02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-05
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971005023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-05
- Monat1897-10
- Jahr1897
-
-
-
7300
-
7301
-
7302
-
7303
-
7304
-
7305
-
7306
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Lk Morgen-Au-gabe erscheint «m '/,? Uhr. die Abevd-Au-^ab« Wochentag» um 5 Uhr. ^edariion und Lrprditio«: ' Aohannesgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag« ununterbrochen tzeSffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: Dtta Klemm'« Eartim. (Alfred Hahn), UniversitätSstrahr 3 (Paulinum) Laut» Lösche, katharineustr. 14, patt, und König-Platz 7. Vezrtg-.PreiS dt d*r ^auptexpedition oder den d» Stadt, bewirk und den Vororten errichteten Autz» aabrstellen abgeholt: vierteljährlich^«4^0, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Han« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich »6 6.—. Dir«« tägliche Kreuzbandsendung v int Ausland: monatlich 7.50. 508. Mbe«d-Ausgabe. MWMr.TllAMaü Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nalizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. AuzeigeuoPrei- , die -gespaltene Petitzeile SS PU- Nrclamea unter dem Sirdaction-strich (4g«» spalten) bO^j, vor den Familieonachrichtr, («gespalten) 40 Vrüße« Schriften laut unsere» Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zisferusah nach höherem Laris. Extra»Beilage» (gesalzt), nur «U de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuu^' ^l 60.—, mit Postbesörderang ^l 70.—^ Jinuahmeschlnd für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Vsivrgen-Au-gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen i« eine halbe Stund« früher. Anzeigen stad stets an die -xpe-itia» zu richten. Druck »ad Verlag von E. Polz in Leipzig Dienstag den 5. October 1897. Si. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. October. Wenn, wie berichtet wird, der Reichskanzler Fürst Hohenlohe und der Vicrpräsident deS preußischen Staats ministeriums vr. v. Miquel gestern eine längere Unter redung gehabt haben, so haben die beiden Staatsmänner sicherlich, wie weit sie auch in ihren Ansichten über die Zweck mäßigkeit dieser oder jener Maßregel auseinander gegangen sein mögen, vollständig übereingestimmt inder Verurtheilung des wieder üppig ins Kraut geschossenen Treibens mehr oder minder untergeordneter Beamten, über Gesetzentwürfe, die noch im Stadium der Vorbereitung sich befinden» Zeitungs berichterstattern Mittheilungen zu machen, die entweder den Thatsachen vorgreifen, oder von Len phantasiereichen Herren Reportern weiter ausgesponnen und nach dem AgitationSbedürfniß der betr. Blätter zurechlgestutzt werden. Vielleicht ist eS eine Frucht dieser Unterredung, daß heute die Herrn vr. v. Miquel nahe stehenden „Berl. Pol. Nachr." folgende Notiz über die zu erwartende Marincvorlagc ver öffentlichen: „Wie verlautet, besteht die Absicht, die auf die Marine bezug» Uchen Gesetzesvorschläge, sobald dieselben endgiltig fest gestellt sein werden, durch den „Reichsanzeiger" zu ver öffentlichen, um den Reichstagsmitgliedern Gelegenheit zu geben, sich mit dem Inhalte der Vorlage vertraut zu machen, ehe noch dieselbe zur parlamentarischen Verhandlung gelangt. Man wird in weitesten auch außerparlamentarischen Kreisen diese Absicht gewiß um so mehr billigen, als Larin Las wirkiamsle Mittel erblickt werden muß, dem müßigen Gerede vom „Septennat" und dergl. ein Ende zu machen. Zur Zeit befindet sich die Vorlage noch in einem Stadium, welches es ausjchließt, daß eingehende und authentische Mittheilungen aus derselben gemacht werden können." Hoffentlich wird der „NeichSanzciger" recht bald in die Lage versetzt, die Vorlage zu veröffentlichen. Wenn aber diese Veröffentlichung ihren Zweck erfüllen soll, so wird vor her mit aller Strenge darauf zu achten sein, daß weitere Indiskretionen unterbleiben. Ohne solche hätte das „müßige Gerede", über das der Verfasser der Notiz so ungehalten ist, gar nicht entstehen können. Die von der „Kölnischen Zei tung" gemachten Angaben über die Absicht der Reichs- marineverwaltung, mit einem einen längeren Zeitraum umspannenden Flottenplane an den Reichstag ,heranzu treten, können um so weniger aus den Fingern ge sogen sein, je entschiedener noch im vorigen Jahre in Ab rede gestellt worden ist, daß ein solcher Plan aufgestellt werden solle. Irgend Jemand, der den in dieser Sache maß gebenden Kreisen nahcsteht, muß also geplaudert haben. Vielleicht ist eS sogar in der Absicht geschehen, Stimmung für den Plan zu machen. Herr Vr. v. Miquel weiß aber aus langjähriger parlamentarischer Erfahrung, welchen Erfolg solche Stimmungsmacherei häufig hat. Die radikalen Parteien benutzen jedes Häkchen, das sie in verfrühten Mittheilungen über Regierungsprojecte finden, um ihre Gesinnungsgenossen gegen diese Projekte aufzureizcn. Und haben solche Parteien sich einmal gegen eine Sache „festgeredet", so halten sie eS für Manneslugend, „fest" zu bleiben, auch wenn das fertige Projekt in wesentlichen Punkten von den verfrühten Meldungen abweicht. Selbst Ministern soll das „Sickfestreden" schon verhängnißvoll geworden sein. Auch darüber wird Herr vr. v. Miquel Näheres wissen. Um so eher darf man erwarten, daß er feinen ganzen Einfluß aufwendet, um den Indiskretionen ein Ende zu machen, die den Nezierungspläucn so gefährlich werden können. In die Kategorie der von unberufener Seite ver anlaßten Preßmeidungen gehört zweifellos auch die folgende Auslastung in der „Köln. Ztg." über den Stand der Frage der Mttttairstrafproccstordnnna: „Es ist schon an dieser Stelle noch während der Kaisermanöver darauf hingewiesen worden, daß bei der Zusammenkunft des Kaisers mit dem Prinzregenten von Bayern diejenigen Puncte der Militair» strasproceßordnung eingehend erörtert worden sind, die bisher einer Verständigung im Wege standen. Wie nun verlautet, ist über den materiellen Inhalt dieser Resorm thatsächlich eine Verstän digung erzielt worden, die durchaus der Zusicherung des Reichskanzlers vom 18-Mai 1896 entspricht. Hiermit scheiden also alle Fragen aus, die bisher noch offen waren, namentlich die O rffrntlich keit des H au ptv er fahrens unddas Bestätigungs recht. Ueber diese beiden Puncte sprach sich im Frühjahr dieses Jahres der württembergische General vr. Pfister mit einer bemerkenswerthen Offenheit auS; und es ist gewiß, daß die in seiner Schrift nirdrrgelegten Ausführungen genau den Standpunkt wiedergeben, den Württemberg in der Frage einnimmt. Dieser Schrift soll es zuzuschreiben sein, Laß auch anderwärtig (sic!) die Bedenken fallen gelassen wurden, die bis dahin gegen die Öffentlichkeit des Verfahrens und für das Frei geben des Bestätigungsrechts erhoben wurden. Trotz diesem günstigen Verlauf der Angelegenheit sind die Aussichten für das Einbringen der Reform beim Reichstage gleich nach seinem Zusammentritt nach wie vor gering. Die Ursache liegt in dem Vorhandensein des bayerischen obersten Gerichtshofes. Ohne Zweifel erstrecken sich die Reservatrechte Bayerns nicht aus diese Einrichtung, vielmehr darf sie nur als rin Provisorium betrachtet werden bis zur endgiltigen Regelung durch die verbündeten Regierungen und den Reichstag. Als im ver gangenen Jahre unter dem 2-1. August der Kaiser dir Vorlegung der Reform befahl, äußerte derselbe, wenn auch nur, wie man hört, privatim, eS entspreche seiner Austastung nicht, Bayern in dieser Angelegenheit zu majorisiren. Gleichwohl ist diese Aeußernng bekannt geworden und auch zu den Ohren des Prinzregenten gekommen. Tas wurde nun die Veranlassung zu Erörterungen, ob denn Bayern gemäß seinen Reservatrechten Anspruch auf die Beibehaltung eines besonderen obersten Gerichtshofes erheben könne. Diese Frage ist seitdem ver neint worden. Trotzdem scheint der Kaiser sich durch die ge- fallene Aeußerung gebunden zu fühlen, und an diesem Puncte liegt noch das einzige besteh ende Hinderniß. Es scheint auch nicht, als ob es so bald aus dem Wege geräumt werden sollte. Bei der Stellungnahme des Reichskanzlers vom 18. Mai 1896 ist jedoch dringend zu wünschen. Laß auch diese letzte Klippe während der diesjährigen Tagung des Reichslages beseitigt wird." Es ist schon wer weiß wie oft darauf hingewiesen worden, daß die Forderung Bayerns nach Beibehaltung seines obersten Gerichtshofes der kleinste Stein deS Anstoßes sei, an dem da- ganze Werk nicht zu scheitern brauche, wenn im Uebrigen Uebercinstimmung erzielt sei. Ist nun das Letztere geschehen und hält sogar der Kaiser an der Ansicht fest, daß Bayern in der Gerichtshofsfrage nicht majorisirt werden dürfe, so ist eigentlich gar kein Hinderniß mehr vorhanden. Nur die Einbringung deS Entwurfs kann durch die Noth- wendigkeit einer entsprechenden Abänderung etwas verzögert werden. Vielleicht hat das der Verfasser in den letzten Sätzen auch sagen wollen. Der Ton aber, in dem er cs sagt, ist ein so rcsignirler, daß man sich nickt wundern kann, wenn die „Franks. Ztg." daraus schließt, die ganze Reform sei fallen gelassen, und an diesen Schluß die Mahnung an die Wähler knüpft, „bei den Neuwahlen der Regierung die Quittung für eine solche Behandlung allgemeiner Volksforde- rungcn ausznstellen". Das bat mit seinem „Singen" der sicherlich auf keinem Redactionsstuhle sitzende Gewährsmann der „Köln. Ztg." gelhan! Ter neue griechische Ministerpräsident ZaimiS gilt als ein hochgebildeter Mann von großer Willenskraft und politischer Ehrlichkeit. Er war ein hervorragendes Mit glied der Partei seines OheimS Delyannis, mit dem er jetzt aber zerfallen ist. Von 1890—1891 war er Justizminister unter Delyannis und wurde etwa zwei Jahre darauf zum Präsidenten der Kammer gewählt. Er ist 46 Jahre alt, sehr einflußreich und neigt zur Mäßigung und friedlichen Gesinnung. Sein Vater war das Haupt einer mächtigen Partei und im Iabre 1869 Ministerpräsident, sein Groß vater einer der Förderer des Unabhängigkeitskrieges und spielte eine bedeutende Rolle in den Freiheitskämpfer! gegen die Türkei. Stefan von Streit, der Sproß einer olden- burgischen Familie, Professor des Staatsreckts an der Universität und Gouverneur der Nationaibank, ist eine in Deutschland nicht unbekannte Persönlichkeit. Er selbst wollte nicht ins politische Leben treten, doch bat e das Finanzministerium auf dringenden Wunsch des Königs endlich übernommen. Seine Ernennung ist darauf berechnet, eine Verständigung mit Len SlaatS- gläubigern zu erleichtern. Schon im vergangenen Winter hatte v. Streit im Auftrage der griechischen Regierung Ver handlungen mit den Gläubigerausschüssen angeknüpst und war zu einer Verständigung gelangt, die aber dann von Delyannis nicht gleich bestätigt wurde. Seine AmtSwaltung verspricht ferner Aussicht auf eine Finanzreform und auf Strenge in der Verwaltung der Staatsgelder. General Sm ölen Ski ist der populärste der neuen Minister, indem er wegen seiner tapferen Kriezsführung bei Velestino zum Nationalbeldcn geworden ist und somit eine wichtige Stütze der neuen Regierung und der öffentlichen Ordnung bildet; er ist auch ein von der Politik unverdorbener strammer Soldat, und unter seiner Thätigkeit hofft man auf eine völlige Neugestaltung der griechischen Armee. Toman, der neue Justizminister, ist auch deutscher Abstammung; er ist Abgeordneter von Syra und genießt den Ruf eines aufrichtigen, fähigen Politikers, doch sind er und die übrigen Minister neue unbekannte Größen. Nur der Minister des InnernOberstK orp aS ist schon einmal Kriegsminister gewesen. Was die auswärtige Politik des neuen Cabinets betrifft, so ist kein Grund, zu befürchten, daß sie abenteuerlich sein wird. Den Bedingungen der Mächte wird es sich als un abwendbar beugen. Der Kammer gegenüber nimmt es von vornherein die richtige Stellung ein, indem eS von derselben als erstes Vertrauensvotum die — Vertagung verlangt. Es ist Sache der Regierung, den Frieeensvertlag zu ralificiren, seine DiScussion in der Kammer kann nur zu neuem, unfrucht barem und für die Zukunft des Landes bedenklichem Partei gezänk führen. Der Kronprinz von Griechenland hat eine Aufsehen erregende NechtfertigungSschrift erscheinen lassen. Sie ist eine Zusammenstellung der Thatsachen, deS amtlichen Depeschenwechsels zwischen dem Hauptquartier und der Regierung in Athen, sowie der von den einzelnen CorpS- führern an den Kronprinzen erstatteten Berichte. Die er gänzenden Erläuterungen hierzu geben nur kurz die Dar stellung der kriegerischen Ereignisse, wobei die Beurtheilung dem Leser überlasten wird. Gleichwohl ist die Schrift ziemlich umfangreich und dürfte voraussichtlich mit einigen Weglassungen der Abgeordnetenkammer vorgelegt werden; auch ist ihre Veröffentlichung in einer der westeuropäi schen Sprachen beabsichtigt. Zur Charakterisirung deS In halts sei darauf hingewiesen, daß der Kronprinz in dieser Schrift nachdrücklichst darzulegen bemüht ist, wie sehr er selbst von vornherein dieSchäden und dieMängel des griechischen Heeres offen erkannt und aner kannt habe. So richtete er noch drei Tage vor dem Aus bruch der Feindseligkeiten ein längere« chiffrirte« Telegramm auS Larissa nach jAthen, in welchem er erklärte, baß er bis zum ersten Angriffe wenigsten« noch 5000 Mann und binnen acht Tagen noch weitere 15 000 Mann brauche. Hierauf erhielt er TagS darauf vom Minister präsidenten Delyannis die Drahtantwort: „ES ist unmöglich, noch einen Mann zu senden. Beschränken Sie sich streng auf die Abwehr." Und dennoch traf 36 Stunden später, nach der inzwischen türkischerseitS erfolgten Kriegserklärung, aus Athen der Befehl rin, sofort auf der ganzen Linie zum Angriff vorzugehen. Durch diese Denkschrift wird die Richtigkeit der Mittbeilungen bestätigt, welche ein Bericht erstatter der „Akropolis" über eine Unterredung gemacht hat, die er vor wenigen Tagen mit dem Kron prinzen batte. Der Kronprinz bezeichnete als Hauptgrund für das Mißgeschick der griechischen Waffen den Mangel an Disciplia und Orga nisation im Heere. Deshalb war er nicht für einen Krieg. „Wir glaubten auch nicht", sagte der Kronprinz, „daß es Krieg geben würde. Ich hege auch keine Scheu und keinen Zweifel, Ihnen zu sagen, daß ich selbst bei meiner Abfahrt nach Thessalien nicht glaubte, r« würbe wirklich zum Kampfe kommen. Während der 20 Tage meiner Thätigkeit im Lager juchte ich jedoch die Armee durch rastlose Thätigkeit in einen möglichst schlagfertigen Zustand zu versetzen. Der erste Rückzug war eine nothwendige Folge vom Fall Nezeros und der drohenden Uebrrflügelung Lurch Len Feind, der dauernd seine Reihen zu ergänzen vermochte, während ich nicht einmal Reservisten al» Ersatzmänner zur Hand halte. Die Behauptung Larissa» war eine Un möglichkeit, wollte die Armee nicht ein zweites, aber ehrloses Sedan erleben; denn die Stadt war ganz und gar unhaltbar und bedingungslose Gefangennahme daselbst unvermeidlich zu er warten. Auch der Versuch, die Stadt zu halten, hätte mchcS genutzt, denn selbst, wenn wir nach Elassona vorgedrungen wären, hätten wir dem numerisch so überlegenen Gegner weichen müssen. Trotzdem aber wimmelte Athen damals von Mititairfreien. Die Soldaten kämpften gut, aber nur olS Menschen betrachtet, zum Soldaten wird man nicht innerhalb eines MonatS. Wo lernten unsere höhrrn Osficire Brigaden befehligen, und woher sollte ich dir Erfahrung nehmen,welche zumEommando einer ganzen Arme« nothwendig ist? So mußte ich einem Major sein Bataillon nehmen, da er sich als unfähig erwies, ob gleich er sonst rin ausgezeichneter Mensch war. Dann war absolut Fenrllrtstt» Götzendienst. 25j Roman in zwei Theilen von Wold em ar Urban. Nachdruck verboten. Don Salvatore sah erst sie, dann das schwächliche, halb ohnmächtige Mädchen an. Ihre Augen hätte er sehen mögen, aber Lieschen hielt sie gesenkt und stand noch immer, wie er sie gefunden, mit klopfendem Herzen und heftigem Athem ruhig am Tische, auf den sie sich stützte. Don Salvatore erkundigte sich theilnehmend, was ihr fehle; aber sie verstand ihn nicht, und er begriff nun rasch, daß sie ebenso wenig französisch, als er deutsch verstehe. Er rief daher nach der Thüre und rief einen Diener herbei. Zufällig war Franz in der Nähe, der sofort heraneilte. Das Rufen schien aber doch Unruhe und Aufsehen verursacht zu haben; denn gleich hinter dem Diener trat Fräulein Felicia mit ihrem Vater ein. „Was giebt's" fragte Don Gracias kurz. „Was fehlt Ihnen, Fräulein Lieschen?" fragte auch der Diener, auf das Mädchen zutretrnd. „Sie sehen ja weiß wie die Wand aus." „Nichts, nichts", stöhnte Lieschen, die ihr Möglichstes that, um die Schwächeanwandlung zu überwinden; „ich — ich bringe nur — die Mantille für das gnädige Fräu- leim" Dabei hatte sie sich so weit gefaßt, daß sie auf den Kasten zuschritt, um die Mantille herauszunehmen. Aber kaum hatte sie sich von dem schützenden Tische entfernt, als sie rffit einem Seufzer zusammenbrach und ohnmächtig auf den Teppich niederfiel. Man sprang von allen Seiten herzu, um ihr zu helfen. Sie pachte einen so hilflosen, schwächlichen underbarmungs- würdkgen Eindruck, daß man allgemein von dem Zwischen fall betroffen war. Nur Fräulein Georgette drehte sich schnippisch um und sagte halblaut: „Die Kleine spielt gut Comödiik." Mam beachtete jedoch ihre Worte nicht weiter. Der Diener lkcite Lieschen auf das Sopha, Salvatore schrie nach frischem LHasser und nahm von einer Etagere eine Eau de Cologne-Flasche und Don Gracias beeilte sich selbst, das Fenster zu öffnen, indem er sagte: „Es ist die dumpfe Luft in den Zimmern, die einen so unangenehmen Effect macht. Man ist ja hier wie in einem Gewölbe, das seit Jahren nicht bewohnt gewesen." Ehe sich jedoch die Anwesenden über den muthmaßlichen Grund von Lieschen's Unwohlsein klar werden konnten, öffnete diese schon wieder die Augen und sah sich er schrocken um. „Mein Gott, Franz", stotterte sie und wollte aufstehen, „was ist mit mir geschehen?" „Bleiben Sie ruhig liegen", rief Don Gracias ziemlich energisch, „und ruhen Sie sich aus. Fühlen Sie sich jetzt Wohler? Soll man nach dem Arzte senden?" „O Gott, nein, ich — ich bin ganz wohl — ich —" „Wie heißen Sie, mein Fräulein?" fragte Don Gracias wieder. Er war unter den Anwesenden außer dem Diener der Einzige, der mit der Kranken deutsch sprechen konnte. Er wollte also thun, was ihn im vorliegenden Falle Menschenpflicht zu sein schien. „Ich komme von Moser L Co., gnädiger Herr und bin hierher bestellt", antwortete Fräulein Lieschen in ihrer ge wohnten Schüchternheit und Bescheidenheit; denn daß ihr eigener Name für irgend Jemand auf der Welt ein Interesse haben könnte, war ihr nicht wahrscheinlich. „Ich meinte, mein Fräulein, wie sie selbst heißen", er widerte Don Gracias. »Ich — oh- ich bin Lieschen, gnädiger Herr, daß heißt eigentlich heiße ich Josefine, wenn Sie erlauben — Josefine Hartwig, aber —" „Hartwig?" unterbrach sie Don Gracias kurz und fast hart. „Ha; aber Herr Moser sagte, es schicke sich nicht, daß ich Josefine heiße und so nennt man mich schlechtweg Lieschen." Sie war wieder aufgestanden mittlerweile und knixte in der gewohnten, unterwürfigen Manier vor Herrn de Melida. So ziemlich war sie ja schon daran gewöhnt, von der hohen Kundschaft nach Diesem oder Jenem gefragt zu werden und sie hatte sich nie und auch jetzt nicht etwas Besonderes dabei gedacht. Dagegen trat Don Gracias einen Schritt zurück und besah sie, aufmerksam und neu gierig zugleich. „Hartwig?" murmelte er nochmals und strich ihr wohl meinend über die blendend weiße, zarte Stirn und das feine, aschblonde Haar. Er schien Gefallen an ihr zu finden und das durfte schließlich Niemanden wundern; denn sie war ja eine jener blonden, zierlichen Schönheiten, die ge rade in ihrer Zartheit und graziösen Feinheit einen tieferen Eindruck auf starke und robuste Männer zu machen pflegen. „Sie sind in einem Geschäft angestellt", fragte er weiter. „Ja, bei Moser L Co." „Als was?" „ Wenn Sie erlauben, eigentlich als Confectioneuse." „Als Schneiderin?" „Ja." „Sie sind aber doch so schwach, mein Kind, fürchten Sie nicht, sich zu überanstrengen?" „O nein." „Sie sollten es aber doch thun, denn Sie haben doch eben gesehen, daß es mit Ihrer Gesundheit nicht aufs Beste bestellt ist." „Was sein muß, muß sein, gnädiger Herr." „Wollen Sie damit sagen, daß Sie gezwungen sind, in einem Geschäft zu arbeiten?" „Ja, gnädiger Herr." „Aber mein Gott, Sie haben doch gewiß Verwandte — Eltern oder Geschwister. Sie stehen doch nicht allein. Sind Sie eigentlich mit dem Maler Hartwig, der jetzt noch in Monte Carlo weilt und von dem ich einige Bilder gekauft habe, verwandt?" „Ja, gnädiger Herr; er ist mein Onkel." „O, Ihr Onkel. O, ich verstehe; dann ist wohl der alte Hartwig in Heblingen Ihr Großvater?" „Wenn Sie erlauben, gnädigster Herr — ja!" „Und Ihr Vater — warum sorgt Ihr Vater nicht Keffer für Sie?" „O gnädiger Herr, mein Vater ist krank. Ja, wirklich krank." „So, so! Was fehlt ihm denn?" „ Ich ich weiß es nicht." Sie hätte sich lieber die Hunge weggebissen, als daß sie gesagt hätte, ihr Vater sei ern Säufer, von dem Niemand etwas wissen wollte und den deshalb auch Niemand mehr brauchen konnte. Aber Don Gracias rückte mit seinen Fragen immer näher und tiefer, und wenn sie es auch um keinen Preis verrieth, so konnte er es schließlich doch er- rathen. Dabei wurde Fräulein Lieschen ängstlich und ver legen. Sie war ja wohl gewohnt, daß Leute, die an ihrer kleinen hübschen Persönlichkeit ein vorübergehendes Inter esse fanden, sie nach allen Möglichen fragten; aber daß sie so eingehend und wie man zu sagen pflegt, über alle Hühner und Gänse Auskunft geben mußte, das war ihr noch nicht vorgekommen. Sie erröthete und machte sich an ihrem Kasten zu schaffen, aus dem sie endlich die Mantille für Fräulein Felicia herauskramte. Auch Don Gracias schien endlich seine Neugierde befriedigt, oder doch wenigstens bekämpft zu haben. Er griff in die Westentasche und drückte der freudig Ueberraschten ein Geldstück in die Hand. „Da, mein liebes Kind, nehmen Sie das. Sie sollen die freundliche Auskunft nicht zu bereuen haben. Ist das die Mantille für meine Tochter?" „Ja, gnädiger Herr, wenn Sie erlauben." „Gut, gut — es ist Alles gut!" „Wenn das gnädige Fräulein die Güte haben möchte, die Mantille zu probiren?" „Es ist gut, sage ich, und das Anprobiren nicht nöthig. Sagen Sie Herrn Moser, daß ich in diesen Tagen persönlich bei ihm vobeikommen würde, um die Rechnung zu begleichen. Natürlich, nur deshalb!" Dem Fräulein Lieschen fiel ein Stein vom Herzen, denn so leicht hatte sie sich die Sache nicht gedacht. Herr Moser würde aber gleichwohl mit ihr zufrieden sein, sagte sie sich innerlich, denn die GeschäftSehre war gerettet. So packte sie denn ihren Carton wieder ein und wollte sich empfehlen. „Fühlen Sie sich auch stark genug, den Weg zu Fuß zu machen?" fragte Don Gracias wieder. „O ja — o gewiß, gnädiger Herr." „Sie sollten sich aber doch vorher am Buffet ein« kleine Stärkung geben lassen. Eh, Franz! Gehen Sie mit und veranlassen Sie das. Adieu, adieu, mein Kind. Auf Wiedersehen!" Fräulein Lieschen knixte zum Abschied. „Ah — noch EinS!" rief Don Gracias wieder „wo wohnen Sie denn?" „In der Wilkelmstraße, gnädiger Herr." „Und welche Nummer — welch« Etage?"
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- No fulltext in gridpage mode.
- Show single page
- Rotate Left Rotate Right Reset Rotation
- Zoom In Zoom Out Fullscreen Mode