w. schon seitlangenJabren regelmäßig viel Tschechen. Fürfdie in Deutschland lebenden Tschechen wird übrigens auch eine eigene tschechische Zeitung, „Vlust," betitelt, herausgegeben, welche in Berlin erscheint. Auch giebt es in Sachsen viele tschechische Vereine, so in Bautzen (Oesü^ 8polek „k^Iack^), in Dresden (Leskos! spolek „Kip"), in Chemnitz („VlustimU"), in Leipzig (Oeskosl. spolek „VuUcrv"), in Meißen (Leskos! spolek „Voluost"), in Potschappel („kokrok") u. s. w. Die Zahl der Tschechen in Sachsen beträgt mindestens 40 000. Auf dem Magdeburger Bahnbof in Leipzig, den jährlich viele Tausende tschechischer Auswanderer auf der Reise nach Hamburg oder Bremen passiren und wo diese Auswanderer sich gewöhnlich restauriren, hangt im Nestau- rationssaale dritter Classe links vom Eingänge ein großes Preisverzeichniß aller am Buffet käuflichen Speisen und Ge tränke in tschechischer Sprache. Schreiber dieses überzeugte sich auch im vorigen Winter persönlich, daß ein Kellner auf dem Magdeburger Bahnhöfe zu Leipzig Tschechisch verstand. Uebrigens sind die Mitglieder vieler herumziehender „Tiroler" Musikkapellen — Tschechen und Tschechinnen, die, obwohl ihre FsuiHetsn. Leipzig. DaS Urtheil anderer Leute ist immer interessant, eS möge ausfallen wie es wolle. Die „Köln. Ztg." briugt jetzt eine Reihe Artikel über Leipzig, von denen wir den ersten hier folgen lassen: Daß Dresden allerlei äußere Vorzüge vor seiner Neben buhlerin Leipzig hat, dürfte kaum zu bestreiten sein. Aber dieses, wie eS nicht selten geschieht, zu Ehren der Königsstadt zu verkleinern, will mir doch ein große» Unrecht scheinen. Klänge eS nicht als allzu wohlfeile Wendung, würde ich gern und auS aufrichtiger Gesinnung heraus hier wiederholen, waS Goethe seinem Studenten in Auerbach'S Keller in den Mund legt. Gewiß, Leipzig ist eine bürgerliche Stadt in seinem ganzen Wesen, aber von solcher Bürgerlichkeit, wie sie unserm Zeitalter Wohl entspricht, Reichthum und Leben-kunst ver- rathend, dem vollauf und in manchem Sinne mehr noch al« Dresden genügend: da» eben, waS man eine Großstadt nennt, im stummen Bilde der Straßen und Plätze sowohl, wie im Treiben der Menschen. Dabei ist Leipzig aber auch eine Stadt, die eine starke besondere OrtSsarbe hat, 'keinen DurckschnittSanstrich. Obwohl man eS nicht mit gewissen alterthümlichen Städten Deutschlands in Ver gleich bringen kann, hat e» doch redende Steine und dazu allerlei Besonderheiten deS Alltagslebens. Wenn man von den Bahnhöfen kommt, am AugustuS- und am zRoßplatz macht die Stadt ein gewaltig vornehmes Gesicht. Weit räumig sind diese Plätze mit schönen Anlagen und Pracht gebäuden, wie das neue Theater, die Kunstakademie (gemeint ist das Museum), die Oberpostdirection, die neue Universität, der prachtvolle Mendelbrunne« mit bvhem Obelisken und reichen Bronzegruppen, vo« denen die Wasser mächtig nieder rauschen. DaS mißt sich mit Berlin, würde in Pari» zu den schönsten Punkten der Stadt gehören und redet in stolzer Sprache von der Eigenart deutscher Städteeotwickelung, die nie und nimmer eine einzige Metropole und verkümmerte Provinzstädte zuläßt. In den ersten Tagen meiner Anwesenheit war da« monumentale Bild dieser Plätze eigenartig bewegt durch eine Menge von Kram- und Schaubude«, Anhängseln und Urberbleibseln der Ostermeffe. Ich sage absichtlich „eigen- artig bewegt". Ich konnte mich nicht ärgern über diese Schädigung de» rein architektonischen Bilde», denn mag e» auch nicht für eine moderne Großstadt passen und soll e» damit auch in Leipzig bald sein Ende habe», ich höre e« nicht ungeru da- Gelärm der Drehorgeln, sehr dea drehenden Earrousseln wohl auch rin Weilchen zu und die Rhetorik der SchaubudenauSrufer macht mir Spaß. Zwei berühmt« Straßen führen in paS Herz Leipzigs, nach dem Markt, daS sino die Peters- und die Grimmaische Straße. Ist eS doch in dieser Leipziger Altstadt schön! Entzückend schmutzig-schwarz sind die Häuser mit den Barockthoren und den Erkern. In tiefe Höfe geht es hinein. Dort wohnt nicht, wie in Hamburg, allerlei armselig Volk. Geschäftsräume sind darin, Kaffee däuser, Weinwirthschaften und Golt Lob nur zum geringeren Theile zu modernen „Passagen" auSgebaut, dienen sie, wie eS auch in München bis in die neueste Zeit der Brauch war, bi» zum späte« Abend als wegkürzende Straßen- Verbindungen für die Ortskundigen. Sie haben auch beute noch zum großen Theil ihre besonderen Namen, diese weitläufigen Grundstücke der Durchgangshäuser. Im Hofe des Grundstücks „Zur großen Feuerkungel" am Neu markt wohnte z. B. Goethe als Student, und Auerbach'S Keller heißt auch nur so, weil daS ganze Gebäude Auerbachs Hof benannt ist. Die zahlreichen Firmenschilder und das rege Menschen- und Fuhrwerkstreiben in den übrigens an sehnlich breiten Hauptstraßen kündet uns die große Handels stadt, und dem regen Straßenverkehr entspricht die große Zahl von WirthSstuben aller Art. Daneben fehlt eS nicht an ganz engen Seitengäßchen, die kein Fuhrwerk passiren kann. Wie in der PelerS- und Grimmaischen Straße, so siebt eS in der Reich»- und Hainstrabe auS. Die Neubauten, die au» dem grau-schwärzlichen Ton ihrer Umgebung grell herausfallen, suchen mit richtiger Pietät sich im Stile an ihre Nachbarschaft anzuschmiegen. Sie sind noch nicht so zahl reich, daß sie die Stimmung störten. Diese Stimmung aber war mir ein Hochgenuß. Ja, dieses Alt-Leipzig ist ein schmutzige», finstere« Nest. Aber tiefes Mitleid habe ich mit den Menschen, die daraus nickt gleich mir Gewinn ziehen, denen nur wohl ist angesichts einer langen Straßenzeile grellheller Eementfronten oder zwischen dea neugetünchten Wänden eines alterthümlichen Bierpalastes. In Dresden haben die Allongeperrücken und die Zöpfe sich sozusagen auf eine kleine Insel zurückziehen müssen, wo sie nur noch im Dienste deS Fremdenverkehrs geistern dürfen. In Leipzig spukt eS frisch fröhlich am bellen Tage. An den kleinen Fenstern, unter den dunkel« Thvrbogen, auf den ausgetretenen Stufen der breiten alten Holztreppen sind sie für zeven, der nur ernstlich will, zu sehen, die alten Matronen in den Spitzenhauden, die Demoisellen mit den klappernden hohen Absätzen, die schnupfenden Principale, die krummrückigen Buch halter, die eilfertigen Barbiere, die gedankenvoll den Stock auf dem Rücken ballenden Professoren. Es riecht überall nach alten Büchern uad Mottenpulver, eiserne Tbürriegel klappern, kable Dichterschädel mit welken Lorbeerkränzen liegen in den Ecken unter den Treppe« neben rostigen Schlägern, „Herr Doktor" flüstert» da und dort. Auf dem Marktplatz« streckt sich der alter-grau«, mehrfach gegiebelte, mehr nach der Breite al» nach der Höhe wirkende Renaissancebau deS Ratbhause«, an den sich kleiae Kaufläden angeklebt haben, di« auch so recht geeignet erscheinen, in irgend einer unheimlich roman tischen Spuk- und Abenlenergcschichte eine Rolle zu spielen. Da werden wir aus unseren Phantastereien zur Gegenwart geweckt durch das Siegesdenkmal Siemering'S, wobl eines der schönsten Deutschlands. Hoch oben stebt Germania, auf den Schild gestützt, das Schwert über die Schulter gelegt. Am Sockel sitzt Wilhelm I. aus dem Throne, ihn umgeben seine Palla- dine zu Pferde und das Gewoge der siegreichen Fahnen. Ehe wir uns noch reckt klar darüber geworden sind, wie wir diese schmet ternde Fanfare der neuen Zeit mit Len altmodischen Melodien, die die ganze Gegend dnrchklingen, vereinen sollen, stehen wir in der Nicolaistraße. Sie und der unmittelbar nabe Brühl sind das Leipziger Judenviertel, das sich, wenn auch nicht ganz wie im «inne des OstenS, doch deutlich charakteristisch erhalten hat. Der eigentliche Kaftanjude taucht außerhalb der Messezeit nur vereinzelt, wenn auch nicht gerade selten auf. Dagegen haben sich die ortsansässigen Juden, wenn sie auch modisch gekleidet geben, in Haltung, Rede und Geberde bas bezeichnende Wesen noch vollauf bewahrt, wozu auch tie Sitte gehört, sich in Gruppen aus dem Bürgersteig zu lebhafter Unterhaltung zusammenzufinden. Diese Juden, die da die geo graphische Lage Leipzigs in besonderer Weise verschieben, sind hauptsächlich am Pelz-und Fellhandel betheiligt,der in der„Brühl" genannten Straße, zumal während der Messe, seinen Hauptsiy bat und daß eben dieser Pelzbankel Leipzigs dieses in eine un mittelbare und sehr bedeutsame Verbindung mit Rußland bringt, dürfte den meisten Lesern bekannt sein. Die kostbaren russischen Pelze sind in Leipzig, wohin sie zur Zurichtung geschickt werden, wohlfeiler zu bekommen als in Moskau, und die Leipziger Messe bestimmt auch für Rußland die Preise der Rauchwaaren. Aber der Brühl ist noch in anderer Art, als durch Juden und Pelzkandel berühmt. Dort wohnte Kälbchen Schönkopf, Goetbe's Geliebte, und dort stand Richard Wagner'S Geburtshaus. Vom Brühl führt uns der Weg zum alten Theater, dem unscheinbaren Gebäude, in dem einst Laube herrschte, viele Künstler ihre ersten Triumphe errangen und sich heftige Kämpfe ereigneten, denn mehr noch al» heute waren die Leipziger vor Jahrzehnten Theaterschwärmer, und zu den Ge- burtSrechten des Leipzigers gehörte e», seine Meinung inThrater- angelegenbeiten abgeben zu dürfen. Ich habe schon vorher der zahl reichen Wirtbshäuser aller Rangstufen Erwähnung gethan, die uns bei einem Rundgange durck di« alte Stadt ansfallen. E» finden sich darunter uralte Kaffeestuben im ersten Stock werke, mit verräucherten Decken und altmodischen Bildern, in denen man den eckten Leipziger bei Billard- und Karten spiel, Zeitunglesen und politischer Kannegießerei beobacktcn und jene überaus wunderlichen Gestalten finden kann, die auch in Wien und München gerade in den ältesten Kaffee- bäusern, nickt in den modernen Pracktsälen dieser Art und nicht in den Bier- und Weinstuben zu sehen sind, Figuren auS Raabe'schen Romanen, mit sonderbarer Kleider- und Haartracht und dabei einem deutlichen Anstrich besserer Bildung und beschränkterer Einkünfte, daneben alte, gebückte, ver runzelte Männchen, die irgendwo in einem dunklen Gäßchen Hausen müssen — Leute, die einem stoffgierigen Feuilletonisten viel erzählen könnten, wenn sie nicht statt dessen jeden Fremden, den sie in dem kleinen Raum treffen, so mißtrauisch ver wundert ansäben. Vor Allem aber handelt es sich darum, eine „Goseichänke" zu besuchen. Die Gose, ein Weizenbier, ist eine Besonderheit Leipzigs, die in ihrer echtesten und dem Leipziger allein würdig erscheinenden Gestalt nicht in der Stadt selbst, sondern auf dem Rittergute Döllnitz zwischen Leipzig und Halle erzeugt wird und zwar, wie mir ein Sachkenner mit ernster Miene sagte, in einem ge- heimnißvollen Verfahren. Der etwas säuerliche, stark hefe ballige Trank wird in seltsam geformten Flaschen mit sehr langem Halse und einem an die Würzburger Bocksbeutelflasche erinnern den Körverdargcbolen und aus langen, schmalen Kelchen getrunken. Niedrig ist die Thür, durch die wir eintrelen, niedrig die kleine Stube, die dicht gefüllt ist von Zechern, so daß uns die langen Flaschenhälse und die langen Trinkgläser in reicher Zahl entgegenwinken. Eine Harfenistin würzt durch ibre Kunst leistungen den Trank. Es ist nicht leicht Platz zu finden, denn die runden Tiscke sind fast durchweg Stammsitze wackerer Bürger. Ueber jedem Stammtische steht an der Wand dessen oft sonderbar klingender Name. Em guter Einfall deutschen Zecherbumors war cs, einen dieser Stammtische in dem qualmersüllten Raume „Luftkurort" zu laufen. Viele Gosen schänken giebt es in Leipzig, höchsten Ruhm hat aber die im Vororte Eutritzsch. Ein stattliches ländliches Wirthshans mit größeren Gartenanlagen, sammelt diese Schänke an schönen Sommersonntagen Bürger und Studenten zu ein trächtigem Gosentrunke, und ehe man mit der elektrischen B.ihn nach Hause fährt, geht es noch nebenan in die „Kümmelapotheke", wo ein Schnäpschen den Trunk besser verdauen hilft. Die Gose hat im Leipziger Kleinbürgertbum ihre eifervollen Priester, die mit Würbe alltäglich zu bestimmter Stunde sich vor die langhalsige Flasche setzen und Labei alle die armen Menschen bedauern, die keine Leipziger sind. Wer deutsches Kneipenleben zum Specialstudium machen will, findet in Leipzig reichlichen Stoff zu allerlei originellen Beobachtungen, aber Jedermann wird „Auerbach'S Keller" besuchen. Eigent lich ist da nicht viel Anderes zu seben, als in der oberen Stube recht interessante, in Gla« und Rahmen gefaßte, an Goethe erinnernde Schriftstücke und, vom weindurckdufteten Kellerdunste arg verdunkelt, alte Bilder aus der Faustsage an den Wänden de« unteren Stübchen«. Aber e» giebt einen guten Tropfen dort, und e« klingt doch ander«, wenn man in einem WirtbShause zecht, da» ein Classiker berühmt gemacht bat, al» in einem ankern.
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