01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970827016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897082701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897082701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-27
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuaz 60.—, mit Postbefvrderung 70-—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: Vormittag- 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Vxprdttio» zu richten. Druck und Verlag von E. Pol« tu Leidj!-, 81 Jahrgang. Die Llimar nach oben. »p Aus Kronstadt, 26. August, liegt uns folgende Mel dung vor: * Petersburg, 26. August. (Meldung der „Agence Hava«".) Beim Dejeuner auf dem „Pothuau" brachte Präsident Faure folgenden Trinkspruch auS: „Ich danke Ew. Majestät und Ihrer Majestät der Kaiserin, daß Sie so huldvoll acceptirten, einige Augenblicke auf einem der französischen Schiff« zu ver- weilen. Ich bin darüber um so mehr erfreut, als es mir dadurch möglich ist, Ihnen unter den Schiffen unserer Nationalflotte zu sagen, wie sehr ich gerührt bin von der un« dargeboteuen Gastfreund, schäft, und wie dankbar wir dem russischen Volk« sind für den großartigen Empfang, der dem Präsidenten der Republik bereitet wurde. Ew. Maj. kamen nach Frankreich, geleitet von russischen und französischen Seeleuten. In ihrer Mitte grüße ich tiefbewegt Rußland vor meiner Abreise. Die französische und russische Marine können stolz sein auf den Antheil, den sie vom ersten Tage an hatten an den großen Ereignissen, die die innige Freundschaft Frankreichs und Rußland« begründeten. Sie brachten die auSgestreckte Hand einander näher und ermöglichten den beiden vereinigten und alliirten Nationen, die von gemeinsamen Idealen der Eivilisation, des Rechts undderGerechtigkrit geleitet werden, sich brüderlich in der loyalsten und aufrichtigsten Umarmung zusammenzuschließen. Ich erhebe mein Glas zu Ehren Ew. Majestät und Ihrer Majestät der Kaiserin im Augenblicke der Trennung und bitte Sir, die heißen Wünsche entgegenzunehmen, die ich hege für Ihr Glück und dasjenige der kaiserlichen Familie. Im Nomen Frankreichs trinke ich auf die Größe Rußlands." Der Zar erwiderte: „Die Worte, die Sie soeben an mich gerichtet, finden in meinem Herzen «in lebhafte- Echo, und indem ich den Gefühlen nachgebe, die mich und ganz Rußland bewegen, schätze ich mich glücklich, zu sehen, daß Ihr Aufenthalt unter uns «in neue» Band zwischen den beiden befreundeten und alliirten Nationen schafft, die gleichmäßig entschlossen sind, mit ihrer ganzen Macht zur Auf rechterhaltung des Weltfriedens im Geiste von Recht und Billigkeit beizutragen. Lassen Sie mich nochmal« für Ihren Besuch danken und das Gla« zu Ihrer Ehr« und auf dir Wohl fahrt Frankreich- leeren." Diese Antwort war nach des Zaren Trinksprüchen in Peterhof und Krasnoje Selo nicht zu erwarten. Wenn Kaiser Nikolaus sich doch dazu entschlossen hat, so muß dem eine Scene zwischen ihm und dem Präsidenten der französischen Republik vorausgegangen sein, deren Verlaus man sich unschwer vergegenwärtigen kann. DieVerstimmung Faure'S sprach schon, worauf wir bereits aufmerksam machten, au« seiner Antwort auf den vorgestrigen Marine-Trinkspruch I des Zaren in Peterhof zu deutlich heraus, als daß sie unbe-1 merkt bleiben konnte. E« unterliegt aber keinem Zweifel, daß Faure sich mit dieser Andeutung seine« tiefen Be fremdens über die geradezu verblüffende Inhaltslosigkeit der Trinksprüche Nikolaus' II. nicht begnügt, sondern diesem offen erklärt hat, daß er als Voyageur für die auf dem Spiele stehende Ehre Frankreichs unmöglich mit einem vollendeten FiaSco, das heißt mit absolut leerer Tasche, nach Paris zurückkehren könne, eS müßte denn sein, daß Rußland auf die weiter« Freundschaft Frankreich« definitiv Verzicht leisten und riSkiren wolle, daß dieses wohl oder übel England, dem erklärten Widerpart Deutschlands und Rußlands, sich in die Arme werfe, so auf Bahnen gedrängt werde, welche die Wege Rußlands feindlich kreuzen und dem Weltfrieden den Rußland gegenwärtig höchst unerwünschten, von ihm daher gefürchteten Stoß versetze. So weit durfte eS die russische Diplomatie auf keinen Fall kommen lassen, und so mußte der Zar sich schon entschließen, den nicht nur in Frankreich befremdenden Ton, welchen er zwei Mal gegen Faure angeschlagen, zu ändern. Er batte offenbar nicht damit gerechnet, daß das fran zösische Naturell zu Allem, selbst zum nationalen Selbst mord — daS wäre der Anschluß an England — fähig ist. Seine beiden ersten Toaste waren daher, wie die internationalen Machtverhältnisse nun einmal augen blicklich liegen, ein Fehler. Dieser mußte wieder gut gemacht werden, und der Zar ist klug genug gewesen, dies zu thun, ohne Deutschland zu verletzen. AuS seinem gestrigen Toaste ist nicht mehr herauSzulesen, als aus seinen vorjährigen, in Frankreich ausgebrachten Trinksprüchen und aus Len Toasten von französischer Seite, die er ohne Correctur hinnabm. In den letzteren war von „union" die Rede, in den ersteren von „ Waffenbrüderschaft". Dieses Wort hat der Zar jetzt zwar nicht durch das Wort „allianeo" ersetzt, wohl aber hat er, die Worte des Präsidenten Faure bestätigend, von befreundeten und alliirten Nationen gesprochen. Das ist die Steigerung. Sie überrascht uns nicht, da wir schon seiner Zeit angenommen haben, daß ein Bündniß, zu ganz bestimmtem Zwecke ge- schlossen, zwischen Frankreich und Rußland bestehe. Der juristische, absolut untrügliche Beweis ist ja auch durch die Wendung „alliirte Nationen" noch nicht er bracht, aber selbst wenn er es wäre: der Zar hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß die franco-russische „Alliance" nicht eine solche nach dem Herzen des revanche gierigen französischen Chauvinismus, sondern daß sie ledig lich der Erhaltung des Weltfriedens gewidmet ist. In dem ersten Peterhoser Toaste sprach der Zar die Hoffnung auS, die Bande, welche beide Völker ver einigen, möchten durch den Besuch Faure'S noch enger ge knüpft werden. Nach Lage der Dinge kann der Kaiser mit dieser Hoffnung nicht- Anderes gemeint haben, als die Erwartung, daß Faure ihm formell und feierlich erkläre, die Regierung von Frankreich denke nicht daran, Rußland für die Wiedergewinnung der verlorenen Provinzen zu engagiren. Zu dieser Erklärung ist der Präsident offenbar ermächtigt gewesen. Bestanden mag die „Alliance" schon seit den vorjährigen Pariser Tagen haben, urdi st ordi kundgethan werden durfte sie erst auf Grund jener Erklärung. Das ist daS Neue. Für uns verliert eine russisch-französische Alliance aber gerade dadurch alles Bedenkliche, daß ihr Bestehen offen von russischer Seite zugestanden wird, denn daS würde, nachdem der Besuch unseres Kaisers in Petersburg voraufgrgangen, nicht geschehen sein, wenn das Verhältniß zwischen Rußland und dem deutschen Reiche nicht ein solches wäre, daß es unbeschadet eines franco-russischen Bündnisses sehr Wohl be stehen kann. Für England allerdings dürfte der Abschluß der Petersburger Festtage nur eine neue Bestätigung seiner 8x)enäiä Isolation bedeuten. Spekulativer Terminhandel und Getreidepreise. Die „Nationalliberale Corresp." schreibt: „Ausgehend von den amerikanischen Märkten, hat sich am Weltmarkt sür Getreide in den letzten Wochen eine bemerkensiverthe Preis bewegung abgespielt. Auf dem Papier wurden wieder einmal Mengen gekauft und verkauft, die kaum in zehn Jahren auf der ganzen Welt wachsen. Insbesondere scheint diesmal auch der englische Markt nach einigem Widerstand in den Wirbel des speculativen Geschäfts hineingerathen zu sein. Von Amerika ging die Preistreiberei aus. Man erfand und verbreitete uncontrolirbare Nachrichten über den dürftigen Ausfall der norbamerikaniscken Ernte, und namentlich Frankreich steigerte nun die Nachfrage, als ob es aus der eigenen Ernte kaum die Hälfte des bisherigen QuantumS zu erwarten habe. Sogar auf englisches Getreide wurde die Hand gelegt, so daß England seine Reserve nicht aufrecht er halten konnte, sondern m die Reihe der Kauflustigen ein treten mußte. Das war denn der rechte Augenblick für die Spekulanten am amerikanischen Markte; nun gewann drüben die Preisbewegung jenen „Beigeschmack exaltirter Speculation, der sich in den übertriebenen Sprüngen am Sonnabend und Montag am schärfsten zum Ausdruck brachte und dort (am Markt in New Aork und Chicago) interessirten europäischen Speculation viel Geld gekostet haben dürfte." Da cs Sachverständige der früheren Berliner Pro duktenbörse sind, die uns in so anschaulicher Weise über die Entwickelung des Geschäfts der jüngsten Wochen unterrichten, wird die Schilderung volle Glaubwürdig keit beanspruchen dürfen. Doch erfahren wir noch ein Weiteres auS derselben Quelle, daß nämlich unser mitteleuropäisches Getreide diesjähriger Ernte nicht den mindesten Antheil an der hier geschilderten Art von „Preis bildung" genommen hat. Vorläufig ist fremdes Getreide drauf los gekauft worden. Welcher Vorrath aus der heimischen Ernte etwa verfügbar wird, um den inneren Bedarf zu decken — darum hat sich die am jenseitigen Markt „interessirte europäische Speculation" nicht weiter gekümmert, und zunächst werden nun gewaltige Mengen drüben verladen, um den europäischen Märkten zugefübrt zu werden. „Die AuSfuhrthätigkeit der atlantischen Häfen ist enorm." Nicht viel weniger als eine Million Quarters amerikanischen Weizens sollen in der letzten Woche verladen sein, um demnächst ihren europäischen Bestimmungsplatz zu erreichen. Inzwischen war der mitteleuropäische Laudwirth durch Feldarbeiten noch in Anspruch genommen, er kann erst jetzt seinen Weizen zu Markte bringen, und selbstverständlich wird er nun die Ab lieferung zu beschleunigen suchen, damit die fremde Zufuhr nicht vorweg den Vortheil des aufnahmewilligen Marktes genießt. Erst bei dieser Begegnung der fremden, vom SpeculationSeifer berangeführten, mit der einheimischen Waare sehen die Sachverständigen des Berliner Marktes den Augenblick gekommen, von dem ab Vorrath und Bedarf den Preis bilden, nicht mehr speculatives Angebot und ebensolche Nachfrage. „Dann" — so heißt es wenigstens in dem Wochenbericht der „Voss. Ztg." — „ist die Zeit gekommen, in der eS sich zeigen muß, ob die ganze gewaltige Bewegung nicht nur in den phan tastischen Berechnungen der angeblichen ungenügenden Ernten, sondern in den wirklichen Verhältnissen, wie sie durch die neuen Ernteerträge geschaffen sind, begründet ist." Für diese lehrreiche Darstellung sind wir um so dank barer, als andere Blätter sich bereits bemüht hatten, dem Land- wirth vorzureden, er habe nun in Folge des Mangels eines speculativen Terminhandels unermeßlichen Schaden er litten: aller Antheil an den hohen Preisen der letzten Wochen sei ihm vorenthalten gewesen u. s. w. Die „Voss. Ztg." giebt hierzu die wünschenöwerthe Erläuterung: um die Land- wirthe „in Frankreich, in Deutschland, in Ungarn und anderen Gebieten" konnte eS sich nicht handeln, sondern um ein Spekulationsgeschäft, das abgewickelt sein sollte, just ehe die kontinentale Landwirthschaft mit ihren Ablieferungen eine nach Vorrath und Bedarf sich richtende Preisbildung in die Wege leiten würde. Freilich blieb dem Landwirth diesseits nickt verwehrt, an jenem Speculationsgeschäft theilzunehmen, aber nicht als Producent, sondern als Glied der „interessirten europäischen Speculation" hätte er dann — je nachdem — sein gutes Geld verloren oder einen Gewinn euigeslricken. Wahrend nun dieses Speculationsgeschäft jenseits des Wassers die Leute in Athen: hielt, bat sich, wie wir wiederum den I Veröffentlichungen der Sachverständigen des Berliner Pro- I ductengeschäfts entnehmen, die Preisbewegung am deutschen I Markt in bedächtigem, dafür aber auch stetigem Schritt FeuiHetsi». Aus dem Liederschatz der Balearen. Unter den modernen Reiseschriftstellern nimmt unstreitig Erzherzog Ludwig Salvator eine der ersten Stellen ein. Eine stattliche Reihe bedeutender, für den Geographen, den Profan-, Cultur- und Literarhistoriker, den Naturforscher, Künstler und Architekten, den Seefahrer und den Landreisenden gleich interessanter Werke aus der Feder des hohen Autors liegt, in Woerl'S Reisebücher-Verlag erschienen, bereits vor und ist von der Kritik mit einstimmiger Anerkennung begrüßt worden. Wir nennen hier nur: „Helgoland; eine Reiseskizze", „Um die Welt, ohne zu wollen", „Los AngeloS in Südcalifornien, eine Blume aus dem goldenen Lande", „Eine Nachtreise an den Küsten von Tripolitanien und Tunis", „Paxos und AntipaxoS im Jonischen Meere", „Spanien in Wort und Bild" und „Märchen auS Malorca". Alle diese durch reichen JllustrationSschmuck fick auszeichnenden Werke sind nicht nur um ihres sachlichen Inhaltes willen Perlen unserer Literatur, sondern sie legen zugleich in har monischer Uebereinstimmung beredtes Zeugniß ab von dem unvergleichlick sympathischen Wesen des fürstlichen Verfasser-, in dem wir einen Geist kennen lernen, der, frei von jeglichem Vorurtbeil, bei allem Weitblick die charakteristischen Einzel heiten nicht übersehend, die Dinge so schaut und schildert, wie sie sind, mit ernstem deutschen Gelehrtenfleiß überall nach dem Grund der Erscheinungen forscht, mit hoher Begeisterung für Natur und Kunst ein liebevolles, inniges Eingehen in den Charakter der Volkstypen verbindet, deren Bekanntschaft er macht, und zu alledem daS Charisma einer wahrhaft klassischen Darstellungskunst besitzt. Vereint aber finden wir alle diese Vorzüge in dem großen monumen talen Werke de« Erzherzogs über die Balearen, jene wenig bekannte spanische Inselgruppe im westlichen Thrile deS MittelmeereS, der er eine Monographie gewidmet hat, wie sie erschöpfender, reichhaltiger und anziehender kaum ein anderes Land aufznweisen hat.*) Wir verzichten von vornherein darauf, den schier un erschöpflichen Inhalt dieses groß angelegten und groß durch geführten Werkes, dessen etwa tausend groß Quart- Seiten mit nicht weniger als sechshundert äußerst werth vollen instruktiven Holzschnitten nach Originalzeichnungen des Verfassers geschmückt sind, zu skizziren. Mit einer dürftigen Inhaltsangabe ist dem Leser und dem Buche «icht gedient, dessen Bedeutung nur voll zu würdigen wissen wird, wer sich in dasselbe versenkt, wer eS wirklich studirt. Annähernd aber hoffen wir der herrlichen Monographie gerecht zu werden, wenn wir al» Stichprobe rin Segment herauSheben, da», wenn auch nur ein kleinster Theil de- Ganzen, doch an sich selbst wieder ein Ganzes bildet und auch abgelöst, sür sich selbst allgemeines *) Die Balearen, geschildert in Wort und Bild, von Erzherzog Ludwig Salvator, 2 Bände, Würzburg und Leipzig, k. u. k. Hos- buchhanhlung von Leo Woerl. 18S7. Geb. 60. Interesse zu wecken vermag: den Liederschatz der Balearen- hewohner, der ebenso wenig bekannt wie dieses in einer wunderbar schönen Natur, natürlich und einfach, still und unverdorben dahinlebende Volk, genug der kostbarsten Iuweln birgt. Wir sehen ab von den Dichtern vergangener Jahr hunderte, obwohl sie keine geringe Ausbeute des Vortrefflichsten bieten, und wenden unS den Sängern der Gegen wart zu, um von diesen wieder der genial veranlagten Gattin deS gleichfalls bedeutenden Miguel Nictoriano Am er das Wort zu lassen. In ihren Gedichten klingen alle Saiten des Charakters dieser Inselbewohner, speciell ihrer eigentlichen Landsleute auf Molorca, dem größten dieser Eilande, an: die Milbe unv Offen heit, Güte und Herzlichkeit deS Charakters, die Mittheilsam- keit deS Wesens, daS Mitgefühl mit fremdem Leid, Treue und Freundschaft, und vor Allem die Liebe zu Gatte und Kind. Gerade der letztere Zug äußert sich, wenn auch zuweilen in Uebermaß, doch immer in poensck wirksamen, ergreifenden Tönen. So singt die genannte Verfasserin zahlreicher religiöser und lyrischer Gedichte in dem Lied an ihre verstorbene Tochter: Wer hätte mir gesagt, mein Töchterlein, Leben meine« Leben-, Daß Du meine Arme verlassen Und zum Himmel aussteigen möchtest! . . . Wer hätte mir gesagt, mein Töchterlein, Daß ohne Dich die Welt sich verwandeln würde In ein enge« Gefängniß, In dem ich gefangen bliebt? So klagt sie in rührenden Accorden über den Verlust der in zarter Iugendblüthe Dahingewelkten, um dann der Sehn sucht nach dem über Alle- geliebten, verklärten Theile ihres eigenen Selbst wehmüthigrn Ausdruck zu geben. Sie möchte die blaue Wolke deS Himmels, der kleine weltenferne Stern, der Wohlgeruch der Blume, die Harmonie der Töne sein, um der auf ewig Entschwundenen sich nähern zu können. Wäre ich der Schutzengel, Der Dir Gesellschaft leistete! Wäre ich die erlöste Seele Und nicht die gesungene Seele! . . . Vöglein, flieget, flieget, Flieget und legt einen langen Weg zurück, Und wenn ihr sehr hoch hinauf gelangt seid, Werdet ihr eine große Melodie hören . . . Es find die Engleln, die In der Gegenwart Gotte- singen. Vöglein eilet, eilet, Ich möchte euch hinauf begleiten. Aber e« fehlen drr übrr Raum und Zeit sich hinweg setzenden Sehnsucht de- MutterberrenS die Flügel, und so bittet die Dichterin die Vöglein, daß sie ihre Sendboten seien und zu ihrem Töchterchen sich emporschwingen möchten: Saget ihr, daß sie für mich bete, Und daß sie mir einen Platz ausheb» Denn he ist die erlöste Seele Und ich bin die gefangene Seele. Welch zartes und dabei tiefes Empfinden, welch schlichter, aber gerade darum ergreifender Naturlaut schmerzbewegter Mutterliebe, welch himmelstürmende« Klagen und doch welch tacktvoll-frommeS Maßhalten! Fürwahr, dieses Gedickt kann sick mit den besten der modernen Frauenlileratur kühnlich messen. Ein anderer mallorquinischer Dichter — wir müssen unS hier auf diese beiden beschränken — Tomas Forteza, Hal sich durch das scköne Lobgedicht auf die geliebte Heimath, daS paradiesische Mallorca unsterblich gemacht, das mit der malerischen Strophe beginnt: Wenn die Wipfel der hoben Gebirge Vom Schnee erglänzen, Sind auch die Ebenen in Weiß gekleidet Von Len Btüthen des Mandelbaumes. Fällt die Blüthe aus den Rasen, Welcher unter den Bäumen sproßt, So prangt die grünende Und mit Silberkörnchen bestreute Erde In einem herrlichen Mantel Von Hoffnung und Reinheit. Ein schöne- Land ist Mallorca, Denn Mallorca ist ein reicher Garten. In den folgenden Strophen rühmt der Dichter die Schön heiten der gottgesegneten Insel, besingt die schwellenden Ge treidefelder, die fröhliche Traubenernte, das Einsammeln und Pressen der Oliven rc., um wirkungsvoll zu schließen: Ach Mallorca, du entzückst mein Herz Mit dem herrlichen Blau deines Himmels, Mit deinen rauschenden Ufern, Welche die leichte Brise bewegt, Mit den Blumen deiner Wiese, Mit dem Gesang deiner Vögel; Des Himmels und des Paradieses Abbild bist du für mich! Ach Mallorca, wenn ich dich verlasse, Werde ich vor Heimweh sterben. Ein schönes Land ist Mallorca, Denn Mallorca ist ein reicher Garten. Mit diesem Lied hat Tomas Forteza sich für immer in da« Herz seiner Landsleute gesungen, denn die Anhänglichkeit an die Heimath, die sich stets bei ven Insulanern viel leb hafter al« bei den Festländern äußert, ist bei den Mallor quinern besonders stark ausgeprägt. Sie betrachten ihre Insel und ihre heimathlicbe Lebensweise als das Beste und Schönste auf der Welt. In Folge dieses unverwüstlichen Local- patriotiSmus, der ihnen die Trennung von der Insel zu dem schwersten Opfer macht, haben denn auch nur wenige Be wohner der Balearen, speciell Mallorcas, ihren Wohnsitz auf dem benachbarten Festland aufgcschlagen. Hierin ist auch der Grund ihrer Abneigung gegen den Waffendienst zu suchen, denn sie sehen dann die in der Ferne verlebte Zeit als die unheilvollste im Leben an. Man wird an den wenigen Proben mallorquinischer Poesie, die wir mittheilen konnten, bemerkt haben, daß die Verfasser frei sind von aller Künstelei, daß sie in naiver Offenherzigkeit sich ganz natürlich geben, ohne Reflexion, obne Berechnung. Da- ist rin wesentlicher Zug der Mallorquiner überhaupt, der namentlich die weibliche Jugend ziert. Erzherzog Ludwig erfreut uns mit einem geradezu entzückenden Beleg solch mädchenhafter Unbefangenheit. Ich erinnere mich noch, so erzählt er, wie mir ein Mädchen er öffnete, sie wolle ins — Kloster gehen, denn sic liebe daS zurück gezogene Leben, und es wäre überhaupt besser, sich ganz dem Dienst Gottes zu widmen. „Sie sind so lieb, die Nonnen", fuhr sie lächelnd fort, während ihr kleines, von einem Weißen mallorquinischen Schleier umrahmtes Gesicht einen wahrhaft klösterlich milden und engelhaft reinen Ausdruck annahm. „Ja, eins von beiden wünschte ich, entweder im Kloster oder in Barcelona zu sein; daS stnd die Orte meiner Sehnsucht." „Und warum denn in Barcelona?" „Weil dort viele — Soldaten sind", ant wortete ganz offen das naive Kind, aus dessen kleinen Herzen die Liebe zur Heimath von einer anderen Liebe verdrängt zu sein schien. Wersen wir noch einen flüchtigen Blick auf den Lieder- reicktbum der östlichsten der Baleareninseln Menorca, wo besonders die Volksdichtung duftige Blüthen treibt. Einzelne dieser Volksdichter improvisiren mit einer außerordentlichen Leichtigkeit und sind im Stande, einen Wettkampf in Versen selbst stundenlang zu führen. Viele dieser Volksdichtungen zeichnen sich ähnlick wie auf Mallorca durch die Zartheit und Innigkeit der Empfindung aus. Als Beweis nur das eine Gedicht „Mutterliebe", dessen Motto lautet: Meine Mutter, meine Mutter, Die süßeste Gesellschaft; Wer sie hat, kennt sie nicht Und wer sie verliert, seufzt dennoch. Nun wird die Mutterliebe in ihren verschiedenartigsten Betbätigungen, in allen möglichen Lebenslagen gepriesen. So lautet die eine schlicht graciöse Strophe: Wohin gehst du, arme Madonna, Wohin gehst du durch diese Felder Voll Schnee und Gestrüpp, In dieser Kälte und diesem Wind? Wohin gehst du, arme Madonna, Ohne Mantel und barfuß? — Etwas Holz zu suchen, Um meine Kmder zu erwärmen. Und didaktisch klingt dies Volkslied voll wunderbaren Wohl lautes, tiefen Eindruck hinterlassend, auS: Wer nicht die Mutter liebt, Niemand kann er lieben, Weil eine Mutter rin Märtyrer ist Für daS Wohl ihrer Kinder, Sie bewacht uns, wenn wir klein sind, Und pflegt unS, wenn wir groß sind, Lacht, wenn wir zufrieden sind. Weint, wenn wir weinen, Willfahrtet unseren Launen; Was wollen wir mehr wünschen! So wenig Goldkvrner auS den silbernen Schalen balkarischer Poesie wir hier zeigen konnten, wir glauben doch, da- Ver langen nach dem ganzen Schatz rege gemacht zu haben. Erz herzog Ludwig'S Buch bietet nock manche Au-lese de- Besten und vielleicht kommt er dem sicherlich nicht von unS allein gehegten Verlangen nach, uns die gesammte balkarische Lite ratur in treuer Uebersetzung zugänglich zu machen. —p.
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