01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970715010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-15
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und ZisfernsaA nach höherem Taris. Extra-Vcilitgen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^li 60.—, mit Postbefördernng ^ll 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Altjeigrn sind stets an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz!» Leipzig, 355. Donnerstag den 15. Juli 1897. SI. Jahrgang. tk. In einer Zeit, in welcher der Lage der Landwirth- schaft allgemeine Aufmerksamkeit zugewendet wird, dürste eine kleine, soeben als 2. Heft des 3. Bandes der vom Professor v. Miaskowsky herauSgegebcnen „Staats- und socialwissenschaftliche Beiträge" erschienene Schrift von Dr. Emil Stumpfe (Der kleine Grundbesitz und die Ge treidepreise, Duncker und Humblot, Leipzig) Anspruch auf weitergehende Beachtung machen. Der erste Theil bespricht die ausschlaggebende Wichtigkeit deS Getreidebaues für den landwirthschastlichen Betrieb und schon dieser Tbeil bietet eine Fülle von Thatsachen, Beleh rungen und Anregungen. Danach nimmt der Getreidebau circa 61 Proc. der gesammten, landwirthschaftlich benutzten Fläche ein und nahm sogar trotz des Preisdrucks deS Getreides in den Jahren 1878—1893 um 1 Proc. zu. Im Jahre 1893 entfielen auf den Noggenbau in Deutschland 22,93 Proc. der landwirthschastlichen Anbaufläche, auf Hafer 14,82, Weizen 7,79, Gerfle 6,20, Spelz 1,38, Mengegetreide 1,22, Ein kern 0,02 Proc.; auf die anderen Getreidearten und Hülsen früchte entfielen 6,57, auf Hackefrüchte und Gemüse 16,15 (darunter auf Kartoffeln 11,57 und auf Zuckerrüben 1,51), auf die sogenannten Handelsgewächse, als Raps, Flachs, Hopfen, Tabak und Hanf 0,99 (1878 — 1,60), auf Futter pflanzen 9,60, auf Brache 5,91, auf Ackeiweide 4,61 und aus Haus- und Obstgärten 1,80 Proc. Sinkt die Rente aus dem Getreidebau, so werden andere, lohnendere Gebiete der landwirthschastlichen Cultur derart in Anspruch genommen, daß auch bei diesen Ueberproduction und dadurch Preissturz entsteht. Es dienen dafür Kartoffeln und Zuckerrüben als Beispiel, wie ein Vergleich mit den Roggen preisen erweist. Von 1879—1883 betrug der Durchschnitts preis für 1000 Kilogramm Roggen auf der Berliner Börse 162 40 1894/96 aber nur 118 70 ^s. In den gleichen Zeiträumen betrugen die Kartoffelpreise, aus der Magdeburger Börse je 51 .E 97 und 32 10 für 1000 Kilogramm. Das Sinken des Roggenpreises in dieser Zeitperiode betrug 26,9 Proc., das der Kartoffeln aber 38,3 Proc. Zn Folge davon nahm die Verwendung der Kar toffeln zur Spirilusfabrikation erheblich zu und dadurch ver anlaßte daS Sinken der Getreidepreise die Ueberproduction an Spiritus. Was nun den Zuckerrübenbau anbetrifft, so nahm er im Jahre 1878 0,68 Proc. der gesammten deutschen Anbau fläche ein, 1893 aber 1,51 Proc. Noch bedeutend stärker stieg der Ertrag an Zuckerrüben, sowie das Quantum der zur Zuckerfabrikation verarbeiteten Rüben. In der Campagne von 1874/75 wurden in Deutschland dazu 2 756 745 Tonnen (L 20 Centner) verarbeitet, in derjenigen von 1895/96 jedoch 11 672 816, also 4—5 mal mehr. Infolge der verbesserten Fabrikationseinrichtungen nahm der Zuckerertrag auS den Rüben noch bedeutender zu. Er betrug 1874/75 256 412 Tonnen und 1896/97 1 835 000 Tonnen, also 6—7 mal mehr. Nur die staatliche Exportprämie erhält den Zuckerpreis. Aebnlich wie hierbei, aber in kleinerem Umfange, bietet der sinkende Ertrag aus dem Anbau von Feldgemüse ein Beispiel von den Folgen des Getreidepreissturzes auf den Ertrag der Landwirthfchaft. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre konnten aus Feldgemüsen höhere Renten erzielt werden, als aus Roggen. Die natürliche Wirkung war die Vermehrung der Production von Feldgemüse und dadurch wieder die Herabdrückung des Preises derselben. So verkaufte ein größeres Handelshaus in Liegnitz 1880 den Scheffel Zwiebeln mit 6 im Durchschnitt, 1895 aber für 2 50 ^f. WaS den der Land- wirthschaft häufig empfohlenen Anbau von Handelsgewächsen anbetrifft, so ist in Erwägung zu ziehen, daß der für solche Produkte der deutschen Landwirthfchaft aufnahmefähige Markt beschränkt ist und der Consum sich nur wenig steigern läßt. Wesentlich wirkt aber auch darauf ein, daß in den landwirthschastlichen Cvncurrenzländern Deutschlands die Rente aus Getreidebau eher noch geringer ist, als bei uns und man daher auch dort alle möglichen Eulturen, die bessere Ergebnisse erhoffen lassen, eifrig auSnutzt. Als ErfabrungSsatz kann gelten, daß für jedes einzelne Culturgewächs in längerer oder kürzerer Frist ein Ausgleich der Rente für dieselbe Flächeneinheit des Anbaues eintritt. Betrachten wir die Verwerthung der thie risch en Produkte der Landwirthfchaft (Fleisch, Butter, Käse und Milch), so zeigt sich die Preislage für die deutsche Land- wirthschaft, waS Fleischproduction anbetrifft, günstiger als für die englische. Auf dem Berliner Schlachthof ergab sich in der Periode von 1879/83 der Preis von 119 .E 90 für 100 Kilogramm Rindfleisch (Fleischgewicht) im Durch schnitt und 1896 von 114 .D für 1. Qualitäten und je 103 und 103 20 für 2. Qualitäten, während 4. Qualitäten je 74 und 78 galten. Der Zollschutz, den die deutsche Viehzucht genießt, wirkt zu Gunsten der Preisbildung ein. Bei Kälbern trat auf dem Berliner Schlachthof sogar eine Preissteigerung ein und zwar von je 111 -F aus 115^ 20 für 1. Qualitäten und von je 85 40 auf 93 40 für 2. Qualitäten, während sich bei Schafen ein Preisrückgang zeigte und zwar für 1. Qualitäten von 105 60 auf 94 30 und für 2. Qualitäten von 86 40 auf 84 70 Tas Schwein ist dasjenige landwirtbschaftliche Nutzthier, dessen Zucht sich wegen seiner Frübreisheit und großen Fruchtbar keit am meisten den landwirtbschaftlichen Conjuncturen an passen läßt. Daher ist auch seine Preisbildung besonders bezeichnend. Am Berliner Schlachthof erzielten Schweine englischer oder mecklenburgischer Rassen 1879/83 für 100 kg Lebendgewicht, ab 20 Proc. Tara, im Durchschnitt 108 80 ^s, 1896 aber nur 88 50 Landschweine je 101 20 und 79 70 -s. Noch stärker machte sich der Preisdruck auf dem Londoner Hauptviebmarkt geltend, eine Folge der überseeischen Einfuhr. Vergleichen wir die Preise von 1866/70 und 1889 miteinander, so finden wir, daß der Hauptartikel Rindfleisch erheblich heruntergegangen ist. Für den Stone ---- 7,2 Pfund wurden gezahlt 1866/70 für 1. Qualität 5 8K 4 ä ----- 5 32 ^s, 2. Qualität 3 8K 6 ck — 3 48 und 1889 je 4 8K 11 ck -- 4 90 und 2 8K 4 ck ----- 2 32 Schaffleisch, wofür London ein sehr aufnahmefähiger Markt ist, hob sich in den ersten Qualitäten von 5 8k 8a --- 5 64 auf 6 8K 4 ck ---- 6 32 und in den 2. Qua litäten von 3 8K 6 ck ----- 3 48 auf 3 8K 9 ä ---- 3 72 ^f. Es ist dies umsomehr bemerkenöwerth, weil die Einfuhr von Colonialschaffleisch in Eis oder anderen Kühl räumen groß ist. Schweinefleisch sank in den 1. Qualitäten nur mäßig von 4 8K 11 ck — 4 90 auf 4 8K 5 ck --- 4 40 in den 2. Qualitäten aber von 3 8K 3 6 --- 3 24 auf 2 8K 6 ck ----- 2 48 -s. ES zeigt sich hier wie überall, daß die Produkte des landwirthschaft- lichen Kleinbetriebes, die im Durchschnitt in der Qualität geringer sind als die des Großbetriebes, am meisten unter dem Preisdrucke leiden. Gegenwärtig wächst der Viehstand in Deutschland stetig und in der nordamerikanischen Union wird der Weizenbau zur Vermehrung der Viehzucht eingeschränkt. Der Rückgang der Butterpreise ergiebt sich u. A. aus den wöchentlichen Veröffentlichungen der Berliner „Milch zeitung", wonach man in Berlin 1872 für 50 kg feinste Butter 120 -D 60 zahlte, 1893 aber nur 105 und für geringere Butter ze 100 und 98 80 Zum Sinken des Butterpreises wirkte der zunehmende Verbrauch von Margarine mit. Das Sinken des Milchpreises und des Käsepreises ist ebenfalls zu erwarten, namentlich dürfte das Sinken der Milchrente die landwirthschastlichen Kleinbetriebe drücken. Weiter bietet der Verfasser eine interessante Untersuchung überdie Lage der landwi rt Hschaftlich en Klei »betriebe dar. Als Material dazu dienen ihm 181 Rechnungen aus Wirth- schaften mit weniger als 10 Hektar Anbaufläche. Sie zerfallen in eine süddeutsche und eine norddeutsche Gruppe. Die der ersteren zählen 119 und zwar 60 auS Baden, 44 aus Hessen, 12 aus Württemberg, 3 aus Bayern, die anderen 62 und zwar 1 aus dem Rheinlande, 2 aus der Provinz Sachsen, 7 aus Hannover, die 52 anderen Rechnungen sind von dem Verfasser persönlich gesammelt, davon 24 in seiner HeimathS- provinz Schlesien und 28 im Königreich Sachsen. AuS den süddeutschen Berichten fällt auf, daß dort die Kleinbetriebe mit überflüssigen Arbeitskräften stark belastet sind, wozu noch die meist starke Familie deö Besitzers kommt. Auch die culturhindernde Zersplitterung des Besitzes in kleine Parcellen wirkt dort ungünstig. So kommen z. B. in Nodheim auf 1400 Hektar Acker 28 703 Parcellen. Sehr oft bleiben in Süddeutsch land die erwachsenen Kinder ohne Nebenerwerb und ohne in der Wirtschaft nötbig zu sein, zu Hause, während im Norden, besonders im Nordosten, alle, die nicht in der Wirlh schaft unbedingt gebraucht werden, nach den Industriecentren deS Westens ziehen. Mithin ist der eigene Verbrauch land- wirtbschaftlicher Produkte im Süden größer als im Norden. Die Meinung, daß die Erträge des Südens besser seien als die deS Nordens, ist nicht richtig, den der Süden steht in seinen Betriebsverrichtnngen hinter dem Norden zurück, wo der Unterschied zwischen Groß- und Kleinbetrieb in dieser Beziehung fast verwischt ist. Im Norden, wo einzelne Rittergüter als Pioniere der landwirthschastlichen Cultur wirken, sind Wiesencnltur und Viehstapel in der Regel weit besser als im Süden. Des Weiteren bedürfte es noch einer Erörterung über die allgemeinen Verhältnisse deS Grundbesitzes nach seiner Größe. In dieser Richtung kommt in erster Linie eine Acnßerung Les Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe in Betracht, welche er am 29. März 1895 im Reichstage in seiner Rede gegen den Antrag Kanitz auf Verstaatlichung des Einkaufs von aus wärtigem Getreide gethan hat. Er gab darin die Zabl der an dem landwirthschastlichen Einkommen im deutschen Reiche betbeiligten Bevölkerung ans 19 Millionen an, von denen 15 Millionen ein Interesse an niederen Getreidepreisen haben. Er schloß dies aus der Vertheiluug des Grundbesitzes innerhalb der 5 276 000 landwirthschastlichen Betriebe in Deutschland, von denen 2 323 316 auf die ersten 4 Betriebsgruppen bis zu 1 Hektar und 1 719 922 auf die 5. und 6. Gruppe mit 1 bis 2 Hektar bezw. 2—12 Hektar entfallen, was zusammen 76 Proc. aller landwirtbschaftlichen Betriebe Deutschlands ausmacht. Im Gegensätze dazu berechnet vr. Stumpfe die Zahl der an lohnenden Getreidepreisen interessirten Be völkerung Deutschlands auf 10,4 Millionen, wozu noch etwa 4,6 Millionen von mittelbarem Interesse hinzuzurechnen seien. Auf Grund der vorstehenden Erörterungen kommt der Verfasser zu dem Schluß, daß nur etwa 3 Mill. Menschen innerhalb der landwirtbschaftlichen Bevölkerung ein Interesse an niedrigen Getreidepreisen oder wie er es nennt, ein negatives Interesse an Gctreidepreisen haben. Er giebt zwar zu, daß die Betriebe unter 5 Ku in der Regel ihr erbautes Getreide selbst consumiren, weist aber darauf hin, daß in nur sehr geringem Maße bei ihnen ein Interesse an niederen Getreidepreisen hervortritt, weil von dem Stand der Getreide preise der Preiswert!) sämmtlicher anderer Produkte der Fairrlleton. Ein Schüler Goethe's! Zum hundertjährigen Geburtstage Gcnast'S von Kurt Kestner. Am 15. Juli d. I. feiert die deutsche Bühne den bundertjährigen Gedenktag der Geburt eines deutschen Bühnen künstlers, dcffcn Name uuS allein schon die ganze herrliche Zeit von Weimar in der Erinnerung erstehen läßt. Franz Eduard Genast wurde am 15. Juli 1797 in Weimar geboren. Welche große Zeit ist da schon in der Jugend an ibm vorübergerauscht. Unter den Augen der Größten der deutschen Dichtkunst hat sein empfängliches Ge- müth heranreifen können. Bereits in seinen Kinderjahren bewegte sich Genast auf den Brettern, und am liebsten that er. es, wie er selbst sagt, in den „Hussiten vor Naumburg", denn außer dem Spiel groschen, den er bekam, gehörte zur Handlung deS Stücks auch die Vertheiluug sehr schöner Milchbrödcken, und wer einige Dreistigkeit besaß, konnte deren auch zwei erlangen. Bei ihm war eben kein Mangel dieser Eigenschaft vorhanden, und außerdem drückte der Requisiteur, welcher als grimmiger Hussit die Milchbrode auf der Scene zu vertheilen hatte, ein Auge zu, da der Papa deS kühnen Burschen Regisseur war. In seinem elften Jahre wurde Genast zum ersten Mal mit einer Rolle betraut, mit dem Kellnerburschen im „Portrait der Mutter", der im Namen seines Vaters den Rekau zu mahnen hat. Er that das mit so ungeheurer Keckheit, daß daS Publicum lachte und applaudirte; auch der Papa schmunzelte und schien nicht ganz unzufrieden mit seinem Söhnchen zu sein. DaS machte ihn natürlich immer kühner, und als un gezogener Schuljunge in dem „Dorf im Gebirge" kannte seine Ausgelassenheit keine Grenzen. Der Papa hatte ihm schon auf der Probe mehrere Male zugerufen: „Schlingel, übertreibe nicht!" Da war aber Alles umsonst, an seinem Kunsteiser ging jede Warnung spurlos vorüber. Als daS Stück zu Ende war, eilte er im Gefühl seiner Vollkommenheit nach der Garderobe seines Vaters: auf dem Wege dahin be gegnete ihm die berühmte Wolff und sagte: „Junge, Du warst unausstehlich!" Mit einem verachtenden Blick ging er aber an ihr vorbei, denkend, sein Vater sei rin gerechterer Mann, und trat in die Garderobe; mit einem gewitter schwülen Gesicht jedoch empfing ihn Jener und sagte: „Du hast Deine Sache so gut gemacht, daß ich Dich selbst applau- diren muß", und dabei gab er ihm eine tüchtige Ohrfeige. Der alte Genast war überhaupt ganz anderer Ansicht über seine- SohneS künstlerische Begabung al- dieser selbst. Er fragte ihn eine- Tage-, waS er werden wolle, „Nun", lautete keck die Antwort, „natürlich Schauspieler". „Warum nicht gar", hieß eS aber zurück, „Tu hast keine Spur von Talent und sprichst abscheulich durch die Nase." Alle Ein wendungen dagegen halfen nicht-, der Sohn mußte sich, at er sein vierzehnte« Jahr erreicht hatte, für ein Gewerbe ent scheiden, und so wurde er denn Lehrjunge in der Schloß conditorei. Die Rosinen und Mandeln, die eS dort gab, halten natürlich den meisten Einfluß bei dieser Wahl eines Berufe-. Genast kam allgemach in daS Alter, wo der Knabe zum Jüngling wird, und aus seinem heiseren Discant entwickelte sich eine leidliche Barhtonstimme. Nunmehr erschallten denn zur Arbeit alle möglichen Opernarien. Beim Eismachen, welches eine sehr langwierige und ebenso langweilige Arbeit ist, wurde öfter auch ein Stück von Schiller vorgenommen, und während er die Büchse drehte, recitirte er dazu: „Ich zählte zwanzig Jahre, Königin!" oder: „Durch diese hohle Gaffe muß er kommen!" War der Befehl gegeben, ChampagnereiS zu machen, so wurde natürlich: „Treibt der Cbampagner Alle- im Kreise" gesungen und möglichst mit der That bekräftigt, indem er ein Gläschen dieses Nektars hinunterschlürfte. So kam daS Jahr 1813 heran. Im Anfang desselben wurde Genast in seinem Geschäft losgesprochen, d. b. er hatte ausgelernt. Vorläufig blieb er aber noch als Gehilfe in der Hofconditorei, und erhielt monatlich vier Tbaler Besoldung. Seine Stimme batte sich immer mehr entwickelt, und obgleich sein Vater durchaus nichts vom Tbeater wissen wollte, gab er dock endlich zu, daß er bei dem Musikdirektor Carl Eber wein Gesangunterrickt nahm. Einige Zeit danach machte Genast im Auftrage seines VaterS eine Bestellung bei Goethe. In dessen Hause an gelangt, wurde er in den Salon, wo der alle Flügel stand, geführt; Goethe kam. Als sein Botendienst zu Ende war, wollte sich Genast unterthänigst empfehlen, jener aber hielt ihn zurück und sagte: „Dein Vater hat mir mitgetheilt, daß du bei Eberwein Singestunde hättest und dich sehr fleißig zeigtest, er ist aber mit veiner Neigung nicht ein verstanden und du sollst Conditor bleiben!" „Ja, Excellenz, daS will er, aber ich habe zu große Lust zum Theater", antwortete der Angeredete. „Was singst du und WaS hast du bis jetzt studirt?" „Verschiedene Lieder von Ew. Excellenz, von Ehler-, Moltke und Reichardt componirt; dann habe ich auch den O-min und Maffrru eingeübt." „Nun, so singe mir etwa- vor, daß ich deine Stimme höre!" Keck genug sang Genast da- Lied: „Willkommen und Abschied" und „Wer ein Liebchen hat gesunden". „DaS letztere war nicht ohne Humor, und deine Stimme ist für deine Jahre gut, aber zu dem ersteren fehlt dir bis jetzt noch daS Berständniß, wa« mit der Zeit Wohl kommen dürfte", sagte Goethe. Freundlich entließ er ihn sodann, und überglücklich eilte dieser nach Hause. Als er zum Vater kam und Goethe'« Antwort überbracht hatte, sagte er voller Freude, daß er Goethe etwa- hätte vorsingen müssen. Lauernd fragte der Papa: „Na, wa- meinte er denn?" Er referirte seinen Aus spruch. Höchst respectwidrig aber sprudelte da der Herr Papa: „Ach! der Alte wird mir noch meinen ganzen Plan über den Haufen werfen!" Am 23. April 1814 betrat Genast unter Goetbe'S specieller Leitung zum ersten Mal die Bühne als OSmin in der „Ent führung". War es seine Keckheit oder seine Jugend — denn er war erst sechzehn Jahre alt — was daS Publicum bestimmte, ihn mit Nachsicht aufzunehmen, genug, man applaudirte, wo sich einigermaßen dazu Gelegenheit bot. Mutter und Schwester — letztere sang die Constanze — waren voller Freude. Auch der Papa schmunzelte, und ob gleich er mehrfachen Tadel aussprach, so überreichte er dem Sohne doch schließlich eine goldene Repetiruhr, die diesem anzeigte, daß die Stund« geschlagen habe, wo vom Conditor nicht mehr die Rede sein könne. Das Beste sollte aber noch kommen. Den andern Tag wurde er aufs Hofamt citirt und ibm dort eröffnet, daß er von nun an in Gage treten und wöchentlich sieben Thaler erhalten solle. Als der alte Genast 1816 von seinem Posten als Re gisseur „in Gnaden" entbunden und pensionirt worden war, begehrte auch Eduard Genast seinen Abschied und ging nach Stuttgart, um seine schöne Barhtonstimme im Unterricht des dort lebenden Häser noch mehr auszubildcn. Natürlich versäumte er auck hier nie, das Tbeater zu besuchen. Im folgenden Jahre wurde Genast nach Dresden engagirt. Sein Autrittsdebut batte Erfolg gehabt und der Herr Intendant war zu ihm gekommen und batte ihm mit getheilt, daß er der Königin und den Prinzessinnen gefallen habe. Dann setzte er lächelnd noch die Worte hinzu: „Auch Se. Majestät ist, wie ich vermuthe, mit Ihnen zufrieden, denn er hat nicht ein einziges Mal gehustet." Genast war außer sich vor Freude, schrieb sich aber gleich hinter die Ohren: Wenn also Se. Majestät die Gnade hat, zu husten, so gefällst du nicht! Damals war der berühmte Weber Hof-Capellmeister in Dresden. Derselbe duldete niemals, daß ein Sänger sich er laubte eine Verzierung anzubringcn, wo sie nicht am Platze war. Dieses Vergeben ließ sich Genast einmal in der Rolle des Jakob zu Schulden kommen, indem er im Duett mit Benjamin etwas Italienisches anbrachte. Nach der Vor stellung donnerte ibn Weber dann also an: „Was machen Sie für dummes Zeug? Glauben Sie nicht, daß Mehul, wenn er solchen Schnickschnack bätte haben wollen, eS besser gemacht hätte als Sie? Ich muß mir das künftig ver bitten! Haben Sie mich verstanden? Gute Nacht und schlafen Sie Ihren italienischen Rausch auS!" Da Genast aber mit seiner Beschäftigung nicht recht zu frieden war, nahm er nach sieben Monaten wieder seine Entlassung und spielte darauf zweimal als Gast bei Küstner in Leipzig. Der Erfolg war kein günstiger, und namentlich die eine Schauspielrolle, Julius in Körner'S „Hedwig", hatte keinen Erfolg. Der kleine sarkastische Amadeus Wendt sagte in seiner Kritik: „Herr Genast sprach gut, aber nicht an." Er bekam nun Engagement in Hannover, doch da ge fielen ihm die Verhältnisse wieder in anderer Weise nickt. Der Intendant behandelte die Schauspieler und Sänger in so anmaßender Art, daß Genast, der leicht zu reizen war, sich dadurch beleidigt fühlte. Er begehrte deshalb seinen Abschied und wurde, als ihm dieser versagt blieb, kontrakt brüchig. Auch mit seinen College» in Hannover vermochte er sich nicht in freundschaftlichen Verkehr zu setzen, und nur einer war darunter, dem er mit voller Achtung und Liebe er geben war, Leo nämlich, der sowohl durch seine Kunst wie durch seine originellen Einfälle damals sehr bekannt war. Genast reiste von Hannover auS nach Prag zu einem Gastspiel. Seine erste Partie war der Jacob. Mit ibm zugleich trat ein junge- reizendes Mädchen von vierzehn Jahren al« Benjamin auf, daö später nicht allein Deutsch land, sondern ganz Europa durch ibr Genie und ihre Schön heit entzückte; daS Mädchen war Henriette Sonntag. Sie erschien an jenem Abende überbaupt zum ersten Mal auf den Brettern. Reicher Beifall wurde ihr und Genast zu Theil. Der Referent, Professor Gerle, machte in seiner höchst beifälligen Kritik die Bemerkung: „Vater Jacob und Sohn Benjamin zählten zusammen fünfunddreißig Jahre, batten also noch nicht das Alter von Sohn Joseph erreicht." Genast war damals in der That nicht viel über die Zwanzig hinaus. Daß Genast früher den Leipzigern nicht recht zugesagt hatte, lag wohl meist in der Wahl der damals gegebenen Gastrollen. Hofrath Küstner versuchte es jetzt nochmals mit ihm, und dieser Versuch gelang so sehr, daß Jener sogleich fest engagirt und in der Folge sogar ein erklärter und all gemeiner Liebling der Leipziger wurde. Er schloß hier auch den Ebebund mit Christine Böhler, der älteren, besonders für die Tragödie hochbegabten Schwester der kleinen, reizenden Doris Böhler, der ersten Gemahlin Emil Devrient'S. Auch in Breslau, Darmstadt und Wien gastirte das Ehe paar Genast von Leipzig aus mit Beifall. Als die Küstner'schc Direction in Leipzig 1828 zum Schluffe gekommen war, erhielt Genast, kaum 30 Jahre alt, vom Magdeburger TheatercomitL den Antrag, die Oberregie zu übernehmen. Er folgte mit seiner Frau dem Rufe dahin und verwaltete sein neues Amt aus musterhafte Weise. Sein väterlicher Freund, der Kammerrath G-, hatte den Plan ge faßt, das Leipziger Stadttheater in ei» zweites königl. Hof theater zu verwandeln und, da er bei Hofe in Ansehen stand, bereits Rücksprache mit dem Minister von Einsiedel genommen und demselben Genast als Leiter vorgeschlagcn. Wirklich erhielt denn auch Genast glänzende Offerten von Dresden auS, und er glühte bei dem Gedanken, in die Fuß stapfen Küstner's zu treten. Zu gleicher Zeit aber kam auch von seinem alten Freunde, dem Capellmeister Hummel, im Auftrag des Intendanten, Oberbofmarschalls von Spiegel, ein lebenslänglicher Engagemenlsantrag nach Weimar, da sein nnd seiner Frau Fach durch den Abgang Stromeyer'S und der Iagemann erledigt war. Nun gab es eine schwere Wahl; Genast's Sinn stand nach Leipzig, der seiner Frau mehr nach Weimar, und ihr gab er denn endlich nach. 1829 traten sie ihre neue Stellung in seiner Vaterstadt an. Er gesteht freudig ein, daß er den ibm anfangs schweren Entschluß, den Weimarer Antrag anzunehmen, in der Folge niemals bereut habe, indem er in seiner alten Vaterstadt eine neue, glückliche und ihn, theurc Heimath fand. Genast war als Sänger und Schauspieler gleich aus gezeichnet; mit der schönsten männlichen Gestalt vereinten sich bei ihm ein kraftvolles Organ und reiche Stimmmillel. Diese gaben ihm den weitesten Wirkungskreis auf der Bühne; er spielte den Oberförster i» den Jägern und den Figaro, den Wallenstein und Don Juan mit gleicher Tüchtigkeit; besonders hatte die letztere Partie, sowie alle, in denen Gesang und Spiel vereint sind, in seiner Blüthezeit einen der tüchtigsten deutschen Darsteller in ibm. Auch al- Componist bat sich Genast einen ehrenvollen Namen erworben; zahlreiche Lieder von ihm fanden allgemeine Anerkennung und eine Oper: „Der Verräther in den Alpen" wurde mit großem Beifall in Weimar gegeben. Er starb am 3. August 186« al« Ehrenmitglied und Pensionair deS Weimarer StadttheaterS. Bi- zu», Iabre 1860 war er auf der Bühne thälig gewesen. Im Foyer des Leipziger StadttheaterS befinden sich sein und seiner Gattin Christine Genast Brustbilder. In der Geschichte der deutschen Bühnenkunst ist sein Nam« unau-löschlich eingezeichnet.
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