01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-13
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970713016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-13
- Monat1897-07
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Der Gesetzesvorschlag der Regierung war hochpolitischen Charakters; er verlangte weitestgehende Vollmachten gegen alle innere Gefahr, dazu das bedingungslose Vertrauen zur Verwaltung, insbesondere zur Polizeibehörde, daß sie selbst in ihren untergeordnete« Werk zeugen den rechten Unterschied zwischen wirklicher und vermeintlicher Gefahr jederzeit erkennen und in der Anwendung jener Vollmachten überall die rechten Grenzen einhalten werde. Der Gesetzesvorschlag konnte nicht anders als im Sinne einer politischen Action von großer Tragweite verstanden werden. Eben darum begann die innere Verwirrung schon in dem Augenblick, als die Negierung ihre Erläuterungen zu dem Entwurf — zuerst die gedruckte Begründung, nachher die mündlichen Ergänzungen des Reichskanzlers und des Ministers des Innern — zum Besten gab. Nirgends erfuhr ma», ob denn überhaupt für die Regierung eine ernstere Veranlassung hervorgetreten war, derartige Vollmachten zu begehren. Noch weniger wußte man am Regierungstische irgend- welche Auskunft zu geben, wie man sich die Handhabung der verlangten Vollmachten vorstelle, wie man also die als Brdürfniß geltend gemachte Sicherung des Staates und des öffentlichen Friedens wirksam zu vollfübren denke. Am allerwenigsten er- fuhr man von den Vertretern der Staatsregierung, welche inneren Gefahren es wohl geben könnte, die gerade nur in Preußen drohend das Haupt erhoben hätten, nicht vielmehr gemeinsame Ge fahren für das gesammte Reich und dessen öffentlichen Frieden wären. Was andeutungsweise an solchen Gefahren bezeichnet wurde, war jedenfalls lediglich von solcher Art, daß die Central gewalt im Bundesstaate, d. h. die Gesetzgebung des Reiches, hcrausgcfordert erscheinen mußte, auf Abwehr bedacht zu sein; namentlich wurde ja auf Anarchisten, Socialisteu, Welfen und Polen verwiesen, durch deren Umtriebe der öffentliche Frieden auf die Dauer gefährdet sei. Fragte man aber, warum denn Preußen nicht seinen Einfluß im Bundesrath gebrauche, damit die gesetz- gebenden Faktoren im Reiche wegen einer verstärkten Gewähr des inneren Friedens in Anspruch genommen würden, so lautete die verlegene Antwort: im Reiche sei es zur Zeit nicht angängig, die Hebel Liescrhalb in Bewegung zu setzen. Warum nicht? Auf diest Frage gab es überhaupt keine Antwort mehr, aber Jedermann konnte sie sich selbst geben: im Reichstag ist Lentrum Trumps, und es würde zuvor einen muthvollen Kampf um die Unabhängig keit der Reichspolitik vom Centrum erfordern, ehe man im Reiche und von Reichs wegen die Fragen der inneren Friedensgewähr wieder in Angriff nehmen dürfte. Um diesem Kampfe auszuweichen, suchte man das Ziel auf dem Umweg der Landesgesetzgrbung zu erreichen. Dort ist ja — Bayern und Württemberg ausgenommen — überall eine Mehrheit von Gemäßigt-Liberalen und Tonservativen vorhanden. So schwächlich diese Politik der Umwege, so unzulänglich mußte schon an uud für sich deren Vertretung gegenüber der preußischen Volksvertretung sein; sie war aber noch unzulänglicher, al» es in der Sache selbst geboten war, wenn rS überhaupt gestattet ist, von einer „Vertretung" zu sprechen. Eine Staatsregierung, die nach einem sicheren Ziele strebt« und hierbei im Einvernehmen mit einer Regieruug-mehrheit bezw. al» deren Führerin handelte, wurde nirgends bemerkt. Die erdrückende Mehrheit des Abgeordneten hauses — Freiconservative, Nationalliberale, Centrum, Polen und Freisinnige — lehnten es von vornherein ab, der Regierung die von ihr geforderten gemeinrechtlichen Vollmachten auszustellen. Die Staatsregierung machte nicht die geringsten Anstalten, ihre Forderung zu vertheidigen; der Minister des Innern zuckte nicht mit der Wimper, als diese erdrückende Mehrheit über den Regierungs vorschlag glatt zur Tagesordnung überging. Die Deutschconser- vativen beantragten anstandshalber in erster Linie Wiederherstellung der Regierungsvorlage, erhoben sich auch, als eS über diesen Antrag zur Abstimmung kam — aber so nachlässig und theilnahmlos, als seien sie selbst vom Alp erst befreit, wenn diese Förmlichkeit erfüllt sein würde. In derart verletzenden Formen ist denn Loch noch keine Staatsregierung in Preußen von ihren eigenen Freunden bei Seite geschoben worden. Nachdem eS geschehen, einigten sich Frei- und Deutschconservative wieder, um nun zu versuchen, wie weit sie au» eigener Weisheit und Erkenntniß Staatspolitik und Gesetzgebüngskunst betreiben könnten. Der einzige in der Regierungspolitik erkennbare Gedanke lief darauf hinaus, die liberale Mitte ganz oder doch zu einem hin reichenden Bruchtheil mit der Rechten zu verbinden, damit eine Mehr- Helt daraus würde. Mit dem gemeinrechtlichen Vorschlag war das nicht zu erreichen — ihn hatten ja selbst die Freiconjervativen ab gelehnt und die Deutschconsrrvativrn kaum ernsthaft unterstützt. Also wurde eS mit einem auSnahmerechtlichen Ersatzvorschlag versucht. Als Antragsteller traten di« Freiconservative» in Action. Die Terminologie wurde einfach dem ehemaligen Socialistengesetz ent lehnt; eine vieldeutige Erweiterung sollte aber auch ermöglichen, daß die Polizei den Dänen, Welfen, Polen «nd sonstigen Gegnern der gegenwärtigen bundesstaatlichen Ordnung, nebst ihnen aber auch den Schwarmgeistern L in Naumann, Adolf Wagner u. s. w. an den Kragen kommen könnte. Ein Ausnahmegesetz für Preußen allein! Und was sagte di« Regierung zu einem solchen Vorschlag? Nicht-, den« es schien keine Regierung zu geben. Man sah immer nur einen Minister des Innern schweigend auf seinem Platze sitzen. Wie wenn die» alles ihn am wenigftrn anginge, war er stummer Zeuge de- Berlanfes der Dinge. Bei alledem lag die Entscheidung in den Hände« der national- liberalen Partei. Es ist schon erwähnt, daß sie mit den Frei- konservativen auf der einen, den Klerikalen, Polen und Freisinnigen auf der anderen Seite zusammenstand, um die gemeinrechtlichen Vollmachten des Regierungsoorschlags abzulehnen. Ebenso ein- mülhig wies sie aber auch die ausnahmerechtlichen Vollmachten des freiconservativen Ersatzvorschlages von der Hand. Eia einzelnes Mitglied der Laudtagssraction glaubte im ersten Augenblick, diesen Gedanken eine- „kleinen Socialistengesetzes" unterstützen zu sollen, nahm aber nach der zweiten Berathung im Plenum an den Ab stimmungen nicht mehr Theil: die Fraktion war wieder geschlossen und durchaus in sich geeinigt. Die sachlichen Gründe ihres ablehnenden Standpunktes sind bekannt. Eine particularstaatliche Nusnahmegesetzgebung gegen bestimmte Reichsparteien, beziehungsweise gegen innere Gefahren für daS Reich, ist ein Widerspruch in sich selbst, eine solche Gesetzgebung ist aus nationalen Gesichtspunkten unmöglich. Ist das Reich derart organisch leidend, daß es die Interessen seiner inneren Sicherheit nicht mehr selbst wahrnehmen kann? Aber dann erstrebe man doch vor allen anderen Dingen die eigene Wieder erstarkung des Reiches, damit eS sich selbst seiner Haut gegen innere Feinde wehren kann! Andere, praktische Erwägungen kommen hinzu. Das Socialisten gesetz hat durch seine Handhabung im Laufe der 80er Jahre manchen Anhänger verloren. Immerhin corrigirte sich vielfach die fehlerhafte Handhabung in einem Particularstaate durch Las ruhigere und behutsame Verfahren der Polizei in anderen Particularstaate«; schließlich hatte auch der Reichstag ein weit gehendes Recht der jährlichen Controle, und da das Ausnahmegesetz immer nach 2, 3 Jahren der Erneuerung bedurfte, hatte die Polizei alle Ursache, das Gesetz durch Handhabung desselben nicht zu dis- creditiren. Hier aber sollte einem Einzelstaat unkündbar dieselbe ausnahmerechtliche Vollmacht gewährt werden, ohne daß durch die Concurrenz mit den verschiedenen anderen Bundesstaaten und durch eine geordnete Controle der Volksvertretung die Gewähr einer gleichmäßigen ruhigen und verständigen Handhabung irgendwie dargeboten wäre. Ueberdies verlangte der freiconservative An trag gerade für die preußische politische Polizei diese außer- ordentlichen Vollmachten. Nachdem man aber Typen dieser preußischen Polizei, wie Herrn von Tausch uud seine Helfershelfer, kennen gelernt hat, sollte man in der That ge rade diese preußische Polizei auf Jahrzehnte hinaus vor der Ver suchung behüten, durch neue discretionaire Gewalten aufs Neue zu entarten. Endlich und hauptsächlich verbietet es aber das Wesen der socialen Gefahr, daß man den Einzelstaat derart allein gegen sie vorgehen läßt. Diese Gefahr ist damit noch nicht beschworen, daß der Staat ihre Ausschreitungen pflichtmäßig mit fester Hand unterdrückt. Sie will auch in ihren Ursachen stetig be obachtet sein, und, wo dies nöthig, muß der Staat gleichzeitig mit positiven Maßnahmen zum Schutze des Schwachen ringreisen, damit die sociale Gefahr wieder und wieder in ihren Keimen erstickt. Können diese heilenden Wirkungen nur vom Reich ausgehen, so darf dieses gar nicht geschehen lassen, daß irgend ein Particular- staat die unterdrückende Gewalt sich anmaßt. Eine derartige Theilung der Arbeit kann nur aufreizende Folgen haben und die sociale Gährung verschärfen. Dazu sollten patriotische Kreise grundsätzlich nicht die Gelegenheit bieten. So hat die national-liberale Partei einmüthig und rundweg gegen diesen freiconservativen Vorschlag sich erklärt und ihn im Abgeordnetenbause zu Fall gebracht. Ihre Wortführer haben über einstimmend und unzweideutig den Standpunkt der Fraktion dahin gekennzeichnet, daß ihr nach wie vor eine Verstärkung der staatlichen Autorität gegenüber der socialen Gefahr als erwägenswerthe Frage erscheint, daß aber diese Frage lediglich im Reiche und durch Las Reich erwogen und behandelt werden kann, gleichviel ob dann die Wege des gemeinen oder des Ausnahmerechts eingeschlagen werden sollen; daß demnach die Fraktion bis aus den letzten Mann es ab lehnt und immer wieder ablehnen wird, in ihren Zugeständnissen betreffs des partikularen preußischen Vereins- und Versammlungs rechts über die im Abgeordnetenhaus« zu Stande gekommenen Bc- schlösse hinauszugehen. An diesen Beschlüssen hat die Fraktion aber auch durch alle Stadien der Verhandlung hindurch getreulich sestgehalten. Wie der Fractionsredner, Abg. vr. Krause, in der ersten Lesung sogleich er klärte, hat es die Fraktion als eine sehr wünschenswerthe Verbesse rung des partikularen Rechts gehalten, daß anstatt der „Schüler und Lehrlinge" richtiger die „Minderjährigen" vom politischen Treiben in Vereinen und Versammlungen ausgeschlossen werden. Wenn das im Juni und Juli allen radikalen und klerikalen Zei tungen als die nackte Reaktion erscheint, darf man billig fragen, warum sie am 17. Mai die ganze Rede des Abg. vr. Krause als untadelhaft liberale Kundgebung feierten? Andererseits enthält der Entwurf nach den Beschlüssen des Ab geordnetenhauses nur die loyale Erfüllung des vom Kanzler ge gebenen Versprechens, wonach den politischen Vereinen der Verkehr untereinander, jedenfalls noch vor dem 1. Januar 1900, freigegrben werden solle. Die Fraktion hatte nicht den mindesten Anlaß, mit dem unbrauch baren Beiwerk des Entwurfs auch jene beiden Bestimmungen in irgend einem Stadium der Verhandlungen zu Fall zu bringen. Daß die Verhandlungen sich tief in den Sommer hinein fortsetzen, ist Schuld der Regierung, die erst am 13. Mai mit ihrem Entwurf an den Landtag kam. Der Entwurf enthält Aenderungen der Ler- fassung, folglich muß in beiden Häusern die entscheidende Abstim mung nach drei Wochen wiederholt werden. Aber ein Abgeordneten- Haus wird doch zu diesem Zweck zwei Tage im Juni und zwei Tage im Juli sich versammeln lassen, wenn es für alle 30, bezw. 31 Tage dieser Monate Diäten empfängt. Man hat wohl der Meinung Aus druck gegeben, daß die Nationalliberalen auch den erwünschten Rest Ler Vorlage ablehnen sollten, da doch kein Mensch in diesem Wirrwarr der Regicruugsverhältnisse wissen könne, was morgen sein werde. Die Fraktion hat umgekehrt die taktische Auffassung sestgehalten, daß, wenn niemand die Dinge von heute bis morgen, geschweige bis Ende Juli vorhersehen könne, cs ein schwerer Fehler wäre, mitten im Laufe das erstrebte Ziel plötzlich auszugeben. Uebrigens entspricht es weder der Vergangenheit noch dem Charakter der Partei, daß sie im Unmuth über die Unsicherheit des Augenblicks opfert, was sie als wünschenswerth bis dahin mit erstrebt hat. Soll der aus den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses hervor- gegangene Entwurf — also die Ausschließung der Minderjährigen Feuilleton. Ein Tag in Urbino. Von vr. Maximilian Claar. Nachdruck verboten. Nur wenige Monate noch trennen Italien von dem Tag, an dem sich ein Festact vollziehen wird, den eine Fluth künst lerischer und historischer Erinnerungen, eine ungewöhnlich stimmungsvolle Umgebung und ein echtes Kunstwerk zu einem besonders weihevollen gestalten werden. Am 15. August enthüllt Urbino sein Rafaeldenkmal; die kleine einsame Bern stadt huldigt ihrem größten Sohn, dem Mann, der sie für alle Zeiten unsterblich gemacht bat. Es ist einmal der richtige Ausspruch gefallen, ohne Ver zicht auf tausendfache Schönheit habe Italien noch Niemand bereist; aber wenn das auch wahr ist, wenn auch Jahre und Jahrzehnte dazu gehören würden, um die Herrlichkeiten deS Wunderlandes vollständig in sich aufzunehmen, so kann man sich doch der Empfindung nicht verschließen, daß Viele auf zu viel verzichten, daß man in allzugroßer Bequemlich keit sich mit den Blumen begnügt, die am Wege wachsen, ohne zu ahnen, welche seltenen Exemplare sich abseits der Heerstraße finden. Dieser große Zug der Heerstraße nun führt gar weit an Urbino vorbei. Wenige Dutzend Aus länder nur verirren sich hinauf auf di« von der Stadt ge krönten Bergspitzen, um sich dann, geblendet von der Schön heit der Natur, überwältigt von der Wucht der Erinnerungen, zu fragen: Warum genießen da» so Wenige? Längst haben natürlich auch die Väter der Stadt und der Provinz diese Mißstände empfunden, und mit gewaltigen Anstrengungen wurde ein Bahnbau durchgesetzt, der da- um- brische Fabriano (an der Linie Arcona-Rom gelegen) mit S. Arcangelo und Rimini verbinden uud auch Urbino be rühren sollte. Und die Bahn wurde gebaut. Wenn man von den Mauern der Stadt hinuntersieht nach den Apprninen zu, so erblickt man ein schmuckes, neue- Stationsgebäude mit rothem Ziegeldach, man sieht die Gleise in einem Tunnel verschwinden und auf der andern Seite den Berg umziehen, aber e» bleibt Alle- todtenstill, so lange man auch lauscht, kein Pfiff der Locomotive, kein Mensch, der sich unten bemerkbar machte. Der Babndau ist rin Stückchen moderner italienischer Finanzpolitik, ein typischer Fall für die Unter nehmungslust ohne reelle Fundirung, für da- gewissenlose DaraufloSwirthschaften bi- zum Krach. Und der Krach kam natürlich. Schon batte man die Tbeilstrecke Fabriano — Pergola dem Betrieb übergeben, schon war die Strecke Pergola —Urbino fertig, da ging da» Gelb auS, die Mittel konnten nicht beschafft werden, man mußte ausbören. So liegt eS heute noch, und die Urbinaten, die sich Wnnder de» Aufschwung- von der Bahn versprachen, sehen mit Grimm daS Gleis und die Station und ärgern sich über das lustige Schellengeläut, mit dem die Appeninpost nach wie vor in die Stadt emfährt. Für den Wanderer freilich, der mit Muße sich hinein wagen will in die herrlichen Thäler und auf die hoben Spitzen de- Appenin, hat diese Post durchaus nichts Ver drießliche-. Sie vermittelt rasch und gut den Verkehr Urbino- mit der Provinzialhauptstadt Pesaro, die sich unten am Meer hinstreckt. Wenn man früh 7 Uhr auf dem alt modischen Postwagen Platz genommen hat, dessen drei kräf tige Pferde ihn im Thale der Foglia aufwärts führen, so zeigt sich nach etwa drei Stunden Rafael'S Vaterstadt zum ersten Male dem Blick. Sie präsentirt sich hier nicht eben von der vortheilhaftesten Seite; eS sind nur dürftige Privat häuser, die man sieht. Schloß, Dom, Marktplatz und was sonst der Stadt ihr architektonisches Gepräge verleiht, liegt auf der entgegengesetzten Seite, und erst wenn die Post mühsam die letzten steilen Windungen erklommen bat, tauchen die Loggien und Thürm« deS alten Herzogspalastes auf, der immer näher kommt, bi- die Pferde, der überwundenen Mühe froh, in scharfem Trab auf dem harten Pflaster iu den Corso Garibaldi einfahren. Hat man sich in dem Albergo d'Jtalia, dessen einfache Güte manche- Grand Hotel d'Jtalie beschämen könnte, etwas auSgeruht und wandert wenige Schritte den Corso Garibaldi hinunter, so steht man auf dem Markt, im Mittelpunkt deS Leben- und Treiben». Ossiciell bat dem eigenartigen kleinen Platz natürlich eia Ereigniß der Freiheitskriege (der 8. Sep tember) den Namen gegeben, aber die Gedanken des Besucher schweifen weiter zurück, bi« in die Zeit der Renaissance. Wie könnte man auch gerade da die Begeisterung für die Einigung Italien« mitempfunden, wo in den Zeiten schlimmster Zer rissenheit Fürsten lebten, die durch ihren Geschmack und ihren Kunstsinn mehr für ihre Stadt thaten, al- die Jahrhunderte seitdem. Da- politische Italien brauchte die Einigung, das künstlerische nicht. Nie wäre die italienische Kunst so groß geworden, hätten nicht alle Höfe rivalisirt in ihrer Förderung, nicht etwa immer rivalisirt au- Freundschaft für die Kunst und für den Künstler, weit öfter aus Ehrgeiz, aus Neid. Man wollte sich von dem kleinen Nachbarfürsten nicht über treffen lassen, man wollte ebenso schöne Bilder haben, ebenso große Künstler beschäftigen, wie er, und so entstand eia wetteifernde« Zusammenwirken der kleinen Höfe, zu dem dem einen großen Hof die Mittel und die Veranlassung wahrscheinlich in dem Maße nicht zu eigen gewesen wären. Auf diesem kleinen Boden, in solch engem Kreise erwuchs auch Rafael. Verschiedene Gaffen führen von der Piazza nach den einzelnen Stadttheilen, die einen jäh hinab, die anderen steil hinauf, denn ganz Urbino ist auf einem Terrain gebaut, bei dem nicht zwanzig Schritte da« gleiche Niveau zeigen. Die steilste Gasse führt vom Platz zur alten Festung hinauf, beute heißt sie Contrada Raffaelo, einst hieß sie anders, als in dem schmalen dunkeln HauS auf ihrer linken Seite Gio vanni Santi's Sohn zur Welt kam. Nicht immer erhöht der Besuch eines Geburtshauses die Stimmung, in die uns die Erinnerung an den großen Mann, der hier das Licht der Welt erblickte, versetzt. Gerade wenn man aus Pesaro nach Urbino kommt, wenn man dort den öden schmutzigen Raum betreten hat, in dem einst Rossini'S Wiege stand, steigt man mit geringen Erwartungen die dunkle Treppe in Rafael'S Haus empor. Aber ein gütiges Geschick hat rechtzeitig dies Haus vor dem Verfall bewahrt. Die Accademia Raffaelo, deren Initiative nun auch zum größten Theil daS Denkmal zu danken ist, hat sich des Geburtshauses angenommen. Sauber glänzen die kleinen Zimmer, die Wände schmücken Kupferstiche seiner Werke, und in dem Zimmer, in dem er geboren wurde, steht das einzige hier befindliche (überdies übermalte) Original seines Pinsels, daS Portrait seiner Mutter Magia Ciarla. Gut erhalten ist auch der kleine Hof, der ständige Spielplatz des munteren Knaben, und wie oft mag er von hier auS die steile Straße hinaufgeklettert sein, um sich oben zu erfreuen an dem herrlichen Blick über Berge und Thäler bis hinab zum Meer. Und auch Be kannte wohnten dort oben; Messer Viti auS Ferrara, rin Freund seines VaterS und selbst der Vater jenes Timoteo Viti, der Rafael'S Nachahmer wurde und mit viel Fleiß und Eifer, wenn auch geringerem Talent die unsterbliche Kunst des Meisters lebendig zu erhalten suchte. Wir verlassen das Rafaelhau« und schreiten quer über den Marktplatz und jenseits desselben eine schmale Gasse hinauf, die in langsamer und nicht so großer Neigung wie die eben verlassene unS zum künstlerischen Centruin der Stadt führt. Nach wenigen Minuten sehen wir schon die vor springende Ecke des Schlosses, bald tritt der zurückliegende Dom hervor, dann der von Schloß und Dom gebildete kleine Platz, auf dem sich von Bretterwänden umgeben da- fertige Denkmal erhebt. Es war vielleicht bei einiger Sorgfalt und einigem künstlerischen Geschmack nicht schwer, den geeignetsten Platz in der kleinen Stadt zu ermitteln, aber wenn man in Italien sieht, wie oft es an wenig größeren Orten gelungen ist, den denkbar ungeeignetsten zu finden, so wird man seine Freude haben müssen an dem Eindruck, den dieser Punkt nach der Enthüllung machen wird. Auf zwei Seiten vom Schloß, aus der dritten von der Kathedrale umgeben, während auf der vierten sich der Platz auf die malerisch ansteigende Straße öffnet, so bietet sich daS Denkmal dem Beschauer. Die Liebenswürdigkeit dcS Akademiedirector« gestattete dem fremden Besucher einen vorzeitigen Blick hinter die schützende Bretterbülle, und was man bei dem matten Lickt erspähen kann, zeigt daS Werk al» ein echte- Product deS modernen italienischen Meißels, dessen lebensvolle Schöpfungen man allerorten an den Denkmälern und auf den Friedhöfen be wundern kann. Auf schmalem, hohem Sockel, den symboli- sirende Gestalten schmücken, erhebt sich die Gestalt Rafaels; sie tritt in die Erscheinung, wie sie uns allen liebgeworden vor Augen steht, mit dem schlicht herabfallenden Haar, dem einfach kleidsamen Wams und der sicher anmutbigen Haltung, die dem bartlosen Gesicht fast etwas von weiblicher Grazie giebt. Wenn dann die italienische Augustsonne den schneeigen Marmor überflutbeu wird, so wird Urbino mit berechtigtem Jubel daS Werk begrüßen. Eine nicht uninteressante Ergänzung zu dem Denkmal bietet eine Anzahl von Entwürfen, die sich noch von der Concurrenz her im Schlosse befinden. Fast alle haben die Unterbauten des Sockels zu breit gewählt für den kleinen Platz. Einen Entwurf zeigte der liebenswürdige Führer, an dem Rafael'S Figur selbst beinahe dem Werk den Sieg ver schafft hätte, doch blieb es wegen der Sockelreliefs in der Minorität. In der Thal ist auch der sitzende, sinnende Rafael dieses Künstlers, eines Römers, von bezwingender Schön heit. Von gewaitigen Dimensionen und unleugbarer schöpfe rischer Kraft war der mit dem dritten Preis gekrönte Entwurf eines Triestiners, die Gestalt des Meisters selbst jedoch von ganz deplacirtem Pathos, einen Lorbeerkranz im Haar, in der einen Hand Pinsel und Palette, die andere beschwörend ausgestreckt, vielleicht ein Dante, keinesfalls ein Rafael. Noch mancher andere Entwurf könnte fesseln, doch mein Führer öffnet die Thür zum Nebensaal, ein Schritt, und wir haben die moderne Sculplur verlassen »nd stehen in der herzog lichen Gemäldegalerie. Tie kleine Sammlung giebt ein ge treues Bild von dem Treiben am fröhlichen Renaissancehof der Herzöge von Urbino. DaS Meiste von dem, was wir hier sehen, ist nicht in der Ferne erworben, cS ist hier an Ort und Stelle entstanden, denn von weit her kamen die Maler zu den gastfreien Fürsten gezogen. Paolo Uccello und Pier dclla FranceSca, Melozzo da Forli und Timoteo Viti, Federigo Baroccio, ja selbst der Niederländer JustuS van Gent sind hier mit Werken vertreten. Die Herzöge Federigo und Gnidobaldo förderten und kauften. Nur einen Namen suchen wir umsonst, Rafael selbst. Wohl findet sich ein Bild seine- tüchtigen VaterS, der große Sohn jedoch fehlt. Mit siebenzehn Jahren schon verließ er seine Vater stadt, nach Florenz und Rom führte ihn der Weg, in Urbino hat er nie gewirkt. Doch werten bei dem Fest, da« man ihm zu Ehren sich zu feiern anschickt, die Werke seines Pinsels nicht fehlen. In einer besonderen Ausstellung werden die besten Reproductionen aller seiner Bilder in chronologischer Reihenfolge zu sehen fein. Von Magia Ciarla'« verblaßtem Bild bi« zu den reifsten Werken, die den Höhepunkt der italienischen Malerei überhaupt darstellen, wird man in Urbino die Stiche, Copicn und Photographien sehen, eine pietätvolle Ehrung de« Meisters an dem Tage, an dem von seinem Marmorbild die Hülle fällt.
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